Kapitel 17

Mit dem Blick zum bereits schwarzen Himmel gerichtet, treibe ich auf der Oberfläche des warmen Wassers. Es erinnert mich an den ersten Morgen hier in Italien. An die Ruhe, welche ich verspürte und die Wehmut breitet sich erneut in mir aus. Morgen werden wir abreisen und dieses traumhafte Erlebnis, diesen unwirklichen Ort hinter uns lassen. Die Blase, die uns die vergangenen Tage umgeben hat, wird platzen, während die Realität zurückkehren wird und mit ihr all die Probleme.

Die Sterne leuchten hell und fast scheint es, als könnte ich spüren, wie sich die Erde dreht. Diese kleinen Lichter sind unendlich weit entfernt. Ein Blick in die Vergangenheit. Und dabei ist es nur ein Bruchteil von dem, was da oben vorzufinden ist. Fast kommt es mir lächerlich vor, dass ich mir um alles immer so große Sorgen mache. Dass ich mir den Kopf über dieses bescheuerte Gespräch zerbreche, das ich gleich mit Kayla führen werde. Vielleicht kommt nach dem Leben nichts. Vielleicht ist all das hier nur dazu da, um dem Leben einen Sinn einzuprügeln, wo keiner ist, weil der Mensch es sonst nicht ertragen kann. Alles ist endlich, so wie wir werden auch die Sterne eines schönen Tages sterben und am Ende bleibt nichts übrig. Vielleicht ist alles umsonst und niemand gehört irgendwo hin, doch es versetzt mich nicht in Panik. Im Gegenteil. Es ist eine riesige Erleichterung. Eine schwere Last, die damit jedem Einzelnen von den Schultern genommen wird. Es ist schön und grausam zugleich.

„Ich gehe jetzt hoch, schlaft gut." Darians dunkle Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich kann ihm gerade noch eine gute Nacht wünschen, bevor er in der Dunkelheit verschwindet.

Ich tauche ganz unter, will mich und meinen Kopf erfrischen. Das Wirrwarr ordnen und noch einmal Luft holen. Obwohl das unter Wasser wohl etwas paradox ist. Vielleicht will ich auch gar nicht mehr auftauchen. Im Moment ist irgendwie alles ein wenig zu viel. Wie viel kann ein Mensch ertragen?

Als ich wieder auftauche, trifft mein Blick direkt den von Kayla, welche wenige Meter entfernt im Meer treibt. Es ist die perfekte Möglichkeit sie zur Rede zu stellen. Diesen Geheimnissen und Verwirrungen ein Ende zu setzen. Das nervöse Kribbeln in meiner Magengegend kann ich nicht ignorieren, auch wenn ich mir gerne vormache, dass ich alles unter Kontrolle habe und mir keine Sorgen machen muss. Dass es schon nichts Gravierendes sein wird. Die letzten Stunden habe ich damit verbracht, darüber nachzudenken, was der Grund für ihr Verhalten sein könnte. Hat sie Angst, dass Darian ihren Platz einnimmt? Dass sie mich verliert? Ist sie eifersüchtig? Es gibt noch eine andere Option, doch ich verbiete mir, darüber nachzudenken. Ich wüsste nicht, was ich tun würde.

Mit zwei kräftigen Zügen bin ich bei ihr und sofort tritt Erkenntnis in ihr Gesicht. Kayla scheint ebenfalls bewusst zu sein, dass sie sich nicht länger vor mir verstecken kann. Sie ist meine Seelenverwandte. Wir haben alles zusammen durchgemacht. Normalerweise reden wir über alles. Wobei wir eigentlich nicht einmal reden müssen. Wir können die Gedanken des anderen lesen. Doch in letzter Zeit, weiß ich nie wirklich, was in ihr vorgeht. Was sie denkt und was sie beschäftigt und das macht mich verrückt.

„Was willst du hören?", flüstert sie in die Stille. Hätte ich nicht gesehen, dass sich ihre Lippen bewegen, wären ihre Worte lautlos von den Wellen davongetragen worden.

„Die Wahrheit."

Ich warte auf eine Reaktion ihrerseits, jedoch geschieht nichts. Der innere Kampf, der scheinbar in ihr stattfindet, ist deutlich zu sehen. Ihre Augenbrauen sind zusammengezogen, sie kaut auf der Innenseite ihrer Wange herum und ihre Augen springen hektisch über mein Gesicht. „Ich möchte einfach wissen, was mit dir los ist. Irgendetwas steht zwischen uns, ich weiß einfach nicht was und es macht mich verrückt", beginne ich. „Gestern Nacht... Es war so komisch und ich musste die ganze Zeit daran denken. Weil ich mich irgendwie schuldig gefühlt hab."

Kayla ist meine beste Freundin. Meine Familie. Mein Zufluchtsort. Und ich hoffe, dass ich gleichermaßen all das für sie bin. Wenn ich Kayla verliere, verliere ich alles.

„Kennst du dieses Gefühl? Wenn alles in dir kribbelt, sobald diese bestimmte Person in deiner Nähe ist? Wenn deine Brust vor Glücksgefühlen fast zerspringt, nur, weil du die Person zum Lachen gebracht hast und dieses Lachen schöner als jeder Song ist?", beginnt sie mit zitternder Stimme. „Wenn dir allein bei dem Gedanken an diesen Menschen warm wird, du seine Lippen auf deinen spüren willst und das Bedürfnis hast, deine Hand auszustrecken und über die weiche Haut des anderen zu streifen? Wenn du vor Eifersucht platzen könntest, wenn es jemand anderes ist, der denjenigen glücklich macht? Wenn dein Herz jede Sekunde nicht nur vor Glück pocht, sondern auch von Schmerz zerrissen wird, weil du weißt, dass er niemals auf die gleiche Weise empfinden wird? Wenn du es am liebsten einfach rausreißen und alle Gefühle verbannen würdest, weil es gleichzeitig so schön und so schrecklich ist? Du bist mit ihr in einem Raum, aber kannst sie nicht berühren. Nicht küssen. Ihr nicht sagen, wie sehr du sie liebst. Weil du damit alles zerstören würdest."

Ich schüttle fast unmerklich den Kopf, auch wenn es gelogen ist. Ich weiß, wie es ist, jemanden küssen zu wollen, den man nicht küssen kann. Bei ihren Worten stockt mir der Atem. Wer könnte diese Gefühle in ihr hervorrufen? Ich erwische mich dabei, wie ich mir kurz wünsche, dass ich diese Person bin. Aber das ist lächerlich. Wir waren immer nur Freunde. Warum sollte sich das plötzlich geändert haben?

Ihre Brust hebt und senkt sich schwer, während ihr Gesicht lediglich von Mondlicht beleuchtet wird. Ihre Augen wirken größer und tiefer als der Ozean selbst, der sich in ihnen spiegelt. Ihr Mund ist meinem so nahe, dass ich ihren heißen Atem auf meinen Lippen spüren kann. All die Haare auf meinem Körper stellen sich augenblicklich auf. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich kann ihren schnellen, hämmernden Herzschlag bis zu mir hören, wobei es meinem Herzen nicht anders geht. Das Blut rauscht in meinen Ohren und blendet alles andere aus. Alles in mir ist zum Zerreißen gespannt, während ich darauf warte, dass sie weiterspricht. Dass sie mir sagt, wer sie so fühlen lässt.

„Wer ist es?"

Kayla holt tief Luft, schließt die Augen und ballt ihre Hände zu Fäusten. Fasst all den Mut, den sie aufbringen kann.

„Du weißt es."

Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Ich weiß überhaupt nichts. Doch dann dämmert es mir plötzlich. Und diese Erkenntnis versetzt mir einen fiesen Stich.

„Darian. Oder?"

Ich bringe etwas Abstand zwischen uns und fühle mich schrecklich dreckig. Die ganzen Anzeichen habe ich übersehen. Wenn er dabei war, hat sie sich immer etwas anders benommen. Manchmal fast ein wenig eifersüchtig. Und dann schlafe ich mit der Person, in die sie verliebt ist, weil ich zu dumm bin, um zu sehen, was so offensichtlich ist. Scheiße. Was eine verdammte Scheiße.

Kayla sagt nichts. Sie bleibt stumm und schaut mich nur an. Vermutlich ist sie sauer und verletzt. Und das nur wegen mir. Dabei ist es meine Aufgabe, sie zu beschützen. Was bin ich für ein schrecklicher Mensch?

Ich habe ihr sowieso schon zertrampeltes, zerrissenes Herz mit Füßen getreten und einen schnellen Tango mit Darian darauf getanzt. In solchen Momenten ist der Hass auf mich und meine Taten so riesig, dass ich mich am liebsten schlagen, würgen und mit einem Bus überfahren würde. Nicht einmal Ted Bundy hätte eine derartig grausame beste Freundin wie mich verdient.

Ich brauche ewig, bis ich mich einigermaßen gefasst habe und einen halbwegs anständigen Satz herausbekomme.

„Es tut mir schrecklich leid. So leid. Ich wusste es nicht, das musst du mir glauben. Bitte hass mich nicht."

Ich bin so schrecklich dumm und blind. Warum habe ich es nicht gemerkt, verdammte Scheiße?! Plötzlich macht alles Sinn. Jede kleine Geste, jede einzelne Stimmungsschwankung. Einfach alles. Das schlimmste ist, dass es mir überhaupt nicht passt. Darian und Kayla sind sicher großartig zusammen. Aber ich kann das Stechen meines Herzens nicht ignorieren. Jedoch werde ich niemals dem Glück meiner Freunde im Weg stehen.

„Ich könnte dich niemals hassen. Wirklich niemals."

Ich würde gerne etwas erwidern, ihr sagen, dass sie mich doch anbrüllen und beschimpfen soll, doch ich bleibe still. Kayla ebenfalls. Ihr Blick hält mich gefangen, keiner zuckt auch nur mit der Wimper, lediglich ihr warmer Atem auf meiner Haut zeigt mir, dass wir noch lebendig sind. Dass wir atmen und vor allem, dass all die Gefühle in mir echt sind. Ich hasse es, zu fühlen. Und am meisten hasse ich, dass mein Blick auf ihre Lippen fällt und ich sie tief in mir gerne küssen würde. Meine Finger über ihre Wange streifen lassen möchte. Gleichzeitig denke ich auch an Darian. Letzte Nacht noch habe ich mit ihm geschlafen. Sie sind mir beide wichtig. Es ist zu viel. Ich muss gehen.

„Ich gehe schlafen."

Ich reiße mich von ihr los und lasse dabei ein Stück von mir an diesem Ort. Es wird für immer mit der Erinnerung an diesen Moment hier bleiben. Ich wollte doch immer allein sein. Warum macht es mir plötzlich so viel aus, dass meine zwei besten Freunde auch ohne mich glücklich werden könnten? Gott, ich bin egoistisch.

Ich versuche mir einzureden, dass es die richtige Entscheidung war, zu gehen. Wenn diese Situation für jemanden wirklich schwer ist, dann für Kayla. Unerfüllte Liebe muss beschissen sein. Es muss eine unglaubliche Überwindung gekostet haben, mir dieses Geständnis zu machen und all ihre Gefühle offen zu legen. Wie verletzt sie sein muss. In mir zieht sich alles zusammen. Immer wollte ich nur das Beste für Kayla und nun bin ich es, die ihr Schmerz zufügt. Und mich verletze ich gleich mit.

Am Anfang des Gesprächs hatte ich gehofft, alles zwischen uns beseitigen zu können, doch es scheint, als seien die Hindernisse nur noch mehr gewachsen. Eine unglückliche Liebe lässt sich schwerer überwinden als der Mount Everest. Vor allem, wenn dir dabei deine beste Freundin im Weg steht.

Mein Kopf schmerzt wegen all der Gedanken, die mich plagen und sich langsam, aber sicher, von Innen nach Außen durchfressen. Es gibt so viel zu sagen und doch ertönt nur das Knirschen des Sandes unter meinen nackten Füßen. Wobei auch bei tausend Worten manchmal nichts gesagt ist.

Ich bleibe eine gefühlte Ewigkeit wie angewurzelt am Strand stehen, unfähig mich zu bewegen. Als ich es endlich schaffe, trotte ich in Trance den restlichen Weg zum Haus hoch und rolle mich dort auf der Couch zusammen, denn in unser gemeinsames Bett kann ich jetzt sicher nicht steigen. Wenn ich nach alldem etwas tun kann, dann ist es ihr Ruhe und Privatsphäre zu geben, die sie offensichtlich gerade haben will.

Liebe macht unglaublich verletzlich. Liebe ist chaotisch. Und Liebe ist in manchen Fällen leider unglücklich.

Nur wollte ich nie einer der Gründe dafür sein.

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