Kapitel 14

Um mich herum ist alles still. Das Wasser umgibt mich wie eine schützende Hülle, die mich von der Welt und ihren Tücken abschirmt. Absolute Ruhe durchfließt meinen Körper und bringt eine angenehme Leere mit sich. Hier fühle ich mich sicher und geborgen, fühlte ich mich schon immer im Wasser.

Da mir der Atem ausgeht, tauche ich auf und wende meinen Blick dem Himmel zu, der in die unterschiedlichsten Farben getaucht und immer heller wird. Ich lasse mich auf der Oberfläche treiben, starre nach oben und denke ausnahmsweise nur daran, wie sehr ich Sonnenaufgänge liebe.

Die Sonne steigt immer höher, weswegen ich an Land schwimme, meinen Körper abtrockne und zum Haus stapfe. Darian und Kayla schliefen noch als ich heute früh hinunter zum Meer ging, was mir sehr recht war. Ich habe beide unglaublich gerne, doch manchmal möchte ich einfach nur allein sein. Ganz abschalten und die Stille um mich herum genießen.

Durch das Glas der Terrassentür kann ich Darian erkennen, der bereits angezogen ist und seinen Kaffee schlürft. Es ist abnormal wie viele Tassen er am Tag trinkt. Mit der dunklen Flüssigkeit kann ich zumindest nichts anfangen. Damals hat er schon Unmengen von dem Zeug getrunken, wohingegen ich immer eher der Heiße-Schokolade-Typ war. Ich schiebe die Tür einen Spalt auf, durch den ich mich quetsche und schleiche mich an Darian heran, welchen ich von hinten überrasche.

„Du willst mich wirklich umbringen."

Er hält die freie Hand an sein Herz, das sich von diesem riesigen Schreck sicherlich erst erholen muss, bevor ein spitzbübisches Lächeln auf sein Gesicht tritt.

„Ich dachte schon, du würdest es nicht mehr mit uns aushalten und hast das Weite gesucht."

Auf seine Aussage hin schüttle ich nur lachend den Kopf, während ich nach Kayla Ausschau halte.

„So weit ist es bestimmt erst heute Abend. Wo ist die Schnarchnase?"

Wie auf Kommando kommt meine beste Freundin um die Ecke, die kurzen Haare wild auf dem Kopf liegend und in alle Richtungen abstehend. Für mich ist der Steckdosenlook nichts Neues, doch Darian scheint sich schwer das Lachen verkneifen zu müssen. Seine kurz geschorenen Haare können immerhin nicht abstehen. Sie liegen jeden Tag wie an dem Tag zuvor.

„Die Schnarchnase ist hier, ihr Penner."

Das Ganze quittiert sie zusätzlich mit einem Mittelfinger und müden Augen, was mich und Darian komplett die Beherrschung verlieren lässt.

Auch wenn unser kleiner Morgenmuffel die meiste Zeit mehr aufgedreht als alles andere ist, kann man morgens nichts mit ihr anfangen. Nicht ansprechen ist dabei die beste Lösung und wenn man Stress vermeiden will auch die einzige. Wenn Kayla nur wüsste, wie knuffig sie immer nach dem Aufstehen aussieht.

„Ich mach jetzt Frühstück, packe ein bisschen was zusammen und dann können wir los, oder?", versichert sich Darian.

Ich nicke zustimmend und mache mich daran den Tisch zu decken, während Darian Eier hervorholt. Gestern Abend hatten wir vereinbart, dass wir heute das naheliegende Städtchen besichtigen, welches circa fünf Kilometer entfernt liegt. Aufgrund der kurzen Strecke laufen wir, auch wenn ich nicht wirklich gerne spaziere und weiß, dass Kayla noch weniger gerne als ich spaziert. Darian war aber so enthusiastisch und begeistert, dass wir zugestimmt haben. Er geht wohl auch in seiner Freizeit öfter wandern. Außerdem spart es Geld, das wir anderweitig gut gebrauchen können.

Nach dem ausgiebigen Frühstück sammeln wir alles zusammen und machen uns mit viel zu vollem Magen auf den Weg. Die Sonne scheint gnadenlos brennend auf uns hinab, sodass ich schon nach den ersten hundert Metern schweißgebadet bin und keine Lust habe, noch einen weiteren Schritt zu gehen. Kayla schnauft neben mir, wischt sich den Schweiß von der Stirn und kickt genervt einen Stein vom Gehweg. Darian hingegen läuft mit seinen muskulösen Beinen pfeifend voraus und lässt sich von unserem Gekeuche nicht irritieren.

Die Landschaft ist wunderschön, Pflanzen sprießen aus allen Ecken und wenn man nach links schaut, blickt man auf das Meer. Jedoch kann ich all das nicht wirklich genießen, da meine Beine schmerzen und ich an nichts anderes denken kann, als dass ich, wenn wir dort sind, schlimmer als eine Männerumkleide im Fitnessstudio riechen werde. Sobald wir wieder zu Hause sind, muss ich dringend laufen gehen oder sonst irgendeinen Mist machen. Meine Kondition ist schon peinlich. Unser Touristenführer bleibt alle paar Meter wartend stehen, bis wir zu ihm kommen, nur um wenige Sekunden später erneut den Anschluss zu verlieren.

„Wir können doch hier hoch klettern. Die Aussicht ist sicher phänomenal!"

Ich starre abwechselnd panisch die rechts liegende steile Böschung an und meine Beine, die sich mittlerweile wie Pudding anfühlen.

„Ich glaub mein pig whistles, du Spinner. Da kriegen mich keine hundert Muskelprotze hoch, echt. Lieber fress ich Katzenscheiße." Kayla zeigt ihm einen Vogel und stampft demonstrativ weiter, woraufhin Darian nur laut lacht und ebenfalls unseren Wandertrip fortsetzt.

„Wie weit ist es noch?"

Mir ist bewusst, dass ich mich wie ein kleines, ungeduldiges und enorm nerviges Kind anhöre, doch ich muss dringend eine Pause machen.

„Ungefähr eineinhalb Kilometer noch."

Kayla schmeißt stöhnend den Kopf in den Nacken und bleibt kurz stehen. „Wie kann man nur so rennen? Der Typ sollte in einer verfickten Folterkammer arbeiten, beim Militär anfangen oder sonst einen Kack. Ich bin für sowas einfach nicht geschaffen. Meine armen, armen Beinchen."

Ich grinse auf ihren Ausbruch hin bloß, der mich ehrlich gesagt schon ziemlich beflügelt und die letzten Meter versüßt.

Die kleine Stadt erhebt sich nun vor uns und kurz sieht es so aus, als würde sich Kayla dankend auf die Knie fallen lassen, doch sie kann sich gerade so beherrschen. Schon von weitem spürt man den Charme und das besondere Feeling, was mein Herz gleich höher schlagen und all die Schmerzen der letzten Minuten in Vergessenheit geraten lässt.

„Ihr habt es geschafft." Darian lächelt uns warm an und leitet uns hinein in die engen Straßen.

Die Häuser sind schon alt, aber trotzdem gut erhalten und im typischen italienischen Stil gebaut. Auf den Straßen, in den Geschäften und Cafés herrscht reges Treiben, doch nur wenige der Menschen sind Touristen. Die unterschiedlichsten Gerüche wirken auf mich ein. Ich versuche sie alle aufzusaugen und mir ganz genau einzuprägen, ebenso wie die unterschiedlichen Formen und Farben, die sich überall finden lassen. In der Mitte der Stadt befindet sich ein kleiner Marktplatz, der von einem Brunnen im Renaissancestil geschmückt und von vielen Geschäften umgeben wird, größtenteils Restaurants. Die meisten Bewohner schenken uns ein herzliches Lächeln, überall wird gelacht und Musik ist ebenfalls zu hören.

„Gefällt es euch?"

„Mehr als das."

Ich nicke zustimmend und lasse meinen Blick weiter über die teils bunten Fassaden, kleinen Gassen, Balkone und alles andere schweifen. Würde mir hier jemand eine Wohnung anbieten, die ich bezahlen könnte, ich würde keine Minute zögern.

An manchen Tagen stelle ich mir vor, eine erfolgreiche Wissenschaftlerin zu sein, an anderen bin ich eine zum Mars reisende Astronautin und an wieder anderen eine berühmte Schauspielerin. Die meiste Zeit ist alles besser als die Realität. Es reicht oft nicht, ich zu sein. Mir reicht es nicht. Aber heute möchte ich nichts von all dem sein. Heute möchte ich einfach nur ich sein. Eine junge Frau namens Adela, die mit ihren Freunden durch eine unglaubliche Stadt in Italien schlendert und morgens den Sonnenaufgang im Wasser betrachtet hat. Die doch noch schöne und unvergessliche Momente erlebt.

Manchmal kommt es mir so vor als würden wir jeden einzelnen Tag, jeden Moment, nur durch einen winzigen Spalt betrachten und meistens reicht mir dieser Spalt, er stört mich nicht. Es ist mir fast schon gleichgültig, dass ein Großteil verloren geht. Doch gerade möchte ich alles aufsaugen, es mit offenen Augen und uneingeschränkt erfahren. Jedes noch so kleine Stück, das sonst verloren gehen würde, in einem großen Glas auffangen und es immer mit mir herum tragen.

„Hat jemand Lust auf Eis? Ich spendiere eine Runde."

Kayla und ich nicken wie in Trance und nehmen wenige Minuten später, immer noch benommen, die Eiswaffeln entgegen. Gemeinsam setzen wir uns an einen der Tische, die im Schatten stehen und essen unser Eis, bevor es schmilzt. Wenn ich eine Liste mit Dingen, die mich glücklich machen, schreiben müsste, würde Eis definitiv drauf stehen. Und Darian. Kayla. Das Meer. Abendliche Spaziergänge. Die Sterne. Musik.

Ein breit lächelnder Mann kommt an unseren Tisch und begrüßt uns überschwänglich, bevor er uns einen Flyer gibt und sich daraufhin wieder verabschiedet. Da ich kein bisschen Italienisch kann, was eine absolute Schande ist, verstehe ich kein Wort, jedoch kann Darian dieses Problem lösen. Da er hier jedes Jahr und teilweise sogar zweimal im Jahr ist, sind seine Italienischkenntnisse recht gut.

„Die feiern an deinem Geburtstag irgendein besonderes Fest hier, mit Essen, Musik, einfach allem. Wenn du willst, könnten wir doch abends kommen, gefeiert wird so oder so."

Zwei Tage vor unserer Abreise werde ich zweiundzwanzig Jahre alt, weswegen diese Reise eigentlich überhaupt zustande gekommen ist. Immerhin handelt es sich hierbei um mein Geburtstagsgeschenk von Darian. Wir hatten noch nichts Spezielles für diesen Tag geplant, weswegen die Feier wie gerufen kommt und sicherlich habe ich nichts gegen eine Prise Spaß und Alkohol.

„Das wäre perfekt."

Wir unterhalten uns noch ein wenig und beobachten die vorbeigehenden Menschen, bevor wir uns erheben und den Rest der Stadt erkunden. Gemeinsam bummeln wir durch das ein oder andere Geschäft, das von außen interessant aussieht und gelangen schließlich in eine Straße, in der eine kleine Band Musik spielt. Der ein oder andere tanzt sogar. Darian packt mich und Kayla an den Händen und schleift uns direkt davor und beginnt breit grinsend zu tanzen.

Er schert sich dabei um niemanden und hat einfach nur Spaß, weswegen ich ebenfalls einsteige und kurz darauf auch Kayla. Ein paar Leute klatschen begeistert zum Takt, während sich meine Füße wie von selbst bewegen und der Rhythmus der Musik durch mein Blut läuft. Ich schließe die Augen, um dieses unglaubliche Gefühl besser wahrnehmen zu können und den Moment einfach zu genießen.

Das Lied ist viel zu schnell wieder vorbei, sodass ich enttäuscht die Augen öffne und in das Klatschen der anderen einsteige. Darian gibt den Musikern Geld, wir verabschieden uns dankend von ihnen und ich beginne mich langsam seelisch auf den Rückweg vorzubereiten, denn der Tag neigt sich immer mehr dem Ende zu.

Fast bin ich schon traurig, doch der Gedanke an die nächsten Tage heitert mich sofort wieder auf und führt dazu, dass sich das Lächeln gar nicht mehr von meinem Gesicht lösen will. Selbst als die schmerzhafte Wanderung bevorsteht. Den beiden neben mir scheint es nicht anders zu gehen und vielleicht liegt es an der guten Laune, aber der Weg zum Haus scheint bei weitem nicht so lange zu dauern wie zuvor.

Als wir ankommen, falle ich geschafft, aber zufrieden auf einen der Stühle im Wohnzimmer und lasse den Tag noch einmal Revue passieren, auch wenn er noch nicht ganz geendet hat. Ich bin mir sicher, dass wir zum Abschluss noch schwimmen gehen werden. Kayla schließt erschöpft die Augen, doch ihre Lippen verziehen sich zu einem glücklichen Grinsen.

„Hammergeile Affenscheiße."

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