Kapitel 11

Die Sonnenstrahlen scheinen angenehm wärmend auf uns herab, während Kayla und ich im Park auf einer Wiese liegen und das wunderbare Wetter genießen. Es ist einer der wenigen Tagen, die wir nicht in unserer Wohnung oder arbeitend verbringen.

Von Kaylas schlechter Laune ist heute nichts mehr übrig. Sie schlief gestern relativ schnell ein, während ich lange wach lag und mir den Kopf darüber zerbrochen habe, was wohl mit ihr los war. Das Gefühl, dass sie nicht mit der ganzen Wahrheit rausgerückt ist, werde ich nicht los. Jedoch haben wir nicht mehr darüber gesprochen.

Ich schaue zu Kayla herüber und muss bei ihrem friedlichen Anblick lächeln. Ihre Augen sind geschlossen und ihre Gesichtszüge sind entspannt. Es lässt sie jünger wirken. Zufrieden. Ich unterdrücke das Bedürfnis die Konturen ihres Gesichts nachzufahren. Als sie die Augen öffnet und mich direkt ansieht, fühle ich mich ertappt. Sie lächelt dieses Lächeln, das mich alles vergessen lässt. Ein Lächeln, das nur meine beste Freundin so lächeln kann.

„So könnte es doch jeden Tag sein."

Kayla seufzt zufrieden, schließt ihre Augen erneut und reckt ihr Kinn der Sonne entgegen.

„Könnte..."

Ich setze mich auf und lasse meinen Blick über die Wiese schweifen, auf der kleine Kinder fröhlich lachen und spielen, Freunde zusammen kommen und Pärchen sich liebevolle Dinge zuflüstern. Die Vögel zwitschern aufgeregt und führen einen Tanz in der Luft auf, die nach frischen Blumen und Gras riecht. Fast ist es perfekt.

„Sei doch mal ein bisschen positiver und genieße den Moment", weist sie mich zurecht.

Auch Kayla setzt sich nun auf und blickt mir entgegen, erst noch mit einem Lächeln, doch dann nimmt ihr Gesicht einen Ausdruck an, den ich nicht deuten kann.

„Ist alles in Ordnung?"

„Hab' nur nachgedacht."

Sie lässt sich zurücksinken, legt ihren Kopf dieses Mal aber in meinen Schoß. Manchmal würde ich alles dafür geben, in Kaylas Kopf schauen zu können.

Ich erwidere nichts mehr und schaue zu den Jugendlichen, die Frisbee spielen, während ich über Kaylas Haare streiche. Sie müssen fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein. Ich erinnere mich an meine Zeit als Fünfzehnjährige zurück. Damals wusste ich nicht wirklich, was es bedeutet zu leiden. Natürlich kannte ich das Leid, das durch den Verlust einer geliebten Person entstand. Aber wer kannte das schon nicht? Ich wusste nicht, was es bedeutet, schwere Konsequenzen tragen zu müssen. Dafür wusste ich aber bereits mehr als gut, was Verantwortung übernehmen bedeutete. Immerhin kümmerte ich mich um Elian und hielt den Haushalt am laufen.

„Bist du glücklich?", frage ich Kayla, weil es mir gerade so in den Kopf kommt und ich sie schon viel zu lange nicht mehr gefragt habe. Sie schaut kurz zu mir und scheint dann zu überlegen.

„Gerade schon. Also denke ich. Ich hab dich und das Wetter ist schön, was will man mehr?" Sie schenkt mir ein breites Lächeln und lehnt daraufhin ihren Kopf an meinem Arm ab. „Und du?"

„Ich weiß es nicht", gebe ich ehrlich zu. Dabei habe ich oft das Gefühl, dass ich mir selbst am meisten im Weg stehe.

Ich würde gerne sagen, dass mir Kayla und das schöne Wetter reichen. Ich würde gerne sagen, dass es mir reicht, dass wir gesund und wohlauf sind. Aber das wäre gelogen. Es reicht mir nicht. Und irgendwie hasse ich mich dafür.

„Ich glaube, dass glücklich sein kein dauerhafter Zustand ist. Das geht überhaupt nicht. Glück sind kleine Momente. Wenn du dir wünschst, dass sie ewig andauern würden. Vielleicht ist Glück auch eine Person. Oder ein Ort. Du musst es nur zulassen."

„Scheiße Mann, wann bist du so weise geworden?"

Kayla zuckt nur mit den Schultern und versucht ein breites Grinsen zu unterdrücken. Gerade als ich erneut zum Reden ansetzen will, fällt mir eine zierliche Frau weiter hinten auf, deren Haar meinem verdächtig ähnlich sieht. Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust und ich schlucke schwer, doch dann ist sie schon wieder verschwunden. Ich fange an zu spinnen. Ich sehe Dinge, die überhaupt nicht da sind. Vielleicht sollte ich mich einfach in die Geschlossene einliefern lassen.

„Hey, geht's dir gut?", fragt Kayla besorgt und streicht mir über meinen Rücken. Sie blickt mich alarmiert an, die Sorge ist ihr deutlich anzusehen.

„Ich- Ich dachte nur, dass ich was gesehen hätte, aber scheinbar war es nur Einbildung."

Sie drückt aufmunternd meinen Arm, sicherlich kann sie sich denken, was ich dachte zu sehen. Lorena ist nicht hier. Sie ist weit weg und da kann sie von mir aus auch bleiben. Genau wie mein Vater.

Weißt du was? Du bist wie ein Schmetterling."

Lorena hält kurz inne und lächelt mich sanft an, was auch mich zum Lächeln bringt. Schmetterlinge sind toll.

„Nur ohne Flügel. Ein kleines Würmchen."

Sie bricht in schallendes Gelächter aus, während mir alle Gesichtszüge entgleiten und ich mich versuche zu fangen. Hatte ich wirklich gedacht, dass sie etwas Nettes sagen würde?

„Nun zieh doch nicht so eine Fresse, war nur ein Spaß", motzt sie mich genervt an und stochert erneut in ihren Kartoffeln rum. Lorena mag keine Kartoffeln. Ich hatte mir welche gewünscht, weil ich sie liebe und wir wegen Lorena fast nie welche essen. Wahrscheinlich hat sie auch deswegen diesen blöden Witz gemacht. Aus Rache.

Papa schaufelt sich unbeirrt eine Gabel nach der anderen rein und ignoriert unser Gespräch gekonnt. Wenn er es nicht ignorieren würde, müsste er Lorena zurechtweisen und das geht gar nicht. Seinem Liebling widerspricht man doch nicht.

Als alle fertig sind, räume ich die Teller ab und kaum bin ich vom Tisch, beginnen die beiden ein angeregtes Gespräch.

Sobald ich alles eingeräumt habe, setze ich mich wieder zu ihnen und meine Augen werden ganz groß, als Papa eine Tüte hervorholt. Er zieht eine weitere Tüte hinaus, die er mir reicht und gibt das kleine Schächtelchen Lorena. Aufgeregt ziehe ich das T-Shirt von meiner neuen Lieblingsband heraus und bedanke mich sofort überschwänglich. Ich habe es mir schon ewig gewünscht.

„Jetzt steht dem Konzert ja nichts mehr im Weg!"

Ich schaue glücklich lächelnd zu Papa, vielleicht sagt er jetzt endlich ja.

„Was für ein Konzert?"

„Da habe ich doch schon öfter von geredet. Letztens meintest du, dass du es dir überlegen würdest?"

Ich hasse, wie unsicher meine Stimme klingt. Ich dachte dieses Geschenk wäre die Antwort auf meine Frage. Scheinbar lag ich falsch. Warum kauft er mir überhaupt etwas? Unter dem Tisch kreuze ich trotzdem insgeheim meine Finger und hoffe ganz doll, dass er endlich ja sagt.

„Nein, ich hab dir auch das letzte Mal gesagt, dass du nicht hingehst. Wie oft willst du das noch hören?"

Ist das sein Ernst? Lorena darf auf Konzerte, aber ich nicht? Ich wünsche mir nie etwas. Ich verlange nie etwas. Ich gehe ihm nicht auf die Nerven. Was muss ich noch alles tun?

„Aber-"

„Nichts aber! Du hast deine Füße unter meinem Tisch und so lange habe ich das Sagen. Also basta!", unterbricht er mich augenblicklich.

Seine dumme Antwort macht mich rasend, weswegen ich die Beine so anziehe, dass sie nun eben nicht mehr unter seinem Tisch sind und schaue trotzig zu ihm. Leider rastet Papa daraufhin nur erst recht so richtig aus.

„Du verzogene kleine Schnepfe. Deine Mutter hat dir als Kind viel zu sehr den Arsch gepudert!"

Sein Gesicht nimmt die Farbe einer Tomate an und mir wird klar, dass seine Schimpftirade noch lange nicht vorbei ist. Gut, dass Elian bei einem Freund ist. Vermutlich sollte ich besser gehen, aber das wird ihn nur noch mehr verärgern.

„Ach, deswegen waren wir eben so freundlich? Nur weil du was wolltest? Hätte ich mir eigentlich denken können. Gutes Benehmen ist für dich doch ein Fremdwort, du manipulierendes Miststück."

Lorena sitzt stumm auf ihrem Platz und beobachtet das Ganze. Tränen schießen mir in die Augen, ich stehe ruckartig auf und laufe hoch zu meinem Zimmer. Ich halte es nicht mehr aus.

Ich will nicht, dass sie mich auch noch bluten sehen.

Hätte mein Vater nur damals gemerkt, dass nicht ich das manipulierende Miststück bin. Wenn Elian nicht wäre, würde ich am liebsten keinen der beiden je wiedersehen.

Ich zucke erschrocken zusammen als sich plötzlich zwei große raue Hände über meine Augen legen und ein dunkles Lachen hinter mir ertönt, das nur zu einem Menschen auf dieser Erde gehören kann.

„Hey, Cindy."

Darian setzt sich neben mich ins Gras und schaut breit grinsend zwischen mir und Kayla hin und her, die er erst noch in den Arm nimmt. Ich komme nicht um den Gedanken herum, dass die beiden optisch gut zusammenpassen. Und dass mich der Blick, mit dem Kayla Darian betrachtet verunsichert.

„Hey", begrüße ich ihn und schenke ihm ebenfalls ein breites Lächeln.

Ich hatte Darian, bevor Kayla und ich hierher gegangen waren, geschrieben, dass er auch vorbeikommen könnte und siehe da, nun ist er hier.

„Du hast da was."

Er zeigt auf mein Shirt und gerade als ich runterschauen will, schnippst er mit seinem Finger gegen mein Kinn. Dieser kleine Penner hat mich doch tatsächlich reingelegt. Ich verdrehe die Augen, was sein Grinsen jedoch nicht kleiner werden lässt.

„Das bekommst du noch zurück."

„An deiner Stelle würde ich aufpassen, Darian."

„Ich habe vor nichts und niemandem Angst", erwidert er nur selbstbewusst. Dabei erinnere ich mich genau an seine Angst vor Spinne. Wie er jedes Mal panisch den Raum verlassen hat und mich gerufen hat, um sie zu beseitigen, wenn ich gerade bei ihm war. Doch ich behalte es für mich, weil ich es ungerecht finde, ihn mit seinen Ängsten aufzuziehen.

„Dann hast du Kayla noch nicht erlebt, wenn ihre Reeses leer sind", gebe ich belustigt zurück.

„Das ist aber auch wirklich ein Notstand", verteidigt sie sich. Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, stellt sie sich den Fall gerade vor. Sie sieht allein bei dem Gedanken unglücklich und verzweifelt aus.

Wir reden eine Weile über dies und jenes, spielen ein wenig mit dem Indiaca, den Darian mitgebracht hat und schließen wetten ab, ob sich der Junge vorne rechts noch traut das Mädchen zu küssen, mit dem er da ist. Sie sehen so unglaublich verliebt aus, dass ich gerne kotzen würde. Darian ist der festen Überzeugung, dass er seine Chance gleich ergreift, Kayla und ich hingegen sind der Meinung, dass er sich nicht überwindet. Er sieht sehr schüchtern und nervös aus.

„Findest du Italien eigentlich immer noch so schön?"

Leicht irritiert über den plötzlichen Themenwechsel und den komischen Unterton in seiner Stimme, schaue ich mit gekräuselter Stirn zu Darian, doch nicke dann zögerlich. Ich war zwar noch nie dort, doch schon seit Jahren würde ich unheimlich gerne einmal nach Italien reisen. Am liebsten ans Meer. An einen Ort, wie den auf Darians Foto in seiner Küche.

„Naja, ich habe dir ja von dem Ferienhaus erzählt, das meinem Bruder gehört und da du auch bald Geburtstag hast, dachte ich, dass ihr vielleicht Interesse an einem kleinen Trip habt. Also als Geburtstagsgeschenk. Keine Probleme und auch keine Kosten. Nur Entspannung und Spaß." Ich bin zu geschockt, um einen Ton von mir geben zu können. Darian scheint das nur leider falsch zu verstehen, denn er fährt verunsichert fort. „Ist vielleicht eine blöde Idee, aber ich dachte, ich frage einfach mal..."

„Darian!", unterbreche ich ihn und schlinge meine Arme um seinen Hals, weil ich so gerührt bin. Dass er dabei überhaupt an uns denkt. Immerhin ist es der Rückzugsort seines Bruders und ihm. Ein besonderer Ort. Und den will er nun mit uns teilen. Ich bin überwältigt, anders kann ich es nicht ausdrücken. Ein Traum würde mit dieser Reise in Erfüllung gehen und Darian weiß das. Kayla steigt ebenfalls in die Umarmung ein, sodass wir nur noch einen großen Haufen aus Körpern darstellen. Ich genieße es. Allein schon die Tatsache einfach mal eine Auszeit nehmen zu können und unsere Wohnung für ein paar Tage nicht sehen zu müssen, ist unglaublich.

„Natürlich wollen wir mit dir nach Italien!"

„Du hast echt einen sehr großen Dachschaden, wenn du auch nur eine Sekunde dachtest, dass wir nein sagen würden", fügt Kayla hinzu, die mindestens genauso begeistert wie ich ist.

Ich schließe selig lächelnd meine Augen, genieße den Moment und stelle mir vor, wie sich wohl die italienische Sonne auf meiner Haut anfühlen wird. Ein aufgeregtes Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus. Ich kann es nicht fassen.

„Bei euch weiß man nie."

„Das ist Quatsch", kommt es fast gleichzeitig aus Kaylas und meinem Mund. Manchmal macht es mir Angst.

„Wir könnten schon in zwei Wochen fahren, wenn ihr so kurzfristig Urlaub bekommt."

„Wir werden alles dafür geben, darauf kannst du dich verlassen!"

Diesen Urlaub wird mir nichts und niemand versauen. So viel steht fest.

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