Sieg oder Niederlage III
†
»Steh auf.« Kematians Stimme war ruhig, aber bestimmt.
Eigentlich wollte sie sich nicht erheben. Eigentlich wollte sie liegen bleiben und sich eine Pause gönnen. Ihr Körper schmerzte, jeder Muskel schrie, sie sollte doch endlich aufgeben. Aber sie durfte nicht.
Sie stemmte die Arme in den Boden und quälte sich zurück auf ihre Beine. Staub und Erde hafteten an dem dunklen Stoff ihrer Kleidung. Die roten Haare trug sie zwar zusammengebunden, aber einige Locken hatten sich aus dem Zopf gelöst und klebten an ihrer Stirn.
»Du lässt rechts deine Deckung fallen, wenn du mit links blockst«, sagte Kematian und Sorah nahm sich einen Augenblick Zeit, während er erklärte, zu Atem zu kommen.
»Selbst wenn du mit beiden Händen blockst«, fuhr er fort, »darfst du deine Seite nicht offen lassen. Und wenn du nicht weißt, wie du richtig blockst, dann weiche aus. Die wenigsten Menschen, denen du auf der Straße begegnest, wissen, das sie ebenfalls ihre Beine im Kampf einsetzen können.«
Sie schnaubte. Wäre auch zu einfach, wenn er ihr beibringen würde, vernünftig zu blocken.
Er ignorierte ihren offenen Unmut und sagte: »Noch einmal.«
Sorah hatte nicht lang genug rasten können, um ein wenig zu Kräften gekommen zu sein. Doch zumindest waren seine Worte irgendwie in ihrem Kopf angekommen und nicht nur einmal hindurchgerauscht.
Sie trainierten fast jeden Tag. Schwertkampf und waffenlosen Kampf im Wechsel. Kematian hatte ihr erklärt, dass der waffenlose Kampf zwar unscheinbar klang, aber, selbst wenn jeder Gegner ein Schwert trug, ebenso tödlich sein konnte, wenn man wusste, wie man es richtig anstellte.
Und der entscheidende Vorteil beim waffenlosen Kampf: Man musste keine Klinge mit sich führen. Selbst wenn man im Schlaf überrascht würde, könnte man einen Gegner besiegen.
Manchmal gönnte er ihr einen Tag in der Woche Rast und am Anfang hatte er noch Bogenschießen oder Giftkunde in den Lehrplan geschoben, beides aber größtenteils fallengelassen.
Das Bogenschießen, da sie für sein Empfinden schon gut genug darin war und sie in anderen Bereichen größere Schwierigkeiten hatte.
Giftkunde, da sie sich beim ersten Mal beinahe umgebracht hatte. Es hatte sich herausgestellt, dass sie beim Arbeiten mit giftigen Kräutern immer Handschuhe tragen und sich niemals ins Gesicht fassen oder ihre Finger ablecken sollte. Nur hatte Kematian es ihr im Vorfeld nicht gesagt. Er hatte sie erst darüber in Kenntnis gesetzt, nachdem er die Katastrophe gerade rechtzeitig abgewendet hatte und aufgehört hatte, sie ›dämlich‹ und ›unfähig‹ zu nennen.
Aber wer wäre sie schon, sich über seine Lehrmethoden aufzuregen? Sie war schließlich nur mehrfach fast daran gestorben.
Sie hob ihre Fäuste und beugte leicht die Knie. Kematian hatte ihr die Haltung gezeigt, er selbst nutzte sie jedoch nie.
Wie zuvor schlug er von links zu. Seine Bewegungen schnell. Kaum konnte Sorah sie wahrnehmen.
Gerade rechtzeitig blockte sie ab. Seine Faust traf ihre Unterarme und die darauf gelegenen blauen Flecken.
Sorah biss die Zähne zusammen und schluckte jeden Schmerzenslaut hinunter. Denn lange Zeit würde Kematian ihr nicht für ihr stummes Leid geben. Sein heutiges Ziel war es, ihr beizubringen, ihre Deckung nicht offen zu lassen. Wenn sie also nicht wollte, dass er ihr eine Rippe brach ...
Während sie seine Faust noch abhielt, drehte sie sich schon nach rechts, um dort ebenfalls zu blocken.
Ihre Füße verloren den Halt. Sie landete hart auf dem Rücken und ihr Kopf schlug auf dem Boden auf.
Sie hatte nicht gesehen, was sie von den Beinen gerissen hatte. Ihr gesamter Körper schmerzte schon so, dass sie nicht einmal erkennen konnte, wo Kematian sie getroffen hatte.
Der Rabe seufzte leise. »Wie gesagt: Die meisten vergessen im Kampf, dass sie Beine haben.«
Sorahs Miene verfinsterte sich.
»Und eine noch wichtigere Lektion«, fuhr Kematian fort, »glaube nicht, dass Kämpfe nach einem Schema geschehen. Erwarte immer das Unerwartete.«
Sie murrte leise und rappelte sich wieder auf. Er war unfair, er kämpfte unfair und er sagte ihr nie, was er von ihr wollte.
Sie holte tief Luft und ging in Kampfhaltung. »Noch mal.«
†
Sorah duckte sich unter dem nächsten Schlag hindurch. Sie machte eine halbe Drehung und stieß dabei den Ellenbogen in die Rippen des Gegners.
Der Mann krümmte sich und taumelte zurück.
Ein Aufkeuchen der Zuschauer, dem Sorah nur noch ein Augenrollen gab. Einige wenige fingen nun auch an, zu brüllen.
Sie wich ebenfalls zurück und sah sich für einen Augenblick im Raum um, ob sie Kematian fand. Er hatte zwar gemeint, dass sie den Kampf nicht zu schnell beenden sollte, aber sie ahnte auch, dass er es ihr nachtragen würde, wenn sie ihn zu lange auf sich warten ließ. Wenn er von seinen ach so wichtigen Rabenaufgaben, von denen sie nichts erfahren durfte, zurückgekehrt war, würde er gleich aufbrechen wollen.
Sie entdeckte ihn in der Menge. Nun, nicht direkt in der Menge. Es hätte sie auch mehr als nur ein bisschen überrascht, wenn er sich zwischen die schwitzenden halbnackten Körper gequetscht hätte – und jetzt hatte sie ein Bild im Kopf, das sie nie wieder vergessen würde.
Sie schüttelte sich, wich halbherzig aus. Die Faust ihres Gegners streifte sie leicht und sie zwang sich, ihm zumindest ein wenig ihrer Aufmerksamkeit zu geben. Wenn sie ihn ganz missachtete, würde sie den Kampf noch verlieren.
Kematian stand ein Stück abseits der Menge. Er nickte ihr zu und gab ihr das Zeichen, dass sie es zu Ende bringen durfte.
Den nächsten Angriff leitete sie ein. Er griff nach ihr, versuchte, sie abzufangen, aber sie schlüpfte durch seine Arme hindurch.
Beim ersten Hieb traf ihr Ellenbogen seine Rippen, dann, als er sich wieder krümmte und Abstand zu ihr suchte, schlug sie mit dem Knie gegen seinen Kopf.
Er ging zu Boden und sie stieg über ihn.
›Du hast mehr Kraft in den Beinen als in den Armen‹, hallten Kematians Worte nach.
Sie gab ihrem Gegner keine Chance, sich wieder zu erheben. Ihr Hacken fuhr auf seinen Kopf nieder. Ein schmerzerfülltes Stöhnen drang an Sorahs Ohren. Den Lärm, der von den Zuschauern kam, blendete sie aus.
Ihr Gegner versuchte, nach ihr zu schlagen, sie von ihm zu schleudern. Es gelang ihm nicht, sie zu greifen.
Sorah trat ein zweites Mal. Ein Knacken. Der Mann schrie auf.
Aber er lebte noch. Es reichte noch nicht.
Sie trat noch einmal. Dann noch einmal und noch einmal. Bei jedem Tritt knackte es und bald schmatzte es unter ihren Stiefeln.
Blut und Knochensplitter bedeckten den Sand. Halb quoll, halb suppte, eine gräulich rosa Masse hervor, über die Sorah sich nicht zu viele Gedanken machte.
Sie zählte nicht, wie oft ihr Fuß den Kopf traf. Irgendwann, als sie schon schwer atmete und ihre Stirn vor Schweiß glänzte, hörte sie auf.
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und musterte ihren Gegner, die Lippen vor Ekel zusammengepresst.
Er rührte sich nicht, sein Kopf nicht mehr als solcher zu erkennen.
Sie hatte gewonnen.
Doch kein Glücksgefühl erwärmte ihre Brust, kein Stolz auf ihre Fähigkeiten. Stattdessen stieg Galle in ihrer Kehle hoch. Sie wollte den Käfig nur verlassen. Solange sie dort drinnen war, war sie nicht mehr als ein Tier im Zirkus.
Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen und sie hastete hinaus.
Kematian stand schon an Rahals Seite und nahm die Goldmünzen, die sie durch ihren Sieg verdient hatte, an sich. Da jeder gegen sie gewettet hatte, hatte sich so einiges angesammelt. Solange sie noch ein Küken war, verwaltete er alles Gold, das sie einnahm – sei es bei Aufträgen oder bei anderen Tätigkeiten.
Der Rabe trug mittlerweile schwarze Lederhandschuhe. Ein Zeichen, dass seine Hände blutig waren und er nicht wollte, dass ein jeder es sah.
Ohne sie eines Blickes zu würdigen, warf er ihr ihre Waffen zu, die sie sich sogleich umgürtete.
Aus Rahals Augen war das Mitgefühl, das er noch vor dem Kampf gezeigt hatte, gewichen und an dessen Stelle trat Anerkennung.
Zu Kematian sprach er: »Ich schätze, es ist doch wahr, was man über Euch sagt.«
Der Rabe antwortete nicht und daher fuhr Rahal fort: »Und nun verschwindet von hier.« Seinem Ton fehlte der Nachdruck eines Befehls. »Lasst Euch nie wieder blicken.«
Das brauchte er Sorah kein zweites Mal zu sagen und auch Kematian hatte offenbar kein Problem damit, den Untergrund zu verlassen. Ansonsten hätte er Rahal für die Worte zurechtgewiesen – da war Sorah sicher.
Kematian wandte sich ab und sie folgte ihm durch die Korridore und zurück auf die Straßen Terbets. Der Türhüter, der draußen weiterhin vor dem Eingang stand, warf ihr zwar einen überraschten Blick zu, kommentierte aber nicht, dass sie noch lebte.
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