Die Nacht in finsterem Gewand I
Die Sonne war bereits untergegangen, als Sorah und Ciacas den Laden verließen. Kematian hatte ihnen kurz den Plan erklärt und sie dann vor die Tür geworfen.
Sie beide sollten durch den Haupteingang gehen, während der Rabe den Dienstboteneingang nahm. Er würde Pfeil und Bogen für Sorah platzieren, ihr beistehen, wenn sie Hilfe benötigte, oder das Ziel ausschalten, falls es ihr nicht gelingen würde.
In die edlen Stoffe gehüllt, bewegte sich Sorah auf den Straßen unauffälliger als in ihrer Rabenrüstung. Fast ein jeder trug teure Kleidung und sie versuchte weiterhin vergeblich auszublenden, dass sie doch ein wenig aus der Menge herausstach, da ihr Kleid ... nun ... Sie musste nicht noch mehr darüber schimpfen, wie nackt sie sich fühlte.
Es war eine Rolle, die sie spielen musste und sie würde sie gut spielen. Fabelhaft sogar.
»Lächle, meine Hübsche«, sagte Ciacas, dessen Arm sie notgedrungen ergriffen hatte, als er ihr ihn angeboten hatte. »Mit der Miene wirst du niemanden verzaubern können.«
Sorahs Blick verfinsterte sich nur weiter. »Ihr habt die Einladungen?«, fragte sie und ging nicht auf ihn ein.
»Natürlich«, sagte er. »Und du solltest mich am besten nicht mehr so förmlich ansprechen. Wir spielen Liebende.«
»Geschwister«, korrigierte sie. »Und noch spielen wir gar nichts.«
»Wir spielen schon, seit wir den Laden verlassen haben«, sagte er. »Du solltest es wirklich mal mit einem Lächeln versuchen.«
Sorah rollte mit den Augen und seufzte dann wehleidig.
»Ja, lass alles raus. Nachher hast du keine Zeit mehr dafür.«
Sie sah ihn mit finsterer Miene an und holte tief Luft. Eine Ewigkeit war es her, dass sie ihre schauspielerischen Fähigkeiten einsetzen konnte. Damals auf der Straße war es nur von Vorteil gewesen, sich unschuldig und wehrlos zu geben, aber Kematian hatte es als ›überflüssig‹ bezeichnet. Wie ungefähr alles, was sie nicht durch ihn gelernt hatte.
»Wie soll das Lächeln sein?«, fragte sie an Ciacas gewandt, da sie selbst nicht genau wusste, was besser für die Verkleidung war. »Mehr Miststück oder mehr Prinzessin?«
Ciacas' Brauen hoben sich. »Du hast mehr als ein Lächeln?«, fragte er. »Ich zweifelte schon, dass du überhaupt eines hast.«
»Deine Antwort?«, fragte Sorah. Sie war nicht hier, um sich locker mit ihm zu unterhalten und nur allzu froh, wenn der Abend endlich vorüber war und sie ihm nie wieder begegnen würde.
»Ein bisschen was von beidem, vielleicht?«, schlug Ciacas vor. »Eine Prinzessin mit verruchten Gedanken. Das ist doch sicher auch in deinem Repertoire.«
Sorah nickte. »Ansonsten hätte ich nicht gefragt.« In einen letzten Seufzer steckte sie all ihr Wehklagen und entlockte dem Dieb damit ein leises Lachen.
Dann aber schob sie all die düsteren Gedanken in den Hintergrund. Ihre Miene hellte sich auf, die Furche zwischen ihren Augenbrauen verschwand und ein sanftes Lächeln zierte ihre Lippen. Nur leicht hoben sich ihre Mundwinkel. Gerade so viel, um nicht mehr überheblich zu wirken, nicht aber genug, um überschwängliche Freundlichkeit auszustrahlen.
»Gut so?«, fragte sie. Auch ihre Tonlage hatte sich geändert. Weniger brummelig, weniger unfreundlich und stattdessen offener, fröhlicher.
Er erwiderte ihr Lächeln. »Perfekt«, sagte er. »Oder zumindest fast perfekt. Die meisten wirst du damit täuschen können, aber dir fehlt das Strahlen in den Augen. Wenn du wirklich jeden irreführen möchtest, dann solltest du an etwas Schönes denken.«
Sie dachte daran, ihre Faust in seinem Gesicht zu versenken.
»Das ging schnell«, meinte er. »Will ich wissen, woran du gedacht hast?«
Sorah schüttelte nur leicht mit dem Kopf.
Die Residenz kam langsam in ihr Sichtfeld. Schon einige Adelige standen davor und erbaten Einlass. Auch die ein oder andere Kutsche war vorgefahren.
»Weißt du, vielleicht solltest du den Raben den Rücken zukehren und dich lieber uns anschließen«, lenkte Ciacas ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Die Raben sind immer so ernst und ... gewalttätig. Wir machen ab und zu solche Sachen und du wärst dabei sicherlich eine wertvolle Unterstützung. Und es würde dir doch auch Spaß machen, mehr Spaß zumindest, als Grummelchen den ganzen Tag zu folgen.«
Sorahs Miene geriet leicht ins Wanken. Es klang zu gut, um wahr zu sein. Was Ciacas über den Meisterdieb gesagt hatte: Ein Verhältnis auf Augenhöhe, nicht geschlagen zu werden, wenn sie Widerworte gab. Nicht dieses harte Training, nur um trotzdem am Abend zu hören, dass man zu nichts fähig war.
Damals, als sie Kematians Hand ergriffen hatte, wäre sie ansonsten gestorben. Nun konnte sie frei wählen.
Doch es gab einen Grund, der sie zurückschrecken ließ: Wenn der Krieg wirklich ausbrach und sie eine Elster wäre, dann war Kematian auf der gegnerischen Seite ... Und sie wollte auf keinen Fall Kematian als Feind haben.
Sorah legte das Lächeln wieder auf und lehnte sich leicht zu Ciacas. »Würden wir zwei dann auch mehr Kontakt zueinander haben?«
»Selbstverständlich«, sagte der Dieb und beugte sich ein Stück zu ihr hinunter. »So viel, wie du möchtest.«
»Dann verzichte ich.«
Ciacas' süffisantes Lächeln verschwand zwar nicht, geriet aber zumindest für einen Wimpernschlag ins Wanken. »Touché, meine Liebe«, sagte er und lachte leise. »Doch wenn dir irgendwann einfällt, dass du auf mein Angebot eingehen möchtest, dann freue ich mich jederzeit über einen Besuch von dir ... vorausgesetzt dein Partner hat mich noch nicht gefunden und getötet, versteht sich.«
»Glaubst du wirklich, ich würde dich wiedersehen wollen?«, fragte sie, das Lächeln immer noch auf den Lippen, denn der Diener, der die Einladungen kontrollierte, war zu nah, als dass sie die Maske ablegen könnte.
»Nein«, sagte Ciacas, »aber lass mir doch wenigstens meine Hoffnung.«
Ihre Antwort musste sie hinunterschlucken. Sie waren am Eingang angekommen.
»Guten Abend, mein Herr, meine junge Dame«, sagte ein Diener. Neben ihm standen zwei Wachen. Die Rüstungen so glänzend poliert, dass Sorah ihr eigenes Spiegelbild darin sah und sich prompt abwandte, da sie nicht daran erinnert werden wollte, wie viel Haut sie zeigte.
»Dürfte ich Eure Einladung sehen?«, fragte der Diener.
»Selbstverständlich« sagte Ciacas und zog in einer eleganten Bewegung – viel eleganter, als Sorah ihm zugetraut hätte – ein Schriftstück hervor.
Der Diener überflog es kurz. »Ah, Graf Levan, ich hoffe, die Reise aus dem Norden war nicht allzu beschwerlich.«
Ciacas winkte ab. »Ein wenig, aber wir kamen schon gestern hier an und konnten einen Tag rasten.«
»Eine kluge Idee«, meinte der Diener. »Und das«, er wandte sich zu Sorah, »ist Eure liebreizende ...?«
Ciacas brauchte zu lange, um zu antworten, sodass Sorah einschritt. »Schwester.«
Nur leider sagte der Dieb im selben Augenblick: »Ehefrau.« Offenbar war er allergisch dagegen, sich an irgendetwas zu halten, was sie im Vorfeld abgesprochen hatten.
Der Diener blinzelte. Er öffnete den Mund, wollte etwas erwidern, aber schloss ihn wieder. Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Dann zwang er sich wieder zu einem Lächeln und sagte: »Tretet bitte ein.«
Und so gelangten sie in die Residenz und das nur zu dem Preis von einem traumatisierten Diener.
Sie gingen über einen Weg aus rotem Teppich zu einer auslaufenden Treppe, die in das Innere führte. Sorah beäugte ihn mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis. Gab es irgendeinen praktischen Grund für den Teppich, abseits davon, dass der Saum ihres Kleides nicht beschmutzte?
Sie konnte darüber nur den Kopf schütteln ... oder eher: Sie konnte nicht einmal das, denn sie durfte ihr ›unschuldig, aber nicht wirklich unschuldig‹-Lächeln nicht fallenlassen.
Im Inneren wirbelte ein Spiel aus Farben und Stoffen. Ein Meer aus Stimmen brach ihr entgegen und zerschellte an ihr wie an einem Felsen. Dies war nur die Eingangshalle, wie sollte es erst im Saal aussehen?
Sorah ließ ihren Blick durch die Halle schweifen. Eine breite Treppe führte auf eine Empore, die den Raum umrahmte, sodass man auf die eintretenden Gäste hinabschauen konnte. Gedrehte Säulen, in die goldene Verzierung eingegossen war, hielten sie.
Kematian war nirgends zu sehen. Es wäre wohl auch die größte Beleidigung für ihn gewesen, hätte Sorah ihn aufspüren können.
»Nun dann, meine Liebe«, sagte Ciacas, »auf in den Kampf.«
Sorah verzog innerlich das Gesicht. Das hier erinnerte mehr an eine Schlacht als die Arena, in der sie am ersten Tag gekämpft hatte.
Sie stiegen die breite Treppe hinauf und kamen an einer hohen Flügeltür an. Alles hier war entweder golden oder marmorn nur die Tür aus dunklem Holz gefertigt.
Ihre Flügel hatte sie weit ausgebreitet. Wie ein Engel, der jeden in eine warme Umarmung ziehen wollte.
Nur Sorah besaß keine Begeisterung für Engel und wäre am liebsten schreiend weggelaufen. Denn der Saal war angefüllt mit Menschen. Hatte sie die Farben zuvor noch ›Wirbel‹ genannt, so war es jetzt ein Wirbelsturm mit Blitz und Donner. Und das Meer aus Stimmen erschuf nun hohe Wellen, die über das Ufer traten und alles mit sich rissen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top