Verrat unter Verrätern III

V kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, wer den Raben, der mit Miald angesprochen wurde, unterbrochen hatte.

Eine junge Frau mit roten Locken hatte den Raum betreten. Ihre Miene eine Maske aus Bitterkeit, ihre Lippen fest zusammengepresst. Ihre stechend grünen Augen erdolchten den Raben und auch V spürte einen Stich in ihrem Herzen, als der Blick zu ihr schweifte.

Mialds Lächeln wurde noch breiter. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich uns anschließen möchtest, nachdem du dich so lange gegen mich gewehrt hast, Sorah.« Er ignorierte ihren offenen Unmut, trat an sie heran und hob eine Hand, um sie an ihre Wange zu legen.

Sorah wich nicht zurück. »Fick dich«, spuckte sie ihm entgegen und griff nach seinem Arm. Sie wirbelte ihn mit einer Stärke herum, die V so einer zierlichen jungen Frau nicht zugetraut hatte, und ließ seinen Kopf gegen die Wand donnern.

Ein hässliches Knacken hallte in dem Raum wider, dann ein spitzer Schmerzensschrei, der noch nachhallte, selbst als der Ton schon lange abgebrochen war, ehe Miald sich befreien konnte. Er stützte seinen Arm, aber die Hand hing schlaff herab.

Entgeistert blickte er Sorah an, aber sie zog nur unbeteiligt einen Dolch.

»Das würdest du nicht tun«, sagte er und wich zurück.

»Ist nicht so, als würde ich besonders an dir hängen«, erwiderte Sorah. Ihre Stimme klang rau, aber ein melodischer Ton lag unter ihr, wie eine Erinnerung an eine bessere Zeit, die in Dunkelheit ertrank. »Ich schlage also vor, dass du deine Waffe ziehst und kämpfst. Dann kannst du dir zumindest im Sterben ein wenig Würde zurückholen.«

»Du hast mir die Hand gebrochen«, sagte er. »Wie soll ich –?«

»Zu spät«, unterbrach sie ihn. Das Licht der Kerzen reflektierte sich in der Schneide ihres Dolches, als sie einen Satz auf ihn zu machte.

Ihm gelang es erst, in letzter Sekunde auszuweichen, doch der nächste Hieb traf ihn. Tief vergrub Sorah die Klinge in seiner Bauchgegend.

Erst jetzt griff die Realisation endgültig nach ihm. Er starb. Seine Knie gaben nach und er kippte auf Sorah zu, stach ihren Dolch weiter in seinen Körper.

»Verräterin«, flüsterte er mit dem letzten Atem, der ihm blieb, ehe er einen Schwall Blut erbrach und damit Sorahs Schulter tränkte.

Sie schnaubte nur angewidert. In einer geschickten Bewegung schob sie ihn von sich und durchtrennte seine Kehle, als hätte sie es schon tausende Male gemacht.

Mit einem Gurgeln fiel Miald zu Boden. Sorah wischte ihre Klinge an seiner Kleidung ab und steckte sie zurück, ehe sie sich an V wandte.

V sank sofort ein Stück in sich zusammen und zog den Kopf ein.

»So ein Mistkerl«, hörte sie Sorah murren, als die junge Frau sich zu ihr kniete. »Hundesohn.« Sie holte einen Dietrich hervor und stocherte in dem Schloss der Fesseln herum.

»Ihr ... ihr helft mir?«, stotterte V. Noch immer trommelte ihr das Herz in der Brust.

»Wie sieht es denn aus?«, gab Sorah zurück.

Die Härte in ihrer Stimme ließ V zusammenzucken. »Ich ...«, setzte sie zwar an, aber sie biss ihre Zähne aufeinander und blieb stumm. Sie verstand nicht, weswegen die junge Frau sie befreite. Offensichtlich gehörte sie zu den Raben, ansonsten hätte sie diesen Miald doch nicht gekannt.

Sie warf einen Blick auf die andere Seite des Raumes, wo der leblose Körper lag. Galle stieg in Vs Kehle auf und sie wandte sich ab.

Sorah stieß ein abschätziges Schnauben aus. Eine Fessel klickte und rasselte zu Boden. Vs Arm fiel in ihren Schoß. Erst jetzt bemerkte sie die Schmerzen in ihren Schultern und ihrem Kopf und etwas Flüssiges, das an ihrer Schläfe hinabrann. Sie tastete danach und sah auf ihre Fingerspitzen. Rot schimmerten sie im Kerzenschein.

»Ist nicht tief«, meinte Sorah. »Du wirst es überleben.«

Die zweite Fessel löste sich und klirrte, als sie auf dem Stein auftraf.

»Und jetzt komm«, meinte Sorah und griff V beim Arm, um ihr auf die Füße zu helfen. »Ich habe nicht den ganzen Ärger auf mich genommen, nur damit wir jetzt noch erwischt werden.«

V stolperte hinter ihr her und ließ sich mitziehen. Ihre Beine waren noch taub und jede Faser ihres Körper schmerzte.

Der Korridor war grob in den Stein gehauen und die Fackeln warfen lange Schatten an die Wände, die mit jedem Luftzug tanzten.

Vor einer Wand kamen die beiden zum Stehen. Sorah schob einen losen Stein zur Seite und dahinter zeigte sich ein Hohlraum. »Dort hinein«, sagte sie.

»Da ...« V blickte unsicher auf die Dunkelheit.

»Mach schon«, meinte Sorah. »Ich würde mir zwar auch nicht vertrauen, aber zumindest genug Verstand besitzen, um zu wissen, dass jemand, der mich vor so einem Kerl wie Miald gerettet hat, mich sicher nicht nur wenige Minuten später in mein Verderben stürzen wird. Also los, rein da.«

V schluckte. Es kroch ihr zwar kalt den Rücken hinunter, als sie auf die Knie ging und in dem Hohlraum Platz nahm, aber sie musste der jungen Frau recht geben. Im Versteck war kaum genug Platz für sie allein. Beide Schultern berührten den nackten Stein und sie musste ihre Beine anziehen, um vollständig verborgen zu sein.

Sorah hockte sich vor den Eingang. »Bleib da drinnen, bis du deine Freunde ...« Sie stockte. »Es sind vermutlich nicht deine Freunde, aber du weißt, wen ich meine. Bleib da, bis du die beiden hörst. Sie müssen hier vorbei, um zum Verlies zu gelangen. Und komme auf keinen Fall früher raus, verstanden?«

V nickte nur.

»Gut, dann hoffe ich einfach für dich, dass wir uns nicht noch einmal über den Weg laufen.« Und mit diesen Worten verschwand sie aus Vs Blickfeld und Stille kehrte ein.

Vs Atmung schien in ihren Ohren unnatürlich laut, obwohl sie versuchte, so wenig Geräusche wir möglich von sich zu geben. Ihr Herzschlag pulsierte ihr bis in den Hals.

Weshalb hatte diese Sorah ihr geholfen? Vielleicht eine Diebin, die sich auf Ejahls Geheiß bei den Raben eingeschleust hatte? Oder ein Rabe, der doch ein Herz besaß? Sie erinnerte sich an den kalten Ausdruck in Sorahs Augen, als sie Miald die Kehle durchtrennt hatte und beide Theorien schienen auf einmal falsch.

Schritte ertönten und hinderten sie daran, weiter darüber nachzudenken.

»Du bist verletzt.« Kematians Stimme. Zum ersten Mal hörte V in seinem Ton etwas, das nicht bloß eiserne Kälte war.

»Nur ein Kratzer«, antwortete Ejahl. »Auch wenn ich mich natürlich geschmeichelt fühle, dass du dir Sorgen machst.« Ein Röcheln folgte, das ein Lachen sein sollte.

»Ich kann dein Blut riechen«, entgegnete Kematian. »Und es ist nicht wenig.«

»Wir müssen V finden. Danach kannst du mir gern die Kleider vom Leib reißen ... um meine Verletzungen anzusehen.«

V erlangte ihre Stimme wieder. »Ich bin hier«, sagte sie und kroch aus dem Versteck. Draußen erhob sie sich und klopfte den Staub von ihrer Kleidung.

Ejahl sah verwundert zu ihr. »Du bist nicht eingesperrt?« Blässe hatte sich um seine Nase gelegt und ließ die blutigen Sprenkel in seinem Gesicht rot leuchten.

»Ich wurde befreit«, murmelte sie.

»Dann verschwinden wir besser schnell, bevor noch mehr Raben auftauchen. Später kannst du mir alles erzählen.« Er drehte sich auf dem Absatz, wankte kurz und fing sich aber wieder. Ohne es zu kommentieren, eilte er voran.

»Ejahl.« Kematian holte zu ihm auf. »Lass mich deine Wunden ansehen.«

»Später«, meinte der Meisterdieb und hustete. »Später.«

Der dunkle Nachthimmel erstreckte sich über ihnen, als sie aus dem Untergrund traten. Der Zugang zu dem Rabennest lag in einem Wald außerhalb der Stadt und abseits eines jeden Weges.

Ejahl hustete. Blut lag auf seiner Zunge, selbst als er versuchte, es auf den Boden zu spucken. Schmerz fraß sich durch seinen Oberkörper und hinderte ihn daran, tiefe Atemzüge zu nehmen.

Warum war ihm nicht vorher aufgefallen, wie dumm die Idee war, ohne Umschweife in das Rabennest zu spazieren? Er wurde zu alt für solche Unternehmungen.

Seine Knie zitterten, drohten, unter seinem Gewicht zusammenzubrechen. Er stützte sich an einem nahen Baum ab. »Gebt mir nur ...« Sein Atem rasselte, als er Luft holte. »... einen Moment Zeit.«

Keinen Augenblick später gaben seine Beine endgültig nach und er wäre in sich zusammengesackt, hätte ihn nicht in letzter Sekunde jemand aufgefangen und ihm geholfen, sich zu setzen.

Kematian.

Eine tiefe Furche hatte sich zwischen seine Augenbrauen gegraben. Rote Sprenkel zierten sein Gesicht, aber bei ihm handelte es sich nicht um sein eigenes Blut. Er riss Ejahls Hemd auf und das Stirnrunzeln vertiefte sich.

Der Meisterdieb röchelte ein Lachen. »Vor einem Kind?« Er sah sich nach V um, fand sie mit verschwommenem Blick aber nicht mehr.

Kematian lauschte nur mit einem Ohr und brummte als Antwort. Sein Blick war auf Ejahls Oberkörper gerichtet oder eher, was davon zwischen den dolchtiefen Wunden noch übrig war.

Die Küken hatten zwar nicht gut gekämpft, aber sie waren in der schieren Überzahl gewesen. Kematian hatte Ejahl nicht die ganze Zeit über im Blick behalten und verteidigen können. Ein folgenschwerer Fehler, wie er nun lernen musste.

Und ohnehin war es seine Hoffnung gewesen, dass er Niellen im Nest angetroffen hätte, um ihn zu einer Unterhaltung zu überzeugen. Er war einer der Rabenanführer und vor allem derjenige, der am leichtesten mit sich reden ließ.

Doch nun war nicht länger die Zeit, über die vergangenen Wege zu zweifeln. Der Geruch von Ejahls Blut stieg ihm nun deutlicher in die Nase. Eine leicht süßliche Note schwang mit, die ihn stets an flüssiges Karamell erinnerte und doch angenehmer roch als jede Speise.

Er widerstand dem Drang, sich zu Ejahl zu lehnen und einen weiteren tiefen Atemzug zu nehmen. Das Blut in seinem Gesicht erkaltete langsam, aber das an seinen Händen, die er auf die Wunde presste, schmiegte sich warm an seine Haut und lud ihn ein, nur einen Tropfen zu kosten. Und selbst wenn er zu viel nehmen würde, konnte es wirklich schaden? Es lag in der Natur der Sterblichen, zu sterben, und in seiner, sich dem Hunger nach Blut hinzugeben.

Seine Reißzähne brachen hervor und er stieß ein Knurren aus, um seine eigenen Gedanken zum Schweigen zu bringen.

Er begann eine seiner Taschen zu durchwühlen und holte einen Verband hervor, den er sogleich um Ejahls Oberkörper wickelte. Binnen weniger Sekunden tränkte er sich mit Blut.

Ein leises Grollen formte sich in seiner Brust. Er hatte genug Wunden gesehen und selbst verursacht, um zu wissen, wann sie tödlich waren. Wenn er Ejahl nicht schnell zu einem Heiler brachte, dann würde er sterben, aber jede Bewegung würde die Verletzung nur todbringender machen.

V fiel neben ihm auf die Knie. »Er ... er wird doch überleben, richtig?«

Kematian warf ihr einen kurzen Blick zu, aber er hatte keine Zeit, sich mit den Sorgen des Mädchens zu beschäftigen. Mit jeder Sekunde wurde Ejahl bleicher. Sein Blick lag unfokussiert auf dem Raben, als versuchte er, eine Regung in seinem Gesicht abzulesen, scheiterte aber daran.

Was er jetzt brauchte, war ein Wunder.

Kematian krempelte sich seinen Ärmel hoch. Nun war nicht die Zeit zu zögern oder alle Konsequenzen abzuwägen. Was er über sein Vorhaben wusste, reichte ihm: Vampirblut im Körper eines Sterblichen führte eine seltsame Wirkung hervor. Mal folterte es, mal nahm es Schmerzen. Mal tötete es und mal heilte es.

Im Laufe der Jahre hatte er immer öfter bemerkt, dass er es lenken konnte und wenn dies der Ausweg war, um Ejahl zu retten, dann würde er ihn gehen.

Er biss sich in den Unterarm. Mit Leichtigkeit durchtrennten seine spitzen Zähne die Haut. Sein eigenes Blut lag bitter auf seiner Zunge, ähnelte dem eines Toten. Für gewöhnlich schmeckte er jede Gefühlsregung, doch bei ihm selbst war nichts anderes als die kalte, trostlose Leere.

In den letzten Sekunden hatte der Meisterdieb keinen Ton mehr von sich gegeben. Sein Atem rasselte in seinen Lungen, sein Herz schlug noch, doch nur schwach.

Kematian griff nach Ejahls Kinn und beugte sich zu ihm.

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