Prolog

Ein Klopfen riss den Erzähler aus seinen Gedanken. Er erhob sich von seinem Sessel und trat mit federnden Schritten zu der Tür. Jede der Bewegungen war von einem leisen Rasseln begleitet, das feingliedrigen Ketten an seinen Stiefeln entsprang.

Nicht selten besuchte ihn jemand zu so später Stunde, nur ungewöhnlich war es, dass dieser jemand anklopfte.

Er öffnete die Tür und blickte auf seinen Besucher. Regen glitzerte im Lichtkegel und tropfte von den weißblonden Strähnen, die Lippen waren schon blau angelaufen. An die sonst weiße Kleidung hatten sich Schlamm und Erde gehaftet, die Fingernägel blutig und abgeschabt.

»Ihr habt Euren Kopf wieder«, stellte der Erzähler fest.

Der Besucher – niemand anderes als ein gefallener König, der unter der Last der Krone zerbrochen war – presste die Lippen zusammen und erwiderte nichts.

»Und Ihr habt Euch aus Eurem Grab befreit.«

Wieder gab der König keine Antwort. Er ließ nur den Kopf sinken und schien schon zu bereuen, den Erzähler aufgesucht zu haben.

»Und dann fällt Euch nichts anderes ein, als zu mir zu kommen?«, fragte der Erzähler.

»Ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen kann.« Die Worte, die den Mund des Königs verließen, waren kaum mehr als ein Hauchen.

»Das habe ich mir schon fast gedacht.« Der Erzähler trat einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Handbewegung in Richtung seines Wohnzimmers. »Es ist sicher keine schlechte Idee, wenn Ihr hineinkommt. Und sei es nur, damit Ihr nicht länger im Regen steht.«

Der König nickte. Mit hängenden Schultern betrat er das Haus, den Blick gen Boden gerichtet. Hinter ihm schloss sich die Tür.

Der Regen peitschte gegen die Fensterscheiben, Tropfen trommelten auf dem Dach. Das Prasseln füllte die Stille zwischen den beiden, bis der König als erster das Wort ergriff.

»Ich kann nicht sterben«, sagte er.

»Das wusstet Ihr doch schon lange«, meinte der Erzähler. »Ich hole Euch ein Handtuch und dann könnt Ihr mir alles erklären.«

Er ging einen Schritt, doch dann hielt der König ihn am Arm fest. »Bleibt«, bat er und sah auf. »Ich kann nicht sterben.« Diesmal sagte er es lauter, obwohl seine Stimme leicht zitterte. »Ich will das nicht.«

Der Erzähler musterte ihn für einen Moment. Sein Blick wanderte zu der Hand, die ihn am Ärmel hielt. Es wäre ein Leichtes für ihn, sich loszureißen, aber er tat es nicht.

»Ihr seid nicht hergekommen, um bei mir zu bleiben, richtig?«, fragte er. »Und wenn Ihr nicht deswegen hier seid, was wollt Ihr dann von mir?«

Kurz rang der König mit sich, ehe er sagte: »Ihr kennt einen Weg, wie ich niemandem mehr schaden kann.« Die Worte nur leise. »Ihr wisst, wie ich sterben kann.«

»Wer hat Euch das gesagt?« Ein Rasseln ertönte, als der Erzähler sein Gewicht von einem auf das andere Bein verlagerte.

»Ihr.«

»Ich?« Der Erzähler räusperte sich, um seine Verwunderung herunterzuspielen. »Setzt Euch doch. Ich mache Euch einen Tee und wir reden über alles.«

»Nein.« Der König ließ von dem Ärmel ab. Mit einem Ächzen – denn eine alte Kriegsverletzung an seinem Bein schmerzte ihn – sank er auf die Knie.

»Ich flehe Euch an«, sprach er. »Helft mir. Meinen Zustand kann man kaum noch als lebendig bezeichnen. Bitte ... rettet mich.«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top