Mit Blut benetzt ist die kalte Seele II
Der Rabe vor V ließ seine Hand sinken und schob leicht die Brauen zusammen. Das Blut floss nun ungehindert an seiner Schläfe hinab. »Ihr zeigt Euch endlich, Meisterdieb«, rief er. »Und an Eurer Seite«, sein Blick schweifte zu Kematian, »einer der Meinen. Möchtet Ihr Euch zu uns gesellen, damit wir einander nicht anschreien müssen?«
Ejahl und Kematian warfen sich einen kurzen Blick zu, dann sprangen sie vom Dach auf die Straße. Während Kematian leichtfüßig wie eine Katze landete, kam Ejahl mit einem Ächzen auf und seine Knie begannen, schmerzhaft zu pulsieren. Er wurde langsam zu alt für solche Sprünge.
»Ich hörte bereits Gerüchte«, sagte der Rabe und trat auf die beiden zu.
»Niellen, keinen Schritt weiter«, ergriff Kematian das Wort.
Niellen hob beruhigend die Hände und kam der Aufforderung nach. »Ich hörte bereits Gerüchte«, fing er von Neuem an, »dass Ihr Euch von den Raben losgesagt habt. Und nicht nur das, Ihr sollt auch einen Unbeteiligten in unser Nest geführt und unsere Küken kaltblütig abgeschlachtet haben. Zunächst glaubte ich der Kunde nicht, doch nun bleibt mir keine andere Wahl.«
Kematian stieß ein leises Knurren aus, aber Niellen achtete kaum darauf.
V zuckte zusammen, als Ejahl ihren Arm griff und sie von den Raben fortzog. »Alles gut?«, fragte er.
Der Kloß in ihrem Hals machte es ihr unmöglich zu sprechen. Niellen hatte ihr eine Welt ohne Schmerz, ohne Verlust, ohne Angst und ohne Grausamkeit gezeigt und nun wog die Realität nur umso schwerer. Es schnürte ihr die Kehle zu, zerquetschte das Herz in ihrer Brust.
Ejahl klopfte ihr auf die Schulter. »Das wird schon wieder.«
»Doch hierbei geht es nicht nur um Euch und Euer Vergehen«, sagte Niellen.
Kematian ahnte seine nächsten Worte. Er knirschte mit den Zähnen und zog sein Schwert. Er brauchte nur wenige Schritte – kaum eine Sekunde verstrich – und er stand vor seinem ehemaligen Gefährten. Die Klinge schnitt die Luft entzwei, bis sie auf Widerstand traf.
Niellens Hand war nach oben geschnellt und hielt den Hieb auf. Über seiner Haut lag Silber, eine hauchdünne Rüstung, die kein Schwert zu zerschlagen vermochte.
Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Was soll ich nur mit der Euren machen?«
In Kematians Brust formte sich ein Knurren. Er entzog seine Klinge dem Griff und schlug aus einer anderen Richtung zu. Obwohl seine Bewegungen schnell und präzise waren, gelang es Niellen erneut, das Schwert mit der bloßen Hand abzufangen.
»Wir können es uns nicht leisten, dass Sorah Euch weiterhin loyal ist«, sagte Niellen. »Aber es wäre schmerzlich, sich ihrer entledigen zu müssen. Schließlich ist sie eine unserer Besten. Doch das ist nicht länger von Bedeutung für Euch. Ich werde mich ihrer annehmen und ... tiefgehend forschen, wem sie sich treu hingibt.« Er packte die Klinge fester und stieß sie und damit auch Kematian von sich fort.
Während Niellen und Kematian miteinander beschäftigt waren, blieben die anderen beiden Raben nicht untätig und Ejahl nicht lang dem Kämpfen fern.
»Sieh mal einer an«, sagte einer der Raben, der einzige unter ihnen, der eine Maske trug. »Der Meisterdieb. Sicherlich seid Ihr stolz auf diesen Titel, aber in diesem Kampf wird er Euch nichts nützen.«
Ejahl erhielt nur einen Augenblick, in dem er seinen Dolch zückte, ehe eine Klinge auf ihn niederfuhr. Die Wucht, gepaart mit der Schnelligkeit des Angriffes riss ihm beinahe das Heft aus der Hand.
»Die Wette geht an mich«, sagte der dritte Rabe. Eine Frau mit spitzen Ohren, die sich aus beiden Kämpfen heraushielt.
»Du könntest mir auch helfen, anstatt da nur dumm herumzustehen, Aedal.«
»Dann wäre es aber ein Kampf von zweien gegen nur einen. Das wäre doch äußerst unredlich.«
Aedal?, echote Ejahl in Gedanken. Wenn der erste Niellen und die zweite Aedal war, dann konnte der dritte nur Yareed sein. Alle drei Rabenanführer an einem Ort versammelt.
Ejahl parierte den nächsten Hieb. Die Wucht des ersten Angriffes fehlte. War das die Wette zwischen den beiden gewesen? Ihn nur mit einem Schlag auszuschalten?
»Außer natürlich, du brauchst meine Hilfe«, meinte Aedal, die beobachtete, wie Yareed Ejahls Klinge nur knapp entkam. »Dann werde ich dir mit all meinen Fähigkeiten zur Seite stehen.«
»Ich brauche gar nichts von dir«, zischte Yareed.
»Sah letzte Nacht anders aus.«
Yareed wandte sich von dem Meisterdieb ab und seiner Gefährtin zu. Er hob eine Hand als Zeichen, den Kampf zu unterbrechen. Ejahl stockte tatsächlich in der Bewegung, mehr aus Überraschung als, um dem Raben seinen Wunsch zu gewähren.
»Letzte Nacht?«, fragte Yareed. »Du hast uns in die Falle geführt und Niellen war derjenige, der uns wieder hinausgeholfen hat. Oder erinnere ich mich etwa nicht richtig?«
Ejahl musterte die beiden. Wie hatten sich solche Pappnasen an die Spitze der Raben gestellt? Dann kam er nicht umhin, sich selbst zu betrachten, und zog es vor, den Gedanken nicht zu vertiefen.
Mit den beiden in einem Streitgespräch sah er seine Chance, zuzuschlagen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Er trat an Yareed heran, aber ehe er ausholen konnte, wirbelte der Rabe herum.
»Was soll das denn werden?«, fragte er.
»Gab es nicht Eure ›Ehre der Elstern‹?«, warf Aedal ein. »Nie töten, außer in einem gerechten Kampf. Nie stehlen, außer von denjenigen, die es nicht vermissen werden.«
Ejahl zuckte mit den Schultern und wich wieder einen Schritt zurück. Es konnte doch nicht sein, dass er sich von zwei Kindern gescholten fühlte – denn keiner der drei sah aus, als hätte er mehr als das dreißigste Lebensjahr erreicht.
»Besondere Zeiten sind angebrochen und für Ehre gibt es keinen Platz mehr«, sagte Ejahl. »Vor allem nicht Raben gegenüber.«
»Oh, ist das so?«, fragte Aedal und legte eine Hand auf den Knauf ihres Dolches. »Ich vermute, dann müssen wir uns Euch gegenüber auch nicht ehrenvoll zeigen.«
Mist, fluchte Ejahl in sich hinein. So weit hatte er nicht gedacht. Früher war es ein Leichtes für ihn gewesen, mehrere Leute auf einmal – seien es auch Raben – zu besiegen, aber diese Zeiten waren vorbei und er war nicht der von früher. Seine Augen wurden müde, seine Muskeln gehorchten ihm manchmal nicht mit derselben Schnelligkeit, die er von ihnen gewohnt war, und seine Lungen streikten schon lange.
Er riss seinen Dolch hoch und parierte Yareeds Hieb, doch Aedal konnte er nicht ausweichen. Ihre Klinge bohrte sich in seine Schulter, fraß durch Muskeln und Sehnen.
Ihm entkam ein schmerzerfülltes Stöhnen, ehe er die Zähne zusammenbiss, und er sprang zurück. Die Raben setzten nach, doch diesmal hinderte eine andere Klinge sie daran, den Meisterdieb zu verletzen.
Kematian stellte sich zwischen Ejahl und die Angreifer. Er drehte sein Schwert so, dass Yareeds Schwung ihn zur Seite taumeln ließ, und packte Aedal an der Kehle, um sie von sich zu schleudern.
Ein Seufzen schwebte durch die Gasse und Niellen trat einige Schritte an die restlichen Anwesenden heran. Sein Blick schweifte zu Aedal und Yareed. Letzterer schüttelte die Benommenheit von sich und packte den Griff seines Schwertes nur eiserner. Die Elfin hielt ihre Kehle und rappelte sich vom Boden auf.
Er sah zu V, die nicht noch einmal seinem Blick begegnete und vor ihm zurückwich. Er griff sich an die Schläfe. Blut rann aus der Wunde, die Ejahl mit dem Stein geschlagen hatte.
Letztlich fiel sein Blick zurück auf den Meisterdieb, dann auf Kematian. »Ihr wisst, dass niemand den Raben entkommen kann – nicht einmal Ihr. Ich gewähre Euch aber noch ein wenig Zeit und ich hoffe, dass Ihr sie weise nutzen werdet.« Er nickte beiden zu, ehe er sich abwandte.
»Wir ... wir lassen sie gehen?«, fragte Yareed.
»So habe ich es beschlossen«, sagte Niellen.
»Aber ...«
»Ich dulde keine Widerworte.«
Aedal folgte schneller als Yareed. Der junge Mann warf noch einen Blick zurück und schnaubte verächtlich, ehe er sich ebenfalls abwandte.
Kematian knurrte leise. Er fasste den Griff seines Schwertes fester, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Mit wenigen Schritten stand er hinter Niellen und holte aus.
Der Rabenanführer wirbelte herum. Silbernes Licht erglühte in der grauen Gasse und formte eine halbdurchsichtige Wand vor ihm.
Kematians Klinge traf gegen das Silber, das bei der Berührung in tausende Einzelteile zerbarst. Eine Welle warf ihn von den Füßen und er kam hart auf dem Steinboden auf. Um ihn herum sanken silberne Flocken und mit ihnen klirrten metallische Teile auf das Kopfsteinpflaster. In seiner Hand hielt er nur noch das Heft seines Schwertes.
»Ich gewähre Euch Gnade«, sagte Niellen. »Nutzt sie.« Er wandte sich ab und ging.
Kematian rappelte sich zwar auf, aber er griff kein zweites Mal an und sah seinem ehemaligen Gefährten nur nach. Als die Raben hinter einer Häuserecke verschwanden, stieß er ein Schnauben aus und warf das Heft zu der zerborstenen Klinge auf den kalten Stein, ehe er sich zu Ejahl und V drehte.
Der Meisterdieb hielt sich die Schulter und Blut rann zwischen seinen Fingern entlang. »Verschwinden wir von hier.«
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