Hochmut II
»Es gibt nur ein Problem«, sagte Ejahl. Er sprach gezielt gesenkter, hielt sich zurück, mit dem Daumen über Lloyds Wange zu streicheln. Schon immer hatte der Elf etwas an sich gehabt, sodass er nur schwerlich die Hände von ihm lassen konnte. »Ich weiß noch nicht, was ich als Preis verlange, und daher werdet Ihr Ava nicht bekommen, mein Prinz.«
Lloyds Miene verhärtete sich. »Nennt mich nicht so.« Er versuchte sich, zu befreien, aber Ejahl hielt ihn. Nicht, weil er beschlossen hatte, der verführerischen Stimme nachzugeben, nein, er hatte andere Gründe.
Etwas an dem Elfen hatte sich verändert. Er wehrte sich nur halbherzig, als hätte er schon aufgegeben, bevor er überhaupt anfing, zu kämpfen.
»Was bevorzugt Ihr?«, fragte Ejahl. »Andere nennen Euch den Dunklen König.«
Lloyds Adamsapfel hüpfte auf und ab. »Ich würde es begrüßen, wenn Ihr bei meinem Namen bleiben könntet.« Seine Stimme war leiser. Von dem Befehl ›Nennt mich nicht so‹ war nur eine vage Bitte geblieben.
»Ich bin kein Prinz«, fuhr er fort, »und vor allem kein König.«
Ejahl schwieg und musterte ihn nur. Seinen Hals versteckte der Elf nicht nur hinter einem breiten Kragen, er verband auch die Bissspuren, die Kematian hinterlassen hatte. Die Hand an seinem Gehstock zitterte, sodass er ihn fester packte und die Knöchel noch weißer auf der weißen Haut hervortraten.
Ejahl beugte sich zu ihm und legte einen Kopf auf dessen Schulter. »Ihr habt Euch verändert.«
Lloyd zuckte mit den Schultern, aber etwas an der Geste schien falsch. Als wollte er die Illusion von Leichtigkeit in seiner Haltung aufrecht halten und gleichzeitig Ejahl abschütteln.
Er ließ sich nicht abschütteln. Von Anfang an hatte es ihn interessiert, was sich zwischen Lloyd und Kematian abgespielt hatte und nun, da er den Prinzen betrachtete, wusste er es. Alles an dessen Haltung schrie Ablehnung; er saß leicht abgewandt, den Blick fortgerichtet, aber er hatte aufgegeben.
Zwar hatte Ejahl nie erwartet, dass Kematian ein Heiliger war, doch manchmal fragte er sich, wie dunkel die Abgründe waren, in denen der Rabe wandelte.
»Was ist mir geblieben?«, murmelte Lloyd. »Mein Vater hat mich verstoßen. Mein Königreich ist schon lange nicht mehr das meine.«
Ejahl neigte den Kopf. »Das ist eine gute Frage. Aber eine viel bessere ist: Wie sehr habt Ihr Euch verändert und für wie lange?«
Lloyd hob die Augenbrauen.
»Ihr sagtet, Ihr würdet nicht mehr kämpfen wollen, Ihr wärt niemandem mehr eine Waffe, aber kann das Schwert entscheiden, wann es gezückt wird? Kann es entscheiden, gegen wen es geschwungen und von welcher Hand es geführt wird?«
Er erhielt keine Antwort.
»Und wenn Euch jemand nur lang genug schikanieren würde, würde sich die Vergangenheit dann wiederholen? Und würde sich, wenn Ihr zweimal ein solches Leid verursacht, jemand erbarmen und Euch die Hand reichen?«
Ein Rasseln erklang, ehe sich die Tür öffnete und Murasaki eintrat. Er trug zwar ein Lächeln auf den Lippen, aber seine Augen blieben kalt und Blut tropfte von seiner Hand auf die Dielen.
»Er hat sich widersetzt«, sprach er und lehnte sich gegen die Wand.
»Und wo ist er jetzt?«, fragte Ejahl, ohne sich von Lloyd zu lösen.
»In einer Ecke, in der er über seine Verfehlungen nachdenken kann«, sagte Murasaki. »Und wenn Ihr Euch nicht zu ihm gesellen wollt, dann schlage ich vor, dass Ihr Euch von Lloyd entfernt.«
Ejahl hob die Hände und rückte ein Stück ab. »Ich wollte nur etwas überprüfen. Kein Grund, mir gleich die Feindschaft zu erklären.«
»Ich habe jeden Grund«, sagte Murasaki, ehe er sich an Lloyd wandte. »Habt Ihr bekommen, weswegen wir hier sind?«
Der Elf schüttelte den Kopf. »Es gibt nichts, das ich ihm geben kann.«
»Ich kann Euch stattdessen etwas geben«, sagte der Erzähler.
»Oh?«, machte Ejahl.
»Reicht es, dass ich Euer Darling am Leben lasse?«
»Ihr hättet ihn schon getötet, wenn Ihr ihn tot sehen wolltet. Dass er noch am Leben ist, heißt nur, dass Ihr ihn lebendig wissen wollt.«
Murasaki seufzte ein wenig zu theatralisch. »Manchmal seid Ihr klüger, als ich erwarte. Dann schlage ich Euch etwas anderes vor. Ihr wisst, dass Kematian verflucht ist?«
Ejahl nickte.
»Ich kenne einen Weg, um ihn zu heilen und einen Weg, wie er zumindest in den nächsten Jahren nicht an dem Fluch stirbt. Beides kann ich Euch nennen. Habe ich Euer Interesse?«
»Wenn Ihr mir versichern könnt, dass Ava wirklich nichts zustößt.«
»Das kann ich«, sagte Murasaki. »Und nun bringt sie her.«
»Nein«, meinte Ejahl. »Ihr erzählt mir erst, was ich wissen möchte, und dann hole ich Ava.«
Nun verhärtete sich Murasakis Lächeln. Das Gespräch mit Kematian musste wohl wirklich schlecht gelaufen sein oder die Zeit mit Lloyd forderte langsam ihren Tribut.
»In Ordnung«, sagte er letztlich. »Es ist ein Elfenfluch. Das heißt, es gibt ein Rätsel – Elfen lieben ihre Rätsel. Mal meinen sie es wörtlich, mal ist die Lösung einfacher, als es auf den ersten Blick scheint. Was Kematian heilen wird, ist ein Tautropfen, den das Mondlicht berührt.«
»Und das heißt?«, fragte Ejahl. Irgendwelche Rätsel würde er nicht für die Abmachung gelten lassen.
»Das heißt, dass er weinen muss.«
»Was?«
»Er wurde verflucht, weil er gemordet hat«, sagte Murasaki. »Und um seine Reue zu bezeugen, muss er Tränen vergießen.«
»Ich weiß nicht einmal, ob er weinen könnte, selbst wenn er es wollte.«
Murasaki zuckte mit den Schultern. »Das ist nicht mein Problem. Wenn sich sein Herz jedoch auch für Euch nicht erweicht, dann gibt es noch einen Weg, wie sich sein Tod aufschieben lässt.« Er hob seine Hand, von der weiterhin rote Tropfen hinunterflossen. »Mein Blut.«
Ejahl runzelte die Stirn. »Euer Blut?«
»Ich versuchte, es ihm einzuflößen, aber er weigerte sich. Wenn es Euch hingegen gelingen würde, hätte er noch einige weitere Jahre. Bis der Fluch ihm erneut Schwierigkeiten bereitet, wärt ihr vermutlich schon gestorben und er hätte sich an ein Leben ohne Euch gewöhnt. Dann wäre er bereitwilliger, sich retten zu lassen.«
»Was habe ich damit zu tun?«, fragte Ejahl, doch dann erkannte er. »Oh, nein, nicht wirklich, oder? Gebt mir Euer Blut. Ich rede mit ihm.«
Murasaki fischte eine Phiole aus seinem Ärmel und ließ einige Tropfen von seiner Hand hineinfließen. »Ehe ich es Euch reiche, erfüllt Ihr erst Euren Teil. Aber wie mir scheint«, er wandte sich Richtung Tür, »muss ich Euch nicht einmal mehr losschicken.«
Nur einen Moment später öffnete sich die Tür und Ava trat ein.
Ejahl seufzte leise. Sie hatte viel zu gut von ihm gelernt. »Du hast gelauscht und weißt, was sie von dir wollen?«
Sie zuckte nur halbherzig mit den Schultern. »Es klingt nicht allzu schwer oder gefährlich.«
»Das klingt es nie, aber am Ende wacht man ohne Kleidung, Waffen oder Münzen in einer dreckigen Seitengasse auf und muss vor einem Teufel fliehen.« Er warf dem Erzähler einen Blick zu. »Oder vor einem Engel.«
»Ihr wisst schon, dass ich zuhöre?«, fragte Murasaki.
Ejahl deutete ihm an, still zu sein. Der Erzähler zog eine Augenbraue hoch, aber er schwieg danach. Er durchquerte nur den Raum und legte eine Hand auf Lloyds Schulter.
»Dann bist du einverstanden?«, fragte Ejahl, nun wieder an Ava gewandt.
Sie nickte. »Wenn es meinen Vater retten kann.«
»Da das nun geklärt ist«, ergriff Murasaki wieder das Wort, »lasst uns beginnen.«
Lloyd erhob sich und holte den schwarzen Stein unter seinem Umhang hervor. Etwas in seinem Blick änderte sich. Die Zurückhaltung verschwand, die Scheu, als der Meisterdieb ihm zu nahe gekommen war.
Er hob das Kinn und straffte die Schultern. Mit einem Schlag kehrte sowohl Anmut als auch Arroganz in ihn zurück und ein kalter Luftzug umwirbelte ihn.
»Dann, Mädchen«, er hielt den Stein in ihre Richtung, »knie nieder.« Die Welt erzitterte für einen Augenblick. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, aber über seinen Augen lag ein finsterer Schatten.
Ejahl hatte in ihm stets den Prinzen gesehen, an dessen Händen kein Blut klebte. Zwar hatte er die ganzen Geschichten gehört, von deren Wahrheit er mittlerweile überzeugt war, aber der Elf, den er kannte, hatte sich stets so konträr zu dem Bild verhalten.
Doch nun nicht mehr. Nun erkannte er, wie dieser Mann ein Königreich als Tyrann anführen konnte und wie er vor Jahren die Welt in Angst und Schrecken versetzt hatte. Und es bestätigte nur seine Vermutung: Lloyd konnte irgendwann wieder ein Schreckensherrscher werden. Wer würde ihn schon kontrollieren, wenn er selbst es nicht konnte?
Murasaki räusperte sich. »Ihr macht ihr Angst.«
Lloyds Blick klärte sich auf und das finstere Lächeln verschwand. Er wandte sich an den Erzähler. »Tue ich das?«
Dieser trat neben Lloyd und berührte ihn leicht am Arm.
»Das war nicht meine Absicht«, flüsterte der Elf.
»Ich weiß«, sagte Murasaki. »Das ist es nie. Haltet Euch einfach ein wenig zurück, damit die Welt kein zweites Mal untergeht.« Er nickte Ava zu, blieb aber an Lloyds Seite.
Ava warf einen kurzen Blick auf Ejahl, suchte noch einmal Bestätigung, ehe sie auf die Knie ging.
Sekunden vergingen in Stille.
Leiser Regen tropfte gegen das Fensterglas. Tropfen, die sich bald mehrten und zu einem Strom wurden.
Nichts geschah. Der Stein blieb schwarz und kalt.
Lloyd schnaubte und sah zu Murasaki. »Ich hätte Euch nicht glauben sollen«, sagte er. »Wie kann sie schon die Sonne sein? Wie ... er der Mond?«
»Geduldet Euch«, sagte der Erzähler. »Und denkt nicht daran, mich wahnsinnig zu nennen. Ich bin nur so wahnsinnig, die Worte zu sprechen, wie Ihr, sie mir zu glauben.«
Wieder vergingen einige Sekunden, ohne dass etwas geschah.
»Murasaki«, zischte Lloyd. »Wenn Ihr mich hättet bloßstellen wollen, dann hätte Euch nichts anderes einfallen können?«
»Geduld. Nur Geduld. Eine Tugend, die Ihr Euch vielleicht aneignen solltet.«
Lloyd stieß ein Schnauben aus.
Ejahl sah auf den Stein in dessen Hand. Eigentlich hatte er geplant, an diesem Tag loszuziehen, um V und Jeanne zu finden, und nicht, stundenlang dazustehen und zu warten, dass irgendetwas passierte. Irgendetwas, von dem er noch nicht einmal wusste, wie es aussehen sollte.
Doch dann geschah etwas.
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