Kapitel 1: Der Mondsichelball
Perfektion.
Perfektion.
Der Mondsichelball.
Unangenehm. Unangenehme Langeweile. Eborin wollte nicht. Verstand es einfach nicht. Der enge Stoffkragen kratze. Fein musste er aussehen. Wie ein feiner Junge. Doch fühlte er sich eher wie ein Narr, als ein Sohn eines Grafen. Warum? Warum musste er mit auf diesen Ball? Er blickte verdrießlich zur Seite und schnaufte leicht, als eine zarte Hand seine Fliege festband. Perfekt. Es war die Hand seiner Mutter. Leicht blass, doch rosige Spitzen. Keine Narben. Niemals hatten diese Hände arbeiten getan. Makellos. Er hielt still. Ertrug es. Es waren nicht irgendwelche Hände. Schließlich waren es, die Hände einer Frau. Die Hände einer Mutter. Seiner Mutter. Ohne Regung, sah sie ihn an. Kühles Blau. Eisblau. Zupfte den Stoff noch einmal prüfend zurecht. Perfektion. Einer Puppe gleich. So schien sie ihm, bevor sie unsanft seinen Kopf zu ihr drehte. Still. Er blickte auf den Boden. Wippte leicht mit den Füßen. Unangenehm. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Eins, zwei, drei weiße Kreise. Blau. Der Teppich. Er zählte. Sie sprach kein Wort, aber das musste sie auch nicht. Unbedeutend klein waren sie. Er sprach kein Wort, denn er konnte nicht. „Ich will nicht auf diesen blöden Ball!" Leichtballten sich die kleinen Fäuste auf seinem Schoß. Am liebsten hätte er es Mutter gesagt, wäre aufgesprungen und zurück in sein Bettgekrochen. Und hätte sich vor diesem blöden Haus, vor diesem blöden Ball, vor absolut Allem versteckt! Die Bücher auf dem Nachttisch...Er seufze. Unbeirrt fuhr sie fort. Sah in an und doch auch nicht. Erblickte kurz auf. Ein dunkles Band. Ein paar silberne Verzierungen. Dann sah er es auch nicht mehr. Ertrug es. Sie band hastig seine Haare zusammen. Ordnete die mittellangen Strähnen, als wäre es von besonderer Wichtigkeit, dass alles perfekt sitze. Sie war da, doch auch nicht. Er biss sich auf die Lippe. Zupfte unsicher an seiner Jackentasche. Es rückte näher. Eborin sollte sich freuen, doch wusste er nicht warum. Doch hatte er ein schlechtes Gefühl. Sein Magen zog sich leicht und unaufhaltsam zusammen. Nervös, er war nur nervös. Dass würde Mutter sagen. Mutter hatte recht. Musste recht haben. Er war nur nervös. Deswegen wollte er nicht auf diesen blöden Ball! Das musste es sein. Das musste es sein..? Fragend blickte er zu ihr. Eine Antwort auf die unausgesprochene Frage erhoffend. „Dorian!" Verwundert. Sie sah ihn streng an. Er hatte das Innere seiner Jackentasche hinaus gezogen und bei seiner Bewegung wareneinzelne Strähnen wieder aus dem Zopf gefallen. Gehorsam, tugendhaft. Ein junger Mann. Das sollte er sein. Musste er sein. Perfekt sein. Doch er...er war es nie. Tadelnd. Tadelnd erhob sie die Hand Er wartete. Ein Moment. Ein Gedanke. Eine kleine Regung. Eborin spürte ihren Blick auf sich, doch konnte er ihr nicht in die Augen sehen. Die Hand sank. „Die Schrammen können wir uns nicht leisten..." Er war es leid. „Schau mich an Dorian!" Sie legte ihre Hände auf seine Schultern. Schwer. Ihre Lippen kräuselten sich leicht in Missgunst. „Versuch.." „Ja, Mutter..", murmelte er mehr als er sprach. Er wollte es nicht hören. Nicht wieder. Doch fuhr sie unbeirrt fort: „Versuch, wenigstens nicht einen Abend eine vollkommene Schande zu sein." Eborin biss sich auf die Lippe. „..Ja,.. Mutter." Sie schmeckten bitter. Sie schmeckten bitter. Diese Worte. Bitterer. Jedes mal. Es war sein erstes Jahr, dass er... dass er alt genug war für den Mondsichelball. Es war sein erstes Jahr. Das erste Mal. Fragen. Fragen dessen antworten er nicht hören wollte. War er bereit? Sicher.. Sicher nicht. 6 Jahre. Und nun sein erstes. War er gut genug?
...
War er es?
Es nagte an ihm. Ließ ihn nicht los. War er, denn nicht mehr?...Könnte er denn nicht mehr sein? Als eine Schande.
Er musste es sein.
Perfekt.
Nicht er.
Perfektion.
Auf dem Mondsichelball.
Er wollte nicht, er wollte nicht, er wollte nicht! Sie sprach kein Wort, doch, das musste sie auch nicht, dass er verstand. Er wollte nicht, doch er musste. Er war das Kind und sie die Mutter. Seine Gedanken waren nicht von Bedeutung.
Die Räder der Kutsche flogen über die aus feinem Kalkstein gefertigten Straßen. Leicht glitzerten sie im Abendrot. Kleine Bäche. Harte Bäche. Bäche aus Stein. Er zupfte unsicher an seinen Ärmeln. Ausladend. Unpraktisch. Schon beim einsteigen in die Kutsche wäre er an der dünnen Tür fast hängen geblieben. Unangenehm. Diese unangenehme Langeweile. Er lehnte seine Stirn gegen das Glas- Kalt. Beruhigend. Er schloss kurz die Augen. Sein schwarzes Haar war zu einem kleinen Zopf gebunden. Ein paar wirre Strähnen hafteten am Fensterglas, auf dem sein Atem kleine Wolken zeichnete. Wärme. Mutter. Er zuckte zusammen. „Sitz gerade." Vorsichtig strich sie ihm sein Haar zurecht. Einzelne Strähnen. Behutsam steckte sie sie zurück. Präzision. Sie war ... perfekt. Nicht wie er. Eborin ließ den Kopf leicht hängen. Wippte mit den feinen Schaukeln der Kutsche mit. Wenn diese Fahrt doch nicht enden würde. Er war...aufgeregt... Er hörte das seufzen seiner Mutter. Lang und hellgolden schimmerte ihr Haar. Er seufzte. Fuhr sich durch seines. Rabenschwarz. Nicht perfekt. Nicht wie sie. Wenn er genauer hinsah, gab es vieles was sie beide,-Mutter und Sohn – unterschied. Sie strahlte eine Ernsthaftigkeit und Autorität, wie auch eine Anmut aus, dass es ihn leicht frösteln ließ. Eisblau. Eisblau war ihre Farbe. Ihre Augen, ihr Schmuck, ihr Kleid. Nur Weiß und Silber unterstrichen es. Sorgsam. Diese...Perfektion. Er war ein schmaler, kleiner Junge. Schulterlange, rabenschwarze Haare. Er saß im Schatten. Er strahlte weder Autorität, noch Ernsthaftigkeit oder Anmut aus. Generell gab es im Gegensatz zu ihr nichts erwähnenswertes an ihm. In ihrer Gegenwart würde er für alle anderen verblassen. Verblassen wie es sich gehörte. „Kinder hört man nicht, Kinder hat man." Wieder zupfte er leicht an seinen Ärmeln. In seinem Anzug wäre er heute ihr Schatten. Wie immer ihr Schatten. Ein Schatten mit einem grünlich blauen Schimmer. Ein Schatten mit den selben eisblauen Augen. Ihre Hände lasteten schwer auf seinen Schultern. Worte. Anweisungen. Ab nun durfte nichts mehr geschehen. Er musste perfekt sein. „Lauf aufrecht - gerader Rücken- hochgestecktes Kinn, nicht zu hoch. Zögere nicht- doch überstürze auch nichts." Er lächelte leicht. Versuchte es. Es war schwer. Nicht zu schwer. Er konnte es. Konnte es aushalten. Doch nur wie lange? Die Mitte. Es galt sie zu finden. Es galt sie halten. „Dieser Abend. Dieses Leben ist ein Balance Akt. Doch, wenn du versagst, zerreißen sie dich." Es war mehr eine Feststellung, als ein liebevollgemeinter Rat. Doch war er es so gewöhnt. Es war normal. Sie nahm ihn bei der Hand. Leicht drückte er sie. Nur genügend um diesen seltenen Moment der Nähe zu spüren. Die Wärme kribbelte leicht. Auch nicht zu fest. Angst. Angst, dass sie wieder ihn loslassen würde. Sie schritten auf das silberne Tor zu. Imposant. Beeindruckend. Zu jeder Seite stand ein Wachmann. Auch sie sahen fein aus. In frisch polierten Rüstungen, vor den Mauern aus Marmor. Siegrüßten zurückhaltend, als sie es durchschritten. Nur schwer kam er mit den Schritten seiner Mutter mit. Weit. Größer. Ihre Schritte. Er durfte nicht stolpern. Er durfte nicht fallen. Er durfte nicht versagen. Gekonnt führte sie ihn die vielen Stufen hinauf. Der Weg führte durch einen gewaltigen Vorgarten. Er musste sich bemühen nicht stehen zu bleiben. Die weißen Blüten von Rosen und Nelken zu ignorieren. Der süßliche Duft und eine seichte Brise. Wie diese zu dieser Zeit noch blühten wusste er nicht. Doch freute es ihn. Er musste sie ignorieren. Um weiter den Takt der Schritte zu halten. Seine Mutter schenkte, dem allen keine Beachtung. Stattdessen schnalzte sie kaum merklich mit der Zunge, als die ersten anderen Besucher in Sicht kamen. „Bleib nah bei mir. Tu was ich sage und denke daran", sie blickte ihn kurz streng in die Augen, "aufrecht, gerade, nicht zögern." Sie waren an der Menge angekommen. Aufgestellt nach Rang und Namen standen sie dort.
Zwei Schlangen. Kinder und Frauen. Die Andere -Männer. Verwundert blinzelte er. Nirgends war Vater zu sehen. Es wunderte ihn, denn Vaters Platz in der Schlange, oder wo er sich zumindest befinden müsste war leer. Leicht zuckte seine Hand. Sollte er Mutter fragen? Doch unterdrückte er schnell diesen Gedanken. Vater war vorgefahren. Vorgefahren aus Gründen die Mutter ihm nicht nennen wollte. Ihm wurde noch unwohler, als er zurückdachte. Erschrocken hatte sie gewirkt. Kurz bevor sie ihn gemaßregelt und bis vor die Kutsche gezerrt hatte. Leicht rieb er sich den Arm. Sie war stärker als sie aussah. Viel stärker als er. Eborin sah sich um. Es waren seit ihrer Ankunft sicherlich schon eine Stunde vergangen. Oder kam es ihm doch nur so vor? Die Zeit Schritt nur langsam voran. Wie die Schlange, die Person für Person in das Licht des Hauses verschluckt wurde. Er beobachtete, die Gesellschaft, aus hohen Hausfrauen mit Federkränzen, die fröhlich schwätzend hinter ihnen ihren Platz gefunden hatten.
„Ja wirklich..."
„Das wirst du mir nicht glauben!"
„Sag nicht..."
„Doch."
Ein kräftiger Junge zog an der Hand einer der Frauen. Seine Mutter? Er wippte hin und her. Warf seinen Kopf in den Nacken und pfiff durch seine Zahnlücke. Eborin stockte der Atem. Was tat er...wie konnte er .. wie konnte sie... Er wartete . Wartete darauf, das die Frau ihn maßregeln würde. Doch tat sie es nicht. Stattdessen schob sie ihn, ohne einen Blick von sich weg. Viel zu sehr vertieft in das Gespräch, als ihn weiter zu beachten. Der Junge richtete seine Braun-grüngestreifte Fliege. Gerade wollte Eborin sich wieder abwenden, da sah er was. Was, dass ihn nicht gefiel. Der Junge hatte nun ihn ins Auge gefasst und kam mit langsamen Schritten auf ihn zu. Ein freches...Unheil erahnendes Lächeln auf den Lippen. Hilfesuchend blickte er zu seiner Mutter. Auch ihr gefiel der Gedanke mit diesen Jungen zureden, oder was auch immer er im Schilde führte nicht. Sie rümpfte leicht die Nase. Dann schaute er an den Platz vor ihnen. Er war frei. Erleichtert atmete er auf und ließ sich mit vor die Tür ziehen. Doch die neu gewonnene Erleichterung blieb nicht lange. Leichte Angst stieg in ihm hoch. Zittern. Kribbeln. Nun war der Moment gekommen. Sie waren an der Reihe. Standen vor der riesigen Birkenholztür. Unnatürlich hell und geschmeidig schien sie ihm, als sie hindurch in eine kleine Vorhalle eilten. Indessen Mittestand eine kleine Säule. Nur wenige Personen waren in Halle geblieben. Musik. Leise drangen zarte Violinen Töne, Stimmen und das Gewirr an Schritten hinter zwei Türen hervor. Birkenholz. Weiß- silberne Wandteppiche. Weißer Kalkstein. Alles folgte einem Muster. Hell. Hell und Kalt. „Bescheidenheit ist nur ein Wort. Eine Floskel der Höflichkeit. Es gilt sich zu präsentieren. Zu beeindrucken." Worte die ihm bei diesem Bild klarer wurden. Etwas was Eborin nicht verstand. Doch war es nur eines von vielen Dingen. Er war noch ein Kind. Er sollte es nicht verstehen ... wollte es nicht. Auf der Säule stand eine Schale und daneben lag...ein Dolch. „Für einen neuen Morgen. Für einen neuen Anfang. Für ein neues Leben." In goldenen Buchstaben, zierte es den weißen Stein. Seine Aufmerksamkeit war gewonnen. Er lächelte und leicht leuchteten seine Augen. Sie traten heran. Von Nahem, staunte er mehr und mehr. Er war wunderschön. Nur selten,... zum ersten Mal hatte er so etwas erblicken dürfen... Eine so fein gearbeitete Waffe, sehen dürfen. Sie lag da. Direkt vor seinen Augen. Zum greifen nahe.... Die Klinge war aus hellen Silber und funkelte leicht im Licht des Raumes. Der Griff mit einem dunkelblauen und weißen Stoff umwickelt. Sonne und Mond . In geschwungenen Linien zogen sie sich über das untere Ende. Er konnte nicht anders. Er musste ihn ansehen. Er musste ihn einmal ... nur einmal berühren. Doch dann sah er in das Innere der Schale. Entsetzen. Seine Augen weiteten sich. Weit aufgerissen. Er zitterte leicht. Ihm war egal, dass ihm seine Züge gerade entglitten. Ihm war egal wie er wirkte. Es war nur eine Frage. Eine Frage, dessen Antwort er wissen wollte. Nicht wollte. Doch musste.
„Woher kommt...das Blut?"
Er wollte ... doch konnte nicht. Auf einmal war der Dolch nicht nur ein schönes Objekt ... er war eine Drohung. Eborin schluckte. Trocken. Er konnte nicht sprechen, nur sehen.
Rot.
Es löste ihn aus der Starre. Seine Mutter. Ihre Hand griff nach dem Silber. Sie trat an die Schale. Sein Herz schlug schneller. Unglaube. Was.... Sie zögerte nicht. Sie zögerte nicht. Zweifelte nicht. Sie war nicht wie wie er. Mit einem geübten Stich wurde es ihm klar.
Rot. Rot in Rot.
Sie hielt ihm den Griff hin. Fordernd. Er durfte nicht versagen. Er durfte nicht zögern. Eborin zitterte leicht.
Versuchte sich wieder zu fassen. Sein Herz schien als wollte es ihm aus der Brust springen. Heiß. Kalt. Schweiß lief ihm über die Stirn.
"Aufrecht, gerade, nicht zögern.",
sprach er sich selber zu. Seine Stimme bebte leicht. Er kniff die Augen zusammen, er wollte das nicht!
Es brannte leicht. Frisches Blut. Es rann seinen Arm hinab. Ihm war leicht schwummrig. Eborin sah die Schale. Und sah sie doch nicht. Die bereits mit Blut bedeckte, Schale. Schmutzig. Falsch. Schwarz. Eine Mondsichel. Eine Mondsichel war unter der roten Schicht zu erahnen.
Seinem Rot, ihrem Rot, anderen Rot.
Rot in Rot.
„Für einen neun Morgen. Für einen neuen Anfang. Für ein neues Leben."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top