33 Arany fésú

Dunkler Himmel und prasselnder Regen. Die Welt wirkte trüb und traurig. Und genauso fühlte er sich auch. Leer, verbraucht und…einsam. Der Baum, der über ihm aufragte war kahl vom Winter, die Blätter auf dem Boden nur ein Überbleibsel vom Herbst, als all die Bäume noch in den schönsten Farben geleuchtet hatten. Alessandro lehnte sich gegen den Stamm und atmete schwer aus. Langsam ließ er sich auf den Boden gleiten. Das Haar fiel ihm nass in die Stirn und Regen perlte von seiner nassen Haut ab. Man hätte vermutlich einen ganzen Eimer voll Wasser aus seinem Pullover wringen können. Es kümmerte ihn nicht, er spürte die Kälte kaum. Weder den Regen, noch die eisige Nachtluft. Es war so schrecklich. Er wollte Scarlett. Natürlich wollte er, das war ihm spätestens klar geworden, nachdem er das gefühlt hatte, was er gespürt hatte, als sie meinte, dass sie das neue Training dem alten bevorzugte. Besonders aufgrund seiner Stille. Und vielleicht würde er das auch immer bleiben. Still. In sich gekehrt. All diese Gefühle und Emotionen, die er die letzten Wochen in sich eingeschlossen hatte und vergessen wollte, prasselten jetzt auf ihn nieder, wie der Regen auf die Erde. Schluchzend schlug er sich die Hände vor das Gesicht… und weinte.

...

Er atmete tief durch. Er hob die Hand…und senkte sie wieder. Es war das erste Mal seit Langem, dass es wieder eine gute Nachricht gab. Na ja, gut war Definitionssache. Ach nein, was dachte er da, natürlich war es eine gute Nachricht. Er klopfte. Klopfte noch mal. Nichts.

Noch mehrmals hämmerte er seine Hand gegen die Tür, doch es schien niemand dort zu sein. Schnell kramte Matt sein Handy aus seiner Jeanstasche und wählte Scarletts Nummer. Es war früher Nachmittag, weshalb es seltsam war, dass sie nicht hier war.

»Matt?«, fragte Scarlett am anderen Ende. Ihre Stimme klang leicht und befreit. Anders, als es sonst der Fall war.

»Scarlett, ich hab ein paar wichtige Information.«, sagte er und bemühte sich, sie seine Freude nicht zu sehr spüren zu lassen.

»Oh, okay, was ist es denn?«

»Es ist endlich wieder ein Artefakt aufgetaucht!«, schrie er fast in den Hörer. »Komm sofort her, es geht nach Manhattan!« Er war noch nie in New York gewesen, aber er war sehr froh, jetzt die Chance dazu zu haben, einmal dorthin zu reisen. Wobei er sich sicher nicht nur um dieses magische Artefakt kümmern, sondern auch etwas Sightseeing machen würde.

»Kann das nicht warten? Ich bin gerade bei Kane.« Natürlich. Das hätte er sich denken können. Wo sollte sie schließlich sonst sein, wenn sie nicht in der Station war?

»Nein, das kann nicht warten.«, sagte er ruhig. »Ich möchte nicht, dass dieses Artefakt auch wieder verschwindet.«

Ein Seufzen war durch den Lautsprecher zu hören, doch dann sagte Scarlett, dass sie herkommen würde.

...

»Wird auch Zeit.«, murmelte Matt mit einem Blick auf die Uhr. Eine ganze Stunde hat es gedauert, bis Scarlett aufgetaucht war.

Sie trug nur eine seidige Bluse und eine zerschlissene Jeans. »Was für ein magisches Artefakt ist es, dass aufgetaucht ist?« Natürlich ging sie nicht auf seine Bemerkung ein, wäre ja auch zu schön gewesen.

»Es ist ein goldener Steckkamm mit fünfzig Prozent Magie. Er ist in einem Museum in Manhattan. Wir müssen also vorsichtiger sein als sonst.«, merkte er an. »Ich würde vorschlagen, dass wir nachts dorthin gehen, wir können die ganzen Besucher nicht gebrauchen.«

...

Gegen Mitternacht standen sie nun in Manhattan, vor dem Museum, in dem sich ein magischer Steckkamm befand. Es sah leer und unbewacht aus, aber das konnte täuschen. Matt wusste, wie gut solche Gebäude bewacht wurden. Sie hatten nur mit einem Portal eine Chance hinter die hohen Mauern zu gelangen. Matt konzentrierte sich auf sein Kairé, die rote Magie in seinem Inneren. Währenddessen nahm er alles um ihn herum nur zu deutlich wahr. Den säuselnden Wind und den Geruch der Abgase. Das gedämpfte Licht des Vollmonds, der am dunklen Himmel stand und wie ein Funke der Hoffnung im Meer der Verzweiflung wirkte. Die Magie, in ihm wach zu rütteln, fühlte sich berauschend an, gewaltig und außergewöhnlich. Doch gleichzeitig auch gefährlich und bedrohlich. Als er dieses Gefühl zum ersten Mal wahrgenommen hatte, hatte es ihm Angst eingejagt und Panik beschert. Mittlerweile hatte er jedoch keine Probleme mehr damit, und er fühlte sich gut dabei.

Seine Augen leuchteten auf, er sah, wie ihr Licht den gepflasterten Gehweg erhellte, als vor ihm und Scarlett einer dieser kleiner Wirbelstürme entstand, der sie in dieses Museum bringen würde.

Im Inneren des Gebäudes herrschte Dunkelheit, stockfinstere Schwärze. Es war fast unmöglich sich zurechtzufinden, aber ein Licht konnten sie nicht riskieren. Wenn jemand es sah, wären sie geliefert. Also packte er Scarletts Handgelenk und tastete sich im Dunkeln voran.
Jedes Mal, wenn sie vor einer Vitrine standen, blieb Matt stehen, um näher heranzutreten und die Gegenstände in dieser genauer zu betrachten. Und jedes Mal, wenn er das tat. Jedes Mal, wenn er mit Hoffnung nach dem Kamm sah. Dann…war da nichts. Nichts, was für ihn und Scarlett und die Hüter von Bedeutung wäre. Er schlich mit Scarlett immer weiter durch das Museum, doch er glaubte nicht mehr wirklich daran, dass sie fündig wurden. Vielleicht war das Artefakt längst verschwunden, wie die anderen. Und selbst wenn nicht, war das Museum zu groß, um jede Vitrine genau zu betrachten. Sie müssten bis zum Morgengrauen von hier fort, oder sie riskierten, hier gefunden zu werden.

Plötzlich war aus der Ferne ein Geräusch zu hören. Ein Pfeifen, eine fröhliche Melodie, die in der Luft schwebte. Er zerrte an Scarlett, sie verstand sofort und sie rannten beide über den glatten Steinboden. Doch das war genau das Problem. Der Boden war glatt wie Eis, im Tageslicht hätte er sicher geglänzt, so poliert, wie er war. Matt bemühte sich so schnell er konnte zu rennen, seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, sodass er wenigstens nicht mit Ausstellungsstücken zusammenstieß. Er hörte wie Scarlett hinter ihm her hechtete, vielleicht war allein das Geräusch ihres schnell gehenden Atems zu laut. Aber darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen, er musste sich auf das Laufen konzentrieren, schnell und immer schneller. Er meinte, einmal einen Zauber, um Schnelligkeit zu erlangen, von den Hütern gezeigt bekommen zu haben, jedoch hatte er momentan nicht die Ruhe und die Zeit dafür, sich an ihn zu erinnern. Zumal er nicht einmal mehr wusste, wie genau dieser Zauber funktionierte, ob mit reiner Gedankenkraft oder zusätzlichen Gegenständen. Also lief er nur immer weiter, seine Beine trugen ihn zügig über den Boden. Irgendwann merkte Matt, dass er zu schnell wurde, dass er keine Kontrolle mehr hatte. Er spürte, wie seine Füße einen Moment lang über den Boden schlitterten, dann das Gleichgewicht verloren und er mit einem dumpfen, schallenden Knall auf dem Fundament des Museums aufkam. Der länge nach lag er auf dem Boden. Er wollte sich wieder aufrappeln und weiter rennen, da derjenige, der dort gewesen war, dieses Geräusch nicht überhört haben konnte. Eine metallisch schmeckende Flüssigkeit ergoss sich in seiner Kehle, als er sich bewegte, doch er ignorierte es. Er konnte sich später darum kümmern, sie mussten erst einmal von hier wegkommen. Als Matt sich jedoch vom Boden ab stieß, knickte sein rechtes Bein weg. Heiß wie Feuer schoss der Schmerz durch sein Bein, während er erneut auf dem Boden landete.

»Fuck!«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Das kann doch nicht wahr sein!«

Es kümmerte ihn nicht mehr, dass man ihn gehört haben musste, wer auch immer hier war, hatte sowieso längst mitbekommen, dass sich jemand im Museum befand.

Er setzte sich langsam auf, was allein schon höllische Schmerzen durch sein Bein jagte. Glücklicherweise war hinter ihm eine Wand, an die er sich lehnen konnte. Der Drang weiter zu rennen existierte jetzt nicht mehr, er wollte bloß, dass diese Schmerzen aufhörten. Mit aller Kraft versuchte er, sein Kairé zu beschwören, doch nicht einmal das gelang ihm. Er schaffte es nicht, sich auf die Magie zu fokussieren, die in ihm ruhte, dafür waren die Schmerzen zu stark.

»Matt.«, hörte er eine besorgte Stimme flüstern.

Scarlett tauchte vor ihm auf, allerdings konnte er sie nicht wirklich erkennen, da sein Blick sich langsam verschleierte. Er wusste nicht, wie stark man sich einfach durch einen Sturz verletzen konnte. Er musste echt ziemlich blöd aufgekommen sein, anders konnte er sich das nicht erklären.

Plötzlich schoss dieser grauenhafte Schmerz wieder durch sein Bein. Das, was ihn quälte, waren Scarletts Finger, die sanft über sein Knie fuhren. Es fühlte sich an wie Eis auf Feuer, wie Feuer auf Eis. Brennend und zugleich eiskalt. Er konnte kaum noch ausmachen, was um ihn herum geschah, aber er sah, wie das Schwarz von Scarletts Augen aufleuchtete. Wobei es mehr wie eine strahlende Finsternis wirkte, als wie ein wahrhaftiges Leuchten.

Allmählich ließ das Pochen in seinem Bein nach und der Schmerz verschwand. Er kam wieder zu sich und konnte wieder scharf sehen. Als er allerdings mit der Hand über sein Gesicht fuhr, merkte er, dass es feucht war. Es war das dickflüssige Blut, das an Matts Mundwinkeln herab lief.
Als Scarlett erneut näher an ihn heran trat und ihre Augen wieder auf diese unheimliche Weise glühten, meinte er: »Ist schon gut. Wir sollten als erstes lieber von hier verschwinden.«

Er stand auf, seine Beine zitterten, aber er ließ sich nichts anmerken. Doch als Matt wieder stand, hörte er eine Stimme hinter sich.

»Was wollt ihr hier?« Es war die Stimme eines jungen Mannes.

Als Matt sich umdrehte, sah er, dass dieser den goldenen Steckkamm, nach dem sie die ganze Zeit gesucht hatten, in den Händen hielt.

Er musste wohl gestarrt haben, denn der Fremde sagte: »Oh.« Er lachte kurz. »Ihr wollt den Arany fésú.« Er drehte den Kamm zwischen den Fingern und begutachtete ihn mit einem hochmütigen Lächeln.

Arany fésű. Das war der Name des magischen Steckkamms, wusste Matt. Denn er war nicht nur irgendein magisches Artefakt. Artefakte, die sehr alt waren, wurden oft mit Namen betitelt, meist in der Sprache des Landes, aus dem sie stammen. Dieses hier war offensichtlich aus Ungarn.

»Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt.«, fuhr der Fremde fort, er war vielleicht um die zwanzig. »Mein Name ist Sije Evers, oberster Jäger der Savior of Magic. Und da ihr anscheinend den Hütern angehört, habe ich wohl gar keine andere Wahl, als euch aus dem Weg zu räumen.« Er sah sie gar nicht wirklich an, sondern blickte weiterhin auf den goldenen Kamm zu seinen Händen. »Nehmt das bitte nicht persönlich.«

Und dann blickte er Matt direkt ins Gesicht und ließ seine Augen silbern leuchten. Alles in Matt versteifte sich, dieser Dreckskerl verfügte über Magie. Sofort ließ Matt sein Kairé aufblitzen, allerdings wusste er nicht einmal, was er wirklich tun sollte. Er konnte doch nicht einfach jemanden angreifen…oder?

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Sijes Augen immer heller zu leuchten schienen, im Gleichklang mit dem Arany fésú. Aus diesem strahlte nun ein gleißendes goldenes Licht, das auf ihn und Scarlett fiel. Er fühlte sich unwohl, irgendwie seltsam. Er versuchte einen Zauber zu beschwören, um diesen Steckkamm zu vernichten…aber nichts geschah. Er versuchte es wieder und wieder, doch seine Magie schien wie ausgelöscht. Er blickte auf seine Hände, die ein rotes Glühen von sich geben sollten, allerdings taten sie das nicht. Er konnte kein Fünkchen Magie in sich wahrnehmen, als würde er überhaupt keine mehr besitzen. Er sah Scarlett an, der es ähnlich zu gehen schien. Auch sie sah verwirrt aus.

»Ach, ihr wisst gar nicht, wozu unser lieber Freund hier fähig ist, nicht wahr?«, redete Sije in sanften Ton, der Matt nur noch mehr provozierte. »Wenn ihr von ihm angestrahlt werdet, entzieht er euch eure Magie. Die Wirkung hält leider nur ein paar Stunden an. Je länger ihr allerdings seinem Licht ausgesetzt seid, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eure Magie nicht mehr zurückkehrt.« Das gekünstelte Lachen, das er nun von sich gab, war grauenvoll triumphierend.

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