2 Verflucht
Sie wischte sich mit einem Tuch die Tränen vom Gesicht. Ihr war nun bewusst, dass sie nicht nur unter Schlafmangel litt, denn zumindest konnten Amanda und Samantha es auch sehen.
Ihr fiel der Traum von letzter Nacht wieder ein und sie fragte sich, ob es womöglich kein Traum gewesen war. Die Klingel läutete und Scarlett musste zum nächsten Unterricht, jedoch fühlte sie sich momentan einfach nicht in der Lage dazu und beschloss fürs erste hier zu bleiben. Schließlich wussten ihre Freundinnen wo sie war und daher würde es auch nur eine Frage der Zeit sein bis sie hier aufkreuzten.
Wasser tropfte aus den undichten Rohren und erzeugte plätschernde Geräusche. Draußen konnte man Autos und Wind hören. Es roch nach abgestandener Flüssigkeit und Rost.
Plötzlich waren klackende Geräusche zu hören: Schritte. Jemand war auf dem Weg hierher. Scarlett lugte durch das kleine Sichtfenster oberhalb der Tür und entdeckte ein Mädchen, welches sie auf circa dreizehn Jahre schätzte.
Sie musste sofort weg von hier. Ansonsten würde sie für die kaputten Kabinen verantwortlich gemacht werden. Sie wusste, dass man für seine Fehler einstehen musste, jedoch wusste sie weder wie das hier geschehen war, noch hatte ihre Mutter das Geld die Reparatur zu bezahlen. Am anderen Ende des kleinen Durchgangs vor den Kabinen, gab es ein Fenster, welches einen Spalt weit geöffnet stand. Wenn sie es ein Stück weiter öffnete, könnte sie es schaffen noch rechtzeitig von hier zu verschwinden.
Die Schritte des Mädchens kamen näher, während Scarlett versuchte das Fenster weiter auf zu drücken. Sie warf sich noch ein letztes Mal mit aller Kraft dagegen, wodurch es endlich aufschwang. Zum Glück befanden sich die Toiletten im Erdgeschoss und sie konnte einfach die Beine über die Fensterbank ins Freie schwingen.
Sie war gerade hinab gestiegen, als sie auch schon hörte wie die Tür geöffnet wurde. Scarlett ging den Pfad hinab der sich vor ihr erstreckte. Als sie ein kleines Stück Wiese bemerkte, steuerte sie darauf zu. Sie betrachtete die vielen verschiedenen Bäume und Büsche die, die Ränder der Wiese zur Stadt hin säumten.
An einer Stelle hinter einem Busch setzte sie sich einfach auf den Boden und atmete einmal tief durch. Was soll ich bloß tun? Mich für immer hier verstecken? Nein. So bin ich nicht…
»Hey?Was machst du denn da auf dem Boden?« Es war die Stimme eines Jungen, der nicht viel älter als Scarlett zu sein schien.
Als sie aufblickte erkannte sie, dass der Junge dunkelblonde Haare hatte, die vermutlich frisch geschnitten waren und sie aus bernsteinfarbenen Augen musterte. Außerdem war er relativ breit gebaut und man konnte selbst aus größerer Entfernung die Muskeln unter dem Stoff seines Shirts erkennen.
Er war jedoch nicht allein, neben ihm stand noch ein Junge, er schien ungefähr genauso alt zu sein, hatte jedoch schwarze anstelle von blonden Haaren. Seine Augen waren ein Anblick für sich, denn sie hatten unterschiedliche Farben. Eines war Grün, das andere Braun. Er war nicht so muskulös, wie der andere, sah jedoch auch nicht unsportlich aus.
»… Vielleicht sollte ich besser fragen was ihr hier macht?«, sagte Scarlett um nicht auf die Frage eingehen zu müssen.
»So läuft das nicht. Ich habe dich zuerst gefragt«, entgegnete der Dunkelblonde.
»Also gut«, gab Scarlett sich geschlagen. »Ich denke zwar nicht, dass ihr mir glauben werdet, aber wenn ihr so erpicht darauf seid, zu hören wieso ich hier sitze, dann sollt ihr es doch wissen.«
»Ich denke nicht, dass du uns in irgendeiner Hinsicht überraschen wirst.« Erneut sprach der Junge mit den Bernsteinfarbenden Augen. Scarlett verdrehte die Augen, begann dann aber zu erzählen.
...
Sie berichtete von ihren Händen, die plötzlich zu glühen anfingen und ihren Augen die in einem gleißenden blauen Licht geleuchtet hatten. Als sie fertig war entdeckte sie jedoch weder Überraschung, noch Spott in den Gesichtern der Jungs. Es war so, als ob sie schon geahnt hätten, was sie ihnen erzählen würde. Trotz dessen waren sie anscheinend verblüfft, während sie von ihrer Flucht erzählte.
»Falls ihr jedoch vor habt mich zu verpetzen, werde ich die nächst beste Gelegenheit abpassen, es euch heimzuzahlen.« Scarlett glaubte zwar nicht, dass diese zwei sie deshalb danach gefragt hatten, wollte aber lieber sicher gehen, dass keine böse Überraschung auf sie wartete.
»Ich hab's dir doch gesagt.« Zum allerersten Mal meldete der schwarzhaarige Junge sich zu Wort, auch wenn er nur mit dem anderen zu sprechen schien.
»Okay. Was ich dir gleich zeigen werde, wird dich vielleicht im ersten Moment schockieren, aber vertrau mir, du wirst bald mehr verstehen.« Der dunkelhaarige blickte aus seinen zweifarbigen Augen auf sie herab. Er zupfte mit einer Hand an seinem Shirt herum, was neben seiner angespannten Stimme, nur noch mehr zeigte, wie nervös er war. Weshalb er das jedoch war, konnte Scarlett sich nicht erklären.
Auf einmal war das Scarlett aber alles vollkommen egal, denn was sie nun sah, ließ ihr die Spucke im Mund trocken werden. Der Junge schloss seine Augen, aber nur kurz. Er schien sich zu konzentrieren, oder eher zu fokussieren. Als er die Lider wieder aufschlug, blickte sie allerdings nicht mehr in ein grünes und ein braunes Auge, sondern in zwei gelbe Augen die leuchteten, wie goldene Glühwürmchen, die zu viel von dem lumineszierenden Licht in sich trugen, was sie glühen ließ.
Ehe sie sich wieder fassen konnte, begann die Erde unter ihnen zu zittern und ein Riss bahnte sich seinen Weg durch den Boden, welcher schlussendlich einen Kreis um die Drei zog.
Als dieser vollendet war hörte das Beben auf und die Augen des schwarzhaarigen Jungen, nahmen wieder ihre normalen Farben an.
»Du…du bist auch… verflucht?«, fragte Scarlett in einem für sie sehr zögerlichen Ton. Die beiden Jungs lachten allerdings nur spöttisch.
»Verflucht?!«, fragte der Junge mit den verschieden farbigen Augen, der immernoch gluckste vor Lachen.
»Du denkst du seist verflucht?Vermutlich jeder andere Mensch auf dieser Welt würde alles tun, um an deiner Stelle zu sein.« Langsam wurde er wieder ernst, konnte sich das schmunzeln bei Scarletts verblüfften Gesichtsausdruck jedoch nicht verkneifen.
»Wir sind genau wie du…«, der Dunkelblonde hatte wieder das Wort ergriffen.
»Scarlett«, sagte Scarlett, als sie bemerkte, dass er darauf wartete, dass sie ihren Namen nannte.
»Scarlett«, wiederholte er und diesmal in einem sanfteren Ton, der beinahe schon freundlich klang. »Wenn du mit uns kommst können wir dir zeigen was es damit auf sich hat und dir helfen deine Kräfte zu kontrollieren.«
Nach einer kurzen Pause in der keiner von ihnen etwas sagte ergriff der Bernsteinäugige erneut das Wort.
»Ich bin übrigens Matthew, aber du kannst mich ruhig Matt nennen. Und das da«, er deutete auf den den sportlichen Jungen mit den schwarzen Haaren.»ist Alessandro.«
»Okay. Matt.«, sagte Scarlett.
»Ich weiß zwar nicht was hier läuft, aber es kann unmöglich real sein. Vielleicht träume ich das alles nur, der erste schräge Albtraum wäre das zumindest nicht.« Denn so einen hatte ich letzte Nacht schon…führte sie die Sätze innerlich fort. Bei dieser Situation musste sie einfach wieder an den vergangenen Abend denken. Bei diesem Gedanken lief ihr immer noch ein Schauer über den Rücken. Aber es war doch bloß ein Traum, wieso machte dieser ihr solche Angst, wo sie doch sonst nie so ängstlich war? Schließlich war sie diejenige gewesen die in der Grundschule sich als einzige getraut hatte vom Drei-Meter-Turm zu springen. Sie war diejenige, die sich nie vor der Dunkelheit gefürchtet hatte. Und auch war sie diejenige, die schon öfter als jeder andere in ihrem Alter die Schule geschwänzt hatte. Da sie aber keine schlechten Noten wollte, tat sie dies normalerweise nur, wenn sie wusste, dass auch niemand mit ihrer Anwesenheit rechnete. Beispielsweise, wenn sie am Vortag Krank gewesen war.
»Denkst du ernsthaft dein Gehirn wäre dazu im Stande, sich das alles hier nur auszudenken? Von den zwei Bildhübschen Typen hier vor dir Mal abgesehen.« Matt schien zu scherzen und gleichzeitig eine ernste Frage stellen zu wollen, was Scarletts Ansicht nach nicht sonderlich gut zusammen passte.
»Na schön, wenn ihr mir wirklich weismachen wollt, dass das gerade wirklich geschieht, dann sagt mir was mit mir los ist.« Scarlett war das ganze drumherum Gerede satt und wollte endlich Antworten. Sie wusste, dass sie vermutlich nicht schlief, aber wie sollte sie die Zwei denn sonst zum Reden bewegen?
»Hier können wir die keine Antworten geben, aber falls du nichts besseres vorhast, können wir dich zu einem Ort bringen, an dem auf all deine Fragen, eine Antwort erhalten wirst.« Alessandro war es, der dieses Mal antwortete. Scarlett konnte sich ihre Namen glücklicherweise auf Anhieb merken, sie hatte noch nie Probleme gehabt sich Namen einzuprägen. Leicht auseinander zu halten waren sie zumindest alle Male. Sie hatten kaum etwas gemein, außer das sie vermutlich beide Sport trieben und dazu neigten, nicht gerade höflich zu Fremden zu sein.
»Ja, habt ihr vorhin schon einmal erwähnt.«, bemerkte Scarlett spitz.»Aber gut. Ich komme mit euch.«, sagte sie etwas entschlossener, als sie eigentlich war.
»Kann ich wohl nur hoffen, dass ihr keine Serienmörder seid«, murmelte sie noch, während sie sich aufrappelte. Jedoch schien weder Matthew, noch Alessandro, den Kommentar zur Kenntnis genommen zu haben.
Sie folgte den beiden eine ganze Weile lang, in der die zwei sich anscheinend über irgendwelche Witze tot lachten. Scarlett konnte diese nicht hören, da sie ein paar Meter hinter ihnen lief. Wenigstens drehten sich abwechselnd Matt und Alessandro nach ihr um. Scarlett fragte sich, ob sie wirklich glaubten, dass sie einfach so davon lief, schließlich war sie ihnen freiwillig gefolgt.
Mitten in einem Stück Wald blieben Matthew und Alessandro abrupt stehen, sodass Scarlett fast in sie reingelaufen wäre. Sie überlegte kurz, ob es vielleicht etwas damit zu tun hatte, dass sie sich anscheinend gerade eben gestritten hatten.
»Wir sind da.«, sagte Alessandro, der ihren fragenden Ausdruck bemerkt hatte.
»Ein Wald. Aha.« Scarlett war wenig überzeugt davon, dass sie hier am richtigen Ort waren.
»Vielmehr, unter dem Wald.«, meinte Matt und Scarlett merkte, dass ihre Unwissenheit ihn scheinbar amüsierte.
Daraufhin zückte er aus einer Tasche in seiner Jeans einen Schlüssel. Ein goldener Schlüssel, welcher mit vielen glänzenden und glitzernden Steinchen verziert war. Dann bückte er sich, dabei rundete er den Rücken und die Knochen seiner Wirbelsäule stachen heraus.Er steckte den Schlüssel in ein Loch in der Erde,wo dieser hagenau hinein passte. Scarlett selbst hätte das Loch niemals bemerkt.
Matthew drehte den Schlüssel und packte eine Erhöhung, die man nun deutlich erkennen konnte. Er stemmte die Erde, zwischen der sich ein Riss gebildet hatte nach oben und eine Art Tür wurde erkennbar. Unter dieser befand sich allerdings nur ein schwarzes Loch.
»Lasst uns reingehen.«, sagte Matt mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Und dann, sprang er einfach ohne ein weiteres Wort in diesen dunklen Schacht. Zwar war Scarlett nicht wohl dabei, aber anscheinend konnte man ja einfach ohne weiteres dort hinab springen.Sie ging einen Schritt darauf zu, wurde aber sofort gestoppt. Sie blickte hinter sich und sah, dass Alessandro ihren Arm gepackt hielt.
»Nicht«, sagte er und schaute in Richtung des Loches. Dann blickte er wieder zu Scarlett und musterte sie aus seinen zweifarbigen Augen.»Du solltest da nicht runter springen, es sei denn du möchtest dir ein paar üble Knochenbrüche, wenn nicht sogar den Tod zu ziehen.«
»Matt ist doch auch gesprungen und ich bezweifle, dass er das getan hätte, wenn er dabei sterben könnte.« Scarlett war diese ganze Diskutiererei satt. Was war schon dabei? Was Matt konnte, konnte sie erst Recht.
»Matt ist ausgebildet, du nicht. Der Schacht geht achtzehn Meter tief und denkst du wirklich, dass du das riskieren willst?« Was Alessandro sagte klang verrückt für Scarlett, niemand konnte einen Sprung aus achtzehn Metern Höhe ohne Verletzungen überleben. Ausbildung hin oder her.
Alessandro seufzte.
»Komm. Ich zeig dir einen anderen Weg. Matthew sollte eigentlich wissen, dass du diesen Weg nicht nehmen kannst.« Er wirkte erschöpft und hatte vermutlich keine Lust mehr sie weiter zu überreden.
»Zumindest noch nicht.«, fügte er nach kurzer Zeit dennoch hinzu.
Scarlett folgte ihm, jedoch nicht lange. Während des Weges redete keiner von ihnen. Doch es schien auch so, als wollte keiner von beiden etwas daran ändern.
Auch an diesem Ort im Wald war wieder nichts besonderes zu erkennen. Und auch hier gab es wieder ein unscheinbares Schlüsselloch im Boden, in das Alessandro einen silbernen Schlüssel steckte. Dieser war allerdings viel schlichter als der vorherige, den Matthew genutzt hatte. Genauso wie vorhin ließ sich damit eine Tür öffnen. Unter dieser war jedoch kein schwarzes nichts, sondern eine Treppe aus grauem Gestein.
Alessandro nahm die ersten Stufen, drehte sich dann aber nochmal um, denn Scarlett stand immernoch an der selben Stelle und starrte die Treppe hinab.
»Komm. Diesmal kann dir nichts passieren.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen, was Scarlett unglaublich attraktiv fand. Ich kenn ihn doch nicht mal, wie kann ich ihn nur so unglaublich gut finden… , dachte Scarlett und versuchte den Gedanken daran beiseite zu schieben.
Die Wendeltreppe wirkte unendlich lang. Wie eine Abwärtsspirale, bei der das Ende in der Tiefe der Dunkelheit gänzlich versank. Doch irgendwann waren sie endlich am Ende angelangt. Es war ein kleiner Raum, in dem es kein Licht zu geben schien. Dann aber öffnete Alessandro eine Tür und dahinter kamen große Räumlichkeiten zum Vorschein. Licht, das aus den LED Lampen der Decke auf sie hinab schien, verlieh dem Ort etwas unwirkliches. Sie schienen sich aber nur in einer Art Flur zu befinden, denn was Scarlett sah, war nur ein langer hell erleuchteter Gang an den unzählige Türen grenzten. Die Wände waren mit goldenen Verzierungen gesäumt und wirkten sehr modern. Ebenso wie der Boden, der aus einem Kunststoff ähnlichem Material zu bestehen schien.
»Willkommen in der Station.« Alessandro sagte es sehr feierlich, so als ob er schon die ganze Zeit darauf gewartet hatte, das zu sagen.
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