17 Déjà-vu?

Matt schritt durch die Flure, geradewegs auf das Zimmer seines Vaters zu. Er wollte Antworten, denn was mit diesem Mann passiert war, war unentschuldbar. Er musste wissen, ob sein Vater etwas damit zu tun hatte und wenn ja, warum? Scarlett hatte er weggeschickt, er war ihr dankbar, dass sie ihn mitgenommen hatte, aber das, musste er selbst machen.

Er klopfte.
»Herein.«, kam es aus dem Inneren.
Matt öffnete die Tür, die leicht quietsche. Sein Vater saß an seinem Schreibtisch und starrte auf seinen Laptop. Er drehte sich um, als er Matt erblickte, klappte er den Laptop zu.
»Dad, können wir reden?«, fragte er vorsichtig und blickte dabei gen Boden.
»Ja, nur nicht jetzt. Ich muss noch was erledigen, später können wir reden.«, sagte Ryan Lyall in freundlichem Ton.
»Es ist wichtig, ich würde gerne jetzt mit dir sprechen.«

»Tut mir leid, Matthew, aber das muss jetzt erstmal warten.«
»Nein. Jedes Mal, wenn ich etwas von dir wollte, hast du es nach hinten verschoben. Ich habe lang genug gewartet, du warst nie für mich da. Nur damit du es weißt, dieses Mal, werde ich nicht warten.« Matts Augen blitzten seinen Vater zornig an. »Ich muss einfach wissen, wieso du in diesem Haus warst, warum bist du in einem Gebäude, wo ein Mensch ermordet in seinem Büro liegt?!« Verzweiflung sprach aus seiner Stimme.

»Matthew, woher weißt du davon. Hast du mich etwa ausspioniert?« Diesen Vorwurf zu hören, traf Matt ziemlich hart. Zumal er in der jetzigen Situation, wohl nicht einmal in der Position war, ihm Vorwürfe zu machen.
»Das spielt keine Rolle. Das wichtigste ist, was du dort zu schaffen hattest! Ich will es wissen.«, schrie Matt ihn an, voll bitterer Wut. »Jetzt!«
Ryan Lyall seufzte. Daraufhin setzte er zu einer Antwort an.

»Matthew, es ist wichtig, dass das unter uns bleibt, wir wollen niemanden beunruhigen.« Er machte eine kurze Pause und sah Matt in die Augen. Dann nahm er einen Schluck Kaffee, aus der Tasse neben seinem Laptop und sprach weiter. »Es ist nicht der erste dieser Mordfälle, am Anfang dachten wir noch es sei Zufall. Doch mittlerweile Weile sind ich und die anderen Hüter uns sehr sicher, dass dabei Magie im Spiel war. Wir wissen nicht genau wer, wie und warum jemand das getan hat, dennoch ist es wichtig, dass wir in nächster Zeit vorsichtig sind.

Momentan durchforste ich das Internet nach Hinweisen, allerdings habe ich bis jetzt keinen Treffer.«,erklärte er, was ihm sichtlich schwer fiel. Als er Matts Gesichtsausdruck bemerkte, der nur allzu gut spiegelte, wie es in seinem Kopf schon arbeitete und nach einer Lösung suchte ergänzte er noch etwas. »Ich werde mich darum kümmern, mach dir keine Gedanken und forsch nicht weiter nach.« Ein sanftes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. »Und jetzt würde ich gerne meinen Recherchen weiter nachgehen, also wenn du nichts dringendes mehr zu besprechen hast…« Seine Augen bewegten sich in Richtung Tür. Etwas widerwillig verließ Matt den Raum.

Es war der nächste Tag angebrochen und zum xten Mal betrachtete Scarlett sich ohne Kontaktlinsen im Spiegel. Ihre Augen und auch sie selbst war sich so fremd, wie nie zuvor, sie wollte keine Auserwählte mehr sein und einfach in ihr Leben zurück, was man ihr so einfach genommen hatte.
Voller Wut und Frust ballte sie die Fäuste und schlug auf den Spiegel des Badezimmers ein. Dieser zersprang scheppernd und die glänzenden Stücke, die nun von Blut getränkt waren, fielen zu Boden. Langsam zog sie ihre zitternde Hand zurück. Viele Schnittwunden zogen sich darüber, aus welchen glänzendes Blut drang und über ihre Hand in Richtung Boden hinab rann.

»Scarlett? Bist du da?«, schallte eine Stimme von der Tür.
Rasch nahm Scarlett sich ein Tuch und wischte das Blut fort. Allerdings quoll sofort wieder neues aus den Wunden. Somit ließ sie die Tür einfach verschlossen.

»Ja, was ist?«, fragte sie so unbekümmert, wie möglich.
»Matt wollte, dass ich dir etwas zeige, er ist schon dort.« Erst jetzt bemerkte sie, dass es Alessandro war.
»Okay, ich komme gleich.«
Was wollten die Zwei jetzt bloß von ihr? Zügig zog sie sich um und legte neue Kontaktlinsen ein.

Als sie die Tür auf zog, lehnte Alessandro an der gegenüberliegenden Wand und sah gelangweilt durch den Raum. Während er sie bemerkte, kam er auf sie zu. Darauf sah er die Schnittwunden in ihrer Hand und sein Blick veränderte sich.

»Was ist passiert?«, fragte er vorsichtig.
»Nichts.«
Behutsam nahm er ihre Hand und betrachtete sie. Dann zog er einen kleinen Splitter daraus, welcher noch in der Wunde hing. Eingehend musterte er den kleinen glänzenden Splitter. Daraufhin ließ er Scarlett stehen und marschierte auf ihr Zimmer zu. Mit Schwung riss er die Tür auf und ging schnurstracks ins Badezimmer. Scarlett folgte ihm und sah seinen entgeisterten Gesichtsausdruck, als er den zerbrochenen Spiegel und all das Blut sah.

»Scarlett was…was hast du getan?!« Seine Stimme war nur noch ein flüstern.
»Ich…«,setzte sie an und blickte ihm direkt in die Augen. Diese herrlichen Augen, die sie immer noch so anzogen.»Ich kann das einfach nicht mehr…«
Ganz langsam kam er auf sie zu, legte behutsam die Arme um sie und zog sie sachte an sich. Scarlett vernahm seinen Duft, seine Wärme. Auch, wenn er sie nicht mochte, spendete er ihr in diesem Moment Trost. Er war da, half ihr. Eine Stütze die sie momentan einfach brauchte, auch wenn er keines ihrer Probleme lösen konnte.

»Wieso hast du mir das nicht gesagt?«, flüsterte er ihr zu.
Scarlett schwieg. Was sollte sie auch darauf erwidern? Da sie ihm nicht mehr vertraute? Weil er ihr ohnehin nicht helfen konnte?
»Du brauchst nichts zu sagen, ich kenne die Antwort ohnehin.«, unterbrach er die Stille. »Dennoch hoffe ich, dass du mir eines Tages wieder vertrauen können wirst.«

Seither, hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Es war alles gesagt worden. Scarlett und Alessandro waren auf dem Weg zu Matt. Sie hatte keinen Schimmer, was er ihr und Alessandro zeigen wollte. Doch es musste wichtig sein, wenn er sie so schnell her bestellte.

Sie gingen auch an Kanes Haus vorbei. Kurz warf sie einen Blick dorthin, ob es ihm gut ging? Ob er er es verkraftet hatte, sie einfach gehen zu lassen? Wie auf Kommando öffnete sich die Tür und Kane trat heraus. Scarlett hoffte er würde sie nicht bemerken, doch es war schon zu spät. Rasch kam er auf die andere Straßenseite hinüber und Scarlett verkrampfte sich. Es kam ihr vor, wie ein Déjà-vu, wie damals, als sie ihn zum ersten Mal besucht hatte. In seinen honig gleichen Augen lag Freude, doch diese wich sofort der Sorge, als sein Blick auf ihre verletzte Hand traf.

»Scarlett, was ist passiert?«, fragte er und inspizierte ihre Hand. »Ich habe mir so Sorgen gemacht, seit du gestern gegangen bist.«

»Dürfte ich fragen, wer er ist und woher du ihn kennst?« Erst jetzt fiel Scarlett wieder auf, dass sie mit Alessandro unterwegs war.
»Kane Young.« Er reichte Alessandro lächelnd die Hand.
Alessandro hingegen runzelte nur die Stirn.

»Alessandro De Santis.«, stellte er sich vor, immer noch misstrauisch.
Kane schien schien in diesem Moment etwas klar zu werden und er ließ seine Augen kurz grün aufblitzen. Alessandro riss kurz verblüfft die Augen auf, beruhigte sich dann aber wieder.
»Ich komme aus London. Ist nicht so leicht, wenn niemand british english spricht.« Er lächelte.

Darauf schlang er die Arme um Scarlett und legte seine Lippen auf ihre. Es geschah unfassbar schnell, sodass sie sich gar nicht dagegen wehren konnte und sich in ihm verlor. Seinem Duft, seiner Wärme, seinem rasenden Herz, das unter ihren Händen pulsierte. Seine Haarspitzen strichen durch ihr Gesicht, seine Hände fühlten ihre Arme entlang. Sie spürte seine Zunge, die stark nach ihrer verlangte, seine Augen auf ihr, die wie immer glänzten und die Gefühle in ihm zeigten.

Kurz löste er sich von ihr. Sein Atem ging schnell, sein Puls raste. Kurz warf sie einen Blick zur Seite und sah aus den Augenwinkeln, dass Alessandro noch da war. Sein Gesichtsausdruck war mehr als verblüfft.

»Da hast du ja schnell Ersatz gefunden.«, sagte er nur, immer noch nicht gefasst.
Es schien sogar so, als würde es ihm etwas ausmachen, dass sie jemand neues gefunden hatte. Kane sah kurz etwas verwirrt aus, schien sich dann aber wieder zu beruhigen. Von hinten schlang er die Arme um Scarletts Schultern.

»Und? Hast du damit ein Problem?«, fragte er spöttisch.
Langsam wurde Scarlett die Situation unangenehm, sie war nicht mit Kane zusammen und Alessandro hat nie etwas für sie empfunden. Wozu also dieser Streit?

»Nein, wieso sollte ich?«, fragte Alessandro scheinheilig.
»Gut, dann können wir doch jetzt gehen.«, meinte Scarlett, die möglichst schnell weg wollte.

Sie hakte sich etwas angespannt bei Alessandro ein und riss ihn mit ihren raschen Schritten fort. Ein letztes Mal warf sie Kane noch einen Blick zu, warm und liebevoll, dann drehte sie sich nach vorne.

Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis Alessandro vor einem kleinen Haus stehen blieb. Jedoch war Scarlett sich nicht einmal sicher, ob man es noch als solches beschreiben konnte. Die Rolläden lagen zerfetzt auf dem gepflasterten Boden. Aus den Rissen zwischen den Steinen wuchs eine große Menge an Unkraut, und nicht nur das zeigte, wie heruntergekommen das Gebäude war. Die Fenster waren schmierig und milchig, der Beton bröckelte an mehreren Stellen. Dachziegel lagen zerbrochen vor der Tür, welche kaum noch Farbe trug und von der Sonne geblichen war. Andere Häuser gab es keine in der Nähe. Fast wie ein Friedhof, dachte Scarlett.
»Und du bist dir sicher, dass Matt dir diese Adresse genannt hat?«, fragte sie Alessandro leicht beängstigt.
»Ja.«, sagte er, wirkte jedoch auch unsicher.

Langsam bewegte Scarlett sich auf die hölzerne Tür zu, die nur noch bedingt mit grüner Farbe gestrichen war. Sie drückte die Klinke runter, deren Metall sich kalt, wie Eis anfühlte. Die Scharniere quietschen laut und unheimlich. Der Raum hinter der Tür war leer und dunkel. Sie drückte den Lichtschalter, der sich oberhalb eines kleinen Schränkchens befand. Eine einzelne Glühbirne erhellte den Flur mit ihrem warmen gelben Licht. Allerdings war es weit entfernt von hell, denn das Licht reichte gerade mal bis zur nächsten Tür. Unter dessen Luftspalt Blut gelaufen war. Schon jetzt graute es ihr vor dem, was sie dahinter vorfinden würde.

Sie betrat den Raum, der schon von einem dunklen Licht beleuchtet wurde. Sie spürte, wie Alessandro hinter ihr herkam, doch sie sah nur das, was sich vor ihr abbildete. Innerlich flehte sie, dass es nicht so war, dass sie das nicht erneut mit ansehen musste. Doch es war die Realität. Vor ihr lag ein Mensch, eine Leiche, der junge Mann war kaum noch zu erkennen. Seine Kleidung war zerfetzt, unter ihm sickerte Blut in die Holzdielen. Der Bauch war aufgeplatzt, dunkel glänzendes Blut, welches schon halb getrocknet war, hing daran. Daneben lag ein Stück Darm und andere seiner Innereien. Sein rechter Arm lag körperlos in einer anderen Ecke des Raumes und triefte nur so vor Blut. Sein Gesicht war noch schlimmer zugerichtet, als das des Mannes, den sie gestern mit Matt gesehen hatte. Die Wangen waren aufgeschlitzt, ebenso wie die Nase. Die Augen waren zwar noch da, doch sie wirkten trüb und waren blutunterlaufen. Die Lippen waren aufgeplatzt, die Zähne zertrümmert, aus dessen Wurzeln weiteres Blut sein Kinn hinab rann. Die Haare waren verklebt durch das viele Blut, doch schienen einmal hellbraun gewesen zu sein.

Darauf erstarrte sie jedoch, als sie Matt an die Wand gelehnt hocken sah. Nicht, weil sie überrascht war ihn hier zu sehen, sondern da er völlig aufgelöst wirkte und Tränen in Strömen sich ihren Weg gen Boden bahnten. Sie wollte gerade auf ihn zu gehen, da tat Alessandro dies schon.

»Es ist Carl…« Matts Stimme klang rau und leise.
»Dein Bruder?«, fragte Alessandro entsetzt. Aus seinem Blick sprach tiefes Mitgefühl.
Matt nickte nur zaghaft, man konnte sehen, wie viel Kraft es ihn kostete nicht einfach zusammen zu brechen. Er zitterte am ganzen Körper, als hätte man ihn mit einer Woge voll Eiswasser überschüttet. In seinem Blick erkannte man den Schmerz, der wohl nie gänzlich verschwinden würde.

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