11 Die halbe Wahrheit

»Wo warst du die ganze Zeit?«, fragte ihre Mutter Scarlett schon zum gefühlt hundertsten Mal.

»Ich war noch ein bisschen mit Samantha shoppen, ich verspreche dir, beim nächsten Mal gebe ich dir bescheid.«, wiederholte Scarlett ihre Antwort.

»Ist Samantha nicht heute bei dem Geburtstag ihres Großvaters? Ich habe sie, als ich vor ein paar Stunden einkaufen war in einem Restaurant gesehen.« Oh shit! Daran hatte Scarlett nicht gedacht.

»Okay, ich   sag dir wo ich war.«, gab Scarlett sich geschlagen.
»Dann lass Mal hören.« Ungeduldig lief ihre Mutter in der Küche auf und ab.
»Ich war bei Kane, wir haben uns letztens in der Midnight Bar kennengelernt.«, erklärte Scarlett.
»Und ihr habt euch verliebt. Schätzchen, das kannst du mir doch sagen. Ich bin deine Mutter, ich weiß wie das ist. Du kannst ihn auch gerne Mal zu uns einladen.«, entgegnete ihre Mutter sanft. Nein, nein das kann doch nicht wahr sein, dachte Scarlett. Das war überhaupt nicht das, was sie damit sagen wollte.

»Ja, danke Mom.«, sagte sie und versuchte sich an einem Lächeln. Danach machte sie schnell kehrt und legte sich schlafen.
Die Matratze unter ihr war weich und angenehm, aber schlafen konnte Scarlett nicht. Immer wieder dachte sie an Kane, wie er sie geküsst und sie den Kuss erwidert hatte. Ich war betrunken, ich konnte nichts dafür, versuchte sie sich immer wieder einzureden. Doch tief in ihrem inneren wusste sie, dass sie ihn nicht nur deswegen geküsst hatte. Sie hatte ihn geküsst, weil sie ihren Gefühlen freien Lauf gelassen hatte. Sie konnte fühlen, wie sie sich entspannte in seiner Gegenwart. Es war so falsch, obwohl es sich gleichzeitig so richtig anfühlte. Ihre Gedanken kreisten weiter zu Alessandro. Er hatte nie Gefühle für sie gezeigt, hatte nie auch nur darauf angespielt, dass er was für sie empfände, geschweige denn sie mögen würde und doch liebte sie ihn, wie keinen anderen. Es war zum verrückt werden. Kane hatte Interesse an ihr und sie irgendwo auch an ihm, aber zusammen wollte sie mit Alessandro sein. Sie wollte ein Date mit Alessandro und dieses Mal würde sie sich trauen, ihn zu fragen. Jedoch musste das warten, denn sie war so müde geworden, dass sie die Augen nicht länger offen halten konnte und in ein Meer von Träumen fiel.

~
Scarlett saß auf einer Wiese im Wald. Es war Nacht, kühler Wind umgab sie und sie war auf einem hoch gelegenen Punkt, unter sich sah sie Los Angeles. Allerdings sah sie nicht die von künstlichem Licht erleuchtete Stadt, sondern nur Trümmer in einem Flammenmeer. Flammen, nur heiß lodernde Flammen. Doch sie erkannte noch mehr. Bunte Lichter, die alles in ihr Licht zu ziehen schienen und Menschen, deren Schreie im knistern des Feuers verklangen. Ein schrecklicher Anblick, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Und plötzlich veränderte sich der Ort, an dem sie sich befand. Sie saß in einem Restaurant, dessen Wände mit Blattgold verziert waren. Vor ihr stand jemand, aber sie konnte nicht erkennen, wer es war. Nur eine verschwommene Gestalt, welche aus Farben und Formen bestand. Auf ein Mal fing das Licht an zu flackern,  der Raum veränderte sich. Die Gestalt, die sie vor sich gesehen hatte, war verschwunden. Die Wände zierte nicht länger Gold, sondern waren mit Blut beschmiert. Es tropfte die Tapeten hinab und Scarlett fühlte sich, als wäre sie in einem Horror Film gelandet. Auf einmal veränderte sich das Blut, schimmerte golden. Doch als Scarlett heran trat, um es zu berühren, verätzte es ihre Haut und hinterließ rote Flecken, die heiß brannten. Darauf zerfiel alles und sie stürzte in ein tiefes schwarzes Loch…
~

Scarlett sog scharf die Luft ein, als sie auf wachte. Langsam registrierte sie, dass sie bloß einen Albtraum gehabt hatte und nichts davon real gewesen war. Als sie auf die Uhr schaute bemerkte sie, dass es erst fünf Uhr morgens war und sie noch eine gute Stunde schlafen konnte. Doch als sie sich erneut hin legte, konnte sie einfach nicht mehr schlafen. Sie stand auf, lief die Treppe hinunter und setzte sich einen Kaffee auf. Normalerweise griff sie eher selten zu Kaffee, aber nach dieser Nacht, brauchte sie erstmal einen ordentlichen Wachmacher. Sie setzte sich an den Esstisch und nippte vorsichtig an dem heißen Getränk. Ein bitterer Geschmack legte sich auf ihre Zunge und sie erkannte, dass sie vergessen hatte etwas Zucker unter zu rühren. Genervt stellte sie die Tasse auf dem Tisch ab und stand auf um sich ein paar Würfel Zucker zu besorgen. Als sie zurückkehrte, sah sie wie ihre Mutter die Treppe hinunter kam. Scarlett warf Zwei der Würfel in die Tasse und widmete sich dann ihrer Mutter.

»Schon wach?«, fragte sie Scarlett.
»Ich konnte nicht mehr schlafen.«, erwiderte Scarlett.
Danach redeten sie nicht mehr viel. Scarlett aß ein Brötchen mit Frischkäse und einen Yoghurt zum Frühstück. Daraufhin machte sie sich auf den Weg zur Schule.

In der ersten Stunde, hatte sie heute Biologie. Sie langweilte sich jetzt schon. Generell, mochte sie dieses Fach, jedoch war Mr. Darcen ein recht öder Lehrer. Sie kamen im Unterricht nur sehr schleppend bei ihm voran und die Hälfte der Zeit erzählte er einfach nur belanglose Dinge.

Als die Mittagspause begann, holten Samantha und Amanda ihr Essen aus der Cafeteria und brachten auch Scarlett etwas mit, da sie mittlerweile wussten, weshalb sie dort nicht essen konnte.

Draußen ließen sie sich auf einer der Bänke nieder und genossen ihr Essen.
»Samatha, ich wollte mich dafür entschuldigen, was ich im Midnight zu dir gesagt habe.«, setzte Scarlett an.»Ich war völlig betrunken.«
»Ja, das hab ich gemerkt.« Samantha lachte freudlos.»Ich verzeihe dir  das, keine Sorge. Aber erklär mir doch jetzt Mal, wer dieser Kane ist, mit dem du dort gesessen hast.«
»Ehrlich gesagt habe ich selbst keine in Ahnung.« Scarlett zuckte mit dem Schultern.»Er hatte mich vor den Toiletten Räumen angesprochen, ich weiß selbst nicht, weshalb ich mich mit ihm an den Tisch gesetzt habe. Jedenfalls, habe ich ihn gestern wieder getroffen und er hat mich zu sich nach Hause eingeladen.«
»Ohh, ist da was zwischen euch?«, witzelte Samantha.
»Nein.«, widersprach Scarlett, wie aus der Pistole geschossen. Jedoch spürte sie wie sich ihr Gesicht erhitzte.
»Ja, klar, was habt ihr bei ihm gemacht?«, fragte sie neugierig.
»Nicht viel, er hat mir etwas Alkohol angeboten, später sind seine Eltern zurückgekommen und dann hat er mich zur Tür gebracht.« Scarlett war furchtbar im lügen, das wusste sie, doch einen Versuch war es doch wert.
»Ach komm schon, da muss doch mehr passiert sein, ich merke es wenn du lügst.« Samantha lachte. Scarlett war allerdings nicht danach zumute.
»Okay, ich…wir … haben uns geküsst.«, stieß sie hervor. Was hatte sie da gesagt?! Das konnte doch nicht wahr sein. Schon wieder fing ihr Gesicht an zu glühen, aber diesmal vor Scharm.
»Ihr habt was?«, schrie Samantha in einem schrillen Ton.
»Ich war betrunken!«, erklärte Scarlett. Sie wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war, aber sie würden, was wirklich passiert war nicht verstehen können.
»Das erklärt so einiges« , meinte Amanda, die die ganze Zeit still zugehört hatte. Daraufhin trank Scarlett noch einen Schluck Tee, bevor sie das Schulgebäude erneut betraten. Allerdings hatte sie den Geschmack anders erwartet. Er schmeckte bitter, obwohl sie dachte, Holunder Tee würde süßlich schmecken.

Nach der Schule machte Scarlett sich, wie nun fast schon jeden Tag, auf den Weg in die Station. Allerdings wollte sie nicht dorthin, um zu trainieren, sondern um Alessandro nach einem Date zu fragen. Endlich würde sie ihn fragen, dachte sie. Inständig hoffte sie, dass er ihre Einladung annehmen würde.

In der Station angekommen, ging sie zu Alessandros Zimmer. Allerdings, kam sie nicht bis dort, denn ein Mädchen, dass vermutlich ein paar Jahre älter, als sie war, kam ihr entgegen.
»Bist du Scarlett Rains?«, fragte sie.
»Äh ja.«, meinte Scarlett etwas überrascht.

»Mein Name ist Skylar, ich soll dir das hier von den Hütern bringen.« Sie drückte Scarlett ein Stück Papier in die Hand.

»Danke.«, rief Scarlett ihr etwas verwirrt hinterher, während Skylar sich schon wieder zum gehen gewandt hatte. Danach klappte Scarlett das gefaltete Papier auseinander und las, was darauf stand.

Scarlett Rains, Sie sind herzlich eingeladen am Mittwoch in zwei Tagen um 16:00 Uhr erneut an einer Trainingsstunde teilzunehmen. Wir hoffen, Sie haben mittlerweile Fortschritte gemacht.
Grüße
      Elliot Havering

Es hätte schlimmer kommen können, dachte Scarlett und steckte den Zettel in ihre Jeans Tasche. Sie würde an dem Training teilnehmen, jedoch wusste sie noch nicht, wie sie erklären sollte, dass sie angeblich immer noch keine Fortschritte gemacht hätte.
Als sie vor Alessandros Tür stand, wurde sie nervös. Was, wenn er ablehnte? Was, wenn er heraus fand, dass sie Kane geküsst hatte? Was, wenn er sie nicht mochte? All diese Gedanken, schob Scarlett schnell beiseite und dann klopfte sie an der Tür. Kurz darauf öffnete diese sich und der schwarzhaarige Junge mit den verschiedenen Augenfarben, blickte hinaus. Hinter ihm konnte sie sein ordentlich gemachtes Bett sehen. Sie näherte sich der Frage, die sie ihm stellen wollte und merkte wie ihr Herz anfing schneller zu schlagen.
»Scarlett, was ist los?, fragte er und blickte sich um, als würde er nach etwas bedrohlichem Ausschau halten. Scarlett öffnete den Mund wollte etwas sagen, aber sie stieß nur heiße Luft aus. Angestrengt versuchte sie ihm zu sagen, was sie ihm mitteilen wollte. Währenddessen runzelte Alessandro die Stirn. Er schien nicht zu wissen was gerade passierte, doch Scarlett wusste es ja selbst nicht.

»Ich…«, war alles, was sie mit erstickter Stimme noch hervor brachte. Daraufhin bekam sie keine Luft mehr, alles um sie herum schien sich zu drehen und zu verschwimmen. Danach schlossen sich ihre Augen und sie stürzte in ein Meer der Dunkelheit.

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