10 Zaghaftes Rendezvous
Scarlett saß in ihrem Zimmer der Station. Es war schon spät in der Nacht, aber sie konnte nicht schlafen. Immer wieder ging sie die Geschehnisse des vergangenen Tages vor ihrem inneren Auge durch. Die Uhr hatte zu ihr gesprochen, allerdings hatte sie sie freiwillig umgelegt. Sie hätte widerstehen müssen, die Worte, die die Uhr gesagt hatte nicht an sich rankommen lassen sollen. Du liebst ihn, aber er dich nicht. Ich könnte dir helfen…Diese Worte hätten für sie keinerlei Wert haben dürfen. Es war egoistisch gewesen und Matt musste darunter leiden, sie wollte kein Date mit ihm oder etwas derartiges, aber er war stets freundlich gewesen und sie schämte sich, dass er unter ihren Taten leiden musste.
Sie wachte auf. Sie musste wohl über ihre Gedanken eingeschlafen sein. Die Uhr auf dem Schreibtisch zeigte Zwei Uhr nachmittags. Es war Sonntag, also bestand keine Gefahr, dass sie die Schule verpasst hatte. Allerdings merkte sie nach einem Blick auf ihr Smartphone -worauf mittlerweile 32 Nachrichten eingegangen waren-, dass sie vergessen hatte ihrer Mutter zu schreiben, dass sie letzte Nacht nicht Zuhause schlafen würde. Sie holte dies schnell nach und schrieb, dass sie bei Samantha geschlafen hatte.
Nachdem sie die Station verlassen hatte und auf dem Weg nach Hause war, kam sie erneut an dem Haus vorbei, aus dessen Inneren dieses unheimliche Licht drang. Sie wusste nicht weshalb sie stehen blieb, aber sie musste es einfach eingehender betrachten. Es war ein ganz gewöhnliches Reihenhaus, dass sich, bis auf das gespenstische Licht, nicht von den anderen abhob. Die Wände waren aus Stein und in Schwarz gestrichen. Die Fensterbänke bestanden aus weißem Kunststoff und bildeten somit einen Kontrast zu den schwarzen Mauern.
Gerade als Scarlett weitergehen wollte, öffnete sich die Tür des Hauses. Erneut blieb sie stehen und als jemand hinter der Tür hervor trat stutzte sie. Ein blonder Junge mit gefärbten Haarspitzen hatte die Tür geöffnet. Kane. Ungläubig beobachtete sie wie er die Tür schloss. Als er den Bürgersteig betrat, schien er Scarlett zu bemerken und auch er wirkte überrascht. Augenblicklich blieb er stehen und sah zu ihr hinüber auf die andere Straßenseite. Die Sonnenstrahlen, die auf ihn fielen verliehen seinen Augen einen goldenen Schimmer. Einen Moment später hatte er sich wieder gefasst und kam auf Scarlett zu. Sofort verspannte sie sich. In der Nacht in der sie zusammen in der Gasse gesessen hatten, hatte Kane sie nach Hause gebracht. Jedoch war es ihr immer noch unendlich peinlich, wie sie aus dem Midnight gerannt war und daraufhin geweint hatte.
»Scarlett?«, fragte er in einem nicht gerade unerfreuten Ton.
»Kane. Was hast du in diesem Haus gemacht?« Sie musterte ihn prüfend.
»Was ich da gemacht habe? Ich wohne dort« Er lachte freundlich.
»Du- du wohnst dort? Und das soll ich dir glauben. Dann sag mir woher das Licht kommt.«
»Du meinst mein Kairé?«, fragte er.
»Wenn das das Licht ist was ich immer sehe, ja.« Sie verschränkte die Arme. Ein bisschen Skepsis war immer gut, dachte sie.
»Weißt du was? Wenn dich das so interessiert, dann komm doch rein.«
»Wo rein?«, fragte sie unschuldig.
»Zu mir nach Hause, oder willst du lieber, dass ich in eines der anderen Häuser einbreche und dich herein bitte?« Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
»Nun gut, ich bin gespannt.«, sagte Scarlett und daraufhin wechselten sie die Straßen Seite und gingen zu Kanes Haus.
Die weiße Farbe, mit der die Tür gestrichen war, war noch kein bisschen vergilbt oder abgesplittert. Auch der Rest des Hauses wirkte, wie ein Neubau. Kane schloss die Tür auf. Dahinter befand sich ein Eingangsbereich, mit Schrank, Kleiderhaken und einer Sitzgelegenheit. Der Boden bestand aus Marmor Platten, die Wände aus verputztem Beton. Es wirkte alles etwas Edel und Teuer. Ohne etwas zu sagen, gingen sie weiter und betraten ein großes Wohnzimmer. Weiterhin begegneten einem die Farben Schwarz und Weiß. Das Sofa war für Drei Personen gedacht und schien ausziehbar zu sein. Ein weißer Tisch stand in der Mitte des Raumes und an der Wand hing ein Flachbildfernseher.
»Ich wusste gar nicht, dass du dem Adel entstammst.«, scherzte Scarlett. Allerdings, war sie tatsächlich beeindruckt von den großen Räumlichkeiten.
»Meine Mutter ist Anwältin und mein Vater Arzt.«, erklärte er. Dann lief er auf das Sofa zu und setzte sich darauf.
»Du kannst dich ruhig setzen«, sagte er. Scarlett setzte sich darauf tatsächlich, allerdings achtete sie darauf genügend Abstand zu ihm zu wahren.
»Möchtest du was zu trinken? Nochmal Tequila Sunrise oder lieber ein Bier?«, bot er an.
»Danke, aber ich denke, das bekommt mir nicht so gut.«, lehnte sie ab. Sie konnte gut auf eine Wiederholung von dem Abend im Midnight verzichten.
»Okay, dein Fehler, aber ich werde mir auf jeden Fall was holen.« Damit verschwand er hinter einer Tür und kam kurz darauf mit ein paar Flaschen bepackt zurück.
»Macht deinen Eltern das nichts aus?«, fragte Scarlett ihn. Kane zuckte nur mit den Schultern.
»Sie sind arbeiten und fast nie Zuhause. Außerdem, denkst du nicht, dass ich eigene Entscheidungen treffen kann?« Er stellte die Flaschen auf dem Tisch ab und schenkte sich ein Glas ein.
»Klar kannst du das, aber denkst du nicht, dass du es ein wenig übertreibst.« Sie deutete mit ihrem Blick auf das Glas in seiner Hand.
»Ich passe schon auf mich auf. Aber ich verstehe schon, wenn du nicht so starke Nerven hast wie ich.« Er lachte spöttisch. Scarlett machte das wütend, dieser Blick, als wäre sie schwach. Sie wusste, dass es genau sein Ziel war, sie zum trinken zu bewegen, aber was war denn schon dabei? Sie würde nur ein Glas nehmen, das würde sie schon schaffen.
»Nun gut, dann Gib mir Mal ein Glas rüber.« Kane reichte ihr eines der kleinen geschwungenen Gläser, welches er bereits mit Tequila Sunrise gefüllt hatte. Mit einem Mal kippte sie das süßliche Getränk ihren Rachen hinunter.
»Jetzt zufrieden?«, fragte sie genervt.
»Weshalb sollte ich zufrieden sein?«, fragte er scheinheilig. Scarlett stöhnte nur.
»Kannst du mir vielleicht ein paar Zauber beibringen? Wenn wir schon hier zusammen sitzen.« Scarlett wusste in dem Moment nicht warum sie ihn nicht fragen sollte. Schließlich war er ein ausgebildeter Auserwählter und hatte bestimmt einige Tricks auf Lager.
»Okay, aber was möchtest du denn wissen?«
»Keinahnung vlleicht was praktisches?« Sie hörte ihre eigene Stimme laut hallen und der klang entspannte sie.
»Ah, hehe, sag ma was.« Sie lachte.
Doch Kane erwiderte nichts, sondern ließ nur seine Augen grün aufleuchten und danach hörte Scarlett wieder klarer.
»Vielleicht oder sollte besser vlleicht sagen?«, er unterbrach sich um zu lachen.» Sollte ich dir diesen Zauber beibringen, könnte dir nicht schaden.«
»Ja, schon gut, ich hab verstanden was du meinst.« Mit einem Blick forderte sie ihn auf, ihr diesen Zauber beizubringen.
»Eigentlich ist es kein komplizierter Zauber, du musst nur dein Kairé benutzen und versuchen deinen Verstand wieder klarer zu machen. Falls es jetzt nicht klappt, liegt das nicht an dir, der Zauber lässt dich zwar wieder klarere Gedanken fassen, aber macht dich nicht komplett nüchtern.« Er warf ihr einen Blick zu, der sie wohl warnen sollte. Dann schnappte er sich ein weiteres Glas und leerte es innerhalb von ein paar Sekunden.
»Probier's bei mir.«, meinte er anschließend.
»Okay, das bekomme ich hin.« Sie wusste nicht, ob sie damit eher Kane oder sich selbst beruhigen wollte. Sie konzentrierte sich auf ihr Kairé. Zuerst leuchteten ihre Hände Blau auf, dann spürte sie, wie auch ihre Augen zu leuchten begannen. Daraufhin fokussierte sie sich auf Kanes Verstand, versuchte ihn zu schärfen, so als würde sie Nebel durchdringen. Tief in ihrem inneren fühlte sie, dass sie es geschafft hatte und ließ das Licht ihres Kairés erlöschen. Kane wiederum starrte sie mit offenem Mund an.
»Du- dein Kairé… deine Augen waren Grün und- und deine Hände Blau. Wie…« Zum ersten Mal, seit sie ihn kennengelernt hatte schien Kane wahrhaftig sprachlos zu sein. Jedoch konnte Scarlett momentan nicht darüber lachen, denn nun wusste er, dass sie mehrere Kairé besaß. Sie versteifte sich und wollte sich schnellstmöglich aus dem Staub machen. Stumm stand sie auf und bewegte sich Richtung Tür.
»Scarlett, warte! Bitte, ich werde nichts tun, was du nicht möchtest, vertrau mir.«, rief er ihr nach.
Sie drehte sich um und ließ sich wieder auf das Sofa nieder.
»Scarlett, du…«, setzte er an, doch Scarlett unterbrach ihn.
»Ich weiß, ich bin…in mir ist schwarze Magie und mir ist klar, dass ihr alle meint, dass es das nicht gibt, aber der lebende Beweis sitzt vor dir!«, schrie sie. Sie war immer noch nicht völlig nüchtern und die Gefühle überkamen sie.
»Das wollte ich gar nicht sagen.«, erwiderte Kane ruhig.»Ich wollte sagen, dass du etwas besonderes bist und das nicht im negativen Sinne.« Er packte ihre Hand und sah ihr in die Augen. Da bemerkte Scarlett, dass sie anscheinend wieder geweint hatte, denn sie spürte die Tränen, die an ihrem Gesicht hinab liefen. Wieso musste ihr das ausgerechnet wieder vor Kane passieren? Sie weinte sonst nur selten und nicht, wenn jemand sie dabei beobachten konnte.
»Du brauchst nicht versuchen es schön zu reden. Ich weiß, dass ich fehl am Platz einer Auserwählten bin. Sag ruhig das, was du denkst.«
»Es ist nicht schlecht, dass du eine andere Magie in dir hast, als die anderen und das meine ich auch so.«, sagte er. Er schien nicht zu lügen und drückte Scarletts Hand noch fester. Dann ließ er sie los und strich ihr über die Tränen überströmten Wangen. Als er die Tränen fort gewischt hatte, beugte er sich vor, sodass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Nun konnte Scarlett alle Feinheiten seines Gesichts erkennen. Die straffe Haut, die hellen Augenbrauen, die hellrosa Lippen, aber vor allem die hellbraunen Augen, die in dem gedimmten Licht des Hauses dunkler als sonst wirkten, kleine dunkelbraune Sprenkel zierten seine Augen und ein noch hellerer brauner Ring schloss sich um seine Iris. Seine Wimpern waren nur eine Nuance dunkler, als seine Haare und nach oben geschwungen. Auf einmal kam er noch ein Stück näher und streifte ihre Lippen mit den seinen. Es war nur ein zarter, flüchtiger Kuss, doch er war so sanft dabei gewesen, dass sie ihn am liebsten an sich gezogen und erneut geküsst hätte. Anscheinend hatte sie sich vor bewegt, um ihn zurück zu holen und das hatte Kane bemerkt. Erneut beugte er sich vor, dieses Mal packte er ihre Arme mit seinen Händen und küsste sie noch einmal. Allerdings verweilten seine Lippen diesmal länger auf ihren und Scarlett spürte, wie sich ihrer beide Münder öffneten. Ihr war klar, dass sie ihn eigentlich hätte weg stoßen sollen. Sie liebte Alessandro und nicht Kane, aber in diesem Moment fühlte es sich richtig an und sie ließ ihren Emotionen freien Lauf. Sein Kuss wurde heftiger und härter, sie schmeckte den Geschmack von Alkohol gemischt mit einem Hauch von Mundspülung mit Minzgeschmack in seinem Mund. Auch sie schlang nun die Arme um ihn und intensivierte ihren Kuss. Plötzlich vernahm sie das Geräusch der sich öffnenden Haustür. Ruckartig löste Kane sich von ihr.
»Meine Eltern«, erklärte er ihr. Sie wusste, dass es richtig war, dass sie ihren Kuss unterbrochen hatten, aber enttäuscht war Scarlett dennoch. Schnell griff Kane nach den Flaschen Tequila Sunrise und verschwand durch dieselbe Tür, aus der er diese zuvor mitgebracht hatte. Als er zurückkam, öffnete sich auch schon die Wohnzimmertür und eine blonde Frau mit schicken Stiefeln und Lederjacke, worunter sich ein Anzug vermuten ließ und ein Mann in Jeans und eleganten Hemd traten ein. Verblüfft starrten sie Scarlett an.
»Kane? Wer ist sie und was macht sie in unserem Haus. Du weißt doch, dass du bescheid geben sollst, wenn du Besuch hast.« Abfällig musterte Kanes Mutter Scarlett.
»Das ist Scarlett, wir haben uns vor ein paar Tagen kennengelernt und ich kann selbst entscheiden, wen ich einlade.«, entgegnete Kane und versuchte dabei entschlossen zu klingen, was allerdings nicht annähernd so rüber kam, da seine Stimme zitterte. Scarlett musste sich verhört haben, Kane war nie unsicher. Scarlett hätte ihn als lässig, selbstbewusst und stolz beschrieben. Sie hatte nie gedacht, dass auch er Respekt oder Reue empfinden könnte.
»Bring das Mädchen erstmal raus, dann reden wir weiter.«, befahl sein Vater in harschem Ton.
»Komm, ich bringe dich zur Tür.«, sagte Kane und sah sie entschuldigend an. Er streckte ihr eine Hand entgegen und Scarlett fasste danach. Daraufhin gingen sie in Richtung Tür. Als Kane diese öffnete, sah Scarlett, dass es schon zu dämmern begonnen hatte. Sie musste wohl länger bei ihm gewesen sein, als sie gedacht hatte.
»Es tut mir leid.«, sagte er.»So sind meine Eltern eben, total kontrollierend.«
»Kein Problem, ich sollte sowieso langsam nach Hause gehen.« Damit verabschiedete Scarlett sich von Kane. Sie hörte, wie er die Tür nachdem sie gegangen war zu zog und konnte sich vorstellen, dass er nun erstmal eine Standpauke zu hören bekommen würde. Er tat ihr leid, aber sie sollte sich jetzt lieber etwas ausdenken, weshalb sie nicht, wie sie ihrer Mutter geschrieben hatte, nach Hause gekommen war.
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