Ihr letztes Tagebuch

Sie muss es hier irgendwo versteckt haben....aber wo nur? Ich guckte überall auf dem Dachboden, der ihr ehemaliges Zimmer war, nach, wo es sein könnte: Unter ihrem Bett, hinter ihrem Bücherschrank, in allen Schubladen. Nirgends zu sehen.

Seufzend setzte ich mich auf dem Boden, meinen Rücken gegen den Schreibtisch gelehnt. Aus der Puste schaute ich mich noch mal langsam im ganzen Raum um.

Es war ein kleines, altes Zimmer mit kleinen Fenstern. Alles roch nach Staub, als ob hier länger niemand mehr gelüftet hätte. In der Mitte des Raumes stand ein einsamer Stuhl.

‚Da war es gewesen', erinnere ich mich.

Erst heute Morgen war sie weggebracht worden. Meine Augen tränten an dieser Erinnerung nicht mehr, als ob meine Tränen verbraucht wären. Kein Wunder auch, es war für mich solch ein Schock gewesen... Es kam alles so unerwartet...

Bevor ich tief in meinen Gedanken sinken konnte, richteten sich meine Augen auf ihren Schulranzen, der auf dem Boden lag.

‚Vielleicht....', überlegte ich laut und durchwühlte ihre Tasche. Ein altes, zerfetztes Mäppchen, ein paar Bücher, Lippenstift, Eyeliner, Taschentücher, ein paar lose Blätter.... und endlich fand ich es.

Das, wonach ich verzweifelt gesucht hatte. Es war so, als ob mir ein Stein vom Herzen fiel. Ich musste schmunzeln als ich ein DIN-A5 Notizbuch mit einem Schloss, der in der Form von einem süßen, türkisen Herzchen war, in meinen Händen betrachtete. Ihr kleines Tagebuch.

Ich versuchte es vorsichtig zu öffnen... verschlossen. Natürlich, ich war so ein Idiot. Meine Glorie von meinem Fund war weg, doch ich gab natürlich nicht auf. Das alles war wichtig für mich zu verstehen. Ich könnte ihr helfen. Obwohl es zu spät war, war das immerhin etwas, was ich für sie tun könnte, denn schließlich wollte ich nicht hilflos rumsitzen. Hilflos rumsitzen hatte ich schon genug getan, als sie die schwierigste Zeit ihres Lebens durchgegangen war. Ich war sogar bereit das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, um den Schlüssel zu finden, der zu dem Schloss gehörte.

Ich versuchte mir vorzustellen, wo sie ihn hingelegt haben könnte. Ich kannte meine Tochter schließlich gut... zu Mindestens vermutete ich es.

Ich wusste er musste in der Tasche sein, also war diese Suche einfacher für mich als die des Tagebuchs. Doch natürlich war es trotzdem nicht gerade einfach, einen kleinen Schlüssel in einer Tasche zu suchen. Ich konnte nur hoffen, dass es wirklich auch in der Tasche war.

Ich öffnete ihre Bücher und blätterte jedes durch: Nichts. Zwischen ihren Blättern war ich auch nicht fündig geworden.

‚Wo?', dachte ich. ‚Wo?'

Meine Augen leuchteten auf. Ich öffnete vorsichtig ihr Mäppchen. Ja wohl. Da lag er; Zwischen allen ihren Stiften und kleinen Zetteln lag der Schlüssel zu den verborgenen Geheimnissen meiner Tochter. Er schimmerte leicht in der Licht der untergehenden Sonne, als ob er wüsste, dass er die Lösung zu allem ist. Zu meinen unendlichen Fragen, zu den Misverständnissen. Mit ihm könnte alles ins Licht kommen und die Geheimnisse könnten entlüftet werden.

Bevor ich den Schlüssel im Schloss drehte, zögerte ich kurz. Tat ich gerade eigentlich das Richtige? Ich schloss kurz meine Augen. Schließlich war sie... nicht mehr da, also war es doch egal, oder? Ich öffnete meine Augen wieder, drängte diesen Gedanken schuldbewusst beiseite und drehte den Schlüssel.

Mit einem leisen 'Klick' sprang der Schloss auf und ich blätterte flüchtig im Tagebuch durch.

Ich erkannte ihre sonst immer ordentliche Handschrift, die jetzt jedoch krakelig war, als ob sie sich beim Schreiben sehr beeilt hätte.

Ich blätterte zur ersten Seite. Das Datum war Freitag, der 13. Juni. Gestern. Ich begann das Tagebuch meiner Tochter zu lesen, das sie am Tag ihres Suizids geschrieben hatte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top

Tags: