31

»Wir müssen es deinen Eltern sagen.«
  »Briktah!«
Shaha zuckte beim Klang des maradovischen Schimpfwortes heftig zusammen.
»Nein, müssen wir nicht.«
Jamie strich das Papier glatt, als wolle er es einscannen und so an die Königsfamilie senden.
Ellie versuchte, ihm das Papier zu entreißen, doch ihr Partist hielt sie mit Leichtigkeit auf Abstand.
Die beiden rangen weiter miteinander, als würde das Papier eine unheimliche, negative Energie ausstrahlen, die alle um sie herum mit dunkelroten Schwaden einlullte und langsam vergiftete.
Shaha jedoch blieb ruhig, ging um die beiden herum und nahm Jamie das Blatt vorsichtig aus den Händen. »Wer auch immer das hier hinterlassen hat, er will euch, und ganz besonders Ellie, Angst machen.«, sie holte tief Atem, bevor sie den anderen reihum in die Augen sah und fortfuhr. »Wenn Ellie die Schule verlässt, wird das jedoch nichts ändern. Im Gegenteil, sie werden dadurch vielleicht sogar herausfinden, wer die wahre Prinzessin ist. Auch denke ich nicht, dass die Attacken dadurch aufhören werden.«
Lottie nickte, doch Jamie schüttelte den Kopf. »Wenn sie bleibt, könnte Lottie dadurch in Gefahr sein.« Aufrichtige Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
»Na und? Ich dachte, darum ginge es bei dem Job.«, Lottie klang betont gelassen, als wolle sie alle von ihrer Kompetenz als Porterin überzeugen.
Jamie sah ihr direkt in die Augen.
»Ich übernehme die Probleme, damit Ellie sich nicht damit herumschlagen muss. Und damit Ellie in Rosewood bleiben kann.«, fügte sie an.
Einen langen Atemzug ausstoßend, wandte Jamie sich mit bitterer Mine an Ellie.
»Ist es das, was du wolltest?«, zischte er mit eisiger Stimme.
»Jamie!«, fauchte nun Shaha, doch als sie fortfuhr war ihre Stimme sanft. »Du hilfst Lottie nicht, indem du Ellie ein schlechtes Gewissen machst. Es ist ihre Entscheidung, so gern du sie auch beschützen möchtest, sie muss diese Entscheidung für sich selbst treffen.«
Alle drei sahen sie überrascht an. Doch danach starrte Jamie seine Meisterin wieder wütend an und Ellie weigerte sich weiterhin, ihn anzusehen.
»Schluss jetzt. Ihr hört weder ihr, noch mir zu!«, Lotties Stimme klang überraschend entschieden. »Wenn Ellie die Schule verlässt, haben sie gewonnen und Shaha hat recht, die Gefahr ist dann noch nicht gebannt. Aber wenn sie bleibt, kann ich die Verantwortlichen aus der Reserve locken. Wer sie auch sind, sie werden immer dreister – irgendwann machen sie einen Fehler.«
Shaha hob überrascht die Brauen.
War das etwa nicht das erste Mal, das soetwas passierte?
»Das ist also nicht das erste Vorkommnis dieser Art?«, sprach Jamie in diesem Moment aus, was sie dachte.
Lottie schluckte und spannte sich an.
Wie in Zeitlupe drehte er sich um und blickte sie energisch an, bevor er knurrte: »Ich habe dich etwas gefragt.«
»Nein.«, flüsterte die Angesprochene nur.
Jamie drehte sich zu Ellie. Nun wich sie seinem Blick nicht aus.
»Am ersten Schultag. Lottie hat ein Buch aus der Bibliothek mit einer Nachricht bekommen. Darin stand, jemand wisse, dass sie ein Geheimnis hat. Wir sind nachts in die Bibliothek geschlichen und haben nachgeschaut, welche Schüler an dem Tag in der Bibliothek waren.«
Jamies Lippen zuckten. »Und?«, fragte er kühl.
»Wir haben Anastasias, Raphaels und Binahs Namen gefunden.«,erklärte Ellie.
Shaha runzelte die Stirn, obwohl sie alle drei nicht sonderlich gut kannte schien es unwahrscheinlich, dass es einer von den Dreien gewesen sein sollte.
»Und keiner von euch hat es für nötig gehalten, mir davon zu erzählen? Obwohl ich hier bin, um euch zu beschützen?«, seine Stimme wurde um einiges lauter und als er sich an Shaha wandte, konnte sie seinen Ausdruck nicht recht deuten.
»Gerade dich hätte ich für vertrauenswürdig gehalten.«, knurrte er leise. Seine Augen zeigten Empörung, wirkten zugleich aber auch Verletzt.
Shaha trat einen Schritt zurück und erwiederte seinen Blick stumm, während sie eine Hand gegen ihr Herz presste, wie um den pochenden Schmerz darin zu lindern.
Auf einmal ertönte ein Schrei. »Vielleicht will ich ja gar nicht, dass du mich beschützt!«, Ellie bleckte wütend die Zähne, doch kaum waren die Worte heraus, verzog sie schuldbewusst das Gesicht.
Was nun folgte war Schweigen. Kaltes, unangenehmes Schweigen.
Ellie schäumte vor Wut, Jamie zeigte keinerlei Regung.
Wie war es bloß zu diesem ungleichen Gespann gekommen?
Shaha musste einen gewissen Anflug von Neugier unterdrücken, im Moment war nicht die Zeit zu fragen.
Die maradovishe Prinzessin senkte ihren Blick betroffen zu Boden und stammelte leise: »Ich wollte nicht ... Ich ...«, währenddessen fuhr sie sich mit einer Hand durch die Haare.
Jamie holte tief Luft und wandte sich schließlich an Lottie. »Kannst du mit der Gefahr leben, ein Köder zu sein, Lottie?« Die Blonde nickte bloß.
Shaha musterte ihn eingehend. Es war, als würde es zwei Seiten von ihm geben, wie Dr. Jackel und Mr. Hide. Und im Moment konnte sie nicht sagen, welche Seite der echte Jamie war.
Irgendwie machte es ihr fast ein wenig Angst.
Er wechselte einen Blick mit Ellie und sagte dann: »Nehmt euch vor Anastasia und Raphael in acht. Ich traue ihnen nicht.«
Deswegen verbrachte er also so viel Zeit mit Raphael.
Erneut runzelte sie die Stirn.
»Sie dürfen nicht erfahren, dass wir sie verdächtigen. Wir müssen sie unauffällig im Auge behalten.«
»Heißt das, dass du meinen Eltern nichts sagst?«, fragte Ellie vorsichtig.
Er nickte, mittlerweile ebenfalls stirnrunzelnd und die Schwarzhaarige grinste erleichtert.
»Aber wenn ich auch nur eine Sekunde das Gefühl habe, dass du in Gefahr bist, werde ich nicht zögern, deine Eltern zu informieren.«
Ellie zwinkerte den beiden anderen Mädchen zu. »Bevor es dazu kommt, werden wir den Übeltäter schon schnappen!«
Lottie lächelte sie gekonnt optimistisch an. »Abgemacht.«, sagte sie, »Wir werden alles ans Licht bringen.«
In Shahas Kopf jedoch kreisten eine unendliche Anzahl von Fragen.
Warum war Jamie Ellies Partist?
Was ging zwischen den beiden vor?
Warum wollte sie nicht von ihm beschützt werden?
Weshalb kannten sich die beiden von klein auf?
Wer bedrohte des Haus Wolfson?
Und wer hatte etwas gegen die maradovische Königsfamilie?
Was war der Grund dafür?
Und was war das Geheimnis hinter all dem?

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