21
»Kommt nicht in Frage! Auf gar keinen Fall!«, unbemerkt verdrehte Shaha beim wütenden Ausbruch der Großmutter genervt die Augen. Doch im nächsten Moment hätte sie gerne den allerersten Fanclub ihres Lebens gegründet, als die blonde Frau die Bemerkung nur mit einem Handwedeln beiseite wischte.
»Alexander, halte deine Frau im Zaum!«
Ein kaum merkliches Grinsen erschien auf Shahas Gesicht, als sie Ellies Mutter erneut musterte. So unterschiedlich sie auch aussahen, irgendwie passte es perfekt.
Der König wandte sein nun gereiztes Gesicht seiner Mutter zu.
»Mutter, darf ich dich daran erinnern, dass diese Audienz einzig und allein zur Durchführung von Sonderverodnung sechs einberufen wurde? Oder ist dir das entgangen?«
»Oh Himmel.«, sichtlich genervt rieb sich Ellie ihre Nasenwurzel, während Jamie still vor sich hin starrte, seine Augen erinnerten an die eines aufgescheuchten Rehs.
»Ähm, ich bitte um Verzeihung – «, begann Lottie, stoppte jedoch als die Königin ihr sanft über ihr Haar strich, bevor sie sich an ihren Mann wandte. »Alexander, sie könnte wirklich unsere Tochter sein – das ist ja fast schon unheimlich.«
Die Königin beugte sich vor und inspizierte Lottie wie einen wertvollen Teppich.
»Hat dir die Übernachtung im Palast gefallen? Wir würden uns sehr freuen, dich bald wieder bei uns zu begrüßen.«
»Oh ja! Ich – «
»Du kannst doch nicht ernsthaft der Ansicht sein, dass dieses durch und durch gewöhnliche Mädchen die Rolle einer Porterin übernehmen könnte!«
Shaha biss ihre Zähne zusammen.
»Deine Tochter sucht nur nach einer weitere Ausrede, um sich vor ihren Verpflichtungen zu drücken und diesmal hat sie noch ein Mädchen aus dem einfachen Volk mit hinein gezogen.«
Das glockenklare Lachen von Ellies Mutter füllte den Raum. »Einfaches Volk? Wir sind uns doch wohl alle einig, dass ihr bescheidener Hintergrund ein großer Vorteil ist.«, sie begann Lottie wie ein hilfloses Beutetier zu umkreisen. »Ich finde sie ist perfekt. Mehr als perfekt. Ein wahrer Segen.«
»Seht ihr, ich hab doch gesagt, dass sie die richtige ist!«, Ellie hatte offenbar ihre Sprache wiedergefunden.
»Da kann ich nur zustimmen. Wir befinden uns in einer überaus glücklichen Lage mit der tüchtigen Miss Pumpkin.«, versicherte nun selbst der König.
Doch Lottie schien nur noch verwirrter. »Verzeihung ich – «, doch sie wurde wieder unterbrochen. Diesmal von dem Mann mit dem Glasauge, der sich zum Ohr des Königs neigte, bevor er leise zischte: »Sie entspricht sicherlich den Kriterien, aber die Frage ist, Eure Majestät... Wird die Prinzessin ihre Seite der Abmachung einhalten? Wie schon gesagt wurde, sie neigt dazu, die Erwartungen zu enttäuschen.«, ein wiederwertiges Lächeln umspielte seine Lippen.
»Das ist die Frage, in der Tat.«
Lottie versuchte, mit erhobener Hand auf sich aufmerksam zu machen. »Könnte ich bitte – «
Doch die Königsmutter bellte erneut laut auf: »Pah! Wenn das die einzige Frage ist, dann lautet die Antwort offensichtlich Nein. Ich schlage vor, dass du sie von der Schule nimmst und nach St. Agnes ins Umerziehungsheim für junge Damen schickst. Dort werden sie schon eine Prinzessin aus ihr herausprügeln, die der maradovischen Krone würdig ist.«
»Wenn mir mal jemand – «, wieder wurde Lottie abgewürgt.
»Ich finde die Idee ganz hervorragend. Sie zeigt, dass unsere Eleanor in ihrer Rolle aktive Entscheidungen trifft. Das sollten wir unterstützen.«, die Königin strahlte ihren Mann an, der zustimmend nickte.
»Wenn man die Entscheidung zur Passivität eine aktive Entscheidung nennen kann.«, warf der Mann mit dem Glasauge ein.
Noch während der König und seine Mutter lachten spannte sich Lottie neben ihr an, bevor sie schrie: »KANN MIR MAL IRGENDJEMAND ERKLÄREN, WAS HIER EIGENTLICH LOS IST?!«
Wie von der Terantel gestochen ließ Shaha Lotties Hand los und sah sie beinahe ängstlich an, bevor sie sich rasch wieder fasste.
»Lottie...«, Ellies Stimme war weich, ehe sie sich entschlossen zu ihrem Vater wandte, »Dad! Mir ist egal, wie deine Entscheidung ausfällt. Ich folge dir, welchen Weg du auch immer nimmst. Aber tu es jetzt. Ich kann meine Freundin nicht länger im Dunkeln lassen.«
»Also gut. Aufgrund der fast schon aberwitzig guten Eignung der Porterin und dessen, was ich, der König, als Zeichen eines positiven Einflusses erkannt habe komme ich dem Ersuchen von Prinzessin Eleanor Prudence Wolfson nach, Sonderverordnung sechs mit Charlotte Edith Pumpkin zu vollziehen. So möge es geschehen!«
Die Großmutter begann wütend zu zehtern, bis der König sie mit erhobener Hand zum Schweigen brachte.
Zumindest fast.
»Ich fürchte, das ist ein schwerer Fehler.«, knurrte sie finster, wurde jedoch ignoriert.
»Damit uns allen leichter ums Herz ist, wird Jamie weiter in Rosewood Hall verbleiben. Wir werden die Schule über das Arrangement informieren.«
Shaha warf Jamie einen mitfühlenden Blick zu und kurz darauf schenkte sie dem Mann mit dem Glausauge ein weiteres eisiges Lächeln, da er sich förmlich an Jamies Unbehagen zu ergötzen schien.
»Ihr seit hiermit entlassen.«
Ellie eilte voraus und zog Lottie mitsich, während Jamie und Shaha langsamer folgten.
»Porter, Porterin: Eine Person, die engagiert wird, um anstelle eines Mitgliedes der Königsfamilie in der Öffentlichkeit aufzutreten um dessen Identität zu schützen. Alle öffentlichen Auftritte und offiziellen Pflichten müssen mit äußerstem Respekt ausgeübt werden und so weiter und so fort, bla bla bla...«
Enttäuscht runzelte Shaha die Stirn, sie hätte gerne noch mehr erfahren, so viel wusste sie schließlich bereits.
»Und das ist jetzt mein Job?«
Nein, Jamie setzt eine blonde Perücke auf und springt für dich ein, du musst ihm nur noch eins deiner Kleider leihen.
Genervt fuhr sie sich durch ihre rabenschwarzen Haare, doch sofort bereute sie ihre Gedanken. Lottie konnte wahrlich nichts für die jetzige Situation.
Plötzlich ertönte die üblich zuckersüße Stimme der blonden empört »Du hast mich nicht gefragt! Du hast nicht mal... Du hättest mir sagen müssen, warum wir herkommen. Du kannst mir vertrauen!«
Nervös spannte Shaha sich an, während sie Ellies Antwort mehr oder weniger lauschte.
»Lottie, hör auf.«, zu ihrer Überraschung war Jamies Stimme ruhig und warm, »Sie konnte es dir wirklich nicht sagen. Porter sind ein königliches Geheimnis, kaum jemand weiß, dass es sie gibt und so muss das auch bleiben, um diejenigen zu schützen, die sie brauchen, verstehst du?«
Ach echt?
Was Shaha dachte schien auf ihrem Gesicht lesbar zu sein, denn Jamie runzelte kaum merklich die Stirn, als er sie ansah.
»Ich verstehe es ja, aber ihr müsst verstehen, dass Ellie mir wohl ebenso sehr am Herzen liegt wie dir. Ich kenne sie um einiges besser als Shaha!«
Ein stummes Seufzen entwich ihren Lippen, sie wusste, dass Lottie es nicht so meinte. Trotzdem tat es irgendwie weh.
Den Rest des Streites verfolgte sie schweigend.
Am nächsten Morgen saß Shaha wieder im Flugzeug und wartete darauf, dass es losrollte. Neugierig beobachtete sie die anderen, Ellie wirkte abwesend, während Jamie und Lottie sich unterhielten.
Irgendwie wirkte es angespannter als angemessen war, dementsprechend zuckte Shaha auch zusammen als Jamie sich wie aus dem Nichts über sie beugte um den Einband ihres Buches zu mustern. Verwirrt blickte Shaha ihn an, doch er hob nur eine Braue und hielt ihr seine Ausgabe von Shakespeares Sommernachtstraum unter die Nase, es handelte sich um genau die gleiche, wie die die Shaha vor sich liegen hatte. Ein schiefes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen als er auf den Platz neben sie rutschte.
Vielleicht waren sie sich doch ähnlicher als man zuerst vermutet hätte.
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