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Frei ist der, der in Ketten tanzen kann;
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Nachdem ich noch einige Gläser getrunken hatte und Josh dabei zusah, wie er alles für die Nacht vorbereitete, machte ich mich auf den Weg nach hinten in die Garderobe.
Der Alkohol machte sich langsam bemerkbar. Meine Beine und meine Zunge fühlten sich schwer an, doch dafür fühlte ich innerlich umso weniger. Es war aber nur ein schwacher Trost, in diesen dunklen Tagen.
Ich legte meinen Mantel ab, genau wie meinen weißen Pullover und als letztes meine Jeans, um mir dann in Unterwäsche etwas von der Stange auszusuchen. Da gab es alle möglichen Kostüme, die wirklich schön aussahen. Am Ende des Abends würden diese Sachen aber sowieso auf dem schwarzen Boden der Bühne landen. Genau deswegen spielte es keine Rolle, wie glanzvoll sie zuvor erschienen.
Nachdenklich ließ ich meine Finger über den Stoff eines roten Kleides streifen, das sich samtig anfühlte und mir damit ein Gefühl der Leichtigkeit übermittelte. Als ich es schließlich von der Stange gehoben hatte, zog ich es über meine schwarze Unterwäsche.
"Love?", hörte ich plötzlich Josh an die Tür klopfen und drehte mich zögerlich um.
"Ja?"
"Darf ich reinkommen?"
Ich dachte überhaupt nicht lange nach, lief zur Tür und öffnete ihm diese, um ihn fragend zu mustern.
Sein weißes Shirt lag ihm eng um die Brust und der Piercing in seinem Ohr leuchtete von den Lichtern hinter mir, während seine warmen, braunen Augen nervös über mein Gesicht huschten.
"Was ist los?", kam es von mir, während er an mir vorbei lief und auf dem Stuhl vor dem Spiegel Platz nahm.
"Ich ...", fing er an, stoppte aber und atmete einige Male tief durch. "Ich weiß, wo du wohnst", meinte er schlagartig und mit großen Augen lief ich genau auf ihn zu.
"Wie meinst du das?", wollte ich wissen, was ihn nervös mit seinen Fingern spielen ließ.
"Ich weiß wie sich das anhören muss, aber glaube mir, ich hatte nie böse Absichten. Wenn du Mal nicht mit irgendwelchen Männern nach Hause bist, bin ich dir mit viel Abstand gefolgt ... bis zu dem Plattenbau, in der Nähe vom Hafen. Da habe ich dann immer gewartet, bis das Licht im Fenster mit den roten Vorhängen anging. Erst dann bin ich beruhigt nach Hause."
"Josh", flüsterte ich und schüttelte dabei den Kopf. Ich wusste in dem Moment überhaupt nicht, ob ich sauer oder froh sein sollte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, also überwand ich meine Mauer für einen Augenblick und lehnte mich zu ihm herunter, um ihn kurz fest in meine Arme zu schließen.
"Du hättest das nicht-"
"Ich weiß."
Aus der kurzen Umarmung wurde eine etwas längere und ich spürte förmlich, wie sein Herz anfing schneller zu schlagen und wie sanft er mit seiner Hand über meinen Rücken streichelte, was mir dann doch etwas unangenehm wurde.
"Ich muss gleich raus", meinte ich überfordert und löste mich aus der innigen Umarmung, um mich mit dem Rücken an die Wand neben uns zu lehnen.
"Darf ich dich später nach Hause bringen?"
"Josh... Es geht mir nicht darum, ob du weißt wo ich wohne. Was erhoffst du dir aus deiner Nettigkeit?", fragte ich mit traurigem Unterton, doch er ging gar nicht darauf ein.
"Nichts. Ich möchte dich nur sicher wissen."
Ich wich seinem Blick aus und sagte nichts mehr. Er verstand zu meinem Glück auch ohne Worte, dass ich jetzt allein sein wollte. Mit seinem sorgenvollen Blick verließ er die Garderobe und ließ nur wirre Gedanken und neue Erkenntnisse zurück.
Dieser Junge war wirklich in mich verliebt und es lag nun an mir, ihm keine weiteren falschen Hoffnungen zu machen.
Gedankenverloren nahm ich nochmal auf dem Hocker vor dem Spiegel Platz, auf dem eben noch Josh saß und nahm nur nebenbei wahr, dass es draußen immer lauter wurde. Immer mehr Stimmen drangen durch die dünnen Wände zu mir hindurch und als die Musik schließlich anfing, wusste ich, dass es nicht mehr lange bis zu meinem Auftritt dauern würde.
Ich sah mir im Spiegel entgegen. Bemerkte meine leeren Augen, die aussahen, als würde ich im Moment rein gar nichts mehr empfinden - und so war es auch. Ich wühlte schwer atmend mit den Händen durch meine Naturlocken und stand dabei auf, um mit mumligen Gefühl die Garderobe zu verlassen.
Eigentlich fühlte ich mich nie so zerissen, wenn ich arbeitete. Doch die Gänsehaut, die Esteban in mir ausgelöst hatte und die Blicke, die Josh mir zeigte, warfen mich völlig aus der Bahn.
Plötzlich dachte ich wirklich darüber nach, dass ich besseres verdient hatte und das es im Leben mehr für mich gab, außer das hier.
Doch ich schüttelte lächelnd diese absurde Vorstellung ab und dachte an Pablo und meinen Stiefvater, die mich beide auf die selbe Weise sahen... Ich war ein nichts ...
Hinter der Bühne angekommen traf ich noch auf Roberta, die mir aus Pablos Büro aufgebracht entgegen kam. Sie war ganz normal angezogen und sah auch nicht so aus, als würde sie heute noch arbeiten.
"Schätzchen", sprach sie mich an und nahm mich dabei fest in ihre Arme. Der Geruch von ihren süßlichen Parfum drang mir tief in die Nase und über ihre Schulter hinweg sah ich direkt in Pablos Augen, der in seinem Türrahmen gelehnt stand und genüsslich an einer Zigarre zog.
"Ich wünsche dir alles Gute", meinte sie plötzlich und löste sich von mir, während ich sie fragend musterte.
"Was? Was meinst du damit?", wollte ich wissen, doch sie schüttelte nur den Kopf und richtete ihre enge Lederjacke.
"Ich bin wohl für manche zu alt!", gab sie laut von sich und drehte sich dabei zu Pablo, der nichts dazu sagte - nur provozierend lächelte.
"Das kannst du nicht machen!", warf ich ihm vorwurfsvoll entgegen und wollte gerade auf ihn zu, da hielt Roberta mich aber zurück.
"Ist schon okay. Ich komme klar", flüsterte sie mir ans Ohr und schaute mir tief in meine vor Wut lodernden Augen. "Aber du bist jetzt alleine hier. Pass auf dich auf, Love."
Und das war das Letzte, was ich jemals von ihr hörte.
Mit ihrem herabwürdigenden Blick schaute sie ein letztes Mal zu Pablo, warf sich dabei die roten Haare über die Schulter und verschwand hinter mir um die Ecke.
Ich stand einfach nur da und war völlig fassungslos, bis mich eine Hand an der Schulter berührte und mich zum Zucken brachte.
"Du bist meine Nummer eins und weißt du auch wieso", hauchte Pablo mir ins Ohr und von dem starken Geruch nach Zigarre, musste ich meine Nase rümpfen und meinen Kopf leicht von ihm wegdrehen. "Weil du ganz genau weißt, was ich manchmal brauche und dich nicht davor sträubst, es mir zu geben."
Zögerlich und angewidert schaute ich ihn an und sah ihm noch kurz dabei zu, wie er grinsend einen Zug der Zigarre nahm. Ich wandte ich mich aber schnell wieder von ihm ab und stellte mich genau hinter den Vorhang.
The show must go on...
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