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Es gibt Augenblicke, in denen man hinnehmen muss und es gibt Augenblicke, in denen man handeln muss;
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Er regte sich nicht mehr. Schien fast erstarrt, während ich dafür umso nervöser wurde.
Ich tapste von einem Fuß auf den anderen, beobachtete dabei sein fassungsloses Gesicht und erschrak fast zu Tode, als er plötzlich ohne Vorwarnung nach meiner Hand griff.
"Was meinst du damit, wenn du sagst, es ist der einzige Weg ihn zu sehen?", wollte er dann wissen und ich sah plötzlich nur noch Wut in seinen Augen aufflackern. "Wirst du erpresst oder was willst du mir damit sagen?"
"Nein... also doch... Ach, es ist kompliziert! Ich wusste ja bis vor ein paar Tagen selbst nichtmal, dass mein Sohn noch lebt."
Wir setzten uns gemeinsam auf eine Steinmauer hinter dem Hafen und ich erklärte im ganz in Ruhe die ganze Wahrheit.
"Das heißt also, du hast Pablo wirklich geliebt?", wollte er am Ende wissen und ich nickte nur beschämt. "Und dieser Mistkerl weiß ganz genau, was für ein guter Mensch du bist und weiß auch, dass du für Benjamin alles tun würdest", fügte er noch leise hinzu, wobei er eher zu sich selbst sprach.
Er wirkte eine Zeit lang nachdenklich und auch ich driftete in meine beschissen Vergangenheit ab, bis er plötzlich hektisch aufstand und sich genau vor mich stellte.
"Love, hör mir zu. Ich werde dich und Benjamin immer beschützen! Du brauchst dir nie wieder um irgendwas Sorgen zu machen, aber lass mich ihm eine scheiß Kugel in den Kopf jagen! Er hat es verdient, allein schon wie er dich behandelt."
Er nahm meine Hände und half mir auf die Beine, wo ich aber nur verneinend mit dem Kopf schüttelte.
"Das geht nicht", flüsterte ich und klammerte mich schluchzend an seine Brust. "Er ist Benjamins Vater und der Kleine liebt ihn. Ich kann ihm doch nicht seinen Vater nehmen. Das würde sein ganzes Leben prägen."
"Du kannst ihn aber auch nicht bei Pablo lassen. Er ist ein Zuhälter, der andere manipuliert und erpresst. Denkst du nicht er wird es auch bei Benjamin machen? Willst du wirklich, dass er in seine Fußstapfen tritt?"
Beruhigend streichelte er über meinen Rücken, während ich hoch in seine Augen sah und mir einfach nur wünschte, wir konnten alle gemeinsam abhauen ohne weiteres Blut zu vergießen...
"Reahlyn. Ich werde mich nie wieder von einem anderen Mann auch nur anfassen lassen, aber lass mich bitte mit gutem Gewissen dir gegenüber ins All in. Ich muss ihn sehen und vielleicht finde ich eine Lösung, die für uns alle akzeptabel ist."
Als er mir keine Antwort darauf gab und nur nachdenklich ins Nichts starrte, klammerte ich mich erneut an seine Brust, um an ihr noch einen Augenblick des Friedens zu finden, bevor all das Chaos wieder auf mich einstürzen würde. Es dauerte aber nicht lange, da löste er sich wieder aus der innigen Umarmung.
"Wusste Esteban von Benjamin?", fragte er dann plötzlich, woraufhin ich sofort den Kopf schüttelte.
"Nein, niemand weiß von ihm. Nur Pablo und ich.... und du", gab ich ihm kleinlaut zurück und schaute sofort im Anschluss zu Boden. Ich wollte nicht über Esteban reden, erst Recht nicht mit ihm. Da waren immernoch so viel unverständliche, unausgesprochene Gefühle in mir, die ich einfach nur versuchte zu ignorieren und die allein mit seinem Namen wieder aufkamen...
"Kleine?", hauchte er dann leise und strich mir eine Strähne meiner Haare hinter mein Ohr, um mich anschließend eindringlich anzusehen. "Geh deinen Sohn heute Nacht sehen und treff deine Entscheidungen. Überleg dir gut, mit welchen Konsequenzen du leben kannst und lass dir eins sagen. Egal was du früher einmal für Pablo empfunden hast, es gibt ihm nicht das Recht, dich so zu behandeln und du musst aufhören, dir einzureden, dass du selbst daran schuld bist."
Ich wollte mich gerade wieder schutzsuchend an seine Brust schmiegen, da hielt er mich aber zurück.
"Und noch was. Denk bitte einfach nur an dich und dein Leben. Du hast ein großes Herz und willst es jedem Recht machen, aber bitte nicht zu dem Preis, dass du daran zerbrichst ... das würde ich nicht ertragen."
Er hauchte mir einen sanften Kuss auf meine Stirn und ließ dann endlich zu, dass ich mich ganz fest an seine warme Brust kuschelte.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als mir bewusst wurde, dass er in keinster Weise ablehnend mir gegenüber war, obwohl ich ein Kind von einem anderen hatte. Im Gegenteil... Er sagte er würde mich und Benjamin für immer beschützen, was mein Herz erleichtert erwärmte.
Ich schaute hoch zu ihm, legte meine Hände an seine Wangen und suchte mit meinen Lippen die seinen, um ihn in einen leidenschaftlichen Kuss zu ziehen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch vertrieben mit ihren heftigen Flügelschlägen für eine kurze Zeit all die Dämonen, was sich einfach nur atemberaubend gut anfühlte und ich hoffte, dieser Moment würde nie enden... doch er tat es...
Nur ganz zögerlich lösten wir uns wieder voneinander und sahen uns tief in die Augen.
"Ich werde morgen um 15 Uhr genau hier auf dich warten", erklärte er dann leise und bei jedem Wort hörte ich seinen Schmerz ganz genau herausklingen, sodass auch ich ein Ziehen in der Brust spürte. Ich konnte es nicht ertragen, wenn es ihm schlecht ging und gleichzeitig war ihm unfassbar dankbar, dass er mir wenigstens eine letzte Nacht Zeit ließ, meine eigenen Entscheidungen zu treffen...
"Also dann, Kleine", lächelte er gequält und drückte mir einen Kuss auf, der meine Knie weich werden ließ. Doch so schnell dieses wunderschöne Gefühl über mich kam, so schnell ging es auch wieder.... und Reahlyn auch...
Ich sah ihm noch zu, wie er mir den Rücken zukehrte und auf sein Motorrad stieg, während ich mir jetzt schon versuchte einen Plan zurecht zu legen.
Benjamin musste mit uns kommen. Er durfte nicht bei Pablo bleiben... aber war ich ein Mensch, der damit leben könnte, den Vater meines Kindes erschießen zu lassen?
Wenn man jemanden geliebt hat, ist man dann im Stande, diese Person sterben zu sehen ohne es ein Leben lang schmerzhaft zu bereuen?
Ich wusste es nicht, sollte aber bald herausfinden, wie es ist, die Liebe zu verlieren und daran zu zerbrechen...
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