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Kritisieren, verurteilen und sich beschweren, kann jeder Narr. Und die meisten Narren tun das auch. Verständnis zu haben und zu verzeihen dagegen erfordert Charakter und Selbstdisziplin;
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Ich schämte mich. Schämte mich dafür, überhaupt zu existieren. Schämte mich dafür, ihm das so ins Gesicht gesagt zu haben und am meisten schämte ich mich für meine Gefühle, die ich einfach nicht ändern konnte.
Während ich einfach nur dastand, auf eine Reaktion seinerseits wartete und ihn durch meinen Tränenschleier hindurch ansah, war ich mir sicher, er würde mit Wut, Verärgerung, Vorwürfen oder Ignoranz auf meine Worte reagieren, so hätte nämlich jeder reagiert, doch er war nicht wie jeder, was diese Situation wieder mal unter Beweis stellte.
Er sah nämlich weder wütend, noch gleichgültig aus. Im Gegenteil! Seine Mundwinkel zuckten und ich sah selbst hier in der Dunkelheit dieses Strahlen in seinen Augen. Hatte er mich vielleicht nicht richtig verstanden?
Irritiert wischte ich mir mit dem Ärmel des mir viel zu großen Pullovers meine Augen trocken und sah ihm fragend hoch in seine Augen.
"Reahlyn?", flüsterte ich leise und ging dabei einen Schritt auf ihn zu. "Es tut mir leid."
"Du liebst mich?", wiederholte er meine Aussage von gerade und er schien total verblüfft von diesen Worten, die wirklich ehrlich von mir gemeint waren.
"Wie könnte ich nicht", hauchte ich unsicher und sofort legte er seine warmen Hände an meine Wangen und sah mich eindringlich an.
"Ich muss zugeben, es tut verdammt weh, dass es noch einen anderen gibt, Love. So weh, dass ich mich zusammenreißen muss, ihm nicht sofort an die Kehle zu springen", erklärte er mit zitternder Stimme. "Aber zu wissen, dass du mich liebst, und das ohne das ich dich mit einer Markierung zu diesen Gefühlen gezwungen habe, zeigt mir, dass es eine Zukunft für uns beide geben kann. Du wirst dich entscheiden müssen, denn ich könnte dich niemals teilen, aber du sollst wissen, dass ich mit allen Mitteln kämpfen werde, denn ich liebe dich seit dem ersten Augenblick, als ich in deine wunderschönen, blauen Augen gesehen habe."
Ich hatte kurz das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Mein Herz pochte wie wild und ich spürte förmlich, wie seine Worte mein komplettes Dasein einnahmen...
"Es war nie meine Absicht dir wehzutun", flüsterte ich ihm immernoch erstaunt über seine Worte entgegen und versank dabei in dem blau seiner Augen.
"Ich weiß", hauchte er verständnisvoll und gab mir einen sanften Kuss auf meine Stirn, um dann seine Hände nur zögerlich von meinen Wangen zu nehmen. "Und jetzt lassen wir das alles wenigstens für ein paar Stunden mal hinter uns. Ich möchte das du abschalten kannst, denn ich möchte nicht immer dabei zusehen, wie du ständig leidest."
Ich lächelte dankbar zu ihm hoch und nahm dann seine Hand, um mit ihm zu seiner Hütte zu laufen, vorbei an dem Lagerfeuer, wo einige wenige noch saßen, die ich nicht weiter beachtete.
"Möchtest du noch was essen, trinken oder sonst etwas?", erkundigte er sich fürsorglich, als wir gerade an seiner Tür ankamen und hielt kurz inne.
"Ich habe alles, was ich brauche", erwiderte ich ihm und lief dann ihm voraus in die Hütte hinein, um seine Lederjacke auszuziehen und mich auf die Kante seines Bettes zu setzen.
"Ich finde es schön, wenn du meine Klamotten trägst."
Er grinste mir entgegen und mit roten Wangen schaute ich dann an mir herunter und musterte flüchtig den weißen Pulli, der mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel fiel.
"Finde ich auch. Deine Sachen sind immer so schön warm und riechen nach dir", gab ich verlegen zu und zog den Kragen etwas nach vorne, um lächelnd daran zu schnuppern.
Es reizte ihn anscheinend, da er, nachdem ich ihm wieder in die Augen sah, einen Ausdruck hatte, als müsste er sich gerade extrem zusammenreißen, nicht wild über mich herzufallen.
Allein seine Augen, die mich so begierig fixierten, ließen mein Herz so laut schlagen, dass er es sicher hören würde. Meine Atmung beschleunigte sich, meine Hände fingen an zu schwitzen und ich empfand wieder mal, ohne überhaupt von ihm berührt zu werden, etwas so intensives, dass es mir den Verstand raubte.
"Ich werde kurz spazieren gehen", meinte er dann mit bebender Stimme. "Du kannst dir ja etwas zum Schlafen aus dem Schrank aussuchen."
Und weg war war. Er hätte sich fast noch am Türrahmen gestoßen, was mich lachend den Kopf schütteln ließ, als er schon draußen war.
Hatte ich wirklich so eine starke Wirkung auf ihn? Es war wirklich eine komplett neue Erfahrung für mich, endlich mal nicht das Gefühl zu haben, dass ein Mann nur meinen Körper wollte. Im Gegenteil, er verkniff sich jegliche Art von Annäherung, was mir nur zu deutlich zeigte, wie ernst es ihm war, gut mit mir umzugehen.
Als mein Blick dann von der Tür zum Schrank schweifte, beugte ich mich erstmal nach vorne, um diese unbequemen Highheels loszuwerden. Ich hasste diese Dinger, musste sie im Laden aber tragen. Wahrscheinlich hatte der Schuppen wirklich die Angewohnheit, einen vollkommen zu quälen, von Kopf bis Fuß.
Nein!
Ich ermahnte mich gedanklich selbst und schüttelte dabei leicht meinen Kopf. Jetzt war nicht der Augenblick über all den scheiß nachzudenken. Reahlyn hatte Recht. Ich musste auch irgendwann einfach mal alles vergessen, wenn auch nur für die Zeit die ich bei ihm war. Ich musste Kraft tanken, Entscheidungen treffen und Dinge, die ich sowieso im Moment nicht ändern konnte, beiseite drängen.
Die Schuhe stellte ich neben das Bett, tapste dann vorsichtig zum Schrank und nahm mir eine graue Jogginghose von ihm, die zwar zu groß, aber dafür umso gemütlicher aussah. Ich schlüpfte hinein, zog dann seinen Pullover und das billige Kleid aus, um mir noch ein weißes T-Shirt zu schnappen.
Fertig umgezogen setzte ich mich im Schneidersitz aufs Bett und starrte ungeduldig zur Tür. Jede Sekunde kam mir wie eine Ewigkeit vor und nervös spielte ich mit meinen Fingern, bis dann endlich die Tür aufging und er wieder da war und mich stolz betrachtete.
Wenn ihm sein Pullover an mir schon gefiel, wie musste dann ein ganzes Outfit auf ihn wirken?
Verlegen lächelte ich ihm entgegen und er schloss die Tür hinter sich, um sich dann ebenfalls eine Schlafhose auf dem Schrank zu holen. Als er seine Jeans dann auszog, spürte ich plötzlich ein extremes Kribbeln in der Magengegend und starrte wie eine Irre auf seine dunkle Boxershorts, bis er sich räusperte und ich ertappt hoch in sein Gesicht schaute.
Er grinste und ich drehte mein Gesicht mit roten Wangen zum Fernseher.
"Bist du eigentlich immer so schüchtern?", fragte er dann und zog sich dabei sein Tanktop aus, um Oberkörperfrei auf mich zuzukommen.
Ich überlegte kurz und schüttelte dann erstaunt über mich selbst den Kopf.
"Nein. Irgendwie nur bei dir", gab ich ehrlich zu und ließ meine Augen flüchtig über seine Tattos huschen. "Und du?"
"Ich?"
"Bist du immer so kontrolliert bei Frauen?"
"Musste ich noch nie", meinte er dann plötzlich und fragend zog ich eine Augenbraue hoch, während er sich dem Videorecorder zuwandte.
"Wie meinst du das?", wollte ich wissen und legte den Kopf dabei leicht schief, während ich ihn beobachtete, wie er lächelnd einige Kassetten durchsah.
"Ich hatte noch nie etwas mit einer Frau. Nichtmal ein Kuss, Love."
Ich riss ungläubig darüber die Augen auf und musterte ihn dabei. Er sah so gut aus, dass er jede haben könnte und doch hatte er noch nie. Jetzt wurde mir auch klar, wieso ihm dieses körperliche alles so wichtig war. Für ihn würde es sehr viel mehr bedeuten, als für andere.
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