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Das Schlimmste, wenn man belogen wurde, ist nicht die Lüge an sich, sondern die Erkenntnis, dass man dem anderen so wenig wert war, dass er damit leben konnte, einem Wahrheit zu verschweigen;
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Wie in Trance, zog mir ein enges, schwarzes Kleid an, dass sich weich anfühlte und mir nur knapp bis unter den Po reichte. Ich verließ dann mit immernoch dröhnenden Schmerzen im Kopf die Kabine und sah sofort Josh, der genauso verloren wirkte wie ich selbst und hinter der Theke stand, während er Gläser spülte.
Unser letztes Gespräch war nicht gut verlaufen, aber er hatte alles Recht der Welt sauer oder enttäuscht von mir zu sein. Ich wäre es auch...
"Hey", flüsterte ich dann und ließ mich vor ihm auf dem Hocker nieder, doch er beachtete mich nicht einmal. Hatte ich wohl verdient...
Und dann ging alles seinen ganz normalen Ablauf, wie jede Nacht. Laute Housemusik spielte, bunte Lichter flackerten und immer wieder kamen Männer zu mir, die sich mit mir über belanglose Sachen unterhielten, mir Drinks ausgaben und versprachen, später nach der Show wiederzukomme. Natalia tanzte dann schüchtern los und es gefiel den Männern sichtlich, wie jung und hilflos sie auf der Bühne wirkte.
Pablo war anscheinend immernoch hinten im Büro...
"Komm mit", riss mich plötzlich jemand so fest an Arm, dass ich fast vom Hocker gefallen wäre und mein Herz schlug mir vor lauter Schock bis zum Hals.
Ich drehte mich atemlos herum und es war Esteban, der mich wütend musterte und mich mit sich ziehen wollte, doch ich entriss mich seinem Griff.
"Nein! Ich bleibe", gab ich bestimmend von mir, doch er nahm mein Gesicht fest in seine Hände und schaute mir so tief in die Augen, dass ich kurz alles um mich herum vergaß.
"Nur über meine Leiche!", sprach er drohend und ich spürte seinen Atem an meine Lippen prallen, bekam davon sofort eine Gänsehaut und verfiel dem Drang ihm einfach alles zu erzählen, auf seine Hilfe zu bauen, ihm unser aller Leben anzuvertrauen ... doch zu welchem Preis?
Würde ich ihm jetzt nicht wirklich klar machen, dass er mich in Ruhe lassen sollte, dann würde nicht nur er in Gefahr geraten, sondern auch Benjamin ...
Mein Herz starb qualvoll, das Feuer in mir erlischte und es war, als würde alles Glück, alle Liebe und alle Hoffnung aus meinem Körper weichen, als ich ihm tief in seine dunklen Augen sah und ihn gleichzeitig von mir wegstieß.
"Verschwinde aus meinem Leben", sprach ich ruhig und gefasst, im Klaren darüber, wenn ich ihm auch nur einen Funken meiner Schwäche zeigen würde, er mir keinen Glauben schenken würde. Ich musste hart sein ... auch wenn ich innerlich bitterlich weinte und mir nichts sehnlicher wünschte, als dass ich ihm diesen Schmerz ersparen könnte.
"Nein!", antwortete er sofort und umgriff mein Handgelenk. Ich sah die Verzweiflung in seinen Augen und musste sie in puren Hass umwandeln.
"Esteban", mahnte ich ihn und entzog ihm meine Hand erneut. "Du hattest Recht. Ich hab Reahlyn nicht verdient und du hast mich nicht verdient. Hast du nicht eine Frau schon dazu gezwungen, sich in den Tod zu stürzen?! Ich möchte nicht die nächste sein! Also halt dich fern von mir!", schrie ich und sah ihn dabei ohne Ausdruck an. Seine Augen schienen zu erlischen. Da war keine Leidenschaft mehr, nichtmal mehr Verzweiflung... Es war beängstigend...
"Oh mein Bruder", hörte ich Pablo hinter mir, der dann den Arm um meine Schulter legte und lächelnd zwischen uns hin und hersah. "So viele Emotionen an so einem Ort? Das ist wirklich faszinierend."
Esteban und ich schauten uns immernoch an, beachteten Pablo überhaupt nicht und während ich nach außen hin stark wirkte, wollte ich innerlich nichts sehnlicher als meine Worte zurück zu nehmen und ihm sagen, das ich ihn so sehr liebte, dass es weh tat...
"Esteban", wandte sich Pablo dann an ihn, doch Esteban regte sich nicht mehr. Er starrte durch mich hindurch, als wäre ich ein Geist, als wäre ich nicht da ... als wäre ich für ihn gestorben.
"Ich weiß du hattest erst eine Frau und die ist leider von uns gegangen. Möge sie in Frieden ruhen", erklang wieder Pablos Stimme, der seinen Arm von meiner Schulter nahm und sich vor Esteban stellte. "Aber hab ich dir nicht immer gesagt, das Nutten nichts für dich sind. Sie verdrehen einem den Kopf. Das hat sie auch mir schon angetan und ja, ich war auch nicht immer fair zu ihr. Sie wollte mir nur wehtun mit dir. Mehr warst du für sie nicht."
Am Liebsten hätte ich alles rausgeschrieen. Alles was ich wusste. Alles, was ich in mir versteckt hielt, doch ich stand nur schweigend da und sah dabei zu, wie der Mann, dem ich am meisten vertraute, das Herz auf grausamste Weise herausgerissen wurde.
Der sonst so gefasste, kalte Ausdruck verschwand. Man konnte in diesem Moment allein an seiner Körperhaltung schon erkennen, wie gebrochen er war.
"So und jetzt komm bitte mit in mein Büro. Ich hab dir einiges zu sagen und Love, meine Liebe, komm her und gib mir einen Kuss."
Estebans Augen trafen meine und ich hoffte nur noch, er würde es nicht mit ansehen, doch er wollte sich diesen Schmerz antun. Er wollte mich hassen...
Ich ging auf Pablo zu, lächelte dabei so strahlend, dass selbst der skeptische Mensch mir mein Glücklichsein abgekauft hätte und stellte mich dann vor Pablo auf die Zehenspitzen.
"Meine Schönheit", grinste Pablo und nahm meine Haare fest in seine Hand, so dass ich tief Luft zog und er mein Gesicht währenddessen in Estebans Richtung drehte.
Dann schloss ich meine Augen. Ich hätte es keine Sekunde länger ertragen ihn anzusehen.
Pablos Lippen berührten meine und seine widerliche Zunge suchte sich den Weg zu meiner, während seine Hände an meinem Po unter das Kleid rutschten.
Ich unterdrückte es zu weinen
Unterdrückte es zu schreien
Und selbst wenn äußerlich eine starke Frau zu sehen war, saß ich in meinem Inneren als kleines Mädchen unter meiner Bettdecke in meinem Zimmer.
Ich hielt eine Taschenlampe in meinen zitternden Händen und dachte immer, mein Stiefvater würde nicht kommen, wenn ich mich nur leise in der Dunkelheit verstecken würde.
Doch er kam, genau wie all die anderen Dämonen kommen und es ist egal, ob du dich versteckst, wie stark du bist oder wie viele Menschen dir helfen wollen... Solange es etwas auf der Welt gibt, dass du liebst, haben sie die volle Kontrolle über dich...
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