32
Die größte Offenbarung ist die Stille;
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Schweigend lagen wir nebeneinander auf meinem Bett und starrten gemeinsam an die weiße Decke, während unsere Körper sich erholten und wir langsam zurück in die Realität kamen.
Meine Gedanken flogen sofort zu Reahlyn und ich fragte mich, ob er es spüren konnte... Ob er wegen mir nun Schmerz empfand... Diese Gedanken erdrückten mich beinahe und ich musste mich aufsetzen, um überhaupt noch atmen zu können. Wieso war ich so ein schlechter Mensch? Wieso brauchte ich dieses Gefühl, dass Esteban mir gab? Wieso konnte ich nicht einfach endlich Mal allem entfliehen? Ich war wie langsam wirkendes Gift, dass andere auf Dauer zerstörte...
"Alles in Ordnung?", fragte Esteban ruhig und setzte sich ebenfalls auf, um mein Gesicht in seine Richtung zu drehen.
"Ja", flüsterte ich und ließ meinen Kopf erschöpft auf seine Schulter fallen, was ihm wohl in diesem Augenblick zu viel Nähe war. Sofort wandte er sich von mir ab und stand auf, um seine Boxershorts und Hose anzuziehen.
Umso besser ich mich eben noch fühlte, umso schlechter ging es mir jetzt...
Er starrte mich ausdrucklos an und in mir stieg eine Wut auf mich selbst empor, die mir die Tränen in die Augen trieb. In dem Moment wusste ich, ich hatte all den Schmerz verdient, der tief in mir verankert war.
"Ich kann das nicht", flüsterte er dann entschuldigend und ich riss mich zusammen, gab ihm nicht die Genugtuung zu weinen und stand ebenfalls auf.
"Was kannst du nicht?", fauchte ich und fühlte mich in dem Moment benutzt und weggestoßen. Es war schrecklich.
"Love", sprach er meinen Namen wehmütig aus, während er mich berühren wollte, doch ich schlug seine Hand beiseite und suchte mir neue Klamotten aus meiner weißen Kommode heraus.
"Wieso bist du hier und nicht bei Reahlyn?", fragte er dann plötzlich hinter mir und sofort nahm ich ihn wütend ins Visier.
"Weil du mich immer mit diesem Ausdruck ansiehst, der mich an nichts anderes mehr denken lässt, außer an dich!", antwortete ich ihm mit lauter Stimme, was ihn aber sofort den Kopf schütteln ließ.
"Du bist hier, weil du ganz genau weißt, dass er zu gut für dich ist", knallte er mir plötzlich diese bittere Wahrheit an den Kopf und kam nah an mich heran. "Und trotzdem willst du es. Willst seine Nähe, doch umso näher du ihm kommst, umso klarer wird dir, dass er besseres verdient hat."
Ich lauschte seinen Worten, spürte den Schmerz tief in mir drin und wich seinem Blick dann aus. Ich ertrug diese Wahrheit nicht.
"Und du denkst, du wüsstest, was ich empfinde?", hauchte ich von Trauer ummantelt und sofort wich er wieder einige Schritte zurück, um sich sein Hemd vom Boden aufzuheben.
"Ich empfinde das gleiche, Love, nur dir gegenüber", sprach er dann die Wahrheit aus. Die Wahrheit, wieso er nur mit dem Körper zeigen konnte, wie sehr er mich wollte. Die Wahrheit, dass er sich selbst nicht liebte und nicht daran glaubte, dass er Glück verdient hatte...
"Wie kommst du darauf, dass ich besseres verdient hätte, als dich? Wir sind uns so ähnlich, da gibt es kein besser oder schlechter, Esteban", versuchte ich ihm meine Sicht der Dinge klarzumachen, doch wieder schüttelte er nur den Kopf und schaute mich mit einem gequälten Lächeln an.
"Vor zehn Jahren hat sich eine Frau namens Alice das Leben genommen. Es war meine Schuld. Ich hab sie immer wieder gedrängt von hier abzuhauen. Sie wollte es, wirkte glücklich und doch fand ich sie am Tag der Abreise tot in unserer Badewanne. Glaub mir, Love, wenn ich dir sage du hast besseres verdient, als mich."
Seine Augen schienen eiskalt, seine Mimik erstarrt, doch ich spürte wie viel Kraft es ihn kostete, mir diese Geschichte zu erzählen.
"Du bist die erste, bei der ich wieder etwas empfinde und es ist egoistisch von mir, dich dazu zu benutzen, für kurze Zeit so etwas wie Liebe zu empfinden, aber ich kann nicht anders. Du ziehst mich magisch an, hälst mich am Leben und doch weiß ich gleichzeitig, wie falsch es ist. Ich fühle mich zerissen und weiß nicht mehr weiter."
Er ließ sich auf der Kante meines Bettes nieder und sah mich mit diesem Schmerz an, der mir selbst wehtat. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte. Ich hatte an diesem Tag bin zwei Menschen ihre tiefsten Geheimnisse anvertraut bekommen und doch wusste ich immernoch nicht, für wen ich mehr empfand.
"Das mit Alice tut mir sehr leid", drückte ich ihm mein Beileid aus und lief langsam auf ihn zu, um mich nackt auf seinen Schoß zu setzen. Ich streichelte sanft durch seine Haare, während er seinen Kopf an meine Brust legte und mich fest in seine Arme schloss.
"Du musst hier raus", flüsterte er dann in die Stille und schaute mich mitfühlend an. "Reahlyn wird dich glücklich machen. Ich weiß es. Er wird sich so gut um dich kümmern, dass du all die bösen Dämonen vergessen wirst", hauchte er und ließ meinem Blick dabei nicht los, auch dann nicht, als mir die ersten Tränen über die Wange liefen.
"Und wer wird dich glücklich machen?", schluchzte ich mit zitternder Stimme und sofort wischte er mir zärtlich die Tränen weg.
"Dein Glück wird mein Glück sein, Love."
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