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Sprich deine Geheimnisse in den Wind, aber mach ihm keinen Vorwurf, wenn er sie den Bäumen weitererzählt;
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Ich nahm mir von allem etwas auf den Teller, aß ganz in Ruhe und schaute immer wieder dankbar zu Reahlyn, der mir gegenüber saß und irgendwas zeichnete. Ich hoffte wirklich, er würde nicht mich malen, denn die letzten Tage hatten sicherlich Spuren auf meinem Gesicht hinterlassen. Zumindest fühlte ich mich so nach all den Tränen und viel zu wenig Schlaf.

Und dann kam wieder die Gewissheit auf, dass ich nicht ewig hierbleiben könnte. Diese bittere Wahrheit rammte sich in meinen Verstand und ließ dann auch nicht weiter zu, dass ich essen in mich aufnahm.

Ich legte die Gabel beiseite, fasste mir an meinen dröhnenden Kopf und stieß die ganze angestaute Luft heraus, die bis tief in meinem Hals festsaß.

"Ich würde ja fragen, ob alles in Ordnung ist, aber die Anwort darauf kann ich bereits in deinen leeren Augen ablesen", wandte sich Reahlyn dann an mich und legte den Bleistift beiseite, um aufzustehen und um den Tisch herumzukommen. "Bitte erzähl mir endlich was los ist. Du bist nicht umsonst mitten in der Nacht zu mir gekommen."

Er setzte sich genau neben mich auf den Stuhl, um seine Hand auf meine zu legen und schaute mich mitfühlend an.

"Ich will nicht, dass du etwas Dummes tust", flüsterte ich dann und bekam von ihm sofort einen verwirrten Blick geschenkt.

"Was meinst du damit?"

"Würde ich dir auch nur die Hälfte von dem erzählen, was die letzten Jahre in meinem Leben vor sich ging, dann würdest du sicher schneller auf deinem Motorrad sitzen, um jemanden zu erschießen, als ich zu Ende geredet hätte und dann würde ich mir Vorwürfe machen, dich in etwas reingezogen zu haben, was dich eigentlich gar nicht kümmern sollte."

"Wie kannst du sowas sagen", wurde er plötzlich lauter und nahm auch noch meine zweite Hand in seine, um mich eindringlich anzusehen. "Natürlich kümmerst du mich und es wird auch nie etwas geben, dass mich dazu bringen würde, mich nicht mehr um dein Wohlergehen zu sorgen."

Ich entriss ihm meine Hände und stand auf, um wieder etwas Luft zwischen uns zu bringen. Das war alles zu viel für mich.

"Genau das meine ich!", platzte es dann überfordert aus mir heraus, während ich ihn wütend anfunkelte. "Denk nicht ich wäre undankbar oder sonst was, aber das ist einfach zu viel. Wie kannst du dich so in mein Leben einmischen, obwohl du mich nichtmal kennst!", schrie ich ihn an und ich wusste in dem Moment nichtmal mehr, warum ich überhaupt so wütend war. War es, weil ich mit dieser Sorge um mich nicht umgehen konnte? War ich sauer auf ihn, weil er mir immer wieder zeigte, wie einfach alles sein konnte oder sauer auf mich selbst, weil ich mir einfach nur wünschte, das keiner wegen mir leiden sollen müsste?

Ich wollte mich gerade zur Tür wenden, da umfasste er mein Handgelenk und riss mich unsanft zu sich zurück.

"Du wirst nicht wieder abhauen, nur weil du dich in die Ecke gedrängt fühlst", knurrte er streng und sah mich warnend an, doch ich versuchte mich sofort aus seinem festen Griff zu befreien.

"Lass mich los", verlangte ich und riss an seiner Hand, doch sie ließ sich kein Stück lockern. "Reahlyn, bitte", flehte ich dann und spürte die ersten Tränen über meine Wangen laufen.

"Ich lass dich los, wenn du endlich aufhörst dich um andere mehr zu sorgen, als um sich selbst", sprach er ruhig und sofort flossen unzählige Tränen aus meinen Augen heraus, die ich nicht mehr zurückhalten konnte. Reahlyn zog mich in eine innige Umarmung, umfasste meinen zitternden Körper und es war ein total befreiendes Gefühl, mal alles rauszulassen und dabei nicht alleine zu sein...

"Wieso bist du so zu mir?", schluchzte ich dann an seinen Pullover geklammert, während ich zu ihm aufschaute und mir nicht im geringsten vorstellen konnte, wieso er so zu mir.

"Naja, du bist meine Seelenverwandte", erklärte er sich total ruhig und ich runzelte nur irritiert die Stirn, ehe ich mich dann von ihm löste und meine Tränen wegwischte.

"Was redest du denn da? So etwas gibt es doch gar nicht", schüttelte ich ungläubig den Kopf, doch als ich in seine Augen sah, wusste ich, dass er es völlig ernst meinte.

"Bei euch Menschen vielleicht nicht", zuckte er lächelnd mit den Schultern. "Aber bei uns schon."

Bei uns Menschen?

"Oh. Hallo, Love."

Ich hörte ganz genau die Stimme von Reahlyns Mutter hinter mir, doch ich hörte nicht auf fragend in seine Augen zu schauen, bis mir etwas einfiel, das Pablo mir ganz am Anfang unserer Beziehung erzählt hatte.

Wesen die in Wäldern leben und Ähnlichkeiten zu Wölfen hatten. Denen niemals kalt wäre, die ewig leben würden. Stärke, Mut und Zusammenhalt waren ihre größten Gaben...

Dann plötzlich kam mir sein Geruch in den Sinn. Dieser Duft ... das war kein Hund ...

Dann sah ich Maisie mit ihrem Kleid durch die Kälte tanzen, diese unglaubliche Wärme die sie ausstrahlte, genauso wie Reahlyn...

Ich kann dich riechen, hatte er gesagt...

"Love?", sprach er mich besorgt an, doch ich wich einen Schritt zurück und musterte ihn mit großen Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. Das waren alles Märchen. Pablo lachte damals als er mir davon erzählte und nun stand ich vor einem. Dieses Märchen wurde wahr und ich wusste nicht, ob ich schreien, abhauen, oder in Ohnmacht fallen sollte.

Mein Körper war unfähig sich zu bewegen, meine Atmung ging nur noch stoßweise und mein Herz stolperte einige Male vor lauter Adrenalin, dass mir gerade durch meinen Körper rauschte.

"Du b- ... Aber d- ..."

Ich öffnete immer wieder meine Lippen und zeigte mit meiner zitternden Hand auf ihn, doch es kam kein Wort verständlich heraus. Nur Wortfetzen die genau zeigten, wie durcheinander ich gerade war.

"Reahlyn, was hat sie?", wandte sich seine Mutter ihm zu und stellte sich dabei genau neben ihn, um mich genauso besorgt zu mustern.

"Wahrscheinlich ein Schock", flüsterte er und dann kippte ich wirklich zur Seite um. Meine Beine gaben nach, meine Augen wurden schwer und ich sah nur noch die Holzdecke über mir, die immer dunkler wurde, ehe ich von zwei Armen im letzten Moment gefangen wurde.

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