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Die Vergangenheit ist nicht dazu da, um sie zu vergessen, sondern viel mehr um aus ihr zu lernen;
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Nur wenig Licht drang durch die Vorhänge hindurch in die Hütte, während ich schon eine ganze Weile wach lag und in einem ständigen Rhytmus über Reahlyns Arm streichelte. Seine Haut zu berühren brachte mir ein vertrautes Gefühl und dazu faszinierte mich das Prickeln, dass diese Berührungen in meinen Fingerspitzen auslöste.
Er war ebenfalls wach, das spürte ich an seinem manchmal schneller werdenden Herzschlag und auch daran, dass er mir immer wieder zärtlich den Rücken kraulte, wovon ich eine angenehme Gänsehaut bekam.
Wahrscheinlich war er genauso in Gedanken versunken wie ich, oder er wollte diesen intimen Moment voller Zärtlichkeiten nicht einfach auflösen. Ich wusste es nicht, wusste aber, dass ich noch Ewigkeiten so hier hätte liegen bleiben können, bis mein Magen plötzlich laut aufkurrte, was mir dann total unangenehm war in dieser Stille.
"Wann hast du eigentlich das letzte Mal etwas gegessen, Kleine?", fragte er leise und erhob seinen Oberkörper vorsichtig, um mich besorgt zu mustern. Seine eisblauen Augen huschten über mein Gesicht und strahlten wie immer eine unfassbare Wärme aus, während mein Blick auf seine verwuschelten, braunen Haare fiel. Er sah einfach nur unfassbar gut aus.
Ich überlegte kurz und kam selbst nicht mehr darauf. Bei Willy hatte ich einige Bissen von dem Fisch genommen, den er über dem Feuer der Tonne angeröstet hatte, aber mehr wie zwei kleine Stückchen waren das nicht.
Unwissend zuckte ich mit den Schultern und sah ihn beschämt an. Ich bekam bei der Erinnerung an den letzten Tag ein richtig schlechtes Gewissen, obwohl ich mit Reahlyn überhaupt nicht zusammen war, aber in seiner Gegenwart fühlte es sich plötzlich vollkommen falsch an, mit Esteban geschlafen zu haben.
"Ich hole dir etwas. Bleib einfach liegen und ruh dich aus. Ich mache dir einen guten Film an", lächelte er und stand dann aus dem Bett auf, um sich dem Videorecorder zuzuwenden. Wieder einmal fragte ich mich, ob er wirklich Ronald erschossen hatte oder es einfach nur Einbildung war ... So ein liebevoller, fürsorglicher Mann konnte doch kaum noch eine andere Seite an sich haben...
"Brauchst du sonst noch was?", fragte er dann und ich schüttelte verneinend den Kopf, während meine Augen zu seinem Oberkörper abdrifteten und dort verharrten. Er bemerkte mein Starren ganz genau und grinste nur dämlich, ehe er dann zum Schrank lief und sich einen grauen Kapuzenpullover überzog, während er untenrum eine schwarze Jeans anzog.
"Bis gleich", meinte er noch und beugte sich zu mir herunter, um mir einen Kuss auf meine Wange zu geben. Ich schloss meine Augen und genoss diesen schönen Moment, um ihm dann noch hinterherzusehen, wie er die Hütte verließ.
Und dann überkam mich sofort ein ganz schlimmes Gefühl, das drohte mich in einen Abgrund zu ziehen. Allein zu sein gab wieder Gedanken frei, die ich komplett vergessen konnte, wenn er in meiner Nähe war.
Ich hörte Pablos widerliches Stöhnen, als würde er direkt an meinem Ohr liegen, spürte seine Hand an meinem Hals und schreckte hoch, rang nach Luft, doch ich bekam keine. All diese grausamen Erinnerungen trafen mich mit einem Schlag und ich sprang panisch aus dem Bett, um schnell in meine schwarze Jeans zu steigen, während meine Hände unkontrolliert anfingen zu zittern. Ich musste hier raus und zwar schnell, denn diese Hütte kam mir immer kleiner vor. Die Einengung nahm überhaupt kein Ende und als ich dann endlich auch meine Schuhe anhatte, zog ich den gelben Pullover wieder über und stürmte aus der Hütte heraus.
Sofort zog ich Luft, spürte die Kälte bis tief in meine Lungen gleiten und lehnte mich mit dem Rücken an die Außenwand der Hütte, um dann zum grauen Himmel aufzuschauen und mich nur langsam zu beruhigen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, aber es kam mir Ewigkeiten vor, die ich brauchte, um Pablo aus meinem Verstand zu drängen.
"Hallo", sprach mich plötzlich eine engelsstimme an und als ich neugierig zu meiner Seite blickte, entdecke ich Maisie, die gemeinsam mit zwei anderen Mädchen gerade auf mich zukam.
Sie spielte an ihren blonden Haaren herum, strahlte über das ganze Gesicht, doch was mich sofort erschocken die Augen aufreißen ließ, war, dass dieses kleine zierliche Mädchen bei Minus Graden nur ein lächerlich dünnes Kleid anhatte.
"Maisie", hauchte ich und ging vor ihr in die Hocke, um sie fürsorglich zu mustern. "Du musst dir unbedingt eine Jacke anziehen. Du wirst sonst noch krank."
Die drei Mädchen schauten mich an, als wäre ich verrückt, dabei machte ich mir doch nur Sorgen.
"Ich empfinde keine Kälte. Mir ist immer warm", grinste Maisie und als sie mir ihre Hand dann an meine Wange legte, spürte ich die gleiche Hitze, die auch von Reahlyn ausging. "Siehst du, mir ist nicht kalt", fügte sie dann noch kichernd hinzu und musterte mich mit stolzem Ausdruck, während ihre grünen Augen meine fixierten.
"Wie kann das sein?", flüsterte ich leise zu mir selbst und erhob mich dann wieder, um sie mit offenem Mund anzustarren. Vielleicht träumte ich wirklich ... Vielleicht war das alles nur ein Traum und ich würde bald einfach in meiner Wohnung aufwachen und Esteban, genau wie Reahlyn und dieser Ort wären nur meinem Unterbewusstsein entsprungen.
"Maisie!", hörte ich Reahlyns Stimme, die nicht erfreut klang und sah ihn dann hinter ihr auf uns zukommen. "Spielt woanders", befahl er streng und die beiden sahen sich eine Weile schweigend in die Augen, bis sie mich dann noch verspielt anzwinkerte und kichernd mit ihren Freundinnen weglief.
"Entschuldige, sie kann ziemlich aufdringlich sein", wandte Reahlyn sich mir zu, doch ich schaute ihn nur mahnend an.
"Sie sollte bei dieser Kälte nicht in so einem dünnen Kleidchen herumrennen. Sie ist so warm, sie hat sicher schon Fieber", warnte ich, doch er lachte plötzlich laut los und nahm meine Sorge überhaupt nicht ernst.
"Mach dir keine Gedanken, sie wird nicht krank", lächelte er belustigt und ich verstand die Welt nun überhaupt nicht mehr, ließ es aber gut sein. Auf mich schien eh niemand zu hören. "Ich habe drüben etwas gekocht. Sehen wir erstmal zu, dass du was in den Magen bekommst."
Er wollte gerade mir vorraus laufen, da nahm ich aber seine Hand fest in meine und sofort schaute er mich überrascht an, während seine Augen wieder dieses Funkeln annahmen, dass er immer hatte wenn ich in seiner Nähe war. Dann liefen wir gemeinsam zur großen Hütte und ich staunte nicht schlecht über den wirklich großzügig gedeckten Tisch.
"Wer kommt denn noch alles zum Essen?", fragte ich immernoch den Blick auf die Speisen gerichtet. Da stand wirklich alles mögliche an Obst und Gemüse, dass man in Juneau so eigentlich überhaupt nicht zum Kaufen bekam. Dazu Rühreier, gekochte Eier, Spiegeleier, Eier mit Tomaten... Oh mein Gott... Anscheinend hatte er jede Variation zubereitet und das in so kurzer Zeit. Wie war das möglich?
"Keiner. Ich wusste nicht was du am liebsten isst, also hab ich etwas von allem gemacht."
Ich schaute völlig verwundert zu ihm hoch und er zuckte nur lächelnd mit den Schultern.
"Und was ist, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich Eier nicht gerne esse?", fragte ich ihn mit ernstem Ausdruck und konnte förmlich sehen, wie nervös er dadurch wurde.
"Dann stände ich wohl ziemlich blöd da", grinste er verlegen und sofort musste ich das erste Mal seit langem aus vollem Herzen lachen. Der Klang war mir schon fremd geworden, doch ich genoss dieses Gefühl in vollen Zügen und auch Reahlyn schien sich über mein Lachen zu amüsieren.
"Keine Sorge. Ich werde von allem was du zubereitet hast auch etwas probieren", gab ich ihm dann mit Freudentränen in den Augen zurück und setzte mich dann überglücklich, dass jemand sich so viel Mühe für mich gegeben hatte, an den Tisch.
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