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All in, all out

"Du hast noch fünf Minuten, Love."

Ich nickte Pablo zu und schaute mich anschließend wieder in dem großen Schminkspiegel vor mir an. Nervosität breitete sich in mir aus, während ich auf einem Hocker saß und damit beschäftigt war, meine Locken zu stylen.

Meine blauen Augen huschten über mein Spiegelbild, doch auch wenn ich mir entgegensah, erkannte ich die Frau im Spiegel nicht mehr wieder ...

Die letzten Jahre hatten mich verändert. Nach außen hin immer noch das zierliche Mädchen, mit den wunderschönen braunen Locken - doch innerlich hatte ich eine totale Wandlung durchgemacht.

Anstatt wie früher mit geschlossenen Augen und offenen Armen zu tanzen, strippte ich nun an einer Stange. Sie fühlte sich genauso kalt an, wie alles in mir drin.

Es war also auch kein Wunder, dass ich hier gelandet war ... in Juneau - mitten in dem kalten, düsteren Alaska. Dieser Ort passte mit seiner Kälte und der ständigen Dunkelheit einfach zu mir und meinem jetzigen Leben.

Bevor ich mich von meinen Gedanken los riss und aufstand, nahm ich mir wie jedesmal vor einem Auftritt kurz Zeit, mich mental von mir selbst zu verabschieden.

Dort draußen, umgeben von notgeilen Männern, war ich eine andere. Ich gab mich selbstbewusst, mutig und hatte stets ein Lächeln auf den Lippen - denn welcher Mann wollte schon einer gebrochenen Frau dabei zusehen, wie sie sich selbst bemitleidete?

Sicherlich keiner und ich war auf das Trinkgeld wirklich angewiesen, denn viel verdienen tat ich hier nicht.

Tief durchatmend erhob ich mich, richtete mein ziemlich echt wirkendes Polizei-Outfit und legte noch einmal roten Lippenstift auf, um anschließend den kleinen Raum zu verlassen, der uns Frauen als Umkleide diente.

Mehr als ein Schminkspiegel und mehrere Kleiderstangen waren hier nicht vorhanden, aber Pablo war auch nicht dafür bekannt, viel Geld in uns Frauen  zu investieren. Im Endeffekt nutzte dieses Arschloch uns sowieso nur für seine Zwecke aus ... wobei ich selbst schuld war ...

Als ich dann genau neben der Bühne hinter dem schwarzen Vorhang stand, wartete ich nur noch darauf, dass mein Name aufgerufen wurde. Es kam jedoch anders, als erwartet.

"Schätzchen", sprach mich Roberta an, die wie immer laut auf ihrem Kaugummi kaute, während sie sich mit den Fingern Strähnen ihrer roten Haare umwickelte. Dass sie in ihrem hohen Alter überhaupt noch hier tanzte, war mir echt ein Rätsel. Die Männer liebten sie aber gerade für ihre ehrliche, offene Art und auch mir hatte sie schon das eine oder andere Mal aus der Patsche geholfen. "Du sollst zu Pablo in den VIP Bereich. Ich übernehme."

Sie zwinkerte mir zu und spuckte anschließend ihren Kaugummi in den kleinen Mülleimer neben uns. Als ich dann ihren, statt meinen Namen und die Männer klatschen hörte, verschwand sie auch schon durch den Vorhang und lieferte ihre Show ab.

Für einen kurzen Moment schaute ich ihr noch zu - wie sie elegant anfing sich obenrum zu entkleiden, doch schnell kam Pablo mir wieder in den Sinn, der nicht gerne wartete.

Zügig lief ich den dunklen Flur entlang, der zur Bar führte und schaute neugierig durch die Menge an Männern, die alle an den roten, runden Tischen saßen und Roberta Scheine zusteckten.

"Officer?", sprach mich eine männliche Stimme von der Seite an und sofort musste ich lächeln, schon ehe ich mich herumgedreht hatte.

Hinter der Theke stand Josh, unser kleiner Engel, der wirklich überhaupt nicht in diesen heruntergekommenen Schuppen passte. Er war mit seinen jungen 17 Jahren nicht mal volljährig - doch durch den Tod seines Vaters musste er sich etwas suchen, um seine Mutter finanziell zu unterstützen. Eine wirklich tragische Geschichte, die ihm aber nichts seiner Lebensfreude nahm.

"Was darf's denn sein?", fragte er lächelnd und ohne meine Antwort abzuwarten, holte er bereits eine Flasche Orangensaft hervor. Er wusste eben immer, wonach es mir gerade war. Ein aufmerksames, süßes Kerlchen, mit seinen verwuschelten blonden Haaren und den warmen, braunen Augen.

"Ich danke dir", brachte ich leise hervor und nahm vorsichtig das Glas entgegen. Einige Sekunden musterte ich ihn noch, ehe ich dann zu der Wendeltreppe neben uns lief und Stufe für Stufe nahm.

Von hier oben hatte man einen direkten Blick auf die Bühne, ohne das einem die Leute die Sicht versperrten. Deswegen nannte Pablo diese Erhöhung VIP Bereich - obwohl hier nur eine schwarze Ledercouch und mehrere Sessel standen.

Mein Blick schweifte von der Bühne zu meiner Seite herüber, wo ich sofort Pablo erkannte. Er saß in einem der dunklen Sessel und sah unter den bunten Lichtern wirklich toll aus. Bei ihm trügte jedoch der Schein. Er war nicht toll - kein guter Mann... Ganz im Gegenteil.

Nur zu gerne ließ er mich wissen, dass ich ohne ihn ein nichts wäre und an ganz schlimmen Tagen, benutzte er mich stundenlang für seine Triebe. Als wäre ich seine Marionette, die er danach wegwerfen könnte wie ein Stück Dreck.

Aber ich hatte niemanden außer ihn und so ließ ich es über mich ergehen.

"Du hast nach mir gefragt?", rief ich ihm über die laute Musik hinweg zu und ignorierte dabei die zwei Männer, die bei ihm saßen.

"Love", begrüßte er mich erfreut und erhob sich mit ausgebreiteten Armen, um mit einem strahlenden Lächeln auf mich zuzukommen. "Setz dich meine Schönheit."

Er nahm mir mein Glas ab, roch daran und verzog angewidert das Gesicht, um anschließend einen Arm um meine Schulter zu legen.

"Meine Herren", räusperte er sich, wodurch die Männer aufstanden und sich zu uns drehten. "Das ist sie."

Mit diesen Worten stellte er mich vor und schubste mich beinahe schon zu den zwei Kerlen herüber, die ich mir nun genauer ansah.

Der eine sah fast aus wie jeder Zweite hier in Juneau. Eine dicke Weste, ein rotes Hemd darunter und zu seinen dunklen Haaren, trug er einen dunklen Vollbart im Gesicht.

Er stellte sich mir als Howard vor.

Als er sich wieder hinsetzte und mit Pablo ein Gespräch anfing, spürte ich plötzlich eine Gänsehaut auf meinen Armen, ohne zu verstehen, woher sie so schlagartig kam.

"Hallo, Love", hörte ich die tiefe Stimme des anderen, deren Klang mich sofort zu ihm aufschauen ließ.

Seine Augen schienen fast schwarz hier in dem düsteren Licht, doch trotzdem strahlten sie hell, was mich sofort an ihm faszinierte. Doch nicht nur das... Er war auch im Gegensatz zu den anderen viel zu schön für diesen Schuppen. Ein Mann wie er, mit den perfekt liegenden schwarzen Haaren, dem strahlenden Lächeln und dem Körper eines Adonis, konnte doch sicher jede haben. Was suchte er hier?

Was suchte ich überhaupt hier?

Ich nickte ihm nur verlegen zu und schaute dann fragend zu Pablo, der neben dem anderen auf der Couch saß und sich meinen Orangensaft schmecken ließ.

"Pablo?", erhob ich meine Stimme und wirkte dabei sicher nervöser denn je, aber nur, weil ich immer noch die Blicke des perfekten Mannes auf mir spürte. Sie durchbohrten mich regelrecht und nahmen mir damit schon fast die Fähigkeit zu atmen.

"Oh, entschuldige", wandte sich Pablo dann endlich wieder mir zu und stand dabei eilig auf. "Die beiden sind alte Freunde und für gute Freunde nur das Beste. Du bist die Beste, Love. Deswegen stehst du ihnen rund um die Uhr zur Verfügung."

Völlig überrumpelt erstarrte ich einen Augenblick, ehe ich ihn am Arm packte und mit ihm zur Treppe lief.

"Du hast immer gesagt, ich könnte mir meine Kunden hier selbst aussuchen", gab ich immer noch erschrocken von mir, doch sein Lächeln verschwand und nur der echte, emotionslose Pablo blieb übrig.

"Mach gefälligst, was ich dir sage, oder du kannst bei -16 Grad auf der Straße schlafen!", gab er mir mit wütender Stimme zurück und haute mir dabei mehrere Male leicht auf die Wange. "Also geh jetzt zu den Beiden und sei einfach du selbst."

Am liebsten hätte ich diesen Laden in Schutt und Asche verwandelt - doch er hatte Recht. Ich war ein nichts ohne ihn - also lief ich mit einem aufgesetzten Lächeln zurück zu seinen guten Freunden.

Gute Mine zum bösen Spiel...

It's Showtime, Love!

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