Kapitel Zwölf

Nach einer Stunde, merke ich, wie mir der Alkohol zu Kopf steigt. Ich kann ein bisschen was ab, aber Schnaps habe ich noch nie gut vertragen. Außerdem habe ich keine Ahnung,
was Genjiro zwischendurch noch in die Gläser gekippt hat. Es waren auf jeden Fall verschiedene Flaschen, aber mit Sicherheit hatten alle zu einem großen Teil denselben Inhalt.
Als ich aufstehe, dreht sich kurz der Raum und ich stütze mich an Iwaizumis Schulter ab. Als ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe, tippe ich Tobio an.
„Ich will kurz zum Buffet, was anderes zu trinken holen. Lässt du mich durch?"
Hinata springt von seinem Schoß und er nickt.
„Ich komme mit."
Gemeinsam gehen wir zu den zwei Schüsseln mit der Bowle und stehen unschlüssig davor.
„Warum sinda swei Schüsseln?", nuschelt er. Wow, also der verträgt ja mal so gar nichts.
„Ich glaube eine ist ohne Alkohol."
„Die möscht isch." Er hält mir seinen Becher hin. Ich nehme ihn entgegen und schaue in die Schüsseln. In einer sind nur Erdbeeren, in der anderen ein Beerenmix. Erdbeerbowle ist
bestimmt eher mit Alkohol, also ist die andere alkoholfrei. Ich greife nach der Kelle und fülle
unsere Becher mit der rosafarbenen Flüssigkeit. Kageyama nimmt seinen entgegen und torkelt zurück zum Tisch.

Ich trinke meine Bowle in einem Zug leer und fülle mir ein zweites Mal nach. Ich muss unbedingt diesen Alkoholnebel aus meinem Kopf kriegen. Ich bleibe ein paar Minuten stehen, bis ich auch den zweiten Becher ausgetrunken habe. Nachdem ich mir ein drittes Mal nachgefüllt habe, gehe ich mit dem Becher ebenfalls zurück zum Tisch. Da Hinata schon wieder auf dem Schoß von Tobio sitzt und meinen Weg versperrt, gehe ich auf die andere Seite und will mich an Iwaizumi vorbeidrücken. Ich stoße mir jedoch den Zeh an der Tischkante und stütze mich ab. Dabei landet meine Hand allerdings auf seinem Oberschenkel. Augenblicklich ziehe ich
sie wieder weg, verliere dabei allerdings erneut mein Gleichgewicht und falle fast nach vorne. Doch mein bester Freund streckt seinen Arm zur Tischkante und hält mich so davon ab, mir
wehzutun. Ich setze mich neben ihn und grinse ihn an.
„Danke, Iwa-Chan!"
Dann wende ich mich an die Runde. „Was habe ich verpasst?"
„Wir spielen jetzt Wahrheit oder Pflicht", antwortet Genjiro bereitwillig.
„Du kannst gleich der nächste sein, Tōru. Wahrheit oder Pflicht?"
„Wahrheit."
„Bist du gerade in einer Beziehung?"
„Meine Freundin hat vor ein paar Wochen Schluss gemacht, weil ich ihr zu weiblich war", sage ich lachend. „Tobio, Wahrheit oder Pflicht?"
„Pflicht!"
„Karaokebattle! Gegen einen Partner deiner Wahl."
„Is daseine Heraussssforderung?"
„Vielleicht."
„Dann sing isch gegen disch."
„Ich suche den Song aus."
Genjiro springt auf und klatscht in die Hände.
„Ui, das wird super. Komm mit, Tōru, wir müssen den Song raussuchen."
Ein paar Minuten später hat der Libero eine improvisierte Karaokestation aufgebaut und mir und Tobio ein Mikro in die Hand gedrückt.
„Kageyama ist rot, Tōru ist blau."
Die ersten Töne erklingen und Kindaichi prustet gemeinsam mit Karasunos Knirps los. Selbst Kunimi schmunzelt.
„Isdas dein Erns, Oigawa?"
Ich kichere und sein Text wird markiert, während er die ersten Worte von Blank Space singt. Ich habe nur wenige Sekunden
Zeit, um mich darüber zu amüsieren, da beginnt mein Part.

Oh, my God, look at that face
You look like my next mistake
Love's a game, wanna play?" Ay

New money, suit and tie
I can read you like a magazine
Ain't it funny? Rumors fly
And I know you heard about me
So hey, let's be friends

Als es zum Refrain kommt, ruft Hinata uns vom Tisch zu: „Ihr müsst auch performen!"
Und das tun wir. Als der Song seinen Höhepunkt erreicht, ziehe ich mein ohnehin schon aufgeknöpftes Hemd aus, während Kageyama eine Bodyroll nach der anderen macht.
Unsere Show endet damit, dass ich mein Mikrofon in die Höhe strecke und Kageyama vor mir in einen Spagat rutscht. Ich wusste gar nicht, dass er so gelenkig ist.

Wir ernten tosenden Applaus vom Tisch und selbst Iwaizumi klatscht. Ich gehe rüber und trinke gierig meinen Becher aus, nur um mir danach noch einen zu füllen.
„Oikawa! Wahrheit oder Pflicht?!", brüllt mir Kageyama über die inzwischen wieder laufende Musik zu.
„Pflicht."
Er grinst. „Sag, dass isch gegen disch gewonnen habe!"
Ich seufze. „Gegen den Spagat komme ich nicht an. Du hast mich geschlagen."
Sein Grinsen wird breiter.
„Hasdu gehört, Hinata? Wer isch jetzt der grose König?"
„Aber die Töne habe ich besser getroffen", schiebe ich noch hinterher.
„LABER KEINEN SCHEIß!"
Hinata hält ihn am Arm fest.
„Wir gehen dir ein Wasser holen und frische Luft schnappen. Nach eurer Performance ist es ziemlich warm hier drin."

„Können wir jetzt weiterspielen?", fragt Kunimi gelangweilt, nachdem der Knirps mit seinem Zuspieler den Tisch verlassen hat.
„Klar. Iwa-Chan, Wahrheit oder Pflicht?"
„Wahrheit."
Ich setze mich wieder auf meinen Platz und drehe meinen Körper zu ihm.
„Findest du mich mädchenhaft, Iwa-Chan?"
Er seufzt.
„Du hast gerade einen halben Striptease zu Taylor Swift abgezogen. In welchem Universum würde ich jetzt deine Männlichkeit loben?!"
„Also ja?"
„Es ist ja nicht zwingend etwas schlechtes...", nuschelt er.
„Also magst du mich trotzdem?"
„Deine fehlende Maskulinität ist zumindest keiner der Gründe, weshalb ich dich nicht ausstehen kann."
Ich blicke ihn an, während er schon den nächsten nach Wahrheit oder Pflicht fragt.
„Das habe ich nicht verstanden."
„Das liegt am Alkohol. Schalt mal nen Gang runter."
Er nimmt mir das Schnapsglas weg, das noch vor mir steht und trinkt es selbst. Dann wendet er sich wieder dem Spiel zu.

Doch ich höre da gar nicht mehr zu. Stattdessen betrachte ich meinen besten Freund. Seine Haare sind etwas kürzer als vor zwei Jahren, aber er trägt sie noch genauso wie damals. Sie
sehen immer so stachelig aus, aber ich stelle mir vor, dass sie eigentlich ganz weich sind. Äußerlich hat er sich nicht groß verändert, aber als ich ihn an dem Abend in der Bar gesehen
habe, ist mir aufgefallen, dass er das freche Funkeln in seinen Augen verloren hat. Doch heute Abend, hier, jetzt, ist es wieder da. Ich beginne zu lächeln. Du hast Spaß, Iwa-Chan.

„Tōru. Wahrheit oder Pflicht?"
„Pflicht", murmele ich abwesend, bevor ich aufblicke und erkenne, dass die Frage von Kunimi kam. Welcher jetzt übrigens blöd grinst.
„Gut. Küss Iwaizumi."

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