Schwarzes, bodenloses Loch

„Tut mir echt Leid für dich." Sagte Jacob tonlos, während er das sagte, spürte ich, wie ich in ein bodenloses Loch fiel. Ich kannte es nur zu gut, es war vertraut, aber dennoch jedes Mal, als wäre es neu.

Ich dachte vor allem, ich hätte diese Phasen hinter mir, wir waren hier, Mom und Dad waren noch nicht getrennt, ich hatte endlich Freunde gefunden und plante nun mit ihnen in eine Party, aber Zeit heilte wohl doch nicht alle Wunden.

„Ich wollte kein Salz in die Wunde streuen, sorry." Seine Stimme klang brüchig, aber dennoch stark und beruhigend.

Ich spürte wie ich fiel und fiel, dennoch sah ich auf und zwang mir ein Lächeln auf, meine Augen hatten einen stumpfen Glanz.

„Es gibt da keine Wunde, alles gut."

„Sicher?"

„Ganz sicher."

„Okay ..."

Kurz herrschte eine unangenehme Stille zwischen uns, während die anderen sich wieder beruhigt hatten und nun überlegten wie sie den Alkohol vor Adams Eltern verstecken sollten.

Ich erhob mich, erst jetzt, wo ich hier saß, merkte ich wie kaputt ich vom heutigen Tag war, ich verspürte ein gewisses Maß an Übelkeit, ein Anflug von Kopfschmerzen und das Gefühl nicht atmen zu können. Als ich begann einen Fuß vor den anderen zu setzen, schien ich gleich zusammen zu brechen.

Ich öffnete die Tür.

„Wo willst du hin?" Fragte Jacob noch, doch ich antwortete nicht.

Ich wusste, dass es unhöflich war, einfach die Häuser anderer Leute zu durchstöbern, aber ich wollte nicht zurück, um zu fragen wo das Badezimmer war, also musste ich es wohl suchen.

Erst die dritte Tür dich ich öffnete, war die richtige und ich schleppte mich in den großen, mit Fliesen ausgelegten Raum, schloss die Tür hinter mir, drehte den Schlüssel um und ließ mich an der Tür aus Mahagoni hinunter gleiten, bis ich auf dem kühlen Boden ankam.

Am liebsten würde ich einfach hier liegen bleiben und verdammt nochmal sterben, aber das ging nicht.

Ich sah mich um, nahm meine Umgebung aber trotzdem nicht wirklich wahr, meine Gedanken schweiften ab.

Ich wünschte mittlerweile fast, ich hätte mich damals einfach nicht Jennifer wiedersetzt, dann hätte ich diesen ganzen zusätzlichen Stress jetzt gar nicht. Ich könnte mein Leben ganz in Ruhe leben, ohne, dass man mich besser auf Instagram als im echten Leben kannte und ohne diese ewigen Auseinandersetzungen mit Jennifer selbst. Das war so kindisch ... Ich meine das letzte Mal hatte ich jemanden einen Streich mit einer Flasche gespielt, als ich fünf Jahre alt war oder so und Jennifer war 15, das war doch albern.

Ich zog mich mühsam an der Klinge hoch und ging zum Fenster, um es zu öffnen und etwas frische Luft abzubekommen, in der Hoffnung, dass meine Kopfschmerzen wie durch ein Wunder verschwanden.

Der Gedanke gleich zurück in dieses stickige Zimmer zu müssen und über Dekoration und Einhörner zu reden, machte mich wahnsinnig.

Ich sah auf mein Handy, es war schon um sieben, ich könnte auch einfach unter dem Vorwand auf meine kleine Schwester aufpassen zu müssen nach Hause fahren ...

Ich zuckte im nächsten Moment heftig zusammen, als jemand an die Tür klopfte. „Evan? Ist alles in Ordnung?" Es war Max' Stimme.

Ich öffnete schnell den Wasserhahn. „Ja, warum?"

„Weil du da jetzt schon zwanzig Minuten drin bist." Meinte er sachlich und ich schloss das Fenster, warf einen Blick in den Spiegel richtete meine Haare und setzte ein Lächeln auf, das so überzeugend war, dass ich es mir schon fast selbst abkaufte. Dann machte ich den Hahn wieder zu und öffnete die Tür, vor der Max stand und besorgt drein blickte.

„Okay . . ." sagte er.

„Ich muss dann jetzt auch los, meine Mom meinte ich muss ab acht auf meine kleine Schwester aufpassen."

„Oh ... Schade."

Ich machte ein gespielt bedauerndes Gesicht. „Ja, sorry."

Ich ging zurück in Adams Zimmer, wo ich verkündete, dass ich jetzt gehen würde, packte meine Sachen und verließ den Raum.

Bevor Max die Tür hinter mir schloss hörte ich noch ein paar Worte, also blieb ich stehen um zu lauschen.

„Was zur Hölle hast du zu ihr gesagt, Jake?!" Dumpf kam die aufgebrachte Stimme von Max unter dem Türspalt hervorgekrochen.

„Erstens: nichts und zweitens: warum bin ich denn jetzt schon wieder Schuld?!" Antwortete Jacob genervt.

„Du warst der letzte der mit ihr geredet hat und danach hat sie sich für geschlagene zwanzig Minuten im Bad eingeschlossen und jetzt will sie gehen, natürlich ist es deine schuld! Worüber habt ihr geredet?" Fauchte Max.

„Leute entspannt euch mal, sie muss auf ihre kleine Schwester aufpassen." Warf Tasha ein.

„Sie hat gelogen, sie muss nicht auf ihre kleine Schwester aufpassen." Sagte Max hitzig und mir fuhr der Schock in den Körper.

„Aha und woher willst du das jetzt schon wieder wissen? Und sag jetzt nicht ‚Ich bin Max Campbell, ich weiß alles', dann kill ich dich!" Mischte sich nun auch Bellas Stimme dumpf unter die anderen.

„Man hat es an ihren Augen gesehen, ihr Idioten!" Beteuerte Max eindringlich und einer der anderen stöhnte entnervt.

„Leute, was ist allgemein mit ihr los? Sie ist so ... Kühl, wisst ihr?" Fragte Tasha abschätzig, woraufhin Stille eintrat.

Es versetzte mir einen Stich und kurz fragte ich, ob ich vielleicht zu voreilig mit dem Wort ‚Freundschaft' umgegangen war.

„Keine Ahnung." Sagte Adam und brach somit die Stille.

„Und ziemlich arrogant, was ich so von ihr gehört habe." Fuhr Tasha fort, jedes ihrer Worte war wie ein Schlag in den Magen.

„So ist sie nun mal, okay?" Meinte Bella mit einem Anflug von Zorn.

„Leute, sie braucht einfach nur Zeit, ja?" Sagte Max gehetzt.

„Schön, ich habe aber keinen Bock auf eine arrogante Schnepfe in meinem Freundeskreis!" Blaffte Tasha zickig.

Irgendjemand stand energisch auf, Schritte näherten sich der Tür hinter der ich stand, doch ich vor Wut, Trauer und Enttäuschung wie gelähmt.

Jacobs Stimme sprach dicht an der Tür. „Ihr seid so asozial, anstatt hinter ihrem Rücken zu lästern, solltet ihr mit ihr reden und fragen was los ist! Ich mach da nicht mit."

Er klang wütend, doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, riss er auch schon die Tür auf und wir standen uns gegenüber.

Er schien kurz überrascht, dann lag Bedauern in seinem Blick.

Ich hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass es weh tat, meine Fäuste waren zu Fäusten geballt, meine Fingernägel gruben sich in meine Handfläche.

Ich nickte wütend, den Tränen nah drehte ich mich um und rannte einfach nur.

Ich hörte wie Max meinen Namen rief, doch ich blieb nicht stehen, ich sprang in meine Schuhe, riss die Haustür auf, ließ sie krachend ins Schloss fallen und sprintete die ruhige Straße herunter.

Ich spürte wie mir salzige Tränen das Gesicht herunter liefen, doch ich ließ sie, rannte nur immer weiter und weiter, bis ich irgendwann vor meiner Haustür stand.

Ich schloss auf, lief mit Schuhen die Treppe hoch, ignorierte die Fragen meiner Familie, lief einfach nur in mein Zimmer und schmiss mich auf mein Bett, ich fiel immer tiefer in das bodenlose Loch, ich hatte sogar das Gefühl, dass es noch dunkler und mächtiger war als das letzte.

Nach gefühlten Jahren, in denen ich einfach so da lag und heulte, klopfte es sanft an die Tür.

„Ich bin nicht da, bin tot ... Gestorben, du weißt schon." Brachte ich zwischen zwei Schluchzern hervor, doch die Tür schwank dennoch auf und Emma stolperte mich einer Flasche Eistee und einer Packung Oreos rein, legte sie neben mich auf mein Bett und setzte sich an meinen Schreibtisch.

„Was ist passiert?"

Ich richtete mich schniefend auf. „Freundschaft ist was Schreckliches."

„Normalerweise sagt man das doch über Liebe, oder?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich war noch nie verliebt."

„Ich auch nicht, das ist irrational." Meinte Emma und sah aus dem Fenster. „Aber Freundschaft ist wichtig, Evan, du brauchst deine Freunde, also kümmere dich da drum."

Damit ging sie wieder und ich ließ mich wieder in die Kissen fallen und hoffte, dass ich einfach starb.

~

Am nächsten Morgen hatte ich noch weniger Lust in die Schule zugehen als sonst, der Gedanke an den Vortag machte mir Kopfschmerzen und ich überlegte ernsthaft einfach zu schwänzen.

Aber ich durfte mich nicht unterkriegen lassen und Emma hatte recht: Ich sollte das so schnell es ging klären.

Also quälte ich mich aus dem Bett, zog mir schwarze, durchlöcherte Shorts und ein The Neighbourhood Top an und begab mich in die Küche, nachdem ich im Bad war.

Jack saß wie eine Leiche am Tisch und aß trockenes Toast, er war bleich und hatte dunkle Ringe unter den Augen, während Emma frisch und entspannt wie immer neben ihm saß und ihn über ein Projekt für Physik zu laberte.

Ich konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er weder verstand wovon sie redete, noch das er ihr wirklich zu hörte.

„Du siehst aus wie einer der Typen aus The Walking Dead." Stellte ich sachlich fest und deutete auf meinen kleinen Bruder, der mich mit einem leeren Blick bedachte.

„Und du siehst besser aus oder wie?" Sagte er schläfrig und ich lachte.

„Vermutlich nicht."

Emma raufte sich die Haare. „Dieses Projekt ist extrem wichtig für mich, wenn ich das nicht packe, versaut mir das meinen Durchschnitt in Physik, welcher bis jetzt immer gut war!"

Genervt schmiss Jack sein Toast auf den Teller und warf Emma einen tödlichen Blick zu. „Könntest du bitte aufhören, dich darüber zu beschweren, dass dein Durchschnitt damit auf 2.0 fallen würde?! Wenn mein Durchschnitt auch nur halb so gut wäre wie deiner, wären alle meine Probleme gelöst klar?!"

Ich seufzte, Jack hatte durch sein ADHS viele Schwierigkeiten in der Schule, was ein wunder Punkt bei ihm war, insgeheim glaubte ich, dass er manchmal neidisch auf Emma war, die in jedem Fach erstklassig war ohne lernen zu müssen.

Letztere machte ein wütendes Gesicht. „Kein Grund gleich rum zu motzen, ich kann doch auch nichts dafür, dass du so schlecht in der Schule bist!"

Jack guckte angeekelt auf seinen Teller, wo das angebissene Toast lag. „Ich gehe, du hast mir echt den Appetit verdorben."

„Jetzt bin ich auch noch Schuld daran, dass du nichts essen willst?" Emma sah ihn vorwurfsvoll an.

Jack stand mit Nachdruck auf, sein Stuhl schabte laut über die Fliesen und krachte gegen die Arbeitsfläche hinter ihm, dann rauschte er aus der Küche.

„Es ist so beschissen perfekte Geschwister zu haben!" Fauchte er noch halb laut, dann war er auch schon aus der Haustür.

„Ich kann nichts dafür! Ich wurde so geboren!" Schrie Emma ihm noch hinterher, doch ich bezweifelte, dass er das noch gehört hatte, war vielleicht auch besser so.

Sie schüttelte den Kopf. „Was ist bloß los mit ihm ..."

„Du solltest einfach akzeptieren, dass er dieses Thema nicht mag und es nicht ansprechen, dann entstehen solche Streits gar nicht." Meinte ich und sie stöhnte.

„Nochmal: Es ist nicht meine Schuld, das er ADHS hat, es ist auch nicht meine Schuld, dass er lieber Football spielt als zu lernen und es ist erst recht nicht meine Schuld, dass es mir nicht so geht und ich werde nicht aufhören über die Schule zu reden, nur weil ihn seine Probleme anpissen."

Ich fuhr mir durchs Gesicht. „Das ist unnötig und das weißt du auch, Jack hat Probleme, die du niemals verstehen wirst und gegen die man auch nichts machen kann, das einzige was wir tun können, ist so gut es geht Toleranz dafür zu haben und auf ihn Rücksicht zu nehmen, wenn du das nicht kannst, finde ich das ziemlich traurig, immerhin ist er dein Bruder."

Emma, die solche ehrlichen und harten Worte von mir nicht gewohnt war, wurde rot und sah auf ihr Müsli. „Na gut ..."

„Schön, ich muss dann auch los." Erklärte ich und verließ die Küche, stieg in meine Schuhe und nahm meine Tasche.

Heute hatte ich Schülerredaktion und Kunst, eine Freistunde und schließlich Englisch.

Müde schleppte ich mich die Straße herunter zur Bushaltestelle und quetschte mich schließlich zwischen quatschenden Teenager, die alle auf meine Schule gingen, ich spürte ihre Blicke auf mir, wusste, dass sie alle meinen Namen kannten und seufzte. Ich hatte keinen Bock auf diesen Stress mit Jennifer, das machte mein Leben unnötig schwer und ich hatte momentan angesichts meiner familiären Probleme und meiner supertollen Freunde echt keine Kraft dazu.

Seit ich gestern schon wieder in jenes schwarze Loch gefallen war, fühlte ich mich kalt und leblos, es war genauso wie als das mit den Streits zwischen Mom und Dad angefangen hatte, wie als wir umgezogen waren und all diese Kacke. Damals ging es mir psychisch richtig schlecht, aber ich dachte, dass das jetzt vorbei wäre, da hatte ich mich wohl geirrt.

Als ich den großen Platz vor dem Eingang überquert hatte und in das Hauptgebäude ging, sah ich Adam und Max, die krampfhaft versuchten Blickkontakt zu mir aufzunehmen, aber ich ignorierte sie, bis mir einfiel, das wir gemeinsam in die Schülerredaktion gingen und ich keinen Plan hatte, wo die Redaktion überhaupt war, also blieb ich stehen, schloss kurz genervt die Augen, atmete tief durch und machte kehrt. Die Gesichter der beiden Jungen hellten sich direkt auf, als ich auf sie zuging, während ich den finstersten Blick aufsetzte, der sich in meiner Sammlung befand.

Als ich bei ihnen ankam, zog Adam mich in eine Umarmung die ich nicht erwiderte, ich stand einfach so da, ließ es über mich ergehen und wartete, dass er fertig war.

Dicht an meinem linken Ohr hörte ich seine Stimme. „Es tut mir so leid was gestern passiert ist, ich kann gar nicht sagen wie sehr und ich kann auch nicht sagen, wie sehr ich will, dass du mich ... Uns jetzt nicht hasst und ja, es tut mir leid, Evan. Ich will nicht das du nicht mehr mit uns redest, echt nicht, es ..."

Er löste sich von mir uns ich schnitt ihm das Wort ab. „Wenn du noch einmal sagst, dass es dir Leid tut, bring ich dich um."

Er sah mich mit großen, aufrichtig traurigen Augen an, die tatsächlich etwas wässrig würden. Bevor ich weich werden konnte, sah ich zu Max, der wiederum zu Boden sah. Nach Sekunden der unangenehmen Stille murmelte er: „Tasha ist zu weit gegangen und wir hätten sie stoppen und nicht mitmachen sollen, vor allem ich. Ich bin ein Idiot, aber das wusstest du ja schon, es tut mir leid."

Ich war wütend ... ich musste wütend bleiben! Evan, bleib stark ... Mein Unterbewusstsein gab mir eine saftige Ohrfeige und meine Dämme brachen, ich lächelte zögerlich. „Schon gut, Tasha ist eh unten durch, aber ihr habt ja eigentlich nichts Schlimmes gemacht ... Lass uns einfach darauf einigen, dass ihr, wenn ihr ein Problem mit meiner Art habt, zu mir kommt und ich versuche keine arrogante Schnepfe zu sein."

Adam und Max nickten eifrig und ich seufzte.

„Gut, dann lass uns gehen, sonst kommen wir noch zu spät."

Um einiges erleichtert, hakte ich mich bei Adam unter und wir machten uns auf den Weg.

Es tat gut Freunde zu haben, auch wenn wir alle Fehler gemacht hatten und mit Sicherheit auch noch weitere machen würden, es war gut, einander zu haben.

Ich war zwar nach der Sache gestern nicht sicher, ob ich mein Vertrauen direkt wieder an sie verschenken würde, aber ich hatte ja noch Bella die ja gestern nun wirklich nichts getan hatte ... Genauso wenig wie Jacob, aber den kannte ich grade mal ein paar Stunden, weshalb ich ihn jetzt noch nicht unbedingt zu meinen Freunden zählte, aber ich konnte mir vorstellen, das sich das bald ändern würde.

Alles war auf dem Weg der Besserung ...


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Hey Leute


Ich schiebe gleich noch ein Kapitel hinterher :'D

Es ist lang geworden (2580 Wörter) und ich bin ziemlich stolz drauf :) Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat. Ich persönlich fand den Streit ja etwas unnötig aber egal, ich habe diesen Teil vom Kapitel noch gestern Nacht geschrieben und nachts bin ich irgendwie immer so ... Dramatisch XD

Ich freue mich über jeden Kommentar :D

LG gefailt


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