Prolog

Es war an einem warmen Tag im August, die Schule sollte nächste Woche wieder beginnen, als ich allein vor meinem neuen Zuhause stand.

Ich wusste nicht, ob es sich auch jemals nach einem Zuhause anfühlen würde, jetzt tat es das jedenfalls nicht. Mein richtiges Zuhause, dort wo mein Herz war, war zwei Bundesstaaten weit weg: Die Kleinstadt in Washington State, am Rande eines Naturschutzgebietes und fast 100 Kilometer von der kanadischen Grenze entfernt, fehlte mir schrecklich. Obwohl wir erst seit drei Tagen hier in San Francisco waren, hatte ich das dringende Bedürfnis zurück zu rennen.

Einfach einen Rucksack mit meinem Kram zu nehmen, mich umzudrehen und die lange, ruhige Straße, welche zu unserem neuen Haus führte herunter zu rennen, weg, einfach weit, weit weg, dass kam mir grade wie eine tolle Idee vor. Ich wünschte es wäre so einfach, naja, wenn es das wäre, würde ich wohl kaum mehr hier stehen und an den Mauern des Hauses empor starren, als sei es die Burg von Dracula höchstpersönlich, oder?

So war ich also hier, mit dem Wunsch zurück in die rauen Wälder rund um meine Heimatstadt zu rennen, aber auch dem Wissen, dass ich jene erst wieder sehen würde, wenn meine Eltern mir nichts mehr zu sagen hatten. Und das würde noch dauern ... Viele lange Jahre, welche ich jetzt hier, im überhitztem Kalifornien verbringen würde, danke Karma, ich dich auch.

Wo du grade mal hier bist: Ich bin Evan. Evan Valerie Scott, ein 15-jähriges Mädchen, mit durchgeknallter Familie und einer Sucht nach Eistee und Oreokeksen, freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, wer auch immer du sein magst.

Naja, da du offenbar nichts Besseres zu tun hast, als meine mehr als einfach nur armselige Geschichte zu lesen, lade ich dich nun ein, mich auf meinem Weg ins Unheil zu begleiten, solltest du dich jetzt fragen welches Unheil, will ich dich aufklären: Die Highschool.

Dass ich mich nach Washington State sehne, ist ja eine Sache, aber was ich schon da gehasst habe, war die verdammte Schule, denn, ob du es glaubst oder nicht, ich war noch nie sonderlich beliebt und jedes Kind weiß, wer keine Freunde hat, hat es schwer an einem solchen Ort. Und ich hatte es schwer, das kannst du mir glauben.

Ich glaube es als Mobbing zu bezeichnen wäre etwas übertrieben, aber ich war halt da und die anderen auch ... Nur das die anderen Freunde und große Lust hatten jemanden zu triezen. Und ich war halt ihr Opfer.

Mehr als kaputte Hefte oder Farbe in meiner Tasche waren nie, aber leicht war es trotzdem nicht ... Dabei dachte ich, dass auf der Highschool alles besser wird, wie naiv von mir. Da fragt man sich doch ernsthaft, wozu diese ganzen Teeniefilme gut sind, in denen dieser eine, schüchterne Junge das schöne Mädchen bekommt, außer uns zu warnen, dass auf der Highschool jeder ein Opfer werden kann.

Nun stellte ich mir natürlich die Frage wie mir das entfallen konnte, als ich von der Middleschool, auf die Highschool gewechselt war.

Ist ja auch egal, jetzt war ich hier und musste auch erstmal hier bleiben.

Am Montag würde ich das erste Mal auf meine neue Schule gehen, die Darwin High. Eine Schule die Schüler im Mittelfeld hervorbrachte, ein gutes AG-Angebot hatte und besonders in Punkto Sport nochmal 'ne Schippe drauf legte. Sport war natürlich voll mein Ding. Ich schaffte es, bei fünf Versuchen exakt null Mal den Korb zu treffen und was das Laufen anging war ich tatsächlich überdurchschnittlich, mein ehemaliger Sportlehrer pflegte immer zu sagen, dass meine Zeiten denen einer 6-jährigen entsprachen, kurz gesagt war die Darwin genau das richtige für mich.

Meine beiden Geschwister Emma, ein 11-jähriges Energiebündel was mir extrem auf die Nerven fiel, aber auch sehr viele gute Seiten hatte und Jack, ein 13-jähriger, der dachte er wäre cooler als James Bond, welcher mir eindeutig nur auf die Nerven ging, bei ihm hatte ich bis jetzt noch keine guten Seiten entdecken können, mussten auf die Darwin Middleschool gehen, welche nur ein paar Straßen von der meinen entfernt lag. Zu meinem Übel, würde Jack nächstes Schuljahr auf die Highschool wechseln ... Auf meine Highschool. Ein Erlebnis was mich wohl zerstören wird, juhu.

Naja, genug Smalltalk betrieben, ich werde jetzt mal fortfahren, bevor du noch einpennst, das fehlt mir grade noch.

Ich seufzte und betrat das Haus, welches vorerst mein Heim ausmachte. Drinnen stand sehr viel rum, wie bereits gesagt, wir sind erst drei Tage hier. Ich stolperte fast über einen Karton, als ich ins Wohnzimmer ging, wo Emma und Jack sich darum stritten, wer von ihnen das größere Zimmer bekam. Ich hatte schon als wir beschlossen hatten das Haus zu kaufen festgelegt welches meines werden würde. Zur Überraschung aller, war es nicht das größte gewesen, sondern das, was am weitesten von so ziemlich jedem Familienmitglied, welches nun hier hauste, entfernt lag. Ich schüttelte den Kopf über die beiden.

„Emma, die klügeren geben nach." meinte ich, als ich an ihnen vorbei zu Wendeltreppe lief. Meine kleine Schwester sah mir kurz pikiert an, dann seufzte sie und nickte, während Jack jubilierte. Mit entnervtem Blick schloss sie sich mir an. „Kopf hoch, das kleinere Zimmer hat eine Fensterbank, auf der man sitzen kann." Sagte ich zu ihr. „Schon, aber ich hasse wie er sich freut, als hätte irgendwas gewonnen ..." beschwerte sie sich. Im Laufen legte ich ihr einen Arm um die Schultern. „Ich schubse und du sagst es war ein Unfall?" Emma sah mich an und lachte. „Liebend gern, Schwesterherz."

Als wir im ersten Stock angekommen waren sah ich sie erneut an. „Was machst du jetzt?"

„Ich schätze ich überlege mir, welche Farbe ich gerne hätte und fange an die Kataloge der Einrichtungsmärkte durchzusuchen, wir wollen später noch zu Ikea fahren, um alles zu kaufen, dann fange ich mal an alles abzukleben und hoffe das mir jemand beim Streichen hilft."

Unterbewusst schwoll ich an vor Stolz, sie redete mit ihren 11 Jahren schon so erwachsen, tausendmal erwachsener als Jack es war.

Ich nickte. „Das klingt nach 'nem vernünftigem Plan ich schließe mich an und helfe dir natürlich liebend gern beim Streichen, sobald ich bei mir gestrichen habe."

Emma nickte zufrieden und so gingen wir zusammen in mein Zimmer, um die Kataloge durchzugehen.

~

An diesem Vormittag liefen Emma und ich von ihrem zu meinem Zimmer, maßen Längen, Breiten und Tiefen, berieten und gegenseitig was Farben angingen und überlegten, wie man den Raum am sinnvollstem Füllen konnte, nun saßen wir auf dem Parkett meines Zimmers und zeichneten maßstabsgetreue Grundrisse unserer Räume, welche wir dann mit den ausgesuchten Möbeln füllten, bis mein Vater Peter hereingeplatzt kam und verkündete, dass wir in 20 Minuten aufbrechen würden, um eine Menge Geld bei Ikea zu lassen. Dagegen hatten wir natürlich nichts einzuwenden und so begaben wir uns ins Erdgeschoss, wo der Rest unserer Familie bereits einberufen wurde. Dad räusperte sich wichtigtuerisch, wahrscheinlich um eine seiner unnötig dramatischen Reden einzuläuten. „Bevor wir zu Ikea gehen, will ich festhalten, dass jeder von euch das Budget von 550$ hat, nicht mehr, aber unbedingt weniger, klar? Achso und wenn ihr euch Möbel zulegt, bitte ich darum, dass ihr sie selbst zusammen baut, ihr wisst wie sehr ich diesen 'Bein-Ikea-baut-man-alles-selbst-zusammen'-Scheiß hasse." Dies löste allgemeines Augenrollen aus, was mein lieber Vater jedoch geschickt ausblendete, du musst wissen, dass kann er wirklich gut.

Ohne weitere Unterbrechungen durch unnötige Reden seitens Dad, schafften wir es ins Auto und fuhren den Highway entlang, Richtung ... Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung in welcher Richtung wir da fuhren, ich kam mit San Francisco noch nicht so ganz klar.

Außerhalb des Vans, in welchem wir uns befanden, zog ein recht ödes Industriegebiet vorbei, also nichts Spektakuläres zu sehen. Nun, jetzt hatten wir genügend Zeit nachzudenken, es war gespenstisch still im Wagen, keiner traute sich etwas zu sagen oder naja, vielleicht gab es auch einfach nichts zu sagen, nicht nachdem was passiert war. Was passiert war, verleitete unsere Mom dazu, umziehen zu wollen. Was passiert war, drohte noch heute, jetzt in dieser Sekunde, unsere Familie in einen riesigen Scherbenhaufen zu verwandeln, der nicht in 100 Jahren wieder zusammen gebaut werden konnte. Wir waren wohl kein Ikea-Schrank, den man einfach so mit Anleitung zusammenbauen konnte. Wir waren Menschen mit Gefühlen und Herzen, die gebrochen werden konnte. Denn das hatte Dad getan, er hat Moms Herz gebrochen, meine ich. Ihr Herz gebrochen und ihre Gefühle verletzt, als er sich dazu entschlossen hatte, mit seiner Sekretärin eine Affäre zu beginnen.

Irgendwie kann ich ja verstehen, das Mom danach umziehen wollte, aber gut heißen konnte ich es dennoch nicht. Was Dad getan hatte, war widerlich und ich hasste ihn dafür, aber jetzt, wo wir hier im Auto saßen, auf dem Weg, zu einem Ikea, um unser neues Heim einzurichten und keiner redete, wurde allen Beteiligten wohl klar, das auch ein Umzug nicht die Zeit zurück drehen konnte. Wenn wir früher zusammen irgendwo hingefahren waren, hatte es immer Gelächter gegeben, Jack und ich hatten gestritten, Emma hatte versucht zu schlichten, war jedoch immer jämmerlich gescheitert. Mom und Dad hatten uns dann immer zur Ordnung gerufen. Es gab Musik und verliebte Blick zwischen den beiden. Heute gab es nichts von alledem. Mom schaute stur geradeaus, Dad tat es ihr gleich. Jack hörte Musik, Emma starrte aus dem Fenster und ich? Ich sah sie alle an und sah die Trümmer unserer Familie, die jeden Tag in noch kleinere Teile zerbrachen.

Jetzt weißt du, warum ich hier war und nicht in meinem geliebten Washington State.

Nach einer Weile durchbrach Dad die Stille, seine Stimme klang leicht brüchig, ganz so, als hätte er lange darüber nachgedacht zu reden, es dann aber doch gelassen und jetzt froh darüber war, etwas Einfaches sagen zu können. „Wir sind da, Kinder!"

Emma schreckte leicht zusammen bei seiner Stimme, dann setzte sie ein Lächeln auf, sie wollte ihm verzeihen, dass wusste ich, aber ich wusste auch, dass sie nicht verstehen konnte was er getan hatte. Ich glaube Emma wollte einfach nur die alte Familie Scott wieder haben und ich konnte es ihr nicht verübeln, die neue Version war echt beschissen, aber so einfach war es leider nicht.

Jack sah das alles ganz anders, er hatte Dad schon immer vergöttert und akzeptierte seine Entscheidung wohl, seine Sekretärin flachlegen zu müssen, ja wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schon fast sagen, er würde Dad dafür feiern, er war so ein verdammter Idiot von Bruder.

Emma wollte es nicht verstehen, Jack akzeptierte und ich war wütend. Und zwar auf alle beide, auf Dad weil er Mom betrogen hatte und auf Mom. Mag ja sein, dass Dad etwas Schreckliches getan hatte, aber er hatte nicht beschlossen, uns nach Kalifornien zu schleppen und weiterhin so zu tun, als sie bei den Scotts alles in Butter, das war sie. Er hatte der Familie geschadet, sie hatte sie zerstört.

Aber genug davon, jetzt widmen wir uns lieber wieder unserem Ikea-Besuch, bevor ich hier noch sentimental werde, nicht wahr?

Als wir den Van geparkt hatten und zum riesigen Eingang gegangen waren, blieben wir davor stehen.

„Wir treffen uns um Punkt 4:30 pm bei den Hot Dogs, ihr schreibt die Seriennummern von den Möbeln, sowie den Preis auf, dann gehen wir gemeinsam und kaufen den ganzen Kram, klar soweit?" sagte Mom laut und wir nickten, dann liefen Emma und ich gemeinsam los, bewaffnet mit Stift und Zettel.


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