32 | z we i u n d d r e i ß i g
[prom queen – Molly Kate Kestners]
»ICH BIN SO am Arsch«, sind meine ersten Worte, als wir zurück im Auto sind. Die Stimmung ist drückend und nicht einmal das Radio kann uns aufmuntern.
»Du könntest versuchen, mit ihm zu reden«, schlägt Owen leise vor und setzt den Blinker.
Ich starre ihm vom Beifahrersitz fassungslos an und schüttle den Kopf. »Er würde es in hundert Jahren nicht erlauben! Er ist besessen von der Idee, mich zu einer Person zu formen, die ich nicht bin. Und er versteht nicht, dass er einen Fehler macht. Ich glaube, er ist wirklich irre geworden.« Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, als ich wieder an das Gespräch denke.
»Du hast keine Wahl.« Talias Stimme ist fest und eindringend. »Wenn du die Unterschrift nicht bekommst, dann bist du ein weiteres Jahr an ihn gebunden. Oder musst, wie Freya sagt, am Ende in einem Heim unterkommen.«
Ich weiß, dass sie recht hat. Aber ich kann ihn nicht fragen. Er wird es so oder so verweigern. Also antworte ich nicht, sondern bleibe die ganze restliche Autofahrt still.
Auch den anderen scheinen die Worte nun völlig ausgegangen zu sein und sie starren stumm vor sich her.
Nach ein paar Minuten dreht Owen das Radio lauter, nur um unsere Stille zu übertönen.
***
Meine Knie zittern, als ich am nächsten Morgen vor dem Schulgebäude stehe. Wie kann ich nach allem, was passiert ist, so tun, als wäre ich ein ganz normales Mädchen, dass aufmerksam in den Kursen sitzt und auf den Abschluss nächstes Jahr hinfiebert? Ich bin längst nicht mehr eine von ihnen.
Die halbe Schule ist mit der Werbung für den Frühlingsball plakatiert, der heute Abend stattfindet. Wäre nicht alles so verdammt kompliziert, hätte ich womöglich Lust, hinzugehen. Mit Clary hätte ich stundenlang nach dem perfekten Kleid gesucht und danach verschiedene Make-up Looks ausprobiert. Aber das fühlt sich jetzt nur noch falsch an.
Mir geht es wirklich schrecklich. Meine Hände sind kalt und feucht, mir ist kotzübel und in mein Kopf pocht, als hätte ich einen schlimmen Karter.
Als ich eine Stufe zum Eingang hinauf nehme, dreht sich die Welt um mich herum und ich muss stehen bleiben, um wieder klar zu kommen.
In dem Moment, wo ich mir zitternd die Haare aus dem Gesicht streife und weitergehen will, sehe ich ihn.
Er steht mit seinen Scheißfreunden vor der Schultür und unterhält sich mit ihnen. Den Rucksack hat er lässig über nur eine Schulter geworfen und auf seinen Lippen liegt ein breites Grinsen. Nichts an ihm deutet darauf hin, dass er an seinen Wochenenden aus Spaß Mädchen unter Drogen setzt, um sie zu vergewaltigen.
Bei Cades Anblick bleibt mir alle Luft weg und mein Herz hämmert panisch gegen meine Brust. Ein kleines Wimmern bricht aus meinem Mund hervor und am Liebsten würde ich umkehren und wegrennen.
Aber ich kann nicht schwänzen. Ich möchte meinen Abschluss machen und dann an irgendein College gehen, weit, weit weg von hier. Womöglich werde ich sogar die Schule wechseln, um meinen Abschluss woanders zu machen, wenn ich aus den Verträgen raus und von meinem Vater gelöst bin. Damit ich Cade nie wiedersehen muss.
Aber dafür muss ich seine Unterschrift bekommen.
Verdammte Scheiße, ich stecke in einem verdammten Teufelskreis und ich habe keine Ahnung, wie ich da wieder rauskommen soll.
Man merkt Cade auf den ersten Blick nicht an, dass er von Mason verprügelt wurde. Erst, als ich genau in sein Gesicht schaue, sehe ich die blasse Bläue um sein linkes Auge herum. Das ist alles. Dabei hat er so viel schlimmeres verdient.
Ich möchte auf ihn zurennen und ihn schlagen, so fest ich kann. Ich will Schmerz in seinen Augen sehen, ich will, dass es ihm genau so schlecht geht, wie mir. Ich will meine Hand um seine Kehle legen und zudrücken, ich will ...
... ganz, ganz weit weg von ihm. Mich verstecken, vor ihm fliehen und dort sein, wo er mich niemals finden kann.
Meine Gedanken bringen mich noch um. Sie müssen stoppen. Sofort.
Entschlossen greife ich in meine Schultasche und hole die kleine Tablettendose heraus, in der noch immer ein kleiner Vorrat der Pillen stecken. Ich will sie nicht nehmen. Ich habe es mir selbst versprochen, damit aufzuhören. Ich habe allen erzählt, dass es bergauf geht. Das es besser wird, was den Alkohol und die Pillen angeht.
Aber das wird es nicht. Womöglich bin ich abhängig von den beschissenen Dingen. Womöglich werde ich nie wieder ohne sie meine schlimmen Gedanken unter Kontrolle bringen.
Und das macht mir eine Scheißangst.
Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, habe ich schon eine Pille geschluckt. Und genau in dem Moment schaut Cade zu mir herüber. Und anstatt Schuldgefühle zu zeigen, oder gar Wut, weil Mason in vermöbelt hat, lächelt er mich an. Er lächelt.
Das ist der Augenblick, wo mein Magen sich komplett umdreht. Ich muss mich am Geländer festhalten und taumle vor und zurück. Wo bleibt die Wirkung der verdammten Pille?
Und dann kommt sie. Taubheit. Zufriedenheit. Ruhe. Ich atme aus. Alles ist okay.
Die Schüler drehen sich zu mir um, beobachten, wie ich verkrampft am Geländer stehe und wahrscheinlich aussehe, als würde ich gleich umfallen. Manche sehen aus, als würden sie auf mich zukommen und helfen wollen.
Also lasse ich schnell das kalte Metall los und richte mich auf. Dann nehme ich zwei Stufen auf einmal und die Leute kümmern sich wieder um ihre eigenen Sachen.
Gerade, als ich ins Gebäude schlüpfen will, taucht Cade vor mir auf. Ich sollte wahrscheinlich die Beine in die Hand nehmen oder ihm vor die Füße kotzen, aber die Pille macht meinen Kopf zu einem entspannten Wollknäuel, der sich um nichts sorgt. Deshalb bleibe ich locker stehen.
»Schön, dass du so zufrieden bist«, säuselt Cade. Seine Stimme ist widerwärtig, aber es macht mir nichts aus. Natürlich nicht. Nichts macht mir etwas aus. »Das Wochenende ist nicht so gelaufen wie ... geplant«, fährt er gedehnt fort. Endlich zeigt sich ein Hauch Anspannung in seinem Gesicht. »Du bekommst das doch nicht in den falschen Hals, oder?«
Ausdruckslos starre ich ihn an. Was juckt mich schon, was er zu sagen hat? Alles ist gut.
»Hör mal, ich wollte einfach nur ein bisschen Spaß haben. Es hat mich wirklich wütend gemacht, dass du mich vor ein paar Wochen in dem leeren Klassenzimmer so bloßgestellt hast. Ich wollte, dass du dafür büßt, aber ich wollte auch, dass wir beide dabei Spaß haben«, er grinst mich an, »ich glaube dein Freund hat da zu viel reininterpretiert.«
Ich lege den Kopf schief und zucke mit den Schultern. »Okay.« Ich erkenne meine eigene Stimme nicht wieder. Sie klingt hohl und selig. Zufrieden. Ich bin zufrieden.
Er runzelt die Stirn und sieht mich prüfend an. »Okay?«, wiederholt er. Dann lacht er und schüttelt belustigt den Kopf. »Vielleicht bist du doch nicht so übel, wie ich dachte. Die anderen wären schon längst weggerannt. Die trauen sich nicht mal mehr mit mir zu reden. Bin ich so schlimm? Sag mal, findest du mich schlimm?« Wieder lacht er.
Die anderen. Es hallt immer wieder in meinem Kopf umher, auch wenn ich nicht weiß warum. Ich gelange nicht an den Gedanken, der mir eine Erklärung gibt, wieso mir diese Worte plötzlich so wichtig erscheinen. Es ist doch alles gut. Mir geht es gut. Alles ist federleicht.
»Wie viele andere, Cade?«, höre ich mich selbst sagen. Ich weiß nicht, woher dieser Satz kam. Ich habe nicht an ihn gedacht. In meinem Kopf ist nur pinke Zuckerwatte.
Seine Augen huschen schnell hin und her, er prüft mein Gesicht, jedes Detail. Dann atmet er wissend aus, runzelt die Stirn erneut und fährt sich mit der Hand einmal durch die Haare. »Bist du high, Sydney?«
Ich blinzle schnell. Dann zucke ich die Schultern. Kümmert mich doch nicht, ob er es weiß. Mein Blick driftet ab und kurz ist er ganz verschwommen. Meine Hand rutscht schlapp von meinem Rucksackriemen und er gleitet von meiner Schulter auf den Boden.
Cade hebt ihn auf und winkt mit seinen Händen vor meinem Gesicht. »Siehst du mich, Sydney?«
Ich reagiere nicht. Ich weiß nicht, wie.
»Komm, wir bringen dich hier weg.« Cade nimmt mich an der Hand und zieht mich mit sich. Irgendwo in mir meldet sich ein Alarm, aber ich kann ihn nicht zu ordnen. Alles um mich herum verschwimmt, die Stimme werden lauter und prasseln auf mich ein. Ich fühle mich wie im Auge eines Sturmes. Und er wird immer dichter.
Dann ist es plötzlich still. Cade schließt eine Tür und seufzt laut. »Gott, Sydney, du bist so ein dummes Mädchen.« Er kommt näher zu mir und legt seine Hand an meine Wange. Sie ist warm und schwitzig. Aber ich sinke trotzdem gegen sie.
Ich bin so erschöpft.
»Hier stehst du vor mir, bis oben hin vollgedröhnt und so verdammt heiß. Es wäre so einfach. Schon wieder. Du willst es, nicht wahr? Du forderst mich immer und immer wieder dazu auf.« Seine Hand wandert von meiner Wange zu meinem Sweatshirt und langsam zieht er den Reißverschluss auf. Wohlig seufzt er als er seine Hand über meinen Körper nach oben wandern lässt und auf meiner Brust verhaart.
Ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber was? Mir geht es gut. Ich bin ein bisschen müde, aber sonst geht es mir ausgezeichnet.
Der Gong ertönt und läutet den Unterricht ein.
Cade seufzt und lässt mich los. Dann hängt er mir meinen Rucksack wieder über die Schultern und tritt einen Schritt zurück. Keine Sekunde zu spät, denn schon öffnet sich die Tür und Schüler strömen in den Raum.
Ich gehe wie ferngesteuert auf den Gang hinaus und weiß, dass ich in meinen Kurs muss. Cade bleibt vor mir stehen und flüstert: »Ich schwöre dir, das nächste Mal bringe ich es endlich zu ende.« Dann geht er.
Ich wende mich um und gehe zu dem Zimmer, in dem ich Unterricht habe. Die ersten Stunden habe ich zum Glück nicht mit Clary, so kann ich in Ruhe wieder von meinem High runter kommen.
Erst in der vierten Stunde bin ich wieder so klar im Kopf, dass mir bewusst wird, was heute morgen verdammt nochmal passiert ist.
Erst habe ich einen Zitteranfall. Dann bricht mir kalter Schweiß aus. Panik überläuft mich. Schließlich renne ich zur Toilette und übergebe mich.
Und dann sehe ich nur noch rot.
Als ich in mein Auto steige, weiß ich ganz genau, wo ich hin will.
***
»Ich finde, es war eine gute Idee. Du brauchst ein bisschen Ablenkung und Spaß.« Mason lächelt mich an. In Smoking sieht er umwerfend aus und sein charmantes Lächeln entwaffnet mich wie jedes Mal, wenn er es zu seinem Besten gibt.
»Ich weiß nicht.« Unsicher streiche ich mir über das rote Kleid, das ich trage, und von Talia geliehen habe. Es ist umwerfend. Aus glänzender Seide und bodenlang, am Rücken offen.
Mason hat es ernst gemeint, mit mir erstmal nicht über tiefere Gefühle zu reden. Er will mir nach wie vor Raum geben, meine eigene Ruhe in mir zu finden. Er will, dass ich auch dann mit mir glücklich bin, wenn ich alleine bin und vor allem ohne ihn.
Wenn er wüsste, wie wenig sein Plan momentan in die Tat umgesetzt wird. Mir geht es beschissen und von meinem heutigen Tag habe ich ihm erst recht nicht erzählt. Erstens müsste ich dann eingestehen, dass es bei mir nicht besser wird und würde damit gleichzeitig gegen die Regel mit den tiefen Gefühlen verstoßen. Und zweitens müsste ich zugeben, dass ich eine Pille genommen habe. Ich will nicht, dass er mich enttäuscht anguckt.
Ich weiß selbst, dass es eine dumme Entscheidung war. Ich bereue es. Ich will es nie wieder machen. Mir ist jetzt klar, dass ich ganz sicher nicht abhängig bin. Das war nur eine Entschuldigung von mir selbst, sie zu nehmen. Ich habe es mir einfach gemacht. Vielleicht bin ich abhängig von dem Gefühl, dass es mir gut geht, aber nicht von der Pille an sich. Ich muss mich einfach so sehr in den Griff bekommen, dass ich dieses Glück auch ohne die Droge fühlen kann. Ich muss und werde an meinem Zustand arbeiten. Ich werde die schlimmen Dinge verarbeiten und ich werde es schaffen. Ich möchte mich endlich gut fühlen.
»Ach, was. Das wird lustig, Syd.« Er nimmt meine Hand und wir betreten die Turnhalle. Sie ist bunt geschmückt und von der Decke hängen Girlanden. An den Wänden kleben Luftballons und vorne auf der Bühne ist ein DJ Tisch aufgebaut. Langsame Musik erfüllt den Raum.
Mason hat mich irgendwie dazu gekriegt, mit ihm tatsächlich auf den Frühlingsball zu gehen. Er kann ziemlich überzeugend sein und insgesamt liebe ich die Vorstellung, mit ihm zu Klavierballaden zu tanzen und ihn vor allen zu küssen, weil es mich nicht kümmert, was sie denken. Weil ich mit ihm zusammen gehöre.
Sofort zieht er mich auf die Tanzfläche und schlingt die Arme um mich. Das Lied ist perfekt. Nicht zu langsam und nicht zu schnell. Er sieht mir so gefühlvoll in die Augen, dass mir schwindelig wird.
Ich lege die Arme um seinen Hals und ziehe ihn noch näher an mich. Ich will ihm so nah sein, wie nur irgendwie möglich. Ich will, dass wir uns nie wieder loslassen. Nie wieder.
Er dreht uns einmal schwunghaft um die eigene Achse und ich lache. Er grinst. »Ich liebe es, wenn du lachst.«
Ein warmes Gefühl erfüllt meine Brust. »Mein Lachen hat sich nie verändert«, flüstere ich und die Erkenntnis treibt mir Tränen in die Augen.
»Weil du immer noch du bist. Und ich liebe dich.« Er klingt so aufrichtig und sanft, dass es mich fast umhaut.
»Ich liebe dich«, flüstere ich und dann küssen wir uns. Ein schöner, sanfter, inniger Kuss. Einer, der mich unten und oben vergessen lässt. Bitte, bitte, lass mich nie wieder los, Mason.
»Das habe ich mir immer vorgestellt. Mit einem Jungen, den ich liebe, auf irgendeinem bescheuerten Schulball zu tanzen.« Ich kichere und plötzlich fühle ich mich so normal. Wie früher. Als hätte sich nichts verändert.
Mason grinst. »Ich habe es mir auch gewünscht.«
»Mit einem Jungen, den du liebst, auf einem Schulball zu tanzen?« Ich lache und er schüttelt belustigt den Kopf.
»Nein, mit dir. Ich bin der festen Überzeugung, dass du das Mädchen aus meinen Träumen bist.«
Ich bin so überwältigt, dass ich es nicht in Worte packen kann. Also küsse ich ihn wieder.
Und vergesse alles um mich herum. Cade. Meinen Noch-Vater. Die Verträge. Das, was ich heute mittag getan habe. Das, was man nicht mehr ändern kann. Das, was heute Abend als gigantische Bombe noch hochgehen wird. Aber ich bereue es nicht.
»Du bist so verdammt kitschig.« Ich gebe ihm einen leichten Klaps auf die Schulter und er lächelt.
»Das liebst du an mir.«
»Ertappt.« Wir drehen uns einmal im Kreis. »Ich will, dass es immer so bleibt. Immer und immer.« Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter und die nächsten zwei Lieder bleiben wir still, fest umschlungen und näher als nie zuvor.
»Ich auch«, erwidert Mason beim dritten Lied und sieht mich an. »Meine Eltern haben gefragt, ob du nächste Woche mal zum Essen kommen willst. Hast du Lust?«
Ich nicke. »Ja, das würde ich wirklich gerne. Dann kannst du mir wieder deine Musiksammlung vorspielen.«
Er kichert. »Ich mag die Vorstellung von dir wieder in meinem Zimmer«, wispert er ganz nah an meinem Ohr und ein angenehmer Schauder läuft über meine Haut.
Ich schaue ihm in die Augen und kralle mich an seinem Smoking fest. Plötzlich habe ich Angst, er könnte mir jeden Moment entschwinden. Er scheint dies zu merken und legt seine Arme nur noch fester um mich. »Ich gehe nirgendwo hin, Syd. Niemals.«
Die nächsten Lieder sind schneller und wir hüpfen wie Bekloppte wild herum, schwingen uns in die Luft und werfen unsere Hände in die Höhe. Ich lache so viel, dass mein Bauch wehtut.
Im Anschluss kommen wieder langsamere Lieder und wir tanzen erneut eng umschlungen. Der Abend sollte einfach niemals enden. Gottseidank hat er mich dazu überredet, hier her zu gehen.
Über uns explodiert eine Konfettikanone und durch ein Mikrofon wird geschrien: »Da sind sie! Hier haben wir unsere Ballkönigin und unseren Ballkönig! Kommt nach vorne und holt euch eure Kronen.« Ich lache laut auf und Mason verteilt Küsse auf meiner Hand, als wir nach vorne laufen.
»Na, los! Kommt auf die Bühne!« Ein Mädchen, die bestimmt im Abschlussjahr ist, steht über uns und hat ein schwarzes Mikrofon in der Hand. Sie trägt ein atemberaubendes grünes Kleid, das wunderbar zu ihrer dunklen Hautfarbe passt. Auf ihre Lidern schimmert goldener Lidschatten. Sie streckt mir die Hand hin. »Komm, Darling.«
Ich lache und nehme die Hand, lasse mich von ihr auf die Bühne ziehen. Mason ist direkt neben mir und hält die ganze Zeit meine Hand fest.
Erst winkt sie mich zu sich und gibt mir das silberne Diadem. Die Menge unter uns applaudiert.
Ich stelle mich zurück nach vorne und dann bedeutet sie Mason, zu sich zu kommen. Er tritt zu ihr nach hinten.
In dem Moment höre ich ihre Stimmen. Mädchen in der ersten Reihe, die über mich reden. »Die Jungs haben sie sowieso nur gewählt, weil sie so gut aussieht. Sie denken, sie hätten eine Chance.«
»Ich habe gehört, dass sie mit vielen was am Laufen hat. Der arme Typ da oben. So eine Schlampe.«
»Okay, aber ich würde töten für ihren Körper. Schaut sie euch an.«
»Hab gehört, dass sie viel an sich hat machen lassen. Gen-Technik, oder so. Wie auch immer. Ich will es auch.«
»Ja, ich auch. Schaut euch nur um, wie die ganzen Typen sie anschmachten.«
»Mich schmachtet niemand an. Scheiß gut aussehende Schlampe.«
Mein Herz stolpert und mir bleibt die Luft weg. Ich will die Mädchen anschreien, dass sie das hier ganz bestimmt nicht wollen. Dass ich es auch nicht will. Dass sie alle Typen der Welt haben können. Dass sie sich nicht verändern sollen, wegen ihnen.
Meine sorglose Stimmung ist verschwunden. In einem wilden Sturm rasen wieder alle schlechten Gedanken auf mich ein. Das bin nicht ich. Nicht ich wurde zur Ballkönigin gekrönt, sondern mein Erscheinungsbild. Die Hülle, die ich nicht bin. Sie haben mich gewählt, weil ich gut aussehe. Weil sie neidisch sind. Und Mason war eben einfach dabei, als Ballkönig. Aber das bin nicht ich. Ich ertrage das Alles nicht mehr. Den ganzen Schmerz, das Alles. Ich weiß nicht mehr, wie ich damit umgehen kann. Wie ich das leere Loch jemals ganz in mir schließen kann, wie ich mich akzeptieren soll, obwohl ich einfach nicht ich bin.
Mason steht wieder neben mir. Ich sehe ihn durch einen dicken Schleier aus Tränen an. Sofort ist er alarmiert und will nach meiner Hand greifen, aber ich lasse ihn nicht. Ohne nachzudenken, nehme ich die Krone ab und breche sie in der Mitte durch. Die Menge unter mir keucht. Tränen laufen über mein Gesicht. Ich will etwas sagen, will schreien, irgendetwas. Aber ich bleibe still.
In der Menge suche ich nach einem Gesicht. Tatsächlich finde ich es weiter hinten, in der letzten Reihe.
Cade starrt mich an, verschlingt mich mit Blicken. Seine Augen sind glasig. Er ist betrunken.
»Syd, was ist los?«, flüstert Mason neben mir leise. »Was hast du? Wie kann ich dir helfen?«
Ich ignoriere ihn und schaue nur auf Cade. Er hat mittlerweile bemerkt, dass ich ihn ansehe und legt den Kopf schief. Er wirkt beunruhigt. Wahrscheinlich denkt er, ich werde irre. Bin ich vielleicht auch.
Ich stehe heulend vor meiner ganzen Schule, die zerbrochene Krone in den Händen. Im Augenwinkel sehe ich, wie sich die Lehreraufsichtspersonen von den Wänden abstoßen und auf die Bühne zugehen.
»Was ist los?«, fragt das nette Mädchen, die die Kronen ausgeteilt hat. »Warum weinst du?«
»Es ist alles nur eine Show. Es ist nicht echt«, sage ich leise. Mir ist bewusst, dass ich spätestens jetzt wie eine Verrückte wirken muss. Das Mädchen wirkt verwirrt, will etwas sagen, schließt den Mund aber wieder, als von draußen Sirenen erklingen.
Blaues, blinkendes Licht strahlt durch die Fenster der Halle. Die Lehrer bleibe stehen und wirken erschrocken.
Endlich. Ich hatte gehofft, dass es bald passiert.
Ich schmeiße die Krone auf den Boden.
Mason sagt wieder etwas, aber ich höre ihn nicht.
Die Sirenen verstummen und die Lichter kommen direkt vor dem Schulgebäude zum Stehen.
»Es ist alles nur eine Show«, rufe ich laut. Alle Augen liegen auf mir. Fassungslos. Beinahe ängstlich. Angst vor mir. Weil ich verrückt bin.
Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht. »Es ist nicht echt. Ich bin nicht ich.«
Die Türen gehen auf und knallen gegen die Wand. Vier Polizisten betreten den Raum. Ein Keuchen geht durch den Raum. Angst erfüllt jeden Winkel.
Masons Blick liegt auf mir, aber ich schaue nur Cade an. Und er mich.
Die Lehrer reden mit den Polizisten und schließlich zeigt Mrs. Fisher auf Cade. Langsam, aber ohne zu zögern.
Cades Augen weiten sich. Noch immer sieht er mich an. Er hat es verstanden. Sein Blick geht zu den Polizisten, die jetzt direkt vor ihm stehen.
Ich kreuze die Arme vor der Brust, während sie ihm seine Arme hinter dem Rücken kreuzen und mit Handschellen versehen.
Jeder einzige Schüler befindet sich in einer Schockstarre. Außer ich. Wegen mir können sie die fröhliche Musik wieder anmachen. Ich habe Grund zum Feiern.
Einer der Polizisten sieht Cade ernst an. »Cade Brown, Sie werden hiermit aufgrund Vergewaltigung an Masy Peters, Clarke Shelby, Lilly Smith und Phoebe Carrie sowie angehender Vergewaltigung und Einflößung von illegalen Substanzen an Sydney Johnson verhaftet«, sagt er dann in die geschockte Stille hinein.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top