19 | n e u n z e h n

[habits - tove lo]

MS WHITE ERWARTET mich schon, als ich die Klinik betrete und führt mich sogleich in den Behandlungsraum. Stumm lege ich mich auf die Liege, während sie einige Voruntersuchungen unternimmt.

»Du möchtest also singen, tanzen und schauspielern können?«, hakt sie zur Sicherheit nach, als sie auf ihr Klemmbrett guckt.

»Ja«, bestätige ich monoton, den Blick zur Decke gerichtet.

Mein Befinden hat sich in den letzten Tagen nicht geändert. Mir geht es richtig schlecht und ich habe das Gefühl, es wird jede Stunde schlimmer. Ich halte es kaum noch aus. Da ist nur noch diese Leere in mir.

In letzter Zeit habe ich immer wieder versucht, das Loch mit Essen zu stopfen, die Leere damit zu vertreiben. Aber jedes Mal hat es rein gar nichts gebracht und nach diesen Fressattacken habe ich mich nur immer wieder im Badezimmer, vor der Toilette, wiedergefunden.

Ich weiß, wie ungesund das Alles ist. Merke, dass ich langsam daran kaputt gehe. Und trotzdem ist da diese unersättliche Stimme in mir, die mir zu säuselt, dass mir diese Genveränderung helfen wird. Dass ich mich danach wieder besser fühlen werde.

Vorgestern hatte ich mein zweites Shooting, diesmal alleine, und der Fotograf war so begeistert, dass er meiner Agentur sofort ein Lob für mich zukommen lassen hat. Daraufhin ist mein Telefon heiß gelaufen, meine Agentin hat mich mit Anrufen überhäuft, mit Shootings, die sie für mich sorgfältig ausgesucht hat.

Heute Vormittag habe ich ihr erzählt, dass sie ab morgen auch Jobs und Anfragen mit diesen Talenten annehmen kann, die ich ab heute Abend alle beherrschen werde.  

»Guck mich bitte an, Sydney«, sagt Ms White jetzt und ich richte meine müden Augen auf sie. »Ich werde dich jetzt einschlafen lassen. Du weißt ja noch, wie das läuft. Wenn du nachher aufwachst, kannst du dich erstmal an nichts erinnern.«

Ich nicke und sie gibt mir mehrere Spritzen. Dann beugt sie sich über mich, bereitet weitere Dinge für die Narkose vor. Ich muss zwei Tabletten schlucken. Schließlich zählt sie von zehn rückwärts und ich dämmere weg, in ein schwarzes Nichts.

***

Später sitze ich auf der Liege, starre unwillkürlich auf meine Hände und mein Blick ist verschwommen. Die Phase, in der ich mich an nichts mehr erinnern kann, ist zwar schon vorbei, aber ich fühle mich trotzdem noch seltsam.

Ms Whites Blick bohrt sich in meine Haut und schließlich sehe ich auf. »Hast du Hunger?«, will sie wissen und reicht mir ein Glas Wasser, dass ich in einem Zug leere.

»Nein«, entweicht es meinen Lippen in einem leisen Ton und sie sieht mich prüfend an. Aber der Hunger kommt erst später, wenn das Loch in mir wieder so großen Druck auf mich ausübt, dass ich es nicht mehr aushalten werde.

Ich ringe mir ein kleines Lächeln ab und stehe auf. Monoton schlüpfe ich in meine Schuhe und ziehe die Jacke an, als der Gendoktor das Zimmer betritt.

Er grinst mich an, seine Zähne sind strahlendweiß, seine Augen leuchten. »Wie geht es Ihnen?«, fragt er und mustert mich eingehend.

»Gut«, lüge ich. »Danke für das Alles.«

Er lacht. »Sie sind einfach wunderbar, Ms Johnson. Und so schön jetzt.« Bewundert sieht er mich an, bewundert sein eigenes Werk. »Eigentlich wollte ich über etwas anderes mit Ihnen sprechen«, meint er dann eine Spur sachlicher und zeigt auf die Tür. »Begleiten Sie mich ins Büro?«

Ich nicke und wir betreten den Flur. Ms White winkt zum Abschied.

Der Doktor schließt seine Bürotür auf und setzt sich hinter seinen großen, imposanten Schreibtisch.

Ich lasse mich vor ihm auf den Stuhl sinken, schaue ihn abwartend an.

Er verschränkt gemächlich die Hände miteinander und stützt die Ellenbogen auf der massiven Tischplatte ab. »Also«, beginnt er und überschlägt seine Beine. »Seit ein paar Tagen haben wir das offizielle Okay von der Regierung bekommen, dieses Genveränderungsprogramm öffentlich anzuwerben und im großen Stil durchzuführen«, erfreut sieht er mich an, »und ich hätte gerne Sie als das Gesicht unsere Programms.«

Ich starre ihn eine Weile an, ohne, dass die Worte wirklich zu mir durchdringen. Doch dann runzle ich die Stirn und lege den Kopf schief.

Will ich das?

Ein Teil in mir schreit ja, der andere schreit nein. Wieso ist das Alles so kompliziert?

»Das freut mich. Ich werde über Ihr Angebot nachdenken«, sage ich schließlich und denke, dass dies die beste Antwort ist. »Sie können sich gerne an meine Agentin wenden«, füge ich hinzu, um professioneller zu klingen.

Er nickt lächelnd und schüttelt mir die Hand. Danach verabschieden wir uns voneinander und ich verlasse die Klinik.

Als ich im Auto die Musikanlage anschalte und ein Lied ertönt, das ich in- und auswendig kann, singe ich automatisch mit. Und schließe den Mund sofort wieder, als ich bemerke, dass die Töne aus meinem Mund nicht mehr schief, sondern klar, engelhaft und weich klingen.

Perplex starre ich mich im Rückspiegel an, dann breitet sich ein sanftes Lächeln auf meinen Lippen aus. Ich kann singen.

Seit langem bin ich wieder einigermaßen gut gelaunt, auch wenn da noch immer das Loch ist, und fahre gemächlich nachhause.

Als ich die Haustür aufschließe, höre ich sofort Dads Schritte, die auf mich zu eilen. Dann sehe ich sein aufgeregtes Gesicht. »Und, wie fühlt es sich an, plötzlich so talentiert zu sein?«

Seine Worte verletzten mich auf einer seltsam tiefen Ebene, aber ich verdränge dieses Gefühl. Er will nur das Beste für mich. Ich ringe mir ein Lächeln an. »Gut.« Dabei weiß ich gar nicht, wie es sich anfühlt. Ich fühle nichts mehr, außer die Leere und manchmal oberflächliche Freude, die mich aber nie wirklich tief berührt.

Er lächelt breit und zieht mich in eine Umarmung. »Ich rufe gleich deine Agentin an.« Gut gelaunt zieht er ab, bevor ich ihm sagen kann, dass ich das schon erledigt habe.

Schulterzuckend verziehe ich mich in mein Zimmer und werfe mich aufs Bett. Ich hole mein Handy hervor und scrolle wieder durch mein Instagramprofil. Mittlerweile sind es beinahe zweitausend Follower und ich starre einen Moment wie betäubt auf diese große Zahl.

In den letzten Tagen hat sich auch zum Widerholten Mal vieles in der Schule geändert. Die Leute schauen mich nochmal anders an, als sonst. In ihren Blicken liegt Bewunderung, Staunen und Ehrfurcht. Sie sehen in mir nicht mehr Sydney, die Genveränderte. Sie sehen in mir nun das Model, das berühmteste und schönste Mädchen auf der High School. Sie begehren mich.

Und trotzdem habe ich keine Freunde. Natürlich, da sind die, mit denen ich zusammen in Kurse gehe und mit denen ich mich auch gut verstehe, aber mehr ist das nicht. Viele sprechen mich an, wollen mich auf irgendwelche Partys einladen oder sich bei mir einladen.

Aber nicht mal ich bin noch so naiv, um zu sehen, dass sie das nur wegen meines Status machen. Nicht wegen mir. Natürlich.

Und, ja, ich bin positiv darüber gestimmt, wie ich nun aussehe, wie die Karriere voran geht und ich immer beliebter bin. Denn das wollte ich ja auch. Und dabei habe ich einen Gendoktor, der immer hinter mir steht.

Clary würde mir jetzt eine klatschen und etwas von Gehirnwäsche reden, aber das ist mir egal. Wir haben in letzter Zeit sowieso kaum geredet. Aber es ist mir komischerweise gleichgültig.

Ich fühle mich so, als wäre mein Leben der perfekte Film, aber ich wäre nur der Zuschauer, deshalb greife ich nicht ein. Dieses leere Gefühl frisst mich von innen auf, aber dafür bin ich schön. Ich bin schön. Und das ist alles was ich brauche. Alles, was ich brauche, um im Leben weiterzukommen.

Warum geht mein Atem jetzt schneller, obwohl ich doch recht habe? Warum rast mein Herz, warum kommt die Watteschicht zurück? Stopp, Sydney, stopp!

Ich habe verdammt noch mal recht, mit allem was ich denke. Aber warum fühlt sich dann alles so schwer an? Warum spüre ich die Tränen auf meiner Wange? Wieso, verdammt, fühle ich meinen Körper nicht mehr? Wo ist er hin?

Scheiße. Ich bekomme keine Luft. Ich bekomme einfach keine Luft. Das Loch. Es wächst. Die Leere wird größer.

Warum? Warum? Mein Leben ist doch perfekt, ich bin schön, ich bin schön, ich bin schön... Was ist los mit mir? Ich werde verrückt.

Raus hier. Ich muss raus hier. Dringend.

Mein gesamtes Blickfeld verschwimmt vor mir und ich bekomme fast gar nicht mit, wie ich mich zu Zimmertür schiebe. Aber irgendwann stolpere ich die Treppen herunter.

»Wo gehst du hin, Sydney?«, höre ich meinen Dad. Seine Stimme ist verzerrt, weit entfernt.

»Zu Clary«, bringe ich atemlos heraus, eine perfekte Lüge, dann reiße ich die Haustür auf.

Frische Luft, frische Luft. Sie strömt in meine Lunge, aber sie macht es auch nicht besser.

Mir wird schummerig, mein Kopf dröhnt meine Knie zittern. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zum Auto und fahre los, obwohl ich nur eine verschwommene Sicht habe. Auch die Kälte spüre ich nicht, durch mein dünnes Oberteil, obwohl ich weiß, dass eisige Temperaturen herrschen.

Ich fühle überhaupt nichts mehr. Nichts, außer dieser Leere. Dieser Taubheit.

Irgendwann halte ich an, ohne zu wissen, wo ich eigentlich bin. Aber dann erkenne ich, dass ich mich auf einem Supermarktparkplatz befinde, den ich wohl unterbewusst angesteuert habe.

Wackelig steige ich aus. Ich brauche dringend etwas, um die Leere zu stopfen.

Also betrete ich den Laden und greife wahllos in die Süßigkeitenregale, greife und greife.

Abwesend bezahle ich und setze mich dann wieder ins Auto. Ungezähmt reiße ich die Plastikverpackungen auf uns stopfe die Schokolade in mich hinein.

Fühl etwas, flehe ich mich selbst an. Und wenn es nur diese verdammte Übelkeit ist. Irgendwas, Hauptsache nicht die Leere. Und tatsächlich – bald macht sich die Übelkeit bemerkbar. Doch das ist auch alles, was ich spüre.

Frustriert starre ich auf den Haufen vor mir, dann wische ich mit einer einzigen Handbewegung alles auf den Beifahrersitz und starte den Motor.

Ich brauche etwas Stärkeres.

Es ist schon dunkel, als ich auf den Clubparkplatz einbiege. Hektisch betrete ich das Gebäude, gehe im direkten Weg in die VIP-Longe zu, mein Blick sucht nach einer einzigen Person.

Als meine Augen sich an das rote, blinkende Licht gewöhnt haben, erblicke ich sie und gehe in schnellen Schritten auf sie zu.

Zara dreht sich verwundert zu mir um. »Sydney?«, fragt sie, aber ich packe sie an den Schultern und schüttle sie unachtsam.

»Hast du noch so eine Pille?« Eindringlich schaue ich sie an.

Ungläubig reißt sie die Augen auf und starrt mich an. »Was?«

»Du hast mich schon verstanden.« Ich raufe mir die Haare und sehe sie flehend an.

Ich weiß, dass ich es nicht tun sollte. Ich sollte umdrehen, nachhause gehen und mein Versprechen halten, dass ich Clary gegeben habe. Aber ich will etwas fühlen. Und ich sehe den einzigen Weg in dieser Pille. Ich brauche sie.

»Was ist los mit dir?« Zara sieht mich schockiert an und ich schüttle sie erneut.

»Neulich war es doch auch kein Problem, mir eine zu geben. Warum machst du jetzt so ein großes Drama darum?«

»Weil du mich ziemlich zur Strecke gemacht hast und gemeint hast, du wolltest keine«, antwortet Zara heftig.

»Ich habe meine Meinung geändert.« Meine Stimme klingt kaum lauter als ein Flüstern und sie muss mir meine Verzweiflung ansehen, denn langsam greift sie in die Tasche und zieht eine heraus.

Ich schnappe sie ihr aus der Hand und schlucke sie, ohne noch einmal darüber nachzudenken.

Und – endlich, endlich – verblasst die Leere, die Taubheit, die Abwesenheit.

Ich fühle.

Vollkommenheit. Leichtigkeit. Beschwingtheit. Alles fühlt sich gut an. Alles fühlt sich berauschend an.

Die bunten Lichter sind seltsam verschwommen, genau wie Zaras Gesicht, aber es ist diesmal eine gute Verschwommenheit, keine beängstigte.

Ich lasse mich treiben. Treiben, von den positiven Gefühlen, die in voller Wucht auf mich einschlagen. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und dankbar sehe ich zu Zara.

Diese starrt mich noch immer halb schockiert, halb belustigt, an, dann verschwindet sie in der Menge.

Mich zieht es automatisch auf die Tanzfläche und ich folge diesem Drange, strecke die Hände in die Höhe und bewege mich zum Takt. Und wie gut ich mich bewege. Denn ich kann jetzt tanzen wie ein Profi, dank der Genveränderung.

Ich lege mein Kopf in den Nacken und spüre, wie ein heiteres Lachen meinen Mund verletzt.

»Hey, Süße.« Ein Typ nähert sich mir von hinten und tanzt mich an. In einer schwungvollen Bewegung drehe ich mich zu ihm um und grinse ihn an.

»Hey«, sage ich verlockend und nähere mich seinem Gesicht.

Er tritt näher an mich heran und lässt seinen Blick über mich wandern. »Tanzt du mit mir?«, fragt er heiser und als Antwort lege ich meine Hände um seinen Hals.

»Ich hasse euch«, entweicht es meinen Lippen im nächsten Moment.

Verwundert sieht er mich an, sein Blick ist verschleiert. »Was?«

»Ich hasse euch Typen. Ihr seid alle verfickte Arschlöcher, die nichts Besseres zu tun haben, als mit unschuldigen Mädchen zu schlafen und sie dann fallen zu lassen.« Meine Stimme klingt dabei immer noch gut gelaunt.

Er sieht mich verärgert an und schiebt dann meine Hände von seinen Schultern. »Okay, das reicht. Ich gehe. Du hast sie ja nicht mehr alle.«

Aber ich drehe ihn in einem Schwung wieder genau zu mir und lege den Kopf schief, ein Lächeln auf den Lippen. »Ich hasse euch nicht nur, ich verabscheue euch sogar.« Mit einem lauten Knall landet meine Hand auf seiner Wange und ungläubig starrt er mich an.

Wow, das hat gut getan, kommentiert meine innere Stimme, die total high ist.

»Was zur Hölle sollte das, du verfickte, kleine Schlampe?«, brüllt er, aber ich zeige ihm nur den Mittelfinger und verschwinde in der Menge.

Gut gelaunt tanze ich weiter und bewege mich zur lauten Musik, meine Bewegungen passen sich perfekt zum Takt an.

Im nächsten Moment steht Lou vor mir, dass Mädchen, das ich neulich kennengelernt habe. Sie lächelt mich an und beginnt, ebenfalls zu tanzen. »Hey«, ruft sie über die Musik hinweg.

»Hi, Lou«, erwidere ich fröhlich und drehe mich einmal im Kreis, springe sogar zweimal hoch und falle dabei fast hin. Aber ich lasse mich davon nicht aufhalten. Tanze einfach unbeirrt weiter.

»Warte mal.« Lou zieht mich am Arm näher zu sich und starrt mir in die Augen. »Hast du irgendeine Droge genommen?«

Ich kichere nur und zucke verschwörerisch mit den Schultern. »Wer weiß?«, nuschle ich undeutlich, aber noch immer fröhlich.

»Sydney, lass die Finger von sowas.« Erschrocken und besorgt mustert mich das blonde, schöne Mädchen. Dann zieht sie mich vom Rand der Tanzfläche. »Soll ich dich nachhause bringen? Brauchst du etwas?«

Ich schüttle amüsiert den Kopf. »Mein Gott, Lou. Entspann dich, mir geht's super«, lalle ich und kippe dabei nach vorne, in ihre Arme.

»Dir geht's super, was?«, macht sie mich ironisch nach und zieht mich dann in eine noch ruhigere Ecke. »Was ist los mit dir? Ich weiß, wir kennen uns kaum, aber ich habe dich nicht für ein pillenschluckendes Mädchen gehalten.«

Ich schnaube. »Ich habe nur Spaß«, wehre ich ab, aber sie sieht mich noch immer ernst und besorgt an.

»Komm, ich bring dich zu mir, dann bekommen deine Eltern nichts...« Sie unterbricht sich, als ich mich aus ihrem Griff los mache und weg renne. »Sydney!«, ruft sie mir hinterher.

Aber ich ignoriere sie und renne einfach weiter, zum Clubausgang, in die kalte Nachtluft. Ich höre ihre Schritte und ihr Rufen hinter mir, aber bald habe ich sie abgehängt und laufe mutterseelenallein durch die nächtlichen Straßen.

Als ich – nach vielen Minuten herumirren in der Dunkelheit und anzüglichen Blicke von Obdachlosen – wieder langsam von meinem High runterkomme, fühle ich mich nicht mehr berauscht, sondern nur schummerig und verwirrt, mir ist schwindelig.

Und plötzlich stehe ich vor Clarys Haus. Warum auch immer ich hier her gelaufen bin. Und weil ich noch immer auf Drogen bin, klingle ich einfach.

»Hallo?«, höre ich ihre verwunderte, verschlafene Stimme durch die Freisprechanlage und ich trete unbehaglich von einem auf den anderen Fuß.

»Ich bin's«, nuschle ich. Dann ist da Stille und schließlich ermöglicht mir der Türsummer einzutreten.

Im Treppenhaus falle ich fast hin, so schwindelig ist mir, aber bald darauf stehe ich vor Clarys Wohnungstür.

»Was machst du so spät...« Sie verstummt, als sie mein Gesicht erblickt. Wahrscheinlich sehe ich richtig fertig aus.

»Wie spät ist es denn?«, frage ich mit kratziger Stimme.

Noch immer starrt sie mich mit weit aufgerissenen Augen an, wendet sich dann aber ab und sagt: »Halb zwei.«

Ich schlucke und sie macht eine Geste, dass ich eintreten soll. Unsicher gehe ich in den Flur.

Früher war ich andauernd hier und immer habe ich mich wie zuhause gefühlt. Aber jetzt... jetzt weiß ich nicht, wie ich mich benehmen soll.

»Komm, wir gehen in mein Zimmer«, flüstert Clary und ich folge ich auf leisen Sohlen. Kaum haben wir den Raum betreten, lässt sie sich aufs Bett fallen und klopft neben sich. Unsicher setzte ich mich neben sie.

»Was ist los?«, will sie wissen und sieht mich besorgt an.

Und in diesem Moment macht irgendetwas Klick in mir und ich erzähle einfach drauf los. »Weißt du, früher, da haben wir uns immer richtig gut verstanden, du warst wie eine Schwester für mich. Und jetzt ist es komisch zwischen uns, so distanziert, irgendwie, dabei haben wir uns nicht einmal gestritten. Und ich weiß, dass das meine Schuld ist. Mein Leben ist nun ganz anders, als früher und ich benehme mich anders. Ich muss dir etwas beichten«, ich halte kurz inne, »ich habe heute wieder eine Pille genommen. Dabei wollte ich dein Versprechen einhalten. Für dich und vor allem für mich selbst. Aber es ging nicht. Ich... ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist, da ist dieses seltsame Gefühl in mir und...« Weiter komme ich nicht, denn ich breche in Tränen aus.

Sofort ist sie bei mir und umarmt mich fest. Und das tut gut. So richtig gut. Nicht nur dieses Pillen-gut. Das hier ist echt. Und das Weinen tut mir ebenfalls gut. Es ist ein Gefühl und ich bin froh, zu fühlen. Und froh, ihr von allem erzählt zu haben.

Eine Weile bildet sich eine Stille zwischen uns, die nur von meinen Schluchzern durchdrungen wird.

Schließlich hält mich Clary eine Armeslänge weg von sich und sieht mich intensiv an. »Ich könnte jetzt vieles sagen. Zum Beispiel, dass du an der ganzen Genscheiße kaputt gehst. Aber ich tue es nicht. Denn es bringt nichts, wenn ich es dir sage. Du musst es selber begreifen und das wirst du früher oder später, das weiß ich.«

Ich bin mir nicht sicher, ob mich das wütend machen soll. Immerhin ist es meine Entscheidung und ich fühle mich wohl damit. Denn ich bin schön. Wunderschön. Ich fühle mich wohl.

Doch bevor ich dazu komme, wirklich wütend zu sein, sagt sie etwas, das mir den Atem raubt und mir Tränen in die Augen jagt. »Ich bin deine beste Freundin. Und ich liebe dich, vergiss das nie.« Wieder umarmt sie mich und erneut fange ich an, heftig zu weinen.

»Alles wird wieder gut«, flüstert sie. »Es wird dir wieder besser gehen, sobald du merkst, was falsch ist. Ich bin da«, redet sie weiter beruhigend auf mich ein und irgendwann lullt mich ihre sanfte Stimme so sehr ein, dass ich in einen tiefen Schlaf gleite.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top