18 | a c h t z e h n
[boys ain't shit - SAYGRACE ft. Tate McRae, Audrey Mika]
LAUTES ATMEN REISST mich aus dem Schlaf und da ich es nicht gewöhnt bin, blinzle ihr verwirrt. Langsam öffne ich vollständig die Augen und im gleichen Moment strömen alle Erinnerungen in einer rasenden Geschwindigkeit auf mich ein. Diese lassen mich lächeln und ich drehe mich auf die andere Seite des Bettes.
Will schläft noch. Sein Gesicht ist ganz entspannt, die Gesichtszüge noch weicher als sonst. Vorsichtig strecke ich die Hand aus und streiche durch seine wild abstehenden Haare. Sofort schlägt er die Augen auf und ich ziehe die Hand reflexartig zurück.
Er lächelt kurz. »Guten Morgen«, brummt er mit rauer, verschlafener Stimme und ich erwidere sein Lächeln.
»Gestern Nacht war...« Ich halte inne und er beendet meinen Satz kurz angebunden.
»...schön.«
Schön? Ich habe wirklich an alles gedacht, aber nicht an schön. Eher sowas wie atemberaubend, leidenschaftlich –
Er steht auf, um seine Hüfte ist eine der dünnen Decken gebunden und nimmt seine Jeans.
Stirnrunzelnd und verwirrt schaue ich ihm zu, wie er sich anzieht. »Schön?«, bringe ich dann atemlos hervor.
Will hebt den Kopf und zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Ja, das war es.« Er fährt mit dem Anziehen fort, während mir die Kinnlade runter klappt und ich ihn fassungslos anstarre.
Noch so ein verdammtes Arschloch. Ich hätte es wissen müssen. Scheiße.
Und wieder macht sich die Unsicherheit in mir breit, besteigt gewinnend ihren Thron und schaut gebieterisch auf meine anderen Gefühle herab, beherrscht mich vollkommen. Ich hatte recht – mit meiner Angst, die ich tief in mir trage, seit Cade seine Scheiße abgezogen hat.
Ich bin schön und deshalb gut für eine Nacht, aber niemals für mehr. Ich bin einfach nicht gut genug.
»Ist das dein Ernst?«, platze ich heraus und setzte mich ruckartig im Bett auf, Wut kocht in mir hoch. Auf ihn, auf mich. Und vermischt sich mit meiner Unsicherheit ist das eine sehr schlimme, explosive Mischung.
Er zieht eine Augenbraue hoch und schaut verächtlich auf mich herab. »Was dachtest du denn? Das da jetzt was«, er zeigt mit dem Finger auf mich und dann auf ihn, »zwischen uns ist?« Er schnaubt amüsiert und schüttelt den Kopf.
Ich bebe vor Wut und atme zischend aus, um im nächsten Satz nicht loszuschreien. »Nein«, bringe ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, »das dachte ich nicht. Aber ich habe mit ein wenig Respekt deinerseits gerechnet. Und vielleicht auf ein unverkrampftes Verhältnis.« Ich hole tief Luft und stehe ebenfalls auf, die andere Decke um meinen Körper gewickelt. Erst als ich direkt vor ihm stehe, spreche ich weiter. »Immerhin was das mein erstes Mal.«
Seine Miene ist unergründlich, seine Augen kalt. »Ich muss los«, entgegnet er, schnappt sich seine Jacke und schlägt die Tür hinter sich zu.
Fassungslos starre ich an die Stelle, wo er eben noch stand und fahre mir mit zitternden Fingern durch die Haare. Scheiße.
Ich presse die Augen zusammen, um mich zu sammeln, was – Überraschung! – nicht gut funktioniert.
Stattdessen taucht da wieder diese Leere in mir auf, droht mal wieder, mich zu verschlucken.
Am ganzen Körper bebend, sinke ich aufs Bett zurück und stütze den schweren Kopf auf meine Hände.
Jetzt bloß nicht heulen. Es ist nur ein verdammtes Arschloch, versucht mir mein selbstbewusster Teil einzureden. Der Teil, der mich auch auf der Tanzfläche beherrscht und sonst leider eher still ist.
Und auch jetzt hat er keine Chance, denn meine Unsicherheit gewinnt und meine Augen beginnen zu brennen. Im nächsten Moment laufen heiße Tränen aus meinen Augenwinkeln, finden ihren Weg meine Wangen hinab.
Frustriert schlage ich mit der Hand auf das Kopfkissen. Reiß dich zusammen, Sydney!
Ich recke den Kopf, versuche, die immer mehr werdenden Tränen zu ignorieren, und stehe auf. Schnell sammle ich meine Kleider auf dem Boden zusammen und ziehe sie über. Im Badezimmer wische ich mir die verlaufene Mascara unter den Augen einigermaßen weg, fahre durch meine Haare, um sie zu ordnen, uns starre dann mein Spiegelbild eine Weile an.
Ich sehe total fertig und verheult aus. Und fühle mich auch so: Fertig, elend, erschöpft und vor allem leer.
Tief seufzend verlasse ich das Badezimmer, schlüpfe in meine Heels, nehme meine Tasche und verlasse das Zimmer. Unwillkürlich frage ich mich, wem dieses gehört und ob es Talia stört, was hier vergangene Nacht geschehen ist.
Der Flur sieht aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Überall liegen leere Becher, zerbrochene Flaschen und Flüssigkeit läuft die Wände hinunter. Luftschlangen, Glitzer und schillerndes Konfetti bedeckt den hölzernen Boden.
Ich verziehe das Gesicht und will gar nicht wissen, was das für Flüssigkeit sein mag.
Gerade, als ich zur Haustür gehen will, höre ich Schritte hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Talia, die, noch immer in dem engen Partykleid, auf mich zu gelaufen kommt.
»Sydney«, sagt sie fröhlich. »Allem Anschein nach hattest du eine lange Nacht.«
Prompt werde ich rot und ein leicht beschämtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. »Ähm...«, stottere ich und sie lacht.
»Und jetzt willst du dich einfach aus dem Staub machen? Bleib und frühstücke mit Marissa, Owen und mir«, bittet sie und grinst mich an.
Unsicher schiele ich zur Tür. Unter anderen Umständen würde ich wirklich gerne mit den beiden essen, aber ich will einfach nur noch nachhause. Mich in meinem Bett verkriechen, Schokolade essen und kitschige Liebesfilme gucken, mich dabei im Selbstmittleid suhlen und mich fragen, warum ich nicht so eine tolle Beziehung habe.
Außerdem sind da immer noch diese dummen Tränen, die meine Wangen hinunter laufen und das fremde Gefühl in mir, das mir fast den Atem raubt.
Plötzlich wechselt Talias Gesichtsausdruck von fröhlich zu besorgt. »Sag mal, Syd, weinst du?« Langsam geht sie auf mich zu.
Ich schniefe. »Vielleicht«, gebe ich kleinlaut zu und sofort nimmt sie mich in den Arm. Bebend wie ein Wackelpudding, lasse ich mich gegen sie sinken.
»Was ist passiert?«, fragt sie leise und sieht mich mitfühlend an.
Ich seufze tief. »Es ist nichts«, lüge ich, woraufhin sie ungläubig eine Braue hoch zieht. »Ehrlich, Talia. Ich will einfach nur noch nachhause.«
Sie nickt verständnisvoll. »Ich bin da, falls du reden willst«, erwidert sie leise und dankbar nicke ich, schniefe und wische mir über die nassen Wangen.
Hinter Talia erscheint in diesem Moment Owen, der auf sein Handy starrt. »Talia, Süße, ich muss doch schon los, ich hätte gerne mit gefrühstückt, aber mein Boss erwartet meine Anwesenheit, du weißt schon wie das ist. Obwohl es Samstag ist. Aber wenn dein Boss dein eigener Vater ist dann... Oh mein Gott, Sydney, Schätzchen, was ist passiert?« Erschrocken sieht er mich an, packt sein Handy weg und läuft auf mich zu.
Ich versuche abzuwinken, aber es hilft nichts, sein Blick bleibt an meinem tränennassen Gesicht hängen. »Ich weiß, du hast mich gewarnt –«, fange ich an, aber er fällt sofort in mein Wort.
»Dieses elende Arschloch«, knurrt er und nimmt mich in den Arm. »Es ist alles gut, Schätzchen. Vor allem ist es nicht deine Schuld, okay?«, redet er beruhigend auf mich ein.
Doch, flüstert meine innere Stimme, die von meiner Unsicherheit gelenkt wird, während meine andere innere Stimme ich weiß säuselt, welche von meinem Selbstbewusstsein beherrscht wird.
Verwirrt, von meinem aufgewühltem Inneren, drücke ich die Hände auf meine Schläfen. »Ich gehe jetzt.« Entschlossen wende ich mich zur Tür. Talia winkt mir besorgt nach, dann verschwinde ich ihm Hausflur.
Gerade, als ich zum Aufzug gehe, taucht Owen hinter mir auf. Zusammen betreten wir den Fahrstuhl und Stille breitet sich zwischen uns aus.
Ich fahre mir dem Händen über Gesicht, während die Tränen weiter laufen und das leere Gefühl mich von innen zerfrisst. Angestrengt versuche ich, meinen Atem zu kontrollieren.
»Falls irgendetwas ist, ruf mich an«, sagt Owen plötzlich und hält mir seine Hand in.
Ein kleines Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, während ich ihm mein Handy in die Handfläche lege und er seine Nummer einspeichert.
Im Erdgeschoss durchqueren wir das riesiges Foyer und draußen angekommen, merke ich, wie kalt es ist. Viel zu kalt für ein BH-Oberteil mit einer Lederjacke darüber. Mit zittrigen Finger schließe ich den Reißverschluss.
Owen mustert mich weiter besorgt. Dann schlüpft er aus seinem dunkelblauen Parker, den er gestern noch nicht anhatte und ich frage mich, woher er ihn hat, hake aber nicht nach, und gibt in mir.
Dankbar schlüpfe ich hinein. Sofort ist mir ein bisschen wärmer.
»Soll ich dir ein Taxi rufen?«, will Owen wissen und sieht mich prüfend an, aber ich schüttle den Kopf.
»Ich bin mit dem Auto hier.«
Er nickt, sichtbar erleichtert, und drückt mich an sich. »Wir sehen uns bald. Mach's gut, Schätzchen.« Owen lächelt mir aufmuntert zu, dann entfernt er sich von mir.
Kaum ist er weg, geht es mir wieder schlechter. Mein Herz rast, mein Atem geht unkontrolliert und schnell, mir ist übel, schwindelig und meine Gefühle, sowie die Leere, erdrücken mich schier.
Vergebens versuche ich mich zu sammeln, als ich auf mein Auto zu gehe.
Und dann ist da wieder dieses seltsame Gefühl, als wäre die Welt durch eine Watteschicht von mir abgetrennt. Ich keuche, kippe fast zur Seite.
Stopp, stopp, stopp. Sydney, reiß dich zusammen!
Es geht nicht. Die Tränen laufen ununterbrochen, die Unsicherheit und die Gefühle, dass ich nicht gut genug bin, reißen mich in einen Abgrund.
Der nasse Asphalt kommt auf einmal viel näher, ohne dass ich es stoppen oder verhindern kann.
Doch bevor ich mit voller Wucht auf dem harten Grund aufkomme, fangen mich zwei Hände auf. Halten mich. Stellen mich sanft zurück auf die Füße.
Ich würde gerne den Kopf heben. Würde gerne sehen, wer mir geholfen hat. Doch mein Kopf gehorcht mir nicht, fühlt sich an wie Blei.
Noch immer halten mich die Hände fest. Sie geben mir Sicherheit, geben mir das Gefühl, dass ich noch hier bin und nicht nur noch aus dunklen Gefühlen bestehe.
»...dir gut?«, dringt eine sanfte, männliche Stimme durch die Watteschicht und ich versuche zu antworten, aber mein Mund ist staubtrocken.
»Miss?«, ertönt dieselbe Stimme und hört sich meilenweit entfernt an.
Ich möchte die Augen heben, um ihn zu sehen, aber meine Lider sind schwer. Zu schwer.
Nur am Rande bekomme ich mit, dass ich mich bewege. Er zieht mich mit sich, dann werde ich ein Stück nach unten gedrückt, sanft und vorsichtig, bis ich auf etwas hartem sitze. Langsam streiche ich mit der Hand über den Untergrund. Es ist eine hölzerne Bank, wahrscheinlich die, welche am Rande des Parkplatzes steht.
Es tut mir gut, zu sitzen und meine Atmung normalisiert sich wieder, mein Herz schlägt normal und die Wattschicht schwindet.
Endlich kann ich den Blick heben und sehe einen Typen, ungefähr in meinem Alter, der besorgt auf mich hinunter schaut. Seine Haare sind schwarz und leicht gewellt, seine Augen sind goldbraun und gehen ein bisschen ins grünliche über, seine Gesichtszüge sind – keine Ahnung, wie – gleichzeitig definiert und weich und auf seinen vollen Lippen liegt ein kleines, aufmunterndes Lächeln.
Langsam lasse ich meinen Blick weiter über ihn wandern. Seine Statur ist sportlich, ich sehe genau die Muskeln unter seiner Daunenjacke. Alles in Allem sieht er ziemlich gut aus und ich würde in vielleicht auf siebzehn oder achtzehn schätzen.
Aber ich traue keinen jungen, gutaussehenden Männern mehr.
Ich schlucke und presse die Lippen zusammen, so wie du Augen, um mich noch einmal zu sammeln. Als das Schwindelgefühl vollständig verschwunden ist, schlage ich die Augen wieder auf und mein Blick landet sofort wieder auf ihm.
Mittlerweile ist er vor mir in der Hocke gegangen und sieht so aus, als überlege er, ob er Hilfe holen soll. Bloß nicht.
»Geht's dir besser?«, fragt er leise und legt den Kopf schief.
Ich nicke und atme zittrig aus. »Danke für deine Hilfe.«
»Natürlich. Du bist fast umgefallen.« Sein Blick ist sehr besorgt und er mustert mich eingehend. »Soll ich irgendjemanden für dich anrufen?«
»Nein!«, sage ich eine Spur zu heftig und räuspere mich leise. »Nein«, wiederhole ich ruhiger.
Er nickt nachdenklich und fährt sich durch die Haare. »Brauchst du irgendetwas?«
Ich schüttle den Kopf und für einen Moment verhaken sich unsere Blicke. Mir raubt es den Atem, so intensiv schaut er mich an. Eine Gänsehaut bildet sich auf meiner Haut und sie beginnt zu kribbeln. Schnell wende ich den Blick ab.
»Bist du dir sicher?« Er steht auf und setzt sich neben mich auf die Bank, dabei streift er meine Hand und wieder kribbelt sie.
»Ja, bin ich«, beharre ich und seufze tief.
»Du zitterst«, stellt er fest, als ich meine Hand hebe, um meine Haare aus dem Gesicht zu streichen. Schnell lasse ich sie wieder sinken.
Wieder schauen wir uns an und ein warmer Ausdruck schleicht sich in seine Augen. Schließlich legt er den Kopf schief. »Ich lade dich auf ein Kaffee ein«, schlägt er vor.
Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. Warum?, will ich am liebsten fragen, aber ich tue es nicht.
Ja, warum sind Menschen wohl nett? Sei nicht so misstrauisch. Vielleicht gibt es einfach auch wirklich nette Typen.
Ich möchte meiner inneren Stimme wirklich glauben, kann es aber nicht. Tief Luft holend zucke ich mit den Schultern. »Das musst du nicht.«
Er grinst. »Ich weiß«, er steht auf und reicht mir seine Hand. »Aber ich will.«
Unsicher und unentschlossen starre ich auf seine Handinnenfläche. Dann gebe ich mir einen Ruck. Ich kann nicht für immer allen misstrauen. Und er wirkt sehr sympathisch.
Mit Nachdruck lege ich meine kalte Hand in seine warme.
Er lächelt und dieses ist so sanft, dass ich es nicht bereue, mit ihm mit zu gehen.
Wir laufen nebeneinander die Straße entlang. Er steht so dicht bei mir, als habe er Angst, ich würde noch einmal umkippen und er müsste mich erneut auffangen.
Ich spüre seine Körperwärme durch meine Kleidung und merkwürdigerweise tut mir das gut. Sie wärmt mich ebenfalls auf und ich fühle mich nicht ganz so alleine.
Ja, ich bin froh, dass er hier ist, obwohl ich ihn nicht einmal kenne. Nicht mal seinen Namen. Aber mir ist das momentan egal, Hauptsache, ich bin nicht alleine in meinem Gefühlsabgrund.
Am Ende der Straße ist ein kleiner, gemütlich aussehender Coffeeshop, von dem mir der Junge nun die Tür aufhält. Ich schlüpfe ins Innere uns sofort umnebeln Wärme, Kaffeegeruch, Gebäckduft und sanfte Stimmen meine Sinne.
Er betritt hinter mir das Café und läuft zu dem Verkaufstresen, redet mit der Verkäuferin, während ich einfach unbeholfen inmitten des Ladens stehen bleibe.
Im nächsten Moment kommt er zurück und führt mich zu einem gemütlichen Ecktisch, der am Fenster ist und an dem eine, mit Kissen bestückte, Eckbank steht.
Erleichtert, über die Wärme hier drinnen, über meine zurückkehrenden Sinne und über diesen fremden jungen Mann, der mir geholfen hat, lasse ich mich auf die bequeme Bank fallen.
Er setzt sich ebenfalls, gegenüber von mir, in einen gemütlich aussehenden Sesselstuhl, und blickt mich eine Weile stumm an. Dann nimmt er die Speisekarten aus der Halterung und reicht mir eine.
Dankbar nehme ich sie entgegen, dabei berühren sich unsere Hände und meine Haut kribbelt angenehm. Verwundert ziehe ich meine Hand zurück und sehe ihn an.
Sein Augen leuchten und auf seinem Mund liegt ein Schmunzeln, also muss er es auch gespürt haben.
Ich schlucke und wende schnell meinen Blick der Karte zu. Allerdings sehe ich gar nicht richtig hin, die Buchstaben sind vor meinen Augen verschwommen. Stattdessen linse ich zu ihm, über den Kartenrand hinweg.
Er hebt den Blick und ertappt wende ich mich ab. Leise höre ich ihn lachen.
Die Bedienung tritt zu unserem Tisch, in der Hand einen Block und einen Stift. »Wisst ihr schon, was ihr bestellen möchtet?«, fragt sie monoton.
»Ich hätte gerne einen Cappuccino und einen Schokoladenmuffin«, erwidert der mir noch immer fremde Typ höflich und die Bedienung schreibt es auf, sieht dann mich an.
»Ich hätte gerne einen Latte Macchiato und zwei Puddingbrezeln«, bitte ich und mein Gegenüber lacht leise.
Die Frau geht zum nächsten Tisch und ich sehe ihn fragend an. »Was ist denn?«
Er grinst und schüttelt amüsiert den Kopf. »Nichts.«
Ich runzle die Stirn, spüre aber, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen stiehlt.
Er stützt seinen Kopf auf die Hände uns sieht mich interessiert an.
Teils, um ihn spaßhaft zu provozieren, teils, um ihn ebenfalls zu mustern, tue ich es ihm gleich.
Wieder grinst er. »Und, wer bist du?«, fragt er, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Ich entscheide mich, meine spaßhaft-provozieren-weil-ich-ihn-weiter-grinsen-sehen-will-denn-ich-merke-dass-ich-es-mag-Mission weiterzuführen. »Und wer bist du?«
Tatsächlich grinst er erneut und zieht amüsiert die Brauen hoch. »Mason«, sagt er dann.
Mason. Ich lächle und lege den Kopf schief, der noch immer auf meinen Händen gestützt ist. »Ich bin Sydney«, sage ich schließlich.
»Sydney, also«, wiederholt er und mein Name aus seinem Mund hört sich an, wie ein Kosewort.
Ich schüttle leicht den Kopf, um meine rosaroten Gedanken zu vertreiben. Was habe ich auf einmal? Ich kenne ihn gar nicht. Er könnte genauso ein Arschloch sein wie Cade und Will.
Dieser Gedankengang reißt mich zurück auf den Boden der Tatsachen und mein Lächeln verschwindet.
Er scheint mein Stimmungswechsel zu bemerken, denn auch seine Miene wird ernster. »Was war vorher eigentlich los?« Als ich nicht reagiere schiebt er ein hastiges »natürlich musst du es mir nicht sagen« hinterher.
Und ich werde es ihm tatsächlich nicht sagen. Ich kenne ihn nicht. Ich vertraue ihm nicht – natürlich – und ich werde ihm keine Dinge aus meinem Privatleben erzählen. Wahrscheinlich sitzt er nur mit mir hier, wegen meines Aussehens und nicht, aus Neugierde über mich und mein Leben – so wie alle Typen seit der Genveränderung.
Ich seufze tief. »Es ist kompliziert«, weiche ich aus und er nickt, ohne mich zu irgendetwas zu drängen.
Nach einigen Momenten Stille kommt die Bedienung zu unserem Tisch zurück und stellt Tassen und Teller vor uns ab.
Draußen beginnt es zu regnen und die Tropfen hämmern an das Fenster, vor dem ich sitze. Aber anstatt, dass ich es nervig finde, tut mir dieses Geräusch seltsam gut, lullt mich ein, entspannt mich.
Ich trinke von meinem Kaffee und esse die Hälfte meiner ersten Puddingbrezel.
Mason schielt auf das Gebäck und ich frage mich, was er jetzt von mir denkt, weil ich zwei von diesen Dingern verdrücke. Aber es kümmert mich nicht. Ich kann so viele Puddingbrezeln essen wie ich will. Und ich habe die jetzt einfach gerbraucht, um das anschwellende Loch in meinem Inneren zu stopfen. Außerdem nehme ich sowieso nicht zu. Und wenn, gehe ich eben wieder in die Klinik.
»Schmeckt's?«, fragt er gut gelaunt und ich nicke. Er selber hat seinen Muffin schon verputzt und trinkt aus seiner Tasse.
Auch wenn eine Stille zwischen uns herrscht, fühle ich mich seltsam geborgen und sicher, auch wenn ich es mir gerne verbieten würde. Doch es funktioniert nicht. Er macht das mit mir und ich habe keine Ahnung, warum.
Aber wenn ich weiter mit ihm Kontakt halten würde, habe ich Angst, vor dem Moment, an dem er mich fallen lässt. Denn dieser Moment wird kommen.
Mir wird schlecht, als ich daran denke und ich schiebe ihm die zweite Brezel zu. »Willst du sie? Ich habe keinen Hunger mehr.«
Mason sieht mich an, als wüsste er, was für ein Sturm in meinem Inneren herrscht, sagt aber nichts. Stattdessen nickt er und beißt herzhaft in das süße Gebäck.
Ich kann hier nicht bleiben. Nicht mit dem Wissen, dass es sowieso enden wird, dass er sowieso nur hier ist, wegen meiner Hülle und nicht wegen mir. Dass er mich fallen lassen wird. Genau wie alle anderen. Und ich darf nicht zulassen, dass ich anfange, ihn zu mögen. Denn in diese Richtung gehen meine Gefühle. Ich muss sie stoppen.
Also stehe ich hastig auf, stolpere dabei fast und bringe ein »ich muss los, tut mir leid« heraus, dann stürze ich zur Tür.
»Sydney! Sydney, warte!«, höre ich ihn rufen, aber ich höre erst auf zu rennen, als ich im Regen stehe, inmitten der Straße.
Ich bin durchnässt, meine Haare kleben mir in meinem Gesicht und ich sehe bestimmt aus, wie ein begossener Pudel.
Aber es hat auch seine guten Seiten. Denn so bemerkt keiner der Passanten die Tränen, die unaufhörlich meine Wangen hinab laufen.
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