16 | s e c h z e h n

[last friday night - katy perry]

GLEIßENDES MORGENLICHT BLENDET mich durch die geschlossene Augen und blinzelt öffne ich sie. Zuerst geht das schwer, denn sie sind verklebt und fühlen sich schwer an. Aber dann sind sie offen und verwirrt schaue ich mich um. Denn normalerweise habe ich die Rollläden in meinem Zimmer runtergekurbelt.

Doch ich bin überhaupt nicht in meinem Zimmer. Ich liege auf der Couch im Club. Erschrocken will ich hochfahren, doch mein Körper reagiert nicht.

Mein Kopf fühlt sich schwer an, mein Mund ist staubtrocken und meine Gliedmaßen fühlen sich an wie Blei.

Einen kurzen Moment bleibe ich liegen und versuche die einzelnen, verschwommenen Bilder in meinem Kopf in die richtige Reihenfolge zu bringen. Ohne Erfolg.

Endlich kann ich mich aufrichten und schaue mich verwirrt um. Die blinkenden Lichter sind ausgeschaltet, der Raum ist vom Morgenlicht geflutet und überall stehen leere Flaschen und Becher.

Ich schaue zu meiner linken Seite und muss erschrocken feststellen, dass ich mit dem Kopf auf dem Bauch irgendeines Typens geschlafen habe, an den ich mich nicht mehr erinnern kann.

Mein Kopf tut schrecklich weh und wiegt gefühlt Tonnen. Ich seufze tief und angsterfüllt. Angewidert vor mir selbst.

Was ist gestern passiert?

Ich lasse meinen Blick weiter wandern und erkenne alle möglichen Menschen, die auf Sofas und Stühlen schlafen. Fassungslos starre ich auf das Szenario.

Dann suche ich nach meiner Tasche und als ich sie endlich gefunden habe, krame ich nach meinem Handy, um auf die Uhr zu sehen. 08:14.

Erschrocken fahre ich zusammen. Ich habe schon längst Schule. Angestrengt wische ich mir über die Augen, um einen klaren Blick zu behalten.  

Auf meinem Display blinken elf Anrufe in meiner Abwesenheit auf. Fünf von Dad, sechs von Clary.

»Verdammte Scheiße«, fluche ich laut.

Der Typ neben mir regt sich und erschrocken spähe ich zu ihm. Tatsächlich hat er jetzt die Augen geöffnet und grinst mich an.

Angewidert weiche ich zurück, dabei stolpere ich beinahe. Meine Beine sind wackelig und fühlen sich mittlerweile an wie Pudding.

»Hey, Baby, wollen wir dort weiter machen, wo wir gestern Nacht aufgehört haben?«, fragt der Typ und grinst breiter. Seine Augen sind blutunterlaufen und er stinkt nach Alkohol und Rauch.

Oh mein Gott, was zur Hölle ist gestern passiert? Ich weiß gar nicht, ob ich es wissen will.

»Bestimmt nicht«, zische ich und drehe mich um. Prompt spüre ich Hände auf meinen Schultern. Wütend wende ich mich wieder zu ihm. »Nehm deine dreckigen Finger von mir, oder du wirst es bereuen!«

Er lacht nur, lässt aber wirklich von mir ab. »Gestern Nacht hast du sie noch nicht dreckig gefunden.«

Ich zeige ihm meinen Mittelfinger und bekomme ein mulmiges Gefühl in mir.

Er lässt sich wieder zurück aufs Sofa fallen und ich gehe auf die Tür zu. Im Gehen schaue ich mich nach bekannten Gesichtern um und – tatsächlich – ich sehe Zara an der Bar sitzen und auf ihr Handy schauen. Allerdings hat sie etwas anderes an als gestern, also scheint sie nochmal zuhause gewesen zu sein.

Schnell gehe ich auf sie zu. »Zara.«

Sie dreht sich um und zieht belustigt die Brauen hoch. Dabei bemerke ich, dass sie nicht gerade gut aussieht. Ihre Augen sind gerötet und sie hat tiefe Schatten darunter. Ihre Haare fallen ihr strähnig über die Schultern. »Guten Morgen«, flötet sie spöttisch.

»Halt den Mund«, knurre ich und setzte mich neben sie.

»So empfindlich heute«, zieht sie mich auf. Ich gehe erst gar nicht darauf ein.

»Was, verdammt noch mal, ist gestern passiert?«, schneide ich sofort da eigentliche Gesprächsthema an.

Sie lacht auf. »An was erinnerst du dich denn noch?« Sie bedenkt mich mit einem hochnäsigen Blick und ich würde ihr am liebsten an die Gurgel gehen, entscheide mich aber für den legalen Weg.

Ich setzte mich aufrechter hin und denke angestrengt an da letzte, an das ich mich erinnere. Ich weiß, dass es mir schlecht ging, nachdem ich mit Lou geredet habe. Ich war aus irgendeinem Grund überhaupt nicht bei Sinnen und wollte raus. Doch dann... Mein Blick verdunkelt sich.

»Du kleine Schlampe«, zische ich ungehalten. Doch das lässt sie völlig kalt.

»Mein Gott, Sydney. Es war deine Entscheidung.« Sie legt ihr Handy weg.

Angewidert schaue ich sie an. Bin völlig fassungslos. »Hast du denn gar nicht bemerkt, wie schlecht es mir ging?«, fauche ich und sie runzelt die Stirn.

»Nein. Tut mir leid, dass ich keine verdammte Menschenflüsterin bin«, zischt sie eingeschnappt und ich schüttle wütend den Kopf.

»Das hat nichts damit zu tun. Du hast mich manipuliert, Zara!« Ich kreische nun fast.

»Komm mal runter, Prinzessin«, sagt sie verächtlich und verdreht die Augen, als wäre es nichts, was gestern passiert ist. »Ich habe nur mit dir geredet. Du hast den finalen Schritt entschieden.«

»Weil ich nicht bei Sinnen war!«

»Woher sollte ich das wissen?«

»Das merkt man doch!«, rufe ich aufbrausend und wir liefern uns ein zorniges Blickduell.

Ohne die Augen von meinen zu nehmen, sagt sie: »Keine Sorge, du wirst davon nicht süchtig.«

Ich lache bitter auf. »Darum geht es doch gar nicht.« Ich seufze tief. »Aber sei froh, sonst hättest du für die Entzug-Klinikskosten aufkommen müssen«, fahre ich mit trockenem, dunklem Humor fort und sie grinst nur spöttisch. Dann lege ich den Kopf in den Nacken und winde ihn hin und her. Meine Schultern knacken einmal und ich fühle mich nicht mehr ganz so verspannt. »Mir geht's richtig mies«, sage ich leise und presse die Augen zusammen.

»Das ist normal«, erwidert sie ruhig, »du bist eben noch immer auf Drogen und kommst jetzt langsam von dem High runter.«

Ich schnaube. »Schön zu wissen, Ms Ich-nehme-Drogen-und-kenne-mich-damit-super-aus.«

Zu meiner Überraschung lacht sie, als wäre es ein komischer Witz gewesen.

»Was war das überhaupt?« Doch dann hebe ich schnell die Hand, als sie den Mund öffnet. »Nein, halt. Ich will es lieber doch nicht wissen.«

Sie lächelt schwach und zuckt dann mit den Schultern. Mittlerweile sieht sie sogar ein bisschen reumütig aus. »Wasser?« Ich nicke und sie schiebt mir einen Becher hin.

Gierig trinke ich ihn aus, ohne einmal inne zu halten. Endlich ist mein Mund nicht mehr so trocken wie Schmirgelpapier. »Also«, ich setzte den Becher ab, »was ist genau passiert?«

Sie sieht mich einen Moment eindringlich an. »Das willst du nicht wissen.«

Empört starre ich sie an. »Doch, das will ich.«

Sie seufzt tief und lang. Dann kreist sie die Schultern und sagt: »Du hast wild getanzt, viel getrunken, mindestens mit drei Typen rumgemacht und mehr weiß ich auch nicht. Wie du weißt, war ich auch auf Drogen.«

Ich schlucke hart. Mit drein? Gott. Was ist in mich gefahren?

Besorgt lehne ich mich etwas näher zu ihr uns räuspere mich leise. »Ähm...«, mit einem Blick fordert sie mich auf, weiter zu sprechen, »glaubst du, ich bin... ich bin noch Jungfrau?« Unbehaglich und voller Angst vor ihrer Antwort rutsche ich auf dem Stuhl hin und her.

Sie schaut mich mit gerunzelter Stirn an, ihre Miene ist ungläubig. »Du bist noch Jungfrau?«

»Das sollst du mir doch beantworten.« Frustriert fahre ich mir durch die verknoteten Haare.

Sie scheint einige Momente zu überlegen. Dann nickt sie langsam. »Ich glaube schon. Jedenfalls habe ich dich mit keinem Typen verschwinden sehen.«

Erleichtert sacke ich in mich zusammen, auch wenn das keine zu hundert Prozent sichere Antwort ist. Aber sie reicht mir vorübergehend.

»Was machst du überhaupt hier?« Fragend sehe ich sie an. Ihre Augen verdunkeln sich und sie seufzt tief, den Blick auf einen Punkt in der Ferne gerichtet.

»Ich warte auf jemanden.« Mehr sagt sie nicht, aber ich hake auch nicht nach. Jeder hat Geheimnisse und ich möchte ganz bestimmt nicht ihre Leichen im Keller finden.

»Ich muss los. In die Schule«, füge ich hinzu und mustere sie abschätzig. »Solltest du vielleicht auch, wenn du nicht für immer deinen Eltern auf dem Geldbeutel sitzen willst.«

Sie schnaubt verächtlich und kehrt mir den Rücken zu. Ich sehe das mal als Verabschiedung an, schultere meine kleine Tasche und trete in schnellen Schritten ins Freie.

Der Wind weht mir durch die Haare, verknotet sie noch mehr, als sie sie sowieso schon sind. Noch immer herrscht in meinem Hirn nur Nebel. Mein Kopf schmerzt und pocht, ich bin zittrig und mir ist übel. So richtig kotz-übel.

Ungeschickt verschließe ich die Knöpfe meines Mantels und mache mich dann auf den Weg zu meinem Auto.

Dabei bemerke ich, dass auf meiner Hose ein riesiger Alkoholfleck ist und meine Haare kleben und nach Rauch stinken. Scheiße, scheiße, scheiße.

Kaum sitze ich hinterm Steuer, hole ich mein Deo vom Rücksitz, das ich zum Glück vorsorglich mitgenommen habe. Ich hülle mich in eine riesige Duftwolke ein und muss gleich zweimal niesen.

Danach hole ich Kaugummis – gegen das fehlende Zähneputzen – und kämme mir fluchend durch die Haare. Dabei schaue ich mich im Rückspiegel an und zucke etwas zurück.

Ja, ich sehe noch immer hübsch aus. Aber meine Augen sind glasig, rot unterlaufen und ich bin blass. So richtig blass. Nur meine Nase ist rötlich und ich sehe aus, als hätte ich schnupfen. Meine Haare stehen mir tatsächlich zu allen Seiten ab, als hätte ich in eine Steckdose gefasst, aber ich gebe den Versuch auf, sie wieder zu ordnen. Es hat sowieso keinen Zweck.

Also binde ich sie mir zu einem Zopf und schließe kurz die Augen, um gegen meinen rebellierenden Magen anzukämpfen.

Ein kontrollierender Blick auf mein Handy verrät mir, dass es schon 08:38 ist und Clary mir zwei Nachrichten während des Unterrichts geschickt hat. Ich öffne sie nicht, sondern fahre einfach los.

Diesmal ist mir nicht nach Musik, ich muss mich zu sehr auf meine Konzentration, meinen Kopf und meinen Magen konzentrieren.

Als ich endlich auf den Schulparkplatz ankomme, steige ich in Windeseile aus und renne beinahe auf das große Gebäude zu. Ich habe nämlich keine Lust, als Schwänzerin eingetragen zu werden und dann am Freitag nach zu sitzen.

Mit einem kurzen Zögern klopfe ich an der Zimmertür, hinter der ich die erste Unterrichtsstunde habe. Nach wenigen Sekunden höre ein gedämpftes »Ja« und trete etwas wackelig und unsicher ein.

Meine Bio Lehrerin mustert mich missbilligend. »Beehren Sie uns heute auch noch, Ms Johnson?«, sagt sie verärgert und ich murmle eine leise Entschuldigung, während ich mit gesenktem Kopf auf die dritte Reihe zugehe, in der ich neben Clary sitze.

Erst als ich dort angekommen bin, hebe ich den Kopf und sehe genau in das besorgte, und etwas geschockte, Gesicht meiner besten Freundin.

Auch andere starren mich an, aber ich beschließe, die Blicke zu ignorieren und lasse mich langsam auf den harten Plastikstuhl sinken.

Während ich meine Schreibsachen auspacke, spüre ich, wie sich Clarys bohrender Blick in meine Haut einbrennt.

Schließlich seufze ich resigniert und drehe mich zu ihr.

Und sofort geht die ich-bin-deine-beste-Freundin-und-ich-mache-mir-Sorgen-um-dich Inquisition los, die Clary viel besser beherrscht, als ich. »Syd, wo zum Teufel warst du? Wie siehst du aus und«, sie beugt sich zu mir und schnüffelt an mir, »warum verdammt riechst du nach Rauch und Alkohol? Um neun Uhr morgens?« Ihre Miene wechselt während ihres Fragenhagels von besorgt, zu geschockt, zu wütend, bis wieder zu besorgt.

»Ähm«, fange ich an, weil ich keine Ahnung habe, wie ich ihr das alles erklärt habe. Ich kann ja schlecht sagen: ›Gestern habe ich so ein komisches Loch in mir gespürt – das immer noch nicht weg ist – habe mich darauf so voll gegessen, dass ich mich übergeben musste und bin daraufhin auf Zaras Bitte in den Club gefahren, um mich abzulenken. Dort habe ich ein komisches Gefühl bekommen, bin deswegen fast umgefallen, und habe mir dann von Zara irgendeine Droge geben lassen, weil ich nicht mehr bei Sinnen war. Dann hatte ich ein Blackout und bin im Club heute Morgen aufgewacht. Ach ja, und ich habe anscheinend mit drei Typen rumgemacht und bin mir nicht sicher, ob ich noch Jungfrau bin. Wie war dein Morgen?‹ Nein, so mache ich das definitiv nicht.

Stattdessen starre ich sie einfach mit großen Augen an und bekomme kein Wort heraus. Abwartend zieht sie eine Braue hoch – das beherrscht sie perfekt – und röntgt mich weiter mit ihrem intensiven Blick.

»Es ist...komplizier?« Das klingt eher wie eine Frage und ich würde mich gerne selber dafür ohrfeigen. Jetzt wird sie bestimmt nur noch misstrauischer.

Wie aufs Stichwort legt sie ihre Stirn in Falten. »Sydney Clarke Johnson, du wirst mir jetzt sofort sagen, was mit dir los ist.« Ihre Stimme klingt ernst und sachlich.

Ich schlucke hart und schiele zur Tafel. Unsere Lehrerin schreibt gerade irgendetwas darauf. »Vielleicht sollten wir lieber abschreiben?«, starte ich einen halbherzigen Versuch, sie abzulenken, aber natürlich bleibt ihre Miene eisern.

Wie ein Fisch im Netzt winde ich mich unter ihrem Blick, entkomme ihm aber nicht. Schließlich gebe ich auf.

Gerade will ich ansetzten und ihr zumindest etwas von der Wahrheit erzählen, als mein Magen noch verrückter spielt, als er es ohnehin schon tut und ich erschrocken nach Luft schnappe. Ich glaube ich muss...

»Fuck«, fluche ich und springe auf. In einem schnellen Sprint renne ich aus dem Klassenzimmer, ignoriere die Rufe von meiner Lehrerin und von Clary.

So schnell wie es meine wackeligen Pudding-Beine erlauben, renne ich zu den Damentoiletten und gleite in eine der Kabinen. Mir bietet sich nicht einmal die Zeit, die Tür abzuschließen, schon rutsche ich auf die Knie und übergebe mich.

Hinter mir ertönen Schritte und im nächsten Moment hält mir Clary die Haare, auch wenn sie glückerweise schon zu einem Zopf gebunden sind. Aber ein paar Strähnen hängen mir noch immer ins Gesicht und drohen, an meinen Mundwinkeln kleben zu bleiben. Doch diese fasst Clarys nun zusammen, löst das Zopfgummi  und bindet meine Haare mit flinken Fingern zu einem strammeren Zopf, der alle Strähnen zusammenhält.

Dankbar schaue ich sie an, dann beuge ich mich abermals über die Schüssel. Was kotze ich da überhaupt aus? Ich habe seit gestern Nachmittag nichts gegessen. Und selbst da habe ich alles ausgekotzt. Anderseits... was heute Nacht passiert ist, weiß ich nicht.

Dieser Gedanke bereitet mir erneute Übelkeit und ich beuge mich reflexartig über die Schüssel. Schließlich spüle ich ab und sinke erschöpft im Schneidersitz auf den Steinboden. Mir ist es sogar egal, wie dreckig dieser sein muss. Ich fühle mich sowieso schon widerlich und erbärmlich, da macht mir der Boden jetzt auch nichts mehr aus.

Clary geht vor mir in die Hocke und sieht mich sanft an, in ihrem Blick liegt Liebe, Wärme und Besorgnis. »Was hast du alles genommen, Syd?«, flüstert sie eindringlich und diesmal habe ich nicht die Kraft zu lügen.

»Alkohol. Das war...«, ich versuche mich zu erinnern, »...das war Bacardi. Und dann...« Ich halte inne, will nicht weiter reden, aber sie sieht mich so flehentlich an, dass ich es doch tue. »...dann war da noch diese dumme Pille.« Meine Stimme ist kaum mehr als ein dünnes Flüstern.

Clary zieht scharf die Luft ein. »Die was? Syd, sag mir bitte, dass du keine verdammte Droge genommen hast.«

Mein Schweigen ist Antwort genug und aufgelöst rauft sie sich die Haare. Ihr Blick huscht hin und her, ist überall, nur nicht auf meinem Gesicht.

Und mir geht es noch schlechter. Ich fühle mich noch erbärmlicher.

Schließlich lässt sie sich neben mir fallen. Auch ihr scheint der dreckige Boden mittlerweile egal zu sein. Den Kopf lehnt sie an die Kabinenwand, dann dreht sie ihn zu mir. »Versprich mir, dass du es nie wieder tust.« Ihre Stimme ist so eindringlich und ernst, dass ich eine Gänsehaut bekomme. »Versprich es«, wiederholt sie gebieterisch.

Ich senke den Kopf und nicke. »Ich verspreche es. Glaub mir, ich will das auch nicht mehr.« Meine Stimme klingt schwach.

Clary wirkt zufriedener und hilft mir hoch. Sie zieht mich vors Waschbecken und ich säubere Hände und Mund. Ohne Kommentar sieht sie mir dabei zu. Als ich fertig bin, reicht sie mir sogleich die Papiertücher. Dankbar sehe ich sie an und sie schenkt mir sogar ein kleines Lächeln.

In diesem Moment geht die Türe auf und unsere Lehrerin streckt besorgt den Kopf zur Tür herein. »Geht es Ihnen gut, Ms Johnson?«

Ich fahre mir mit den Händen übers Gesicht und ringe mir ein Lächeln ab. Ich glaube, es misslingt mir sehr.

Clary erhebt das Wort, bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe, eine Antwort zu geben. »Es wäre vielleicht besser, wenn ich sie nachhause bringe.«

Irgendetwas an meinem Gesichtsausdruck muss unsere Lehrerin auch zu dieser Meinung bringen, denn sie mustert mich eingehend und nickt dann. »Ja, das wäre wahrscheinlich das Beste.«

Clary stützt mich, als wir das Badezimmer verlassen, aber ich schiebe bestimmt ihre Hände weg, um zu demonstrieren, dass ich nicht so schwach bin, wie sie mich gerne nach einem Drogenmissbrauch hätte. Sie runzelt nur die Stirn, aber ich will eben nicht, dass sie mich wie ein rohes Ei behandelt.

Die Lehrerin verabschiedet sich, dann sind wir auf uns allein gestellt und ich laufe vor, auf den Ausgang zu.

»Warte.« Clary holt mich ein uns mustert mich prüfend von der Seite.

Ich schnaube. »Nein, ich falle nicht gleich tot um, zufrieden? Kannst du dann bitte aufhören, so zu starren?«

Sie seufzt, wendet aber tatsächlich ihren Blick ab. »Ich mache mir doch nur Sorgen.«

Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. »Ich weiß. Tut mir leid.«

Draußen ist es kühl und wir laufen schnurstracks auf meinen Wagen zu, haben beide unsere Arme um die Körper geschlungen.

»Du musst nicht mitkommen«, sage ich leise, als ich aufschließe.

Sie schnaubt nur und wischt sich mit der Hand vor dem Gesicht herum. »Kommt gar nicht infrage, dass ich dich jetzt alleine lasse.« Sie umrundet das Auto. »Ich fahre.«

Ich muss sofort grinsen. Genau deshalb liebe ich sie so sehr.

Artig gleite ich auf den Beifahrersitz und sie startet den Motor. Mit einer flinken Bewegung schaltet sie das Radio ein und grölt zu einem Britney Spears Song, von dem sie jedes Wort auswendig kennt.

Ich lache und es geht mir so langsam wieder viel besser. Während ich tief Luft hole, schaue ich aus dem Fenster. Die Übelkeit verschwindet langsam.

Mit einer schnellen Bewegung parkt sie, in einer perfekten Position, vor meiner Haustür und schnallt sich ab. Flink umrundet sie den Wagen und öffnet mir die Tür. Dabei macht sie ein hoheitliches Gesicht und streckt mir die Hand hin. »Meine Dame.«

Wieder lache ich und sie grinst ebenfalls breit. Dann klettere ich aus dem Wagen und wir laufen zur Tür. Mit einem knirschenden Geräusch schließe ich sie auf und wir treten in das leere Foyer.

»Hallo?«, rufe ich, da ich nicht weiß, ob mein Vater hier ist oder arbeitet. Aber sein Auto stand vor der Tür, also muss er eigentlich zuhause sein.

Und tatsächlich – er kommt aus der Küche, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen Hand einen Stift. Sein Mund ist zu einem stummen Oh verzogen, auf seinem Gesicht sitzt ein verwunderter Ausdruck.

Dann kommt er in großen Schritten auf uns zu. »Mein Gott, Sydney, wo warst du?« Vor mir bleibt er stehen und mustert mich aus Argusaugen, die so nur Eltern haben können.

Ich atme langsam aus. »Ich...«

»Sie hat bei mir übernachtet«, fällt Clary mir ins Wort und ich sacke dankbar in mich zusammen.

»Es tut mir leid, Dad. Ich hätte dir Bescheid sagen sollen.« Zerknirscht schaue ich zu ihm hoch und er scheint uns zu glauben, denn er schaut nun wieder normal auf mich herunter.

»Und warum seid ihr jetzt schon hier?« Verwundert späht er auf seine Armbanduhr.

»Mir geht's nicht gut. Clary hat mich nachhause gefahren.« Bei diesem Teil beschließe ich, die Wahrheit zu sagen und Clary nickt bekräftigend.

Mein Vater schaut wieder besorgt, aber dann hellt sich seine Miene auf. »Ich habe etwas, was dich aufmuntern könnte.« Er legt die Hände auf meine Schultern und bugsiert mich in die Küche.

Auf dem Esstisch liegen allerlei Papiere, Ordner und Hefte und inmitten von diesem Chaos steht Dads Laptop.

Zu diesem führt er mich jetzt. Sein Mailprogramm ist geöffnet und ich erkenne fünfzig ungelesene Mails.

»Schau mal«, fängt er an und drückt mich gut gelaunt auf den Stuhl. Clary lehnt sich hinter mich an den Tresen. »Das sind alles Anfragen für dich!« In seinen Augen schimmert Stolz. Zumindest vermute ich, dass es Stolz ist. Bei näherem Hinsehen könnte es auch Begierde sein. Schnell verdränge ich den Gedanken und drehe mich wieder dem Display zu. »Deine neue Agentin hat sie mir weiter geschickt. Ist das nicht toll?«

Ich seufze tief, weil ich ihn gleich enttäuschen werde. »Sie hat mir die Mails auch schon geschickt, Dad. Sie alle fordern Talente, die ich nicht beherrsche. Tanzen, schauspielern, manche sogar singen. Ich kann das alles nicht.«

Doch seine Miene ist unverändert und er zuckt mit den Schultern. »Jetzt noch nicht. Aber wozu hast du einen Gendoktor?«, er grinst, beinahe dämonisch – oder ich bilde mir schon wieder etwas ein –, »du wirst bald so berühmt sein, mein Schatz!« Er klingt aufgeregt und etwas, an der Art, wie er mein Schatz sagt, stört mich. Ich weiß selbst nicht, was und warum.

Clary im Hintergrund räuspert sich hörbar und mein Dad schenkt ihr seine Aufmerksamkeit, auch wenn man ihm ansieht, dass er es eigentlich gar nicht will. Lieber will er weiter davon reden, wie berühmt ich werde. Wow. Berühmt. Das wäre... einfach unglaublich.

»Schlagen Sie gerade wirklich vor, die Gene ihrer Tochter so zu manipulieren, dass sie diese ganzen neuen Talente bekommt?« Clarys Stimme klingt fassungslos. Natürlich.

Sie soll sich darüber nicht so aufregen. Mein Dad hat recht. So werde ich berühmt. So werden mich die Leute lieben.

Dad runzelt die Stirn. »Ja. Das ist eine fantastische Chance für sie.«

Clary schnaubt verächtlich und lacht trocken auf. »Hören Sie sich selbst mal beim Reden zu, Mr Johnson?«

»Also, ich muss doch bitten«, sagt mein Vater mit einer eiskalten, scheidenden Stimme, aber das bringt Clary erst so richtig ins Zeug.

Ich schlage mir die Hand vor die Stirn. Das wird nicht gut enden.

»Sie können Ihrer Tochter doch das Alles nicht zumuten! Sie reden ihr ein, sie wäre nicht genug und das sie das alles braucht, um glücklich zu sein. Aber das stimmt so nicht.« Clary drückt sich vom Tresen ab und steht nun genau vor meinem Vater. Sie liefern sich ein kaltes Blickduell.

»Aber sie will es doch. Ich zwinge sie zu gar nichts. Sie ist meine Tochter, das würde ich ihr nicht antun.« Mein Vater blickt zu mir.

Ich sitze zusammengekauert in dem Stuhl und zeige keine Reaktion.

Clary dreht den Kopf zu mir. »Ach, willst du das, Syd?« Eindringlich blickt sie mich an, aber ich sage nichts.

Ich kann einfach nicht. Ich stehe zwischen den beiden Menschen, die ich am meisten in meinem Leben liebe. Ich werde mich nicht für eine Seite entscheiden. Oder, vielleicht habe ich das auch schon. Schon damals, als ich die Praxis betrat. Aber andererseits habe ich mich damals für mich selbst entschieden. Nicht für einen von ihnen. Und das tue ich jetzt wieder.

Clary sieht mich fassungslos an, aber ich weiche ihrem Blick aus.

»Du solltest jetzt gehen«, sagt mein Dad bestimmt.

Wütend dreht sie sich zu ihm. »Sehen Sie, was Sie angerichtet haben? Sie ist schon gehirngewaschen.«

Mein Vater lacht nur. »Was für ein Quatsch. Geh jetzt bitte nachhause.«

Flehend sucht Clary meinen Blick, aber ich erwidere ihn nicht. Sitze klein gemacht, unsicher und irgendwie ein bisschen beschämt in meinem Stuhl und lausche den Schritten meiner besten Freundin, die in den Flur gehen.

Dann schlägt mit einem lauten Knall die Haustür zu.

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