15 | f ü n f z e h n


[I can't breathe - bea miller]

EIGENTLICH DACHTE ICH, mein Kater sei weg, aber am späten Nachmittag, als ich auf meinem Bett liege und durch Instagram scrolle, dröhnt mein Kopf wieder und ich fühle mich schlapp und müde.

Genervt rolle ich mich auf meinen Bauch und starre mein Profil an, auf dem ich in den letzten Tagen beinahe neunhundert neue Follower bekommen habe. Es ist zwar nur eine dumme Zahl, aber sie macht mich glücklich. Es macht mich glücklich, dass es Leute da draußen gibt, die sich für mich interessieren.

Gedankenverloren scrolle ich durch irgendwelche belanglosen Posts von fremden Menschen und stoße auf ein Video, in dem irgendein Koch eine Torte aus purer Schokolade baut.

Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und hungrig schaue ich das Video ganze drei Mal an, dann rolle ich mich aus dem Bett und schlurfe auf bloßen Füßen in die Küche.

Mit einem großen Schwung öffne ich den Kücheneinbauschrank und eine riesige Menge Süßigkeiten fällt mir ins Auge, die mein Dad so vergöttert und deshalb hortet.

Früher war ich nie hier, habe Süßigkeiten immer stets gemieden, da ich auf strengen Diäten war, um wenigstens etwas hübscher zu sein. Hat aber nie geklappt.

Aber jetzt? Ich kann mir bestimmt Schokolade gönnen, ohne Angst zu haben – zumindest glaube ich das.

Mit einem einzigen Griff strecke ich meine Hand nach einer Vollmilchschokolade aus und reiße die Verpackung ungehemmt aus.

Plötzlich habe ich das Gefühl, mein Magen wäre total leer und ich hätte seit Tagen nichts gegessen.

Ohne darüber nachzudenken, stopfe ich die Hälfte der Schokolade in mich rein, kaue gar nicht richtig, sondern schlucke sie so gleich, lasse mir den süßen, leckeren Geschmack auf der Zunge zergehen und nehme ein weiteres, großes Stück.

Als ich nach diesem gierig und hungrig noch ein Stück abbrechen will, bemerke ich, dass es das letzte ist. Aber ich denke nicht darüber nach, sondern esse es einfach.

Danach linse ich gierig wieder zum Schrank und lege den Kopf schief. Ich sollte wirklich nichts mehr essen.

Ungestüm nehme ich eine zweite Schokoladentafel und reiße die nervige Verpackung auf. In nicht einmal fünf Minuten habe ich die ganze Tafel verdrückt und meine Finger strecken sich wieder zu dem Regal aus.

Plötzlich kommt mir die ganze Geschichte mit Cade, alles, was ich mit ihm abgezogen habe, einfach nur noch idiotisch vor. Ich fühle mich elend, schlecht, schuldig, beinahe erbärmlich.

Was habe ich mir dabei gedacht? Er wird es mir entweder öffentlich heimzahlen oder mir im Geheimen mein Leben zu Hölle machen. Denn wir reden hier von Cade – einer der bekanntesten Typen auf meiner Schule.

Und ich bin nicht stark genug, um großen Druck stand zu halten. Doch jetzt habe ich ihn blamiert und werde es nie wieder rückgängig machen können.

Außerdem kommt gerade alles hoch, was er mir angetan hat. Er hat mich ausgenutzt, mich nicht ernst genommen, kein Verständnis gezeigt, meine Gefühle nicht toleriert – er hat all das gemacht, von dem ich hoffte, er würde nicht so etwas mit mir abziehen. Doch ich lag falsch, so falsch.

Clary würde mich jetzt schütteln. Würde sagen, dass ich mich nicht schlecht fühlen soll, sondern dass er einfach nur ein Arschloch ist. Und ich wünschte, ich könnte das so sehen. Aber stattdessen mache ich mir viel zu viele Gedanken. Gedanken, um einen Typen, der es nicht verdient hat. Aber das sehen meine Gefühle wohl anders. Scheiße.

Was, wenn es an mir liegt? Klar, es war seine Entscheidung, mit dem Mädchen etwas anzufangen, nicht mal zwölf Stunden, nachdem er mit mir schlafen wollte. Aber, was, wenn ich einfach nicht genug bin? Immer noch nicht? Was, wenn jeder Typ, den ich in Zukunft treffen werde, mich nur als hübsche Hülle ansieht, aber nicht dahinter blicken will? Genug für eine Nacht, aber dann kommt das nächste Mädchen. Ein Alptraum.

Und, ja, vielleicht sollte ich mir spätestens jetzt einreden, dass es an den Typen liegt. Aber ich kann nicht. Denn alles was mir mein Unterbewusstsein in einer ständigen Wiederholung zuruft, ist: Es ist deine Schuld, du bist nicht genug.

Frustriert lasse ich meinen Fingern freien Lauf und hole eine Packung Schokokekse hervor.

Es fühlt sich an, als wäre in meinem Magen ein riesiges Loch, das mich von innen auffrisst und alles andere verschluckt. Und ich habe das dringende Bedürfnis, dieses Loch zu fühlen.

Die Kekspackung ist innerhalb von wenigen Minuten vollkommen geleert. Aber ich fühle kein Sättigungsgefühl – im Gegenteil. Das Loch scheint mit jedem weiteren Moment, in dem ich mich mit den erdrückenden Gedanken quäle, viel größer.

Ich weiß, ich sollte aufhören zu essen. Dringend. Aber ich kann nicht. Es ist wie eine Sucht, wie ein Rausch, ich blende alles andere aus, da ist nur noch das Essen und ich, das Loch in mir und ich. Ich befinde mich wie in Trance – es geht einfach nicht vorbei. Und ich komme einfach nicht raus.

Nach zwanzig Minuten hocke ich auf dem Sofa und esse wieder irgendwelche schokoladenhaltigen Süßigkeiten. Physisch spüre ich, dass mir total übel ist, aber psychisch ist da nur das Loch, das noch immer leer ist, noch immer gestopft werden muss.

Erst als ich vor Übelkeit zur Toilette rennen muss und mich übergebe, bricht die Trance in sich zusammen und daraufhin ist mir so schlecht und ich bin so angeekelt von mir selbst, dass ich mich gleich noch einmal übergebe.

Müde und erschöpft spüle ich und lehne mich an den Badewannenrand. Ich schließe die Augen und versuche, dass anhaltende Übelkeitsgefühl zu vertreiben.

Was ist bloß los mit mir?

Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare, mit der anderen halte ich mir den Bauch. Ich fühle, wie ich regelmäßig ein- und ausatme und das hilft mir, mich wieder in den Griff zu bekommen. Zu fühlen, dass ich wieder da bin, raus aus der Trance, dass ich wieder spüre, was ich tue.

Aufgewühlt fahre ich mir mit den Händen übers Gesicht und erhebe mich dann. Ich zittere, meine Arme und Beine fühlen sich an wie Wackelpudding, aber es geht einigermaßen.

Das Loch in mir ist noch immer da, wird aber jetzt von dem physischem Übelkeitsgefühl übertönt.

Als ich in die Küche komme, erschrecke ich und schaue geschockt zwischen Sofa und Süßigkeiten-Regal hin und her. Überall liegen Plastik- und Papierverpackungen, Krümel sind auf dem Boden.

Ich halte ich am Küchentresen fest, um nicht zu stürzen. Langsam spüre ich, wie sich Tränen den Weg zur Oberfläche bahnen. Und dann laufen mir auch schon die ersten über die Wangen.

Ich habe die totale Kontrolle über mich selbst verloren.

In diesem Moment klingelt mein Handy und ich zucke zusammen. Hektisch hole ich es hervor und starre auf den Bildschirm, erstmal ohne irgendetwas zu erkennen, mein Blick ist durch die Tränen verschleiert.

Erst nach einem weiterem Klingeln klärt sich meine Sicht und mir springt der Name deutlich ins Auge. Zara.

Warte – was? Zara?

Stirnrunzelnd drücke ich auf den grünen Hörer und halte mir mein Handy zögernd ans Ohr, hoffe, dass ich mich normal und nicht völlig fertig, oder – im schlimmsten Fall – verheult anhöre.

»Hallo?«, krächze ich und verfluche mich für meine belegte, schwache Stimme. Leise räuspere ich mich.

»Sydney!«, ruft sie gut gelaunt. Im Hintergrund sind viele Stimmen und laute Musik zu hören, ein Kreischen und Lachen ertönt und ich halte mir kurz den Hörer weiter weg, weil ich sonst womöglich einen Hörsturz erleide.

»Was gibt's?«, frage ich unsicher und lehne mich mit der Hüfte gegen den Tresen.

»Willst du in den Club kommen?« Das laute Kreischen im Hintergrund verstummt und langsam hebe ich mir das Handy wieder ans Ohr.

»Was?«, frage ich verwundert und reiße die Augen auf, auch wenn sie es nicht sehen kann.

»Du hast mich schon gehört.« Sie lacht und ich frage mich, wie viel sie wohl getrunken hat.

»Ja, schon, aber warum willst du, dass ich komme?« Skeptisch verenge ich nun die Augen und spiele mit meiner Halskette.

»Ich nicht unbedingt«, wieder lacht sie, »aber die anderen.«

Ich runzle die Stirn und zögere mit dem Antworten.

»Hallo, bist du noch da?«, fragt sie nach einigen Augenblicken verwundert und ich nicke, vergesse mal wieder, das man mein Nicken beim Telefonieren nicht sehen kann.

»Ja, bin ich.« Seufzend stütze ich meinen Arm auf den Tresen ab. »Ich überlege gerade.«

»Was gibt's da zu überlegen? Du hockst dich einfach in dein Auto und fährst her.« Irgendetwas im Hintergrund klirrt, als würde ein Glas zerbrechen, und Zara lacht wieder.

Meine Güte, sie nervt mich.

Aber vielleicht hat sie recht und ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen, einfach dorthin fahren. Schließlich kann ich Ablenkung wirklich gut gebrauchen und es ist nur eine dämliche Party. Ich frage mich wirklich, warum ich mir immer alles so kompliziert mache.

»Hör zu«, sagt Zara jetzt ganz ernst, »ich bin auch nicht so heiß darauf, dass du herkommst. Aber die anderen wollen es. Und sie sind meine Freunde, also...«

Ich atme langsam aus, richte mich dann auf und sage entschlossen: »Okay, ich bin gleich da.« Ohne eine Antwort abzuwarten, lege ich auf.

So schnell es geht, beseitige ich den Müll in der Küche – währenddessen mir noch immer leicht übel ist – und schlüpfe dann in meine Sneakers.

Schulterzuckend entscheide ich mich für meinen Mantel und ziehe dann die Haustür hinter mir zu.

Draußen ist es kalt und ich laufe in schnellen Stechschritten zum Auto, hocke mich auf den Sitz und fahre los. Während der Fahrt schalte ich das Radio an, höre aber gar nicht richtig zu.

Ich bin immer noch verwirrt und geschockt über meine verschwundene Selbstkontrolle, über dieses Tranceverhalten und das Loch in meinem Magen, das mich noch immer von innen droht, aufzufressen.

Irgendwann wird es mich ganz verschlucken, bis nichts mehr von mir übrig ist.

Verwundert, über meine eigenen, seltsamen Gedanken, schüttle ich den Kopf und biege auf dem Clubparkplatz ein.

Etwas wackelig steige ich aus und gehe auf das, von außen, unscheinbare, schlichte Gebäude zu.

Der Türsteher nickt mir nur zu und ich verschwinde im Inneren, ohne mich nochmal umzudrehen, die Dunkelheit des Clubs verschluckt mich.

Es ist noch relativ früh und unter der Woche, weswegen hier drinnen nur eine kleine Menschenmenge zur lauten Musik tanzt und dabei trinkt.

Ich gehe hinauf zum VIP-Teil und sehe mich zögernd um. Es ist dunkel, nur ein Galaxie artiges Licht taucht den großen Saal in eine mystische Atmosphäre und lässt die Tanzenden wie Engel wirken, weil nur deren Silhouetten von einem Licht umstrahlt sind, sonst sind sie ganz schwarz und nicht zu erkennen.

»Sydneeeey!«, brüllt auf einmal eine Stimme ganz nah an meinem Ohr und ich zucke zusammen, bemühe mich, vor Schreck nicht laut aufzuschreien.

Ruckartig drehe ich mich zur Seite und blicke in Zaras Augen, die gerötet und glasig sind.

»Ähm... hallo«, sage ich etwas unsicher und trete von einem auf den anderen Fuß, ohne meinen Blick von ihr abzuwenden.

»Komm mit«, übernimmt Zara sogleich die Führung und zieht mich mit sich. Ohne etwas zu sagen, lasse ich mich von ihr führen, zu den Sofas nach hinten.

Dort sitzen die anderen und blicken mich alle mit glasigen Augen an.

»Leute, Sydney ist da!«, ruft Zara aufgeregt und bugsiert mich zu einem gemütlich aussehendem Teil des Sofas, drückt mich halb grob, halb sanft, auf die Sitzfläche.

»Hey, Sydney«, sagt ein Mädchen neben mir und ich wende den Kopf zu ihr.

»Hi«, gebe ich etwas kläglich von mir, aber sie grinst nur breit.

»Ich bin Louise, aber alle nennen mich Lou«, sagt sie und legt den Kopf schief, um mich zu mustern.

Ich mustere sie nun ebenfalls genauer, ihre blonden, schulterlangen Haare, ihre blaugrünen Augen und ihre schöne Figur, die in einem schwarzen, schlichten Kleid steckt. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, aber ich weiß nicht, warum oder woher.

»Kennen wir uns?«, frage ich leise und komme mir dabei etwas blöd vor.

»Schon möglich. Ich bin eigentlich immer hier.« Sie nimmt eine Flasche vom Tisch hoch.

Ich schaue ihr dabei zu, wie sie die Flasche – Bacardi, wie ich feststelle – einfach an ihren Mund setzt, ohne etwas in ein Glas umzufüllen, wie es die anderen hier machen. Und irgendetwas daran gefällt mir. Sie wirkt nicht so aufgesetzt, wie der Rest. Unverkrampfter, offener.

»Dann haben wir uns wahrscheinlich schon mal gesehen. Manchmal war ich auch hier«, sage ich und beobachte, wie sie in großen Schlucken trinkt. Dabei verzieht sie nicht einmal das Gesicht. Das könnte ich nicht.

Schließlich reicht sie mir die Flasche und ohne zu überlegen nehme ich sie entgegen. Ich habe heute wirklich Lust auf dieses Gefühl, wenn der Alkohol einem die Sinne betäubt. Dann muss ich nicht mehr an das Loch in mir denken, an die Leere und den seltsamen Hunger.

Auch ich trinke in großen Schlucken, aber – anders als sie – verziehe ich angewidert das Gesicht und es schüttelt mich.

Sie lacht und es ist ein erfrischender Klang. Es klingt echt und nicht aufgesetzt, wie bei Zara.

»Du trinkst wohl nicht oft, oder?«, fragt sie belustigt und lehnt sich etwas näher zu mir, damit ich sie trotz der lauten Musik – die in der letzten Minute deutlich lauter geworden ist – hören kann.

Ich schüttle ehrlich den Kopf, greife aber sofort wieder zur Flasche und trinke weitere, gierige Schlucke. Meine Kehle und mein Magen wärmen sich. Der Alkohol brennt sich in die seltsame Leere in mir und lässt sie mich fast vergessen.

Deutlich entspannter lehne ich mich zurück. Dann drehe ich mich zu ihr. »Du aber schon«, stelle ich nüchtern fest und sie lacht wieder laut.

»Ich kann es einfach«, lautet ihre schmunzelnde Antwort und ich grinse. Ich glaube, ich mag sie.

Eine Weile sagen wir nichts, reichen uns nur den Bacardi hin und her, während ich das sich weiter in mir ausbreitende, angenehme Gefühl, des Betrunkenseins, sehr willkommen heiße.

»Ich glaube, ich habe dich früher schon hier gesehen«, sagt sie schließlich und beäugt mich interessiert. »Aber du sahst anders aus. Also stimmen die Gerüchte.«

Ich seufze kurz auf, nicke dann und lache kurz trocken auf. »Ja, sie stimmen.«

Sie legt den Kopf schief und schaut mich lange an. »Also ich fand, dass du damals schon hübsch warst.«

Ich keuche auf und spüre, wie mir durch ihr unerwartetes Kompliment warm wird. Aber auch die Verwirrung macht sich in mir breit. »Da bist du die einzige«, gebe ich trocken von mir und sie schürzt nachdenklich die Lippen.

»Glaube ich nicht«, meint sie dann bestimmt und ich runzle die Stirn, beschließe aber, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. Doch sie lässt nicht locker. »Klar, jetzt siehst du schön aus, wie frisch aus einem Modemagazin entsprungen, aber damals sahst du außergewöhnlich aus. Hast dich von der Menge abgehoben. Jetzt siehst du gleich schön aus, wie alle.«

»Das war auch mein Plan«, schnaube ich angesäuert und sie legt den Kopf schief.

»Du wolltest aussehen, wie alle anderen? Interessant«, entweicht es in einem leisen Wispern ihre Lippen und sie nippt an dem Bacardi.

Fragend sehe ich sie an. Auf was zur Hölle will sie hinaus?

»Glaub mir, ich meine das nicht böse. Du bist heiß, keine Frage«, bei diesem Kompliment sauge ich wieder schnappartig die Luft ein, »aber manchmal wünschte ich, die Menschen würden sich mehr voneinander unterscheiden, verstehst du? Wir wären alle unterschiedlich und wären wir selber und das fände ich wunderbar. Auch in den Magazinen würden wir nicht immer nur den gleichen Typmensch nehmen. Es gäbe so viel Diversität.«

Eine lange Zeit lasse ich ihre Worte sacken. Vielleicht hat sie recht, aber so funktioniert die Gesellschaft nun mal nicht. Und der will ich eben gerecht werden. Damit ich darin nicht untergehe. Damit ich gesehen werde. Denn die Gesellschaft will keine Diversität. Sie will ein einheitliches Schönheitsideal.

Und sie kann gut reden – sie ist einfach wunderschön. Und ihr Charakter ist es wohl auch.

Aber das alles sage ich ihr nicht, ich weiß selbst nicht warum. Ich habe einfach keine Lust mehr auf dieses Thema.

Plötzlich habe ich das Gefühl, dass sich meine Luftröhre zuschnürt und ich bekomme nur schwer Luft. Das Loch in meinem Magen wird wieder größer, meine Hände beginnen zu zittern und kurz flackert alles vor meinen Augen.

»Geht es dir gut?«, fragt Lou besorgt und legt ihre Hand auf meinen Arm. Ihre Körperwärme sickert zu mir durch und das hilft mir zu merken, dass ich noch da bin.

Tief hole ich Luft, presse kurz die Augen zusammen um mich zu sammeln und sehe sie dann an. »Ja«, lüge ich. Gottseidank geht sie nicht weiter darauf ein, sondern wendet sich wieder der Flasche zu.

Kaum lässt sie meinen Arm wieder los, wird es wieder schlimmer. Der Raum beginnt sich zu drehen und ich stehe mich wackeligen Beinen auf. Ich muss raus hier.

Lou ruft mir irgendetwas zu, aber ich höre sie nicht. Alles fühlt sich so weit weg an, ich höre die Musik und die Stimmen nur noch schwach, als wären sie von mir durch eine Watteschicht getrennt.

Ich versuche mich an den Leuten vorbei zu drängen, aber irgendwie bekomme ich es nicht hin, sie zu berühren, um sie weg zu schieben. Ich fasse immer daneben.

Und dann stürzen in einem plötzlichen Augenblick alle Sinne wieder auf mich ein. Die Stimmen und die Musik sind lauter als je zuvor, ich spüre deutlich, wie mich die Menschen umringen, wie sie mich versehentlich berühren. Und das macht mich verrückt.

Dazu dreht sich der Raum noch immer und alles in mir schreit nach etwas, womit ich das Loch in mir stopfen kann.

Verzweifelt presse ich mir die Hände auf die Ohren und versuche mich klein zu machen, auch wenn ich weiß, dass das alles nichts bringt.

»Hey, Sydney, wo willst du denn hin?« Zara taucht neben mir auf. Ihr Gesicht ist verschwommen, ihre Stimme seltsam verzerrt.

»Was?«, gebe ich verwirrt von mir.

»Komm schon, jetzt fängt der Spaß erst richtig an.« Sie zieht mich zurück zu den Sofas und ich lasse sie gewähren, weil ich nicht mal richtig verstehe, was passiert. Alles kommt verzögert bei mir an.

Zara bleibt stehen und ich laufe in sie hinein, sie sieht mich leicht genervt an, packt mich aber dann an den Schultern und stellt mich gerade hin.

Wir stehen in einem kleinen Kreis, um uns herum sind noch drei andere Mädchen und zwei Typen. Ich kippe fast nach vorne, als ich mich umgucke. Was verdammt stimmt nicht mit mir?

Ich versuche mich zu konzentrieren, versuche wieder normal zu denken. Aber alles ist verschwommen, verzögert und verzerrt. Mein Herz rast, mein Atem geht schnell. Irgendetwas stimmt einfach nicht mit mir.

Irgendjemand drückt mir etwas in die Hand. Zara, glaube ich. Es fühlt sich an, wie eine Tablette. Es ist eine Tablette. Eine runde Pille, wie ich nach weiteren Augenblicken fühlen merke.

Stimmen wispern in mein Ohr, Hände berühren mich. Ich verstehe nicht, was sie mir sagen.

»Nimm sie, Sydney, das macht Spaß«, filtere ich nun Zaras Stimme heraus. Sie ist ganz nah an meinem Ohr. Meine Augenlider werden schwer und ich brauche viel Konzentration, sie aufzuhalten.

Was meint sie eigentlich?

»Komm schon, Sydney. Ich habe es schon so oft getan, es passiert nichts«, flüstert Zara nun verführerisch noch näher an meinem Ohr. Ich spüre ihren heißen Atem auf der Haut und bekomme eine Gänsehaut.

Dann spüre ich ihre Hand auf meiner, wie sie mit den Finger die Pille umschließt. Ach, das meint sie. Ich werde doch jetzt keine Drogen nehmen.

»Es fühlt sich dann alles so leicht und einfach an«, fährt sie in dem gleichen Tonfall fort.

Tief in mir spüre ich das Verlangen, die Pille zu schlucken. Vielleicht geht es mir dann besser.

Wieder kippe ich fast zur Seite und diesmal fängt mich Zara auf. Ich liege nun halb in ihren Armen, habe die Augen fast ganz geschlossen.

»Na, was ist jetzt?« Sie hält die Droge vor meine Nase und wackelt damit herum.

Ich möchte etwas sagen, bekomme aber kein Wort über die Lippen.

»Du willst es doch auch«, flüstert sie. Und vielleicht hat sie recht.

In einer plötzlichen Bewegung öffne ich den Mund und sie lässt mit einem triumphierenden Lächeln die Pille auf meine Zunge fallen.

Verschwommen sehe ich, dass auch sie eine schluckt.

Für einen Moment ist da noch dieser seltsame Zustand in mir. Und dann – berauschende Leichtigkeit und Vollkommenheit.

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