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Es vergehen weitere Wochen - nein Monate - und ich habe das Gefühl, dass mir Artjom zunehmend aus dem Weg geht. Ich komme, da ich vor wenigen Wochen eine neue Arbeit angetreten habe und nun später arbeiten muss, so spät nach Hause, dass er immer schon am Schlafen ist. Und morgens ist er immer schon mit dem ersten Klingeln des Weckers aus dem Haus. Manchmal erwische ich ihn dabei, wie er sich im Badezimmer im Spiegel betrachtet, aber immer wenn ich auf ihn zugehen möchte, wendet er sich schnell ab und meint, er müsse noch wo hin.

Aber heute habe ich die Nase voll davon. Es ist Samstag und ich habe so viele Überstunden, da kann ich mir an diesem warmen Märztag auch mal etwas gönnen und  früher Schluss machen. So komme ich auch früher als geplant nach Hause und werde meinen Bruder abfangen. Er hat gesagt, ein Freund von der Schule kommt ihn heute Mittag besuchen und somit hat er keinen Grund weg zu sein. Ich gehe also nach Hause und sehe meinen Bruder durch das Fenster im Wohnzimmer auf und abgehen. Ich schließe die Türe auf und betrete die Wohnung, als ich auch schon einen Hieb auf meiner Schulter spüre und zischend einen schnellen Schritt auf die Seite mache. Mit einer einzigen Bewegung habe ich den Angreifer in dem mir gelernten Griff an der nächsten Wand fixiert und erkenne die Person.

Wut baut sich in mir auf und in knurre leise, als ich ihn fester an die Wand drücke. "Was machst du hier?!", frage ich ihn bedrohlich, doch er bekommt kein Wort zustande. Von der ganzen Aufruhe hier wurde aber mein Bruder auf uns aufmerksam und betritt nun den Flur. "ACE! Lass ihn los!", fährt er mich an und versucht meinen Griff mit seinen, im vergleich eher schwachen Händen, zu lösen. "Was macht er hier Artjom? Wieso ist diese Kröte hier?!", frage ich nun ihn und denke nicht einmal daran, den Typen los zu lassen. Ich kann in den Augen meines Bruders die Unsicherheit sehen und noch etwas anderes, etwas das ich nicht ganz erkenne. Ist er Scham? 

"Er hilft mir in Mathe...", meint er dann und wendet sich mit herabgesenkten Schultern ab. "Wegen Mathe?!", frage ich ihn verwirrt und mein Griff lockert sich. Ich verstehe nicht genau, was das Eine nun mit dem Anderen zu tun hat. Wie kann bitte der ehemalige Dealer meines Vaters nun meinem Bruder in Mathe helfen?! Das passt doch nicht... "Ja du Pflaume. Ich bin nicht so dumm wie ich aussehe. Und wenn der Kleine meine Hilfe braucht... Und er hat so niedlich danach gefragt.... Solche Hundeaugen und dieser Schmollmund... Einfach zum anbeißen, da konnte ich nicht nein sagen!", meint nun der Typ, der wohl soeben wieder seine Stimme gefunden hat.

Ich knurre leicht auf, da mir alleine der Gedanke nicht gefällt, lasse aber von ihm ab und funkel ihn an. Er versteht direkt und verlässt unsere Wohnung ohne einen Blick zurück. Dann fahre ich mir einmal durch meine dunklen Haare und seufze. "Artjom... Wieso hast du nicht mit mir geredet? Ich hätte dir doch auch helfen können...", meine ich und gehe ihm nach. Er ist in unser Zimmer gegangen und sitzt dort auf dem Bett. "Will auch alleine...", nehme ich ein Bruchstück dessen wahr, was er murmelt und schüttle nur den Kopf. Aber ich bin beruhigt.

Wäre ich das nur nicht gewesen....

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