Kapitel 4 - Besser spät als nie... oder?

Erschlagen kehrte Maryana nach Hidden Hills zurück. In den letzten beiden Tagen hatte sie zuerst von Edin und nun auch noch von John detailliert beschrieben bekommen, welche Auswirkungen ihre Beziehung zu Harry und ihre Vergangenheit mit David hatte.

Fakt war, dass Harrys Gedanke, die Fans könnten Maryana gegenüber beschwichtigt werden, wenn ihnen versichert wird, dass die beiden ein glücklich verliebtes Paar sind, wenig von Erfolg gekrönt war - nicht zuletzt, weil David alles daran setzte, in die andere Richtung zu hetzen.

Viel schlimmer traf Maryana jedoch, dass sie Gefahr lief, ihre Berufung zu verlieren. Sie hatte so viel aufgegeben, um ihrer Überzeugung zu folgen und Menschen durch sinnvolle, bedeutungsschwere Bücher zu erreichen.

Völlig verunsichert und etwas blass im Gesicht, trat sie nun auf die Terrasse der Villa und sah ihren Freund, der schnellen Schrittes auf sie zukam, an.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Harry direkt, sobald er Maryana zu Gesicht bekam und schob seine Sonnenbrille von der Nasenspitze in seine braunen Locken.
»Ich glaube, wir müssen langsam mal miteinander reden, Harry«, seufzte Maryana in seine feste Umarmung.

Harry hatte es befürchtet. Länger als nötig hielt er die Blondine dicht an sich gepresst, in der Hoffnung, dass ihre Forderung doch wieder in Vergessenheit geraten würde und sie sich weiterhin der friedlichen Illusion in ihren vier Wänden hingeben konnten.

»Wir sollten uns mal darüber unterhalten, wie es weitergeht.«
Ein Satz, den Harry seit Wochen gescheut hatte und doch sprach ihn Maryana nun so überzeugt aus, dass er nur ahnen konnte, welchen Vorwürfen sie sich bei ihren Ausflügen außerhalb Hidden Hills stellen musste.

Zögerlich ließ Harry sie wieder los.
»Was?«, war zunächst alles, was er sagen konnte.

Wissend sah Maryana ihn an. »Du weißt, was ich meine.«

Wie ein bockiges Kind wandte er Maryana den Rücken zu und lief in Richtung des Pools. Den sonnigen Tag hatte er sich durchaus anders vorgestellt und auch gewünscht.

»Harry, würdest du bitte hierbleiben?«, seufzte Maryana und folgte dem sturen Künstler augenrollend.

Sie hatte ihn als unheimlich vernünftigen, selbstreflektierten und offenen Menschen kennengelernt, doch in diesem Fall war Harry sogar noch uneinsichtiger als sie selbst.
In diesen Sekunden war er innerhalb kürzester Zeit zu einem reizbaren, schnippischen Ignoranten geworden.

Harry wusste ebenso gut wie Maryana, dass er längst sein Leben wieder in die Hand hätte nehmen müssen, aber gewagt hatte er es trotzdem noch nicht.

Zwar hatte er sich durchaus auf den langersehnten Start seiner Solokarriere gefreut, doch viel mehr lag ihm das Wohl seiner Freundin am Herzen. Harry kannte die Welt, in die er Maryana gezogen hatte und inzwischen kannte er Maryana gut genug, um zu ahnen, wie schwer es ihr fallen würde, sich darin zurechtzufinden.

Er hatte sie damals, als ihr dank David all der Hass entgegengeschlagen war, gesehen. Sie war am Boden zerstört gewesen.
Auch wenn Harry hoffte, dass die feste Beziehung, die nun wahrhaftig zwischen ihnen entstanden war, den Aufschrei dämpfen könnte, bezweifelte er, dass Maryana damit umzugehen wusste. Am Liebsten hätte er sie auf ewig in Watte gepackt und hier in Hidden Hills, geschützt vor all der Boshaftigkeit dort draußen, versteckt.

Harry glaubte halbwegs mit der Situation umzugehen zu wissen, er hatte sich über all die Jahre einen Schutzpanzer zugelegt - anders als seine Freundin, die in solchen Dingen völlig unerfahren war.

»Was haben dir Edin und John denn eingeredet?«, wollte er übel gelaunt wissen, obwohl er am Liebsten vor dieser Konfrontation davongelaufen wäre.

»Harry«, seufzte Maryana erneut und versuchte an dessen Vernunft zu appellieren. »Das weißt du ganz genau und ich hab's auch lange genug verdrängt. Aber wie viele Anrufe hast du denn in den letzten Wochen ignoriert oder weggedrückt, hm? Bei mir waren's nämlich Einige.«

Sofort dachte Harry an Jeff, Niall, Mitch, Gemma, Louis, James, Liam – die Liste war lang. Einzig auf seine Mutter hatte er mit kurzen Nachrichten reagiert und sie wissen lassen, dass es ihm gut ginge und er sich bald melden würde.

»Heißt?«, forderte Harry bockig Genaueres.

»Dass wir uns hier nicht ewig verstecken können und deine erste Solotour vor der Tür steht!«, wurde Maryana präziser und sprach damit genau das an, was Harry am Weitesten von sich schob.

Unterzutauchen und sich nicht bei seinem Manager zu melden, war das Eine. Das Ganze aber in einer solch wichtigen Phase seiner Karriere zu tun, war etwas, das Harry so gar nicht ähnlich sah.

»Ach, kümmern sich Edin und John etwa neuerdings um meinen Job?«, gab sich Harry weiterhin uneinsichtig.

Wieder konnte Maryana bloß mit den Augen rollen.
»Nein, aber du tust es ja scheinbar gerade auch nicht«, gab Maryana ehrlich zurück. »Genauso wenig wie ich mich um meinen Job kümmere. Ehrlich gesagt kümmere ich mich um überhaupt nichts mehr, seit der Late Late Show und seitdem wir hier sind. Nicht mehr um mich selbst, nicht mehr um meinem Job - nur noch um dich.«

»Soll das heißen, ich steh' dir plötzlich im Weg?«, polterte Harry Maryana entgegen, eine  Mischung aus Wut und Enttäuschung in den Augen.

Seufzend schüttelte Maryana den Kopf.
»Das hab ich nicht gesagt! Aber wir haben uns jetzt so lange in unsere Blase zurückgezogen, obwohl es noch so viel zu klären gibt. Wir können das alles doch nicht ewig ignorieren. Ich will wieder rausgehen können, schreiben, mein Leben weiter aufräumen.«

Harry wusste ganz genau, wovon Maryana sprach und dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sich dem stellen mussten.

Als sie endlich zusammengefunden hatten, schien die Welt eine Weile stillzustehen. Es war gerade Mal ein paar Wochen her, dass Harry bei James Corden gesessen und die Autorin seines Buches auf Umwegen als Liebe seines Lebens beschrieben hatte.
Er hatte dabei auch kein Bisschen gelogen, allerdings hatte er unterschätzt, was auf ihn zukommen sollte. Auf ihn, der sein Privatleben der Öffentlichkeit gegenüber sonst in keiner Silbe erwähnte.

Genauso hatte auch Maryana nicht gewusst, worauf sie sich eingelassen hatte.
Sie war immer überzeugt gewesen, dass es im Leben keine falschen Wege, keine Irrwege gäbe – lediglich Umwege.

Bis vor Kurzem hatte sie ihr Ziel nicht erkennen können, vielleicht auch gar nicht erkennen wollen. David hatte ihr lange die Sicht vernebelt, doch kaum war er  verschwunden, hatte Maryana geglaubt, ihr beschwerlicher Weg hätte endlich ein Ende gefunden - bei Harry.

Sie hatte sich plötzlich so auf ihn konzentriert und all ihr Glück an ihn gehängt, dass sie ihn unweigerlich für ihr Ziel gehalten hat. Es ist ein böses Erwachen, erkennt man nach einer Weile, dass er bloß ein Etappenziel, eine kurze Rast, sein sollte.

Maryana hatte sich in Harrys Welt verirrt, in der Hoffnung dort, in seiner Nähe, zur Ruhe zu  kommen. Aber Harrys Welt, sein Leben, war nicht ruhig, genauso wenig wie das ihre von nun an.
Geister der Vergangenheit waren ihr immer noch auf den Fersen, ganz zu Schweigen von den Neuen, das das Leben mit Harry mit sich brachte.

Einsichtig atmete Harry durch und ließ sich auf den Liegestuhl hinter ihm sinken.
»Ich weiß«, sah er ein, nachdem er kurz gedroht hatte die Nerven zu verlieren.
Dieses Mal tobte um ihn herum eben kein einfacher Shitstorm, den er aussitzen konnte. Dieses Mal ging es um weitaus mehr - um Maryana.

»Ich will doch auch, dass dein Leben weitergeht und du dich weiterentwickeln kannst. Es war nie mein Plan, dich aufzuhalten.«

»Das weiß ich!«, versicherte ihm Maryana sofort und setzte sich neben Harry.
Zärtlich streichelte sie mit ihrer Hand über seinen Rücken. »Aber ich hab' keine Ahnung, wie das von nun an funktioniert. Ich weiß nicht, was ich tun oder sagen darf. Ich will nicht direkt den nächsten Skandal auslösen. Am Ende geht es bald überhaupt nicht mehr um dich als Künstler.«

Sanft lächelte Harry seine Freundin an. Er wusste zu schätzen, wie sehr Maryana darauf  achtete, wie sich ihre Handlungen auf seine Karriere auswirken könnten,  auch wenn er ständig ein schlechtes Gewissen hatte, dass sie das  überhaupt tun musste.
»Ich sprech' mal mit Jeff, ja? Er kann alles am Besten einschätzen. Und du tust einfach das, was dir guttut.«

Da war er wieder. Der fürsorgliche, vernünftige Harry bahnte sich langsam wieder den Weg an die Oberfläche.

Dankbar erwiderte Maryana Harrys Lächeln, auch wenn sie beide wussten, dass schon bald eine extrem anstrengende Zeit für sie anstehen würde. Zwar hatte ihre Liebe das Leben des jungen Paares ungemein bereichert, aber unkomplizierter war es dadurch keinesweg geworden.

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