Windstärke 8 | Rock

»Oh Mann«, gluckse ich, »hätte ich gewusst, dass du mich umbringen willst, dann–«

Mit der Hand lässt mir Sky eine Ladung Wasser ins Gesicht schwappen. Die Mini-Flutwelle trifft mich unvorbereitet und ich schaffe es nicht rechtzeitig, die Lider zu schließen, bevor sich das Chlor in meine Augäpfel frisst. Zumindest fühlt es sich so an.

»Du wolltest doch mit den großen Fischen schwimmen«, stichelt sie weiter. Ihre bläulichen Lippen sind zu einem frechen Grinsen verzogen.

»Ich wollte mit dir schwimmen. Das ist ein Unterschied. Hättest du gesagt, dass es dir Spaß macht, Kühe zu melken ..., müsste ich jetzt wahrscheinlich in eine Papiertüte atmen, weil mir die Viecher eine Scheißangst einjagen, aber–« Ich hebe den Zeigefinger zwischen uns. »Der Punkt ist, ich wäre mitgekommen.«

Skys infektiöses Lachen wirbelt und tänzelt zwischen uns wie Herbstblätter. Es fühlt sich gut an, der Grund dafür zu sein.

»Was hast du gegen Kühe?«, will sie wissen.

Abschätzig lasse ich die Lippen blubbern.

»Definitiv die Glupschaugen. Ich meine, hast du dir schon mal überlegt, dass die uns vielleicht heimlich beobachten?« Ich lache trocken. »Ziemlich clever. Dumm gucken, in der Gegend rumstehen und kauen – die Taktik ist genial, wenn du mal so darüber nachdenkst.«

Mein Gegenüber gibt ein amüsiertes Schnauben von sich.

»Du hast einen an der Klatsche, weißt du das?«

Wie von allein wölbt sich mein rechter Mundwinkel nach oben.

»Das macht die Hälfte meines Charmes aus.«

Wieder lacht Sky. Daran könnte ich mich gewöhnen.

»Mh, dann zeige ich dir besser mal, wie du dich aus meinen Fängen befreien kannst, wenn ich dir im Wasser plötzlich nicht mehr widerstehen kann.«

Meine Augen fallen auf ihre Lippen, als sie die untere zwischen ihre Zähne zieht. Ich liebe diese verspielte Seite an ihr, weil ich nicht glaube, dass jeder Dahergelaufene sie zu sehen bekommt.

»Wo soll die Party denn steigen?«, frage ich. Sky zuckt mit der Schulter.

»Am besten gleich hier.« Sie nickt in Richtung Beckenrand. »Das Wasser ist tief, aber du bist mit wenigen Zügen da und kannst dich festhalten.«

»Was ist denn unsere Ausgangssituation?«

Einen Moment lang überlegt sie und sagt: »Stell dir vor, ich wäre ein beinharter Typ mittleren Alters, den du gerade aus einem sinkenden Fischerboot gezogen hast. Ich trage zwar eine Schwimmweste, aber bin vor Angst völlig außer mir. Der Überlebensinstinkt setzt ein. Ich würde sogar meine eigene Ehefrau untertauchen, um den Kopf über Wasser zu halten und da kommst du ins Spiel, Herr Rettungsschwimmer.«

Ich atme scharf ein, als ich mich an einen ähnlichen Fall in Cape Cod erinnere. Den Einsatz habe ich damals als Co-Pilot begleitet.

Wir haben erst einen kleinen Jungen mit seinem Golden Retriever und dann den Vater von einem sinkenden Motorboot gerettet, nachdem sie von einer Sturmfront überrascht worden waren.

Der Typ hätte beinahe sein eigenes Kind ertränkt, als er versuchte, seinen Hund aus dem Rettungskorb zu stoßen, um selbst hineinzuklettern. Aber der Kleine war so verängstigt, dass er sich an dem Tier festgeklammert hat. Deshalb sollten die zwei auch zuerst hochgehen.

Ich konnte die Zurufe unseres Schwimmers über das Headset hören, bevor es ihm gelang, den Mann weit genug vom Rettungskorb wegzuzerren, damit wir die beiden Insassen sicher hinaufziehen konnten.

»Alles gut, Rock?«

Skys Stimme holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Sicher erwartet sie eine Art Reaktion von mir.

»Wer tut so etwas?« Ein trockenes, pelziges Gefühl nistet sich in meiner Kehle ein, so als hätte ich eine Großpackung Wattebäusche verschlungen. »Nie im Leben könnte ich–«

Der Rest des Satzes stirbt ungesagt auf meiner Zunge, als sie abwinkt.

»Das möchten wir wahrscheinlich alle gern glauben, aber die Wahrheit sieht oft anders aus. Selbst einige Rettungsschwimmer-Anwärter verstehen die tatsächliche Bedeutung unseres Leitsatzes erst im Laufe ihrer Ausbildung und brechen deswegen ab. ›Damit andere leben können.‹ Das bedeutet, du stellst das Leben anderer über dein eigenes. Das schafft definitiv nicht jeder oder es hapert an der nötigen Wasserkompetenz.« Sie seufzt angestrengt. »Deshalb machen am Ende der 24-wöchigen Ausbildung auch nur grob die Hälfte aller Schüler ihren Abschluss, in manchen Jahren auch weniger.«

Ich kann spüren, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht. Hat man Sky im Laufe ihrer Ausbildung auch an den Rand der Todesangst gebracht, um sie auf den Ernstfall vorzubereiten? Hat sie dasselbe mit mir vor?

»Und was heißt das jetzt für mich?«, verbalisiere ich meine Befürchtung. »Willst du testen, unter welche Kategorie ich falle?«

Mein Gegenüber schüttelt den Kopf.

»Das hier ist überhaupt kein Test. Es war deine Idee mitzukommen. Erinnerst du dich?«, sagt sie mit einem merkwürdigen Funkeln in den Augen, das sich noch verstärkt, als Sky diese etwas zusammenkneift. »Wir machen das wie im Film The Guardian. Den hast du doch bestimmt gesehen, oder?«

Langsam nicke ich und gehe im Kopf sämtliche Szenen durch, an die ich mich noch erinnern kann. Leider ist der Filmabend mit Franny Lichtjahre her und ich brauche eine Weile, um die Puzzleteile zusammenzusetzen.

Mir kommt einer der Nebencharaktere wieder in den Sinn, der jedes Mal in Panik geraten ist, wenn ihn ein Trainingspartner oder sein Ausbilder von hinten umklammert und unter Wasser gezogen haben. Es flackert eine ganz bestimmte Sequenz vor meinem inneren Auge auf – so scharf und lebendig wie ein extrem realistischer Traum.

»Rammt nicht sogar einer der Anwärter im Affekt seinem Ausbilder den Ellenbogen ins Gesicht, als der ihn während der Prüfung von hinten in den Halswürgegriff nimmt?« Bei dem Gedanken macht sich blankes Entsetzen in mir breit. Sky verzieht keine Miene. Vielleicht sind solche Vorkommnisse vollkommen normal für sie. Ein Muskel zuckt an meinem Unterkiefer. Bei der bloßen Vorstellung, ihr wehzutun, wird mir speiübel. »Was ist, wenn mir aus Versehen dasselbe passiert? Ich gehe auf keinen Fall so ein Risiko ein. Schon gar nicht mit dir. Vergiss es, Sky.«

Ihre Augen weiten sich, doch dann bricht sie in amüsiertes Gekicher aus.

»Gott, was denkst du denn von mir?«, fragt sie ungläubig. »Ich würde unsere Übung nie so weit treiben, dass du vor Angst um dich schlägst.« Ihre Augen huschen zwischen meinen hin und her. »Außerdem wollen Ertrinkende in erster Linie leben. Wenn du die Schultern hochziehst, kannst du schon mal den Druck auf deinen Hals verringern. Deinen Kehlkopf entlastest du, indem du den Kopf zur Seite drehst. Dann tauchst du unter, was oft schon bewirkt, dass dich die andere Person loslässt. Einfach, weil sich keiner gern an einer sinkenden Rettungsboje festklammert. Darum sollte es heute gehen.« Langsam atmet sie aus. »Wenn das nicht funktioniert, gibt es für den Härtefall zwar noch Befreiungsgriffe, mit denen du den Ertrinkenden von dir lösen und in einen Fesselschleppgriff ziehen kannst. Aber das würde heute den Rahmen sprengen.«

»Oh, okay, und ich dachte schon, du willst mich schocken, damit ich dich in Frieden lasse.« Erleichtert atme ich auf. »Das ist es doch nicht, oder? Du lässt das hier«, mit einer kreisenden Handbewegung deute ich auf das Innere der Schwimmhalle, »doch nicht nur über dich ergehen, weil dich dein Vater genötigt hat, als meine Fremdenführerin aufzutreten, hoffe ich. Denn ich mag dich, Sky. Ich–«

Es ist unmöglich, ein solches Gespräch mit ihr zu führen, ohne abzusaufen, also schwimme ich den einen Meter zum Beckenrand.

Mit der Präzision eines Alligators gleitet sie in einem Zug durchs Wasser. Warmer Atem kitzelt meine Lippen und bevor ich verarbeiten kann, was da gerade geschieht, liegt ihr weicher Mund auf meinem.

Die Welt um uns herum löst sich auf wie eine Brausetablette. Ich ergebe mich der Schwerelosigkeit. Meine Augen sind weit geöffnet und doch kann ich nicht fassen, dass wir das gerade wirklich tun. Sky und ich haben die Oberfläche durchbrochen, um in unserem eigenen Gemisch aus Sauerstoff und Kohlendioxid zu ertrinken.

Lächelnd löst sie sich von mir, während ich in einem gierigen Zug nach Luft japse.

»Habe ich deine Befürchtung damit ausgeräumt?«, wispert sie mit belegter Stimme.

Jede einzelne verdammte Zelle in mir zum Leben erweckt, trifft es wohl eher.

Unterhalb der reflektierenden Wasseroberfläche schlinge ich meine Arme um ihre Taille.

»Nicht ganz. Wir sollten das nochmal machen, nur um sicherzugehen.«

Dass man uns theoretisch erwischen könnte, scheint Sky momentan völlig ausgeblendet zu haben. Mein Ego platzt aus allen Nähten.

Dann liegen ihre Lippen erneut auf meinen. Energie durchflutet mich, als hätte ich mit beiden Händen den Elektrozaun aus Jurassic Park umfasst. Ich neige den Kopf, lege meine Hand um ihren Nacken. Sky entkommt ein kleines Keuchen. Schamlos nutze ich die Gelegenheit, um in ihren warmen Mund einzudringen.

Sie schmeckt nach süßer Minze mit einem Hauch Kaffee. Einfach köstlich.

Ich knurre in unseren Kuss hinein, als sie die Arme um meinen Hals und ihre langen Beine um meinen Unterleib schlingt.

Auf so viel Körperkontakt war ich nicht vorbereitet und merke, wie viel enger meine blutroten Badeshorts werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sky das nicht auch gerade spürt. Die Vorstellung macht mich wahnsinnig an.

Sie stöhnt ein hauchzartes »Oh« gegen meinen Mund, was die Situation für mich nicht gerade vereinfacht.

»Entschuldige.« Mit der Seite meines rechten Daumens streiche ich zärtlich über ihren Unterkiefer. »Darüber hatte ich jetzt irgendwie keine Kontrolle.«

»Nicht ... nicht schlimm, ich–«

Langsam klettert Sky von mir herunter und bringt einen halben Meter Distanz zwischen uns. Ein wenig benommen schüttelt sie den Kopf, während sich die niedliche Rotfärbung ihres Gesichts noch weiter verstärkt. Doch dann schnippen ihre Augen nach rechts.

Im selben Moment tröpfelt der Klang unbekannter Männerstimmen in meinen von Lust vernebelten Verstand hinein.

Sky klemmt sich eine nasse Haarsträhne hinters Ohr. Zwischen ihre Augenbrauen bildet sich eine tiefe Furche.

»Ich sehe niemanden. Wer auch immer das ist, die müssen irgendwo vor den Umkleiden rumlungern.«

»Shit, was machen wir jetzt?«, flüstere ich. »Trainieren wir weiter, oder–«

Dabei weiß ich, was sie sagen wird, noch bevor sie es tut: »Lieber nicht. Lass uns für heute Schluss machen.« Um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht, halte ich den Blickkontakt mit ihr. Enttäuschung macht sich in mir breit, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass wir unsere wilde Knutscherei vor Publikum ohnehin nicht hätten weiterführen können.

»Sehen wir uns auf dem Parkplatz?«, frage ich vorsichtig, während ich mich innerlich bereits auf eine Abfuhr gefasst mache.

»Ja klar. Bis gleich«, gibt sie zurück und fast glaube ich, dass ich mich verhört habe. Dabei ist es nicht das erste Mal heute, dass Sky mich überrascht.

• | • | •

Vor den Umkleiden laufe ich zwei männlichen Mitarbeitern in die Arme. Einen davon erkenne ich als Chief Petty Officer Braxton wieder, den ich an meinem ersten Tag im Büro des Commanders kennengelernt habe. Seine buschigen grau-melierten Augenbrauen schießen in die Höhe, als er sich scheinbar ebenfalls an mich erinnert.

»Lieutenant Byrne, was für eine nette Überraschung«, bestätigt er meine Vermutung und grüßt mich mit einem Salut. »Wie geht es Ihnen heute Morgen?«

»Alles super«, sage ich. »Aber ich hab hier noch keine schönen Waldwege zum Laufen entdeckt, also kam mir spontan die Idee, schwimmen zu gehen.« Mit der Hand gestikuliere ich in Richtung Pool. »Eine schöne Halle haben Sie hier, Sir.«

»Danke Ihnen, wir geben unser Bestes, damit alle Mitarbeiter einwandfreie Trainingsbedingungen vorfinden.« Chief Braxton legt den Kopf schräg. »Und was das Laufen betrifft, bin ich mir sicher, dass Sie die Gegend bald kennen werden wie ihre eigene Westentasche.«

»Da haben Sie sicherlich recht«, entgegne ich und wende mich dem jungen Mann links von ihm zu. Vom Alter her ordne ich ihn bei Mitte zwanzig ein. Die krausen schwarzen Haare trägt er kurz und ich entdecke ein Tattoo des Raumschiff Enterprise auf seinem linken Oberarm, das sich nur wenig von seinem dunklen Hautton abhebt. Hellbraune Augen leuchten mir entgegen – reich und golden wie Bernstein.

»Das ist Airman Seth Huxley«, stellt Chief Braxton ihn vor.

Ich nicke höflich.

»Freut mich.«

Wie auf Knopfdruck salutiert der Kadett. Ich tue es ihm gleich. Ohne Handtuch ist mir arschkalt und meine Gedanken kreisen größtenteils darum, dass ich gerade viel lieber unter der Dusche stehen und mich fünf Minuten ohne Unterbrechung mit heißem Wasser berieseln lassen würde.

»Er will die A-School in Elisabeth City besuchen und wird im Laufe des Programmes erfahren, ob er die erforderlichen Kriterien erfüllt, um Rettungsschwimmer zu werden«, fährt der Chief fort und lenkt damit meine Aufmerksamkeit auf unser Gespräch zurück. »Ist es nicht so, Huxley?«

Der senkt den Kopf.

»Ja, Sir.«

»Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg«, sage ich.

»Danke, Sir. Es wird definitiv nicht leicht, aber ich bin bereit, an meine Grenzen zu gehen.«

Der Chief schnaubt neben uns.

»Junge, diese Ausbildung wird Ihre Grenzen mit der Abrissbirne vernichten und zu guter Letzt nochmal mit der Planierraupe drüber walzen.«

»Dann freue ich mich auf die Herausforderung, Ihnen zu beweisen, was in mir steckt.«

Mutige Antwort, denke ich mir, auch wenn mir das Hüpfen seines Kehlkopfes nicht entgangen ist. Der hat definitiv die Hosen voll.

»Das ist die richtige Einstellung«, grätsche ich dazwischen und nutze die Gelegenheit, um mich auszuklinken. »Leider muss mich jetzt verabschieden. Es wird langsam kalt.«

Die beiden Männer blicken an mir herunter, als würde ihnen gerade zum ersten Mal auffallen, dass ich in nichts als einer nassen Badehose vor ihnen stehe.

»Aber natürlich, Lieutenant. Wir wollen Sie nicht aufhalten«, erwidert Chief Braxton. Mit der Hand reibt er sich über den Kiefer. »Sagen Sie, war außer Ihnen noch jemand im Wasser?«

Ich werfe meinen Daumen über die Schulter.

»Oh ja, Petty Officer Matthews hat noch trainiert, als ich gegangen bin. Aber die anderen Bahnen sind frei. Schönen Tag, Gentlemen.«

Ich verschwinde in der Umkleide, deren Wände aus Pappe zu bestehen scheinen, denn ich kann auch mit geschlossener Tür noch hören, was die beiden Männer da draußen miteinander besprechen.

»Runter mit Ihnen und geben Sie mir zwanzig Liegestütze«, knurrt der Chief. »Wir sehen uns in zehn Minuten am Pool.«

»Warum denn erst in zehn Minuten, Sir?«, erkundigt sich Airman Huxley.

»Weil ich es sage. Oder soll auf fünfzig erhöhen, damit Sie länger beschäftigt sind?«

»Nein, Sir.«

Ich verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse. Der Kleine sollte in seiner Position dringend lernen, das Wort seines Vorgesetzten nicht zu hinterfragen und unter dem Radar zu fliegen, sonst wird er es im Militär schwer haben. Zumindest am Anfang. Wobei ich zugeben muss, dass mich die Antwort auf seine Frage auch interessiert.

Da draußen ist doch nur das Schwimmbecken und ... Sky.

Ein mulmiges Gefühl schlingt sich um meinen Brustkorb wie Efeu und ich entscheide, der Sache auf den Grund zu gehen.

Airman Huxley stellt sich bereits seiner Aufgabe, als ich langsam und so leise wie möglich die Tür zur Schwimmhalle öffne. Wahrscheinlich ist er so auf seine Atmung und das Mitzählen der geschafften Liegestütze konzentriert, dass er mich deshalb nicht bemerkt.

Ich trete an die Ecke zum Pool heran, um nach Sky zu sehen. Stimmen sind keine zu hören, doch der Anblick, den ich vorfinde, lässt mich einen Schritt zurückstolpern.

Was zum ...?

Flach, wie eine Eidechse presse ich mich gegen die kühlen Wandfliesen. Ich wage es kaum zu atmen.

Chief Braxton hat sich breitbeinig vor der Leiter aufgebaut. Mit dem Zeigefinger deutet er auf den Boden zu seinem Füßen, als würde er den Familienhund zu sich pfeifen. Viel langsamer als sonst schwimmt Sky auf die Leiter zu. Ihre Bewegungen wirken mechanisch, beinahe steif, bis sie tropfnass vor ihm steht.

Kurz werfe ich einen Blick über meine Schulter, um nachzuschauen, ob Airman Huxley mich beobachtet, aber der verschwindet gerade in der Umkleide.

Als ich mich wieder Sky und dem Chief zuwende, passt kein Blatt Papier mehr zwischen die zwei. Er flüstert etwas gegen ihre Schläfe, lässt seine Hand ihren Oberarm hinuntergleiten. So nah. So intim. Doch an ihren Seiten hat Sky die Hände zu Fäusten geballt. Was hat das zu bedeuten?

»Entschuldigung«, plärre ich quer durch die Halle, bevor ich bewusst den Entschluss dazu fasse. Mit langen Schritten marschiere ich zu ihnen rüber. Der Chief tritt einen Schritt zurück. Seine Hand fällt von Skys Arm, die stocksteif vor ihm stehen bleibt.

»Hallo noch mal, hat einer von Ihnen zufällig mein Badetuch gesehen? Ich muss es hier irgendwo–«

»Hier ist es nicht«, fährt mir der Chief über den Mund. Seine Lippen sind zu seiner schmalen Linie zusammengepresst. Wäre das ein Cartoon, würde ihm Dampf aus den Ohren schießen.

Sky nutzt die Gelegenheit, sich von dieser schleimigen Kanalratte zu entfernen.

»Ich habe es auch nicht gesehen. Tut mir leid, Sir«, sagt sie im Vorbeigehen und wickelt sich in ein schneeweißes Handtuch, das ihr zur Mitte der Waden reicht. »Schönen Tag, Chief Braxton.« Dann nickt sie in meine Richtung. »Lieutenant Byrne.«

• | • | •

»Was war das da drinnen?«, schallt meine Stimme über den halb leeren Parkplatz. Ich muss fast rennen, um mit ihr Schritt zu halten. »Jetzt warte doch mal.«

»Nicht hier, okay?«, spuckt mir Sky entgegen, als sie endlich zum Stehen kommt, obwohl außer uns niemand zu sehen ist. Beinahe kriecht sie Kopf voran in ihren Rucksack, in dem sie hektisch herumwühlt. Sachte berühre ich ihre Schulter und sie zuckt zusammen.

Ich mache mir Sorgen.

»Was ist denn los?«

»Meine beschissenen Schlüssel sind weg.«

Ich bemerke die Wölbung in ihrer vorderen Hosentasche, zudem hängt ein Zipfel ihres orangen Schlüsselbandes heraus. Ich ziehe daran, bis ein metallisches Klimpern zu hören ist.

»Da sind sie doch«, sage ich. Der Schlüsselbund pendelt an meinem Zeigefinger und ich hoffe auf ein Lächeln von ihr. Einen Blick. Irgendwas. Doch Sky wirkt aufgewühlt. Etwas ist zwischen ihr und dem alten Sack vorgefallen, auch wenn ich nicht an eine Affäre oder Ähnliches glaube.

»Danke dir.« Sie atmet schwerfällig aus und gestikuliert in Richtung Schwimmhalle. »Hat Spaß gemacht heute. Pass auf dich auf und mach dir noch ein schönes Wochenende, okay?«

Mit der Hand drücke ich gegen ihre Autotür, als sie diese öffnen will.

»Nicht okay. Du zitterst. So kannst du nicht fahren«, sage ich. Dämmerungsgraue Pupillen verstecken sich unter geschlossenen Lidern, als Sky die Augen zusammenkneift. Ich wiederhole meine Frage von eben: »Was war das da drinnen mit dem Chief? Rede mit mir. Du kannst mir vertrauen.«

»Er hat nur meine Haltung korrigiert.«

»Ach komm, Sky, der Typ hat förmlich an dir geklebt und ich hatte nicht den Eindruck, dass dir das recht war.« Ich lege ihr den Zeigefinger unters Kinn, bis sie mich endlich ansieht. »Sag's mir: Belästigt er dich?«

Mein Gegenüber entlässt einen holprigen Atemzug, weicht meinem Blick aber nicht aus.

»Versprichst du mir, dass du keiner Menschenseele was erzählst und absolut nichts unternehmen wirst, wenn ich dir die Wahrheit sage?« Ich ahne Schlimmes. »Keine Sprüche ihm gegenüber, keine bösen Blicke. Gar nichts?«

»Also, ich weiß nicht, ob–« Sky verengt die Augen zu Schlitzen. Ich hebe die Hände zu einer beschwichtigenden Geste. Also schön«, seufze ich widerwillig. »Ja, ich versprech's.«

»Dann komm um sieben zum Essen vorbei. Dein Auto lässt du am besten zu Hause«, schlägt sie vor. »Ich mache Lasagne.«

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