Windstärke 6 | Rock

Wie ein übergroßer Kolibri schweben wir vor der Küste von Womens Bay über der blaugrauen Wasseroberfläche, während der Rotorabwind ein kreisförmiges Wellenmuster ins Meer zeichnet und sichtbaren Sprühnebel erzeugt.

Wir haben uns nicht viel mehr als fünf Kilometer von Kodiak entfernt, um das heute anstehende Hoist-Training zu absolvieren, für das sich unser Schwimmer, Petty Officer Hank Parker, im freien Fall aus dem Helikopter in die Fluten stürzen wird. Der hellblonde Mittdreißiger nimmt bei dieser Übung die Rolle der sogenannten Ente ein. Dabei gibt er vor, sich in einer lebensgefährlichen Situation zu befinden. Ein zweiter Schwimmer, in diesem Fall Petty Officer Archer Bradley, wird ihn aus seiner misslichen Lage befreien.

Eigentlich dient das Training aber dazu, alle Teammitglieder, nicht nur die Rettungsschwimmer, fit und routiniert zu halten, damit wir für alltägliche Rettungssituationen gewappnet sind.

»Schwimmer ist auf der Brücke«, erreicht mich die Meldung von Petty Officer Axel Buchannon über das Headset. Der Bordmechaniker wird von allen nur Baywatch genannt. Ob er die Bezeichnung seinem Nachnamen oder der Ähnlichkeit zu David Hasselhoff verdankt, weiß ich gar nicht so genau. »Und Absprung. Schwimmer ist im Wasser«, sagt er.

Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn – wie jedes Mal, wenn ich ein Teammitglied in die unberechenbaren Hände des Ozeans übergeben muss.

Zwar ist Petty Officer Parker mit einem Trockentauchanzug, Handschuhen, Tauchermaske und Schnorchel ausgestattet, während er auf seine Rettung wartet, doch auch solche harmlos wirkenden Übungseinsätze sind mit einem gewissen Risiko verbunden.

Ihr könnt ihn nicht haben, Meeresgeister. Nicht heute. Nicht unter meinem Kommando.

Meine Augenbrauen treffen sich in der Mitte, denn gerade muss ich mich auf mehrere Dinge konzentrieren.

Steuerknüppel, Höhensteuer-Hebel und Pedale bediene ich während des gesamten Fluges gleichzeitig. Zudem müssen mein Co-Pilot und ich die fünf Multifunktionsdisplays mit dem GPS, Wetterdaten und Fluginformationen im Auge behalten. Lieutenant Robert Anderson unterstützt mich bei der Navigation und der Kommunikation mit dem Team, während ich teilweise noch den Funkkontakt zur Zentrale halten muss. Hinzu kommen Richtungsanweisungen des Bordmechanikers, wenn die Seilwinde im Einsatz ist und natürlich bin ich für den Schwimmer da unten im Wasser verantwortlich.

Atmen. Das hier ist mein Job.

Ich bin weder zufällig noch blindlings in den Dienst der Küstenwache gestolpert, sondern habe mich durch harte Arbeit und stählerne Disziplin selbst dahin gebracht, wo ich heute bin.

»Ist der Rettungskorb einsatzbereit?«, will ich von meinen Kollegen im Laderaum wissen. Die geringe Windgeschwindigkeit sollte uns heute beim Einsatz der Winsch zugutekommen.

»Ja, Sir. Bradleys Gurtzeug ist auch schon eingehakt. Er ist auf der Brücke und geht jetzt runter«, bezieht sich Petty Officer Buchannon auf unseren zweiten Schwimmer, der sich während des Abseilens in meinem toten Winkel befindet. Da ich also gewissermaßen blind fliege, muss ich mich in jeder Hinsicht auf das Wort des Bordmechanikers verlassen können. »Schwimmer ist im Wasser«, sagt er. Im Cockpit – und meinem Headset – herrscht für einige Sekunden absolute Stille. Ich kann mich selbst atmen und mein mit Adrenalin versetztes Blut durch die Adern schießen hören, bis er hinterherwirft: »Winsch ist wieder oben, den Rettungskorb habe ich eingehakt. Er ist auf dem Weg zu den Schwimmern. «

Ich drehe den Jayhawk ein wenig, bis ich zwei orange Farbkleckse unter uns erkennen kann, die mich an Goldfische in einem gigantischen Aquarium erinnern.

Schwimmer Nummer zwei ist in einem Affenzahn, mit dem Korb im Schlepptau unterwegs zu Schwimmer Nummer eins, der schnell wie ein Wiesel hineinklettert, dicht gefolgt von seinem Kollegen.

»Geht wie das Brezelbacken bei denen«, spricht mein Co-Pilot laut aus, was auch ich beobachte. »Holen wir die zwei mal wieder ins Trockene, hey?«

»Wir müssen noch ein Stück nach rechts, Sir. Dann kann es losgehen«, wirft der Bordmechaniker ein und ich folge seiner Richtungsweisung. »Beide Schwimmer sind im Korb und kommen jetzt hoch«, informiert er mich wenig später.

Ich versuche, den Jayhawk ruhig zu halten, damit der Korb in der Luft nicht so stark hin und her pendelt. Der Rest ist vom Wind und Petty Officer Buchannons festem Griff am Seil abhängig.

»Korb mit Schwimmern ist an Bord. Ich schließe jetzt die Tür«, meldet er mir. »Befehle einstellen.«

Mir entkommt ein langer Atemzug, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich ihn angehalten hatte.

»Roger, gut gemacht«, gebe ich zurück.

Kurz drehe ich den Kopf in Roberts Richtung. Mein Co-Pilot hält einen Daumen in die Höhe.

»Das nenne ich einen erfolgreichen Einsatz«, sagt er. »Dann ab nach Hause oder was meinen Sie, Sir?«

Meine Mundwinkel wandern nach oben.

»Definitiv«, erwidere ich. »Zischen wir ab.«

Doch die Feierabendstimmung hält nicht lange an.

»Hier Sektor Anchorage, bitte kommen. Over«, meldet sich ein männlicher Mitarbeiter der Einsatzzentrale per Funk zu Wort. Sofort beschleicht mich ein ungutes Gefühl.

»Hier ist Lieutenant Byrne. Ich höre. Over.«

Ich kann förmlich spüren, wie meine Teamkollegen den Atem anhalten. Mir geht es ebenso.

»Gerade kam ein Anruf rein«, erwidert die tiefe Stimme aus der Zentrale. »Am Lake Orbin ist ein fünfjähriger Junge verschwunden. Scheinbar hat er sich vor zwei Stunden beim Versteckspiel mit seiner Schwester aus dem Haus geschlichen und ist seitdem nirgendwo aufzufinden. Die Eltern und mehrere Helfer haben jedes Grundstück entlang des Lake Orbin Drive, das Ufer des Sees und das umliegende Gebiet nach dem Jungen abgesucht. Ihr Team ist schon in der Luft und ganz in Nähe. Sie haben noch genügend Treibstoff für die Mission, deshalb erhalten Sie den Befehl, das Gebiet aus der Luft abzusuchen. Machen Sie sich bitte umgehend auf den Weg. Das Grundstück der Familie befindet sich an der Gabelung Womens Bay Drive und Lake Orbin Drive.«

Mir läuft ein eisiger Schauer die Wirbelsäule hinunter. Mein Co-Pilot blickt mich mit großen Augen an. Ich drehe bereits ab, als ich antworte: »Sind unterwegs. Over.«

Der Himmel zeigt sich heute klarer als sonst, dafür ist aber schon Nachmittag und je mehr Tageslicht uns zur Verfügung steht, um das Gelände und die Wasseroberfläche zu überblicken, desto besser. Ein Teil von mir fürchtet das Schlimmste, doch den verdränge ich irgendwohin, wo er mich nicht bei der Arbeit behindert.

»Nur Wasser, Bäume und Hausdächer«, sagt Robert und ich kann ihm nicht widersprechen. Von einem kleinen Jungen ist weit und breit nichts zu sehen, als wir wie ein Weißkopfseeadler über der kleinen Gemeinde und dem See kreisen.

»Was haben die denn für ein Problem?«, kommt es nach wenigen Minuten vom zweiten Rettungsschwimmer, Petty Officer Bradley. »Die Dreier-Gruppe da unten«, fährt der gebürtige Texaner mit den kurzen dunkelbraunen Locken fort, dessen Alter ich auf Mitte zwanzig schätze. »Sieht aus, als würden die uns winken.«

Roberts ausgestreckter Zeigefinger taucht in meinem Sichtfeld auf. Ich lasse meine Augen in die Richtung wandern, in die er zeigt und tatsächlich entdecke ich drei erwachsene Männer, die uns mit ausladenden Armbewegungen wegzufuchteln scheinen.

Ich schaue den Co-Piloten fragend an.

»Was wollen die denn?«

Er zuckt mit der Achsel, doch wir müssen uns nicht lange den Kopf zerbrechen.

Wenig später kontaktiert uns die Zentrale erneut per Funk: »Hier Sektor Anchorage. Mission abbrechen. Der Junge wurde gefunden. Es war falscher Alarm. Over.«

Meine Stirn liegt in Falten.

»Was meinen Sie mit falscher Alarm? Over.«

Die Leitung krächzt, als die Zentrale antwortet: »Der Junge hat sich auf einem angrenzenden Grundstück in der Hütte des Nachbarhundes versteckt und mit Kopfhörern auf dem Tablet Hörbücher gehört. Der Hund hat es sich vor der Hütte gemütlich gemacht, deshalb kam auch keiner auf die Idee, da reinzuschauen. Dem Kleinen geht gut und Sie können nach Kodiak zurückkehren. Danke für Ihr schnelles Handeln. Over.«

»Roger, habe verstanden. Sind auf dem Heimweg.«

Aus dem Augenwinkel bemerke ich ein breites Grinsen auf Roberts Gesicht, kann aber nicht behaupten, dass ich seine Belustigung teile. Mein Herz rast, seit die Suchaktion begonnen hat und wenn ich mir überlege, dass ich inzwischen selbst Vater sein könnte, wird mir ganz anders. Ich meine, gibt es etwas Schlimmeres, als das Zimmer seines Kindes zu betreten und festzustellen, dass es verschwunden ist? Kann ich mir nicht vorstellen.

»So ist das hier bei uns, Junge«, zieht Roberts Stimme meine Aufmerksamkeit auf sich. Kurz spüre ich die Hand meines zweiundfünfzigjährigen Co-Piloten auf der Schulter. »Der Einsatz ist nicht vorbei, bis er vorbei ist.« Er seufzt. »Obwohl mir diesmal auch der Arsch auf Grundeis gegangen ist. Zum Glück ist das Kind wieder aufgetaucht.«

Das entlockt mir ein trockenes, humorloses Lachen.

»Für die Aktion hat der kleine Scheißer einen Sack voller Kohlen zu Weihnachten verdient.«

Von hinten mischt sich unser Bordmechaniker ein.

»Ich hab selbst so einen Zuhause, Lieutenant«, scherzt er, »und bis Weihnachten ist es noch ein Weilchen hin. Da werden hundertprozentig noch andere Schandtaten hinzukommen.«

Als Robert seine Zustimmung brummt, wird mir wieder bewusst, dass jeder andere im Team bereits seine eigene Familie gegründet hat. Bei Baywatch ist sogar schon Baby Nummer drei auf dem Weg und ich frage mich, wie mein eigenes Leben jetzt aussehen würde, wenn zwischen Franny und mir damals alles anders gelaufen wäre.

• | • | •

Nach einer erfolgreichen Landung habe ich unseren Übungseinsatz dokumentiert und war beim Teammeeting. Jetzt kann ich Feierabend machen.

Mir stehen zwei freie Tage bevor, die ich auch dringend nötig habe. Seit der Suche nach dem Jungen bin ich irgendwie durch den Wind.

»Schönes Wochenende, Lieutenant«, wünscht mir irgendjemand im Vorbeigehen. Geistesabwesend murmle ich dasselbe zurück, ohne hinzusehen. Dann erst merke ich, dass mir die Stimme bekannt vorkam. Ich blicke gerade noch rechtzeitig auf, um einen rotblonden Pferdeschwanz auf der anderen Seite der gläsernen Eingangstür zu entdecken.

Meine Herzfrequenz nimmt spürbar an Fahrt auf, denn die vergangenen zwei Wochen habe ich Sky immer nur kurz und in Gesellschaft unserer Kollegen zu Gesicht bekommen. Ein Lächeln von geschlossenen Lippen hier, ein automatisierter Salut da. Es hat sich nie die Gelegenheit geboten, allein mit ihr zu reden.

»Warte«, krächze ich, als ob mich Sky durch die dicke Glasbarriere verstehen könnte. Ich will ihr gerade nach draußen folgen, da höre ich meinen Namen, fahre herum und blicke in das glattrasierte Gesicht meines glatzköpfigen Co-Piloten.

»Ich weiß nicht, wie es dir geht«, setzt Robert an. Seit dieser Woche duzen wir uns, es sei denn, wir sind im Einsatz. »Aber ich könnte ein Feierabend-Bier vertragen.«

»Ähm ...« Über meine Schulter hinweg schaue ich ein letztes Mal in Richtung Glastür. Sky ist nicht mehr zu sehen. Bestimmt sitzt sie längst in ihrem Auto und ist im Begriff heimzufahren, was bedeutet, dass ich meine Chance für heute vertan habe. Wobei ein Bierchen unter Männern auch nicht übel klingt. »Bin dabei«, sage ich zu Robert. »Wann und wo?«

»Einige der Jungs und ich treffen uns immer freitags ab sieben bei Tony's. Zumindest die, die an dem Abend nicht arbeiten müssen. Lass uns Nummern tauschen. Dann schicke ich dir die Adresse.«

• | • | •

Das entfernte Bellen eines großen Hundes reißt mich aus dem Schlaf. Benommen schlage ich die Lider auf und finde mich in einem fremden Schlafzimmer wieder. Bis mir wieder einfällt, wer ich bin und dass ich inzwischen seit zwei Wochen in Kodiak lebe.

Noch bin ich nicht mit der Einrichtung meines möblierten Bungalows warm geworden, dessen Farbkonzept sich beinahe ausschließlich aus Weiß und Vanille zusammensetzt. Auch meine Möbel bestehen größtenteils aus hellem Naturholz und sind nicht gerade ein Blickfang.

Vielleicht komme ich mir deshalb jeden Morgen wie Drew Barrymoore im Film 50 Erste Dates vor. Nur dass mir niemand ein Video aufgenommen hat, das mich auf den neuesten Stand meiner Lebensumstände bringen soll.

Ich drehe den Kopf in Richtung Fenster, wo mich ein wolkenverhangener Himmel begrüßt, der in mir den Eindruck weckt, siebzehn Uhr nachmittags aufgewacht zu sein. Dabei verrät mir ein kurzer Blick auf mein iPhone, dass es gerade mal kurz nach sieben ist.

Mir wird schwindelig, als ich die Beine aus meinem zwei mal zwei Meter großen Boxspringbett schwinge. Gleichzeitig schwappt eine Welle der Übelkeit über mich hinweg. Am liebsten würde ich mich gleich wieder hinlegen, anstatt mich in eine aufrechte Position zu zwingen.

Ich habe auf jeden Fall einen feuchtfröhlichen Abend hinter mir.

In Tony's Bar gab es Billard, Dart und Live-Musik. Die Stimmung war grandios, ich habe einige der anderen Piloten kennengelernt und das Bier floss in Strömen. Von den zwölf Sorten aus dem Zapfhahn habe ich gefühlt alle einmal probiert.

Genau so fühle ich mich heute auch.

Zum Glück war ich so schlau, eine kleine Wasserflasche und Tylenol auf dem quadratischen Nachttisch neben meinen Kopfteil bereitzustellen. Beinahe übergebe ich mich, als ich die kleine runde Pille mit ein wenig Flüssigkeit hinunterschlucke, aber das Gefühl verfliegt wieder. Überhaupt geht es mir nach einigen Minuten im Sitzen schon deutlich besser.

Mit den Augen bleibe ich am Schaukelstuhl in der Ecke des Schlafzimmers hängen, auf dem ich fein säuberlich meine schwarze Sporthose und ein dunkelblaues Langarmshirt zusammengefaltet habe. Eigentlich bräuchte ich nur noch hineinzuschlüpfen.

Laufen ist gerade so ziemlich das Letzte, wonach mir der Sinn steht, aber wenn ich es nicht tue, ist mein gesamter Trainings-Rhythmus und für den Rest des Tages auch mein Kreislauf im Eimer.

Lustlos schlurfe ich in Richtung Bad, um mir die Zähne zu putzen und zu duschen, auch wenn ich mich nach dem Joggen ohnehin nochmal abbrausen muss. Das heiße Wasser fühlt sich dermaßen gut an, dass selbst die Kopfschmerzen in den Hintergrund geraten. Meine Mundwinkel wandern nach oben, als ich die vergangene Nacht Revue passieren lasse.

Robert und ich haben irgendein Navy-Großmaul beim Dart abgezogen und ich kann mich noch an die super heiße Blondine an der Bar erinnern.

»Hallo Fremder«, kommt mir ihre honigsüße Stimme wieder in den Sinn. »Ich hab' dich hier noch nie gesehen. Jemand wie du wäre mir aufgefallen.« Als ich mich auf meinem Barhocker zu ihr herumdrehte, streckte sie mir die Hand entgegen. »Ich bin Maggie.«

In einem schwarzen Tanktop, Jeans-Mini, mit dünner schwarzer Strumpfhose und schwarzen knöchelhohen Stiefeln stand sie vor mir – die totale Granate.

Süßes Lächeln, ein freches Funkeln in den Augen – normalerweise hätte ich mich da sofort auf einen Flirt eingelassen. Stattdessen ließ ich mein Bierglas gegen ihres klinken.

»Freut mich, ich bin Rocky. Ich wünsche dir einen schönen Abend«, sagte ich und kletterte von meinem Barhocker herunter. Da drang Maggies Kichern an mein Ohr – hell wie eine Glocke.

»Ungewöhnlicher Name«, rief sie mir über irgendeinen Country-Song entgegen, der gerade über Lautsprecher lief, weil die Band eine Pause machte. Große braune Rehaugen forderten mich heraus. Das goldblonde Haar ergoss sich glatten, seidigen Strähnen über ihre nackten Schultern.

Statt zu antworten, deutete ich mit dem Daumen hinter mich zu Robert und den anderen.

»Hey, ich will wirklich nicht unhöflich sein, aber meine Kollegen warten auf mich.«

Maggies gerade weiße Zähne bohrten sich in die volle pinkfarbene Unterlippe mit einer hinreißenden kleinen Kerbe in der Mitte, die mich unter anderen Umständen vermutlich um den Verstand gebracht hätte. Aber nicht heute. Nicht, wenn mir Sky seit meiner Ankunft ständig im Kopf herumgeistert.

»Deine Kumpels kommen bestimmt mal ein paar Minuten ohne dich klar, oder?«

Ich ließ die Schultern sinken, als ich in einem langen Zug ausatmete. Es machte mir keinen Spaß, sie vor den Kopf zu stoßen.

»Mag sein«, setzte ich an, »aber–«

Maggie fiel mir ins Wort: »Vielleicht können wir irgendwo hingehen, wo es etwas ruhiger ist, uns besser kennenlernen.«

»Ich kann nicht«, seufzte ich. Irgendein Typ mit Basecap stieß mit seiner Schulter gegen meine. Entschuldigend hob er die Hände.

»Sorry, Mann. War keine Absicht.«

»Kannst du nicht oder willst du nicht?«, bohrte Maggie unbeirrt weiter. Sie legte den Kopf schräg. »Bist du verheiratet? Ist es das?«

Mein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen.

»Ja, meine Zukünftige weiß es nur noch nicht«, antwortete ich. Damit verschwand ich in der Menge und das hat mich nicht einmal Überwindung gekostet.

Frisch geduscht und in voller Läufer-Montur schlendere ich in die Küche, wo ich zwei Tiefkühl-Frühstückswaffeln in den Toaster schiebe. Meinen Instantkaffee muss ich schwarz trinken, weil ich vergessen habe, Milch zu kaufen. Aber Hauptsache ich bekomme Koffein.

Nach der kleinen Stärkung verlasse ich mein Haus durch die Vordertür. Die Luft ist kühl, wenn man bedenkt, dass wir eigentlich noch Sommer haben. Ich schiebe mir meine kabellosen Bluetooth-Kopfhörer in die Ohren und laufe nach einer kurzen Aufwärmphase locker die Albatros-Avenue hinunter.

Nach ein paar Minuten fällt mir ein silbergrauer Pkw auf, der langsam neben mir her rollt. Meine Augen weiten sich, als ich ihn als Skys kleinen Ford Fiesta erkenne. Ich komme abrupt zum Stehen. Dabei fummle ich mir die Kopfhörer aus den Ohren.

»Sky ... Das ist ja eine Überraschung.«

Durch das heruntergeleierte Beifahrerfenster strahlt sie mir entgegen, während ihre offenen Haare in der frischen Brise tanzen.

»Morgen Lieutenant.«

Fun Fact: Ein Fall, wie der mit dem kleinen Jungen, hat sich so ähnlich auf einer anderen Insel nahe Kodiak Island zugetragen. Nur hat sich der Junge im Haus eines Verwandten in einer Schrankschublade schlafen gelegt und wurde, wenn ich das richtig verstanden habe, gefunden, bevor die Küstenwache zum Einsatz kam. Manchmal schreibt das Leben selbst die verrücktesten Geschichten, weshalb ich hier einen ähnlichen Fall eingebracht habe. Ich finde, so bekommt man einen guten Überblick über das Spektrum an Einsätzen, zu denen die Coasties so gerufen werden.

Wer hat (außer dem kleinen Übeltäter und mir) noch einen Sack Kohlen zu Weihnachten verdient? 😅 Also ich kann nicht behaupten, dieses Jahr besonders brav gewesen zu sein. ^^

Merry Christmas Euch allen ❤️

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