Kapitel 15
Fiona wird von Sekunde zu Sekunde weißer. Ich sehe, wie sie sich am Tisch festkrallt, ihre Finger in den Tisch bohrt, bis ihre Knochen hervortreten. Sie starrt geradeaus, ohne irgendetwas Bestimmtes ins Visier zu nehmen. Es ist, als wäre sie hier gar nicht mehr anwesend. Die Angst ist ihr anzusehen. Für sie ist das gewiss kein Triumph wie für einige andere, die sich gerade aufführen, als hätten sie den ersten Preis eines Wettbewerbs gewonnen. Man kann ihr anmerken, dass sie alles lieber haben würde, als jetzt von uns getrennt zu werden. Sie dreht ihren Kopf, blickt mich an. Sie starrt mich an, voller Verzweiflung. Ich kann ihr stummes Flehen sehen. Dass ich etwas machen soll, damit sie nicht gehen muss. Ich kann ihr ansehen, dass sie versucht, stark zu sein, sie es aber nicht schafft. Sie wird gehen, wenn ich es ihr befehle, denn sie hört auf mich als ihre Anführerin, doch sie setzt alle Hoffnung darein, dass ich ihr aus dieser Situation helfe. Ich fühle mich so schlecht, denn ich weiß, dass ich es nicht kann. Ich würde uns allen hier nur Feinde machen und wir würden es dann in Zukunft alle wahnsinnig schwer hier haben. „Es tut mir so leid", forme ich stumm mit meinen Lippen. Es ist, wie wenn man ein Messer in mein Herz bohren würde. Fiona senkt ihren Blick zu Boden. Langsam erhebt sie sich. Ich sehe kleine Tränen, die ihre blassen Wangen herunterkullern. Sie steht auf und geht auf Janson zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen. Ohne sich von uns zu verabschieden. Es wird wohl zu schwer für sie sein. Je weiter sie sich von uns entfernt, desto mehr hebt sich ihr Blick. Als sie dann schließlich bei Janson und den anderen angekommen ist, hat sie ihr Haupt hoch erhoben. Sie weiß, dass sie jetzt mutig sein muss, doch sie weiß auch, dass wir alle nachkommen werden. Sie wird nicht für immer alleine sein. Sie ist so ein liebes Mädchen. Ich bin mir sicher, die erste Nacht wird die schlimmste für sie sein. Sie wird schnell Anschluss finden und die anderen werden sich sicherlich gut um sie kümmern. Wir alle hier haben dasselbe durchgemacht, deswegen wissen wir, dass wir auch Acht auf uns geben müssen. „Okay, dann vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. In der nächsten Zeit werden sicherlich noch mehr von eurer Gruppe aufgerufen werden, sodass die ersten Auserwählten nicht die ganze Zeit alleine sein müssen. Macht euch keine Sorgen. Euch wird es allen gut gehen, dafür werden wir immer sorgen." Ich weiß nicht, wieso, doch diesen Satz nehme ich ihm nicht im Geringsten ab. Immer mehr bekomme ich das Gefühl, dass an der Sache hier etwas faul ist. Sie haben uns zwar gerettet, doch es ist so, wie wenn wir ihre Haustiere wären, die sie unter ihre Fittiche genommen haben und über die sie nun alles bestimmen. Ich will gar nicht wissen, was passieren würde, wenn wir uns gegen das alles hier wehren würden. „May, wir müssen doch etwas tun! Ich weiß, sie wollen uns eigentlich helfen und du wist mich jetzt sicherlich für völlig verrückt halten, doch ich fühle mich gar nicht wohl bei der Sache. Fiona sollte nicht von uns getrennt werden. Wir haben doch gar keinen Beweis, dass es ihnen dort, wo sie hingebracht werden, gut gehen wird. Wenn es sicher so wäre, hätten die Leute uns doch auch mal zeigen können, wie es an diesem Ort aussehen wird. Ich fühle mich wie eine Verräterin, wenn ich sie gehen lasse. Sie ist zwar stark, doch dennoch ist sie noch so jung und es wird ihr sicherlich nicht gerade gut tun, wenn sie von der ganzen Gruppe getrennt wird. Ihre Erinnerungen sind schließlich gelöscht. Außer uns gibt es rein gar nichts, an das sie sich erinnert. Wir sind ihre Familie!" Sonya hält meinen Arm fest umklammert und verstärkt ihren Griff mit jedem Wort etwas. Langsam fängt es an, wehzutun, wie sie ihre Fingernägel in meinen Arm bohrt. Ich fühle mich so schlecht, dass ich nichts tun kann. Ich werfe Newt einen hilfesuchenden Blick zu, doch er zuckt nur die Achseln. Er weiß wohl auch nicht, was wir machen können. Sein Blick versucht zwar, mir Trost zu spenden, doch leider hilft das in dieser Situation nicht wirklich. Ich vermisste ihn einfach hier. Wer weiß, wenn er hier bei mir wäre und sich nicht ständig von mir entfernen würde, dann würde ich vielleicht auch nicht so verzweifelt ohne Ideen sein. Vielleicht würde mir ja etwas einfallen, wie wir Fiona von dort wegbekommen könnten. Doch mein Kopf ist wie leergesaugt. Ich weiß einfach rein gar nichts, noch nicht mal einen Plan, der eigentlich zum Scheitern verurteilt wäre. „Dann schaut euch eure Freunde noch ein letztes Mal an und verabschiedet euch, bevor ich euch jetzt gleich auch schon auf en Weg in euer neues Leben macht. Ihr seid dann die Experten, wenn eure Freunde bald zu euch stoßen und könnt ihnen dann zeigen, wie der Hase läuft. Na kommt, sagt Tschüss!" Janson verhält sich so, wie wenn er mit Kleinkindern reden würde. Und deswegen hält sie auch keiner von den Leuten an ihn. Sie sehen uns alle nur an und versuchen sich zu verabschieden. Ich sehe Tränen, gegen die Fiona versucht, anzukämpfen. Und schon in der nächsten Sekunde sind sie verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Einfach weg. Ich frage mich, ob das irgendeine Art einer modernen Technologie ist, die Menschen von einer Sekunde auf die andere einfach verschwinden lässt. Normal kann das definitiv nicht sein. Un dich kann jetzt auch nichts mehr machen, damit Fiona nicht geht. denn sie ist weg. Wir alle werden jetzt nicht mehr beeinflussen können, was mit ihr geschieht und das ist ein solch schreckliches Gefühl, das ich niemandem wünsche. Nicht einmal Newts schokoladenbraune Augen können mir noch Trost spenden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top