Manchmal werden Wünsche wahr...

Heute war der letzte Tag bevor die neuen Schüler an die Schule für Gut und Böse kamen. Ich, Clarissa Täubchen, saß auf meinem gemütlichen Schreibtischsessel und freute mich bereits auf morgen, wenn die Kleinen auf der Lichtung ankommen und mit strahlenden Augen das majestätische Schloss von Gut bewundern. Hoffentlich gehen diese nächsten vier Jahre gesittet zu Ende, denn ich hatte schon ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Besonders für die zwei Entführten aus Gavalon hoffte ich, dass alles bestens wird, da sie von ihren Familien entzweit werden und meistens die letzten in der Rangliste sind.

Seufzend widmete ich mich wieder den letzten Papierkram vor mir. Einer der Arbeiten, die mich am Schulleiterin sein am meisten störten, doch jemand muss es machen. Zum Glück habe ich meine beste Freundin Lady Lesso, Schulleiterin von Böse, mit der ich immer von der Schule abschalten kann. Sie kam fast jeden Nachmittag zu mir ins Büro und wir unterhielten uns über dieses und jenes. Manchmal, wenn sie gut drauf war, spielten wir sogar eine Runde Schach, mein Lieblingsspiel, bei dem ich fast immer gewann. Nun musste ich mich wirklich beeilen, denn es war schon spät und ich wollte morgen keine Augenringe haben und wollte ausgeschlafen sein. Gerade setzte ich die letzte Unterschrift unter ein Dokument, als es an der Tür klopfte. Verwundert wer mich um diese Zeit noch besuchen sollte, öffnete ich die Tür.

„Lady Lesso? Schön dich zu sehen! Komm doch rein!", begrüßte ich meine beste Freundin, die auch sogleich mürrisch in mein Büro gestapft kam. Der angenehme Geruch von Rosen strich um meine Nase und ich schnupperte, woher er kam. „Hast du ein neues Parfum?", fragte ich sie, die nur irgendetwas murrte und sich dann auf den Besucherplatz vor meinen Schreibtisch plumpsen ließ. Oje, da war jemand sehr schlecht drauf! Unwillkürlich musste ich Lächeln. Auch wenn sie es überhaupt nicht gerne hörte, sah sie echt niedlich aus, wie sie so zusammengesunken auf meinem Stuhl saß und sich müde die violetten Augen rieb. Belustigt setzte ich mich wieder auf meinen Sessel und sah sie warm an. „Was ist los?", fragte ich und sortierte das Chaos auf meinem Schreibtisch. „Morgen kommen wieder neue Banausen ins Schloss. Mein Schreibtisch ist mit Arbeit überhäuft, ich hasse alles und jeden und das Schuljahr hat noch nicht einmal angefangen und ich freue mich schon auf die Ferien!", meinte Lesso und spielte sich lässig mit meinem Kürbisbriefbeschwerer. „Ach Lesso-Liebes, glaube mir, alles wird wieder gut. Und wenn du so viel zu tun hast warum sitzt du dann hier?", fragte ich vorwurfsvoll. Sie stöhnte genervt. „Weil ich keinen Bock habe! Und hör auf mich ‚Lesso-Schätzchen' zu nennen!"

Ich kicherte leise. Ich mochte es, wenn ich sie ein bisschen aufziehen konnte. Da sah ich ihren Todesblick und stellte ihr frisch gekochten Kaffee hin. Wie ein hungriger Hund stürzte sie sich darauf und trank ihn mit einem Zug leer. Wie kann man heißen Kaffee so in sich hinunterkippen? Tadelnd sah ich sie an. „Was?! Sieh mich nicht so an! Du bist nicht meine Mutter!", meinte sie beleidigt. „Nein, ich bin deine beste Freundin", erwiderte ich und goss ihr noch etwas Kaffee ein. Lesso murrte etwas Unverständliches und trank wieder etwas.

„Wollen wir eine Runde Schach spielen?", fragte ich, eher aus Spaß, da ich nicht glaubte, dass sie wirklich ja sagt. „Warum nicht", entgegnet Lesso wider Erwarten. Überrascht blickte ich sie an, wollte mich aber nicht beschweren und so holte ich das große alte Schachbrett und wir stellten unsere Figuren auf. Lesso nahm wie immer die Schwarzen und ich die Weißen. Kurz darauf eröffnete ich das Spiel, konnte mich aber nicht so wirklich auf den eigentlichen Spielverlauf konzentrieren.

Die ganze Zeit glitt mein Blick vom schwarz-weißkariertem Brett zu ihr, meiner besten Freundin, die ich insgeheim ziemlich toll finde. Ihre pechschwarzen Haare, die immer zu einem akribisch geflochtenen Zopf gebunden waren, hingen locker von ihrer Schulter hinab. Ihr schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen, dass immer zu einer strengen oder ausdruckslosen Mine verzerrt war. Ihr schwarzer Humor, der mich immer wieder zum Lachen brachte und schon manch einen in eine peinliche Situation versetzt hat. Ihre Entspanntheit im täglichen Leben, ihre manchmal zum verfluchende Sturheit und ihr knallharter Sarkasmus, den man einfach nur mögen kann.

Das alles sind Dinge, die ich an Lady Lesso liebte. Schon vor Schulende des letzten Jahres habe ich bemerkt, dass sich meine Gefühle für meine beste Freundin verändert haben. Ich will sie immer bei mir haben und wenn sie nicht da ist, ist mein Tag trostlos und grau. Ich grinse fast die ganze Zeit und gehe damit meinen Kollegen ganz schön auf die Nerven. Außerdem kann ich fast nur noch von ihr reden und mich kaum konzentrieren. Wenn ich sie sehe, schlägt mein Herz wie verrückt und mein Bauch kribbelt. Auch nachts bleibe ich nicht verschont und so habe ich die ganzen Sommerferien kaum geschlafen, da ich immer nur an Lesso denken musste.

Ja ich gebe es zu! Ich denke mich hat es erwischt! Und es musste ausgerechnet Lady Lesso, die Schulleiterin von Böse sein. Seufzend zog ich mit irgendeiner Figur.

„Schachmatt!", triumphierte mein Gegenüber plötzlich und verwundert starrte ich auf das Brett. Tatsächlich! Ihr schwarzer Springer hat meinen weißen König schachmatt gelegt. Ich war so in meinen Tagträumen versunken, dass ich gar nicht auf das Spiel geachtet habe. „Gratuliere!", lobte ich sie und freute mich über ihr begeistertes Gesicht. Offenbar hat sie selbst nicht daran geglaubt, dass sie gewinnt. Ich war froh, dass ich sie aufheitern konnte.

Entschlossen meinen Kopf freizubekommen, stand ich auf, nahm meinen Tee und stellte mich auf den Balkon. Ohne zu meckern, folgte mir Lesso und nahm ebenfalls ihre mittlerweile vierte Tasse Kaffee mit. Gemeinsam standen wir nun in der kühlen Herbstnacht und beobachteten den strahlend schönen Nachthimmel. Zumindest für eine Weile, denn dann glitt mein Blick wieder zu der wundervollen Frau neben mir. Das Mondlicht beleuchtet ihr Gesicht, als sie mit sorgloser Mine den Sternenhimmel betrachtet. Lächelnd schmachtete ich sie an, bis eine Sternschnuppe hinter ihr vorbeiflog. Ich lächelte.

Eine Sternschnuppe soll doch bekanntlich Wünsche erfüllen, oder nicht? Einen Versuch war es wert! Hoffnungsvoll dachte ich meinen Wunsch, bei dem ich nicht einmal im Traum dachte, er könnte wahr werden.

„Morgen fängt es wieder an... Neue Schüler. Neues Glück", hoffte Lesso und nahm einen großen Schluck Kaffee. „Wir schaffen das schon", versicherte ich meiner besten Freundin und nahm ihre warme Hand, die am Balkongeländer abgelegt war. Zweifelnd murrte sie irgendwas und ich nutzte die Gelegenheit mich an ihr anzulehnen.

Ihr warmer Körper spendete wohltuende Wärme und ich genoss die vertraute Nähe nur zu gern. So standen wir einfach nur da und schauten den klaren Nachthimmel an.

In diesem Moment fasste ich einen Entschluss! Ich konnte nicht nur warten, bis Lesso merkte, dass ich für sie mehr empfand! Ich musste etwas tun, damit sich etwas ändert!

Ich holte tief Luft, ehe ich mich zu ihr drehte und anfing: „Äh... Lesso? Ich muss dir unbedingt etwas sagen."

Verwundert schaute sie zu mir. „Was gibt's?"

Tief atmete ich ein. Warum war das so verdammt schwer?! „Äh. Ich- äh also wir... Freunde u-und ich... äh mehr", stotterte ich unverständlich, ehe ich mein hochrotes Gesicht in meine Hände vergrub. Lady Lesso lachte. Sie lachte mich allerdings nicht aus, so wie ich geglaubt habe, sondern ist eher belustigt über meinen erbärmlichen Versuch ihr etwas mitzuteilen.

„Wiederholst du dich bitte? Ich verstehe kein Wort!", lachte sie und trat an mich heran.

Ohne noch groß darüber nachzudenken, erhob ich mich, nahm ihr Gesicht, zog sie zu mir und küsste sie stürmisch. Überrascht stand Lady Lesso zuerst wie erstarrt da, ehe sie sich wieder entspannte und den Kuss sogar erwiderte. Sie zog mich sogar an der Hüfte näher zu ihr!

Überglücklich stand ich nun da und küsste meine Liebe, meine beste Freundin, die Schulleiterin von Böse, Lady Lesso unter abertausenden von Sternen in einer kühlen Herbstnacht. 

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