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Das Festmahl anlässlich der Ankunft von Prinzessin Lenore verlief ohne Zwischenfälle, doch war von einer gewissen Anspannung geprägt. Das Königspaar versuchte abwechselnd immer wieder das aufkommende Schweigen aufzuheben und ihre zukünftige Schwiegertochter in ein Gespräch zu verwickeln, deren Antworten blieben meist jedoch einsilbig oder so kurz wie möglich. 

Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln und bemerkte dabei, wie Nevian immer wieder zu seiner baldigen Braut schielte. Er wirkte nervös, griff öfter zu seinem Weinglas als üblich, während sie ihn nicht beachtete. Nevian versuchte mit allen Mitteln, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und seine Augen strahlten förmlich, als sie ihm beipflichtete, wie gut ihr Koch doch war, als hätte sie ihn persönlich gelobt.

Er mag sie, wirklich, das konnte jeder sehen, der Augen im Kopf hatte. Die leichte Röte in seinem Gesicht wenn Lenore ihn höflich anlächelte war ein eindeutiges Zeichen. Irgendwie tat er mir leid. Im Gegensatz dazu blieb die Miene der Prinzessin zwar immer freundlich, jedoch wirkte ihr Lächeln wie eine aufgesetzte Maske, die einen Augenblick lang verrutschte und Anteilnahmslosigkeit offenbarte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und nach dem letzten Gang hatten wir es endlich hinter uns. Ich zog mich wieder auf mein Zimmer zurück, nicht dass ich eine andere Wahl gehabt hätte, und auch die Prinzessin wollte sich unverzüglich von der anstrengenden Reise erholen und sich auf ihre Gemächer zurückziehen. So kam es, dass wir gemeinsam, umringt von unseren Bediensteten, den Speisesaal verließen und dem Gang, der zu meinem Zimmer führte, Seite an Seite folgten.

Den ganzen Weg sprach sie kein Wort, erst als ich vor meiner Zimmertür stehen blieb und ihr höflichkeitshalber eine gute Nacht wünschte, es war bereits Abend, erwiderte sie meinen Gruß mit einem förmlichen Nicken. Ich wollte warten, um zu sehen, in welchem Zimmer sie einquartiert worden war, doch Maya zupfte unauffällig an meinem Kleid und ich ließ mich von ihr in mein Zimmer ziehen, ehe die Tür hinter uns geschlossen wurde. Der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ mich bereits vermuten, dass sie mir etwas Wichtiges zu berichten hatte.

Ich ließ mich zuerst von ihr aus meinem Kleid helfen und mein Schlafgewand reichen. Während sie mir den Schmuck aus meinen Haaren löste und sie anschließend entknotete, hörte ich ihr aufmerksam zu. "Dem Mann im Kerker, deinem Freund, geht es gut. Mir wurde erlaubt, ihm regelmäßig Essen zu bringen, sie wollen ihn somit nicht verhungern lassen." Das war schonmal eine gute Nachricht.

"Jedoch gibt es auch schlechte Neuigkeiten. Ich habe die Wachen darüber reden hören, dass er nach der Hochzeit irgendwo hingebracht werden soll, zumindest meinten sie, dass sie ihn nicht mehr lange bewachen müssten. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass er an Aranthor übergeben werden soll", fuhr Maya fort. Hatte das etwas mit der Hochzeit von Nevian und Lenore von Aranthor zu tun, sollte Vi eine Art Hochzeitsgeschenk sein? Das ergab doch keinen Sinn.

Ich hatte zwar sowieso vorgehabt, Vi in der Nacht vor der Hochzeit zu befreien, doch nun wusste ich, dass es meine einzige Möglichkeit sein würde. Wenn er danach weggeschafft wurde, wäre es unmöglich, ihn zu finden und selbst wenn, hier in meinem Schloss hatte ich einen klaren Vorteil, auf unbekanntem Gebiet würde es noch schwieriger werden.

Mein Plan musste lückenlos sein, er musste funktionieren. Ich hatte nur noch zwei Tage Zeit.

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Am nächsten Tag ließ ich Maya Eko holen und zu dritt besprachen wir uns im Flüsterton damit niemand durch die Tür unser Gespräch belauschen konnte. Maya und ich saßen mit etwas Abstand auf meiner Bettkannte, Eko uns gegenüber auf einem Stuhl.

Maya brachte Eko auf den neuesten Stand und erzählte ihm von dem Gerücht, dass Vi nach der Hochzeit weggebracht werden sollte. Sie würde versuchen, mehr darüber von den Wachen zu erfahren, sich aber darauf konzentrieren, in Erfahrung zu bringen, wer in der Nacht vor der Hochzeit im Kerker positioniert war. Als ich fragte, wie sie das anstellen wollen würde, sagte sie nur etwas von wie durstig manche Wachen waren.

Sie würde auch vor meinem Vorhaben als Anerkennung für deren Mühe den Wachen Weinflaschen schenken. Mehr würde Maya nicht für mich tun können, aber ich war ihr dafür schon dankbar, denn es war mehr als ich mir erhofft hatte.

Eko hatte mir ein langes stabiles Seil besorgt, mit dem ich mich aus meinem Fenster abseilen konnte und das ich in meinem Kleiderschrank versteckt hatte. Er würde auch für die nötige Ablenkung sorgen, die hoffentlich die Aufmerksamkeit der meisten Wachen auf sich ziehen würde. Was er genau vorhatte, wollte er mir nicht verraten, aber ich vermutete, dass er ein paar Pferde freilassen würde.

Außerdem würde er zwei Pferde am Ende des Geheimganges anbinden. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich Vi nur bis außerhalb des Schlosses begleiten würde oder ein Stück mit ihm reiten, um sicher zu gehen, dass er es unbeschadet außer Reichweite schaffte.

"Bist du dir auch wirklich sicher, dass du das machen möchtest?", vergewisserte ich mich zum letzten Mal. Seine blauen Augen wirkten entschlossen, Eko würde keinen Rückzieher machen.

Wenn ich es schaffte, unbemerkt mein Zimmer zu verlassen, einen Schlüssel zu Vi's Zelle zu bekommen, ihn zu befreien und aus dem Schloss zu schleichen, sollte kein Verdacht auf Maya und Eko fallen, ebenso wenig wie auf mich selbst. Als ich mich fragte, wie ich an die Schlüssel herankommen sollte, die einzige Lücke in meinem Plan, fiel mir wieder der Schlüssel ein, den ich Vi geschenkt hatte und der Grund für all das hier war.

Den Gedanken daran hatte ich bisher verdrängt, aber was war mit dem Schlüssel passiert, wie hat man ihn bei Vi gefunden und woher wusste man, dass er königliches Eigentum war? Und warum glaubte man, es wäre jemand ins Schloss eingebrochen, um einen einfachen Schlüssel zu stehlen? Die einzige logische Erklärung war, dass dieser Schlüssel irgendetwas besonderes war, doch inwiefern? Ich fand keine Antwort auf diese Fragen, egal wie sehr ich mir den Kopf zerbrach.

Ich bat Maya, sich etwas umzuhören, vielleicht konnte sie etwas herausfinden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Schlüssel wichtig für unser Vorhaben war.

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Es war der Tag vor der Hochzeit, die geplante Befreiungsaktion rückte immer näher. Gedanklich ging ich jeden Schritt immer wieder und wieder durch, ebenso was alles schiefgehen könnte. Es war ein Risiko, aber eines, das ich eingehen wollte. Ich konnte die ganze Aktion immer noch beenden, doch ich war davon überzeugt, das Richtige zu tun.

Meine Entschlossenheit minderte jedoch nicht meine Nervosität. Ich brachte kaum etwas in meinen Magen und trat die meiste Zeit Kreise in den großen Teppich. Wenn ich versuchte, zur Ablenkung ein Buch zu lesen, musste ich zehnmal den Satz von vorne anfangen.

Was nach dieser Nacht passieren würde, war vollkommen ungewiss. Für den Fall, dass ich mit Vi mitritt und ich vermisst wurde, schrieb ich Briefe an meine Eltern, Nevian und Aria, damit sie sich keine Sorgen machen und nach mir suchen würden. Wenn ich wieder zurück sein sollte, bevor jemand meine Abwesenheit bemerkte, würde ich sie einfach verbrennen. Es tat gut, meine Gedanken in Worte zu fassen.

Maya hatte herausfinden können, was mit dem Schlüssel passiert war. Wenige Stunden zuvor war er Prinzessin Lenore geschenkt worden, eine Art Hochzeitsgeschenk. Nevian hatte ihn ihr überreicht, anscheinend war das eine Art Tradition. Davon hatte ich zwar noch nichts gehört, mit Hochzeitstraditionen kannte ich mich aber auch überhaupt nicht aus, schließlich hatte ich auch noch nie eine königliche Hochzeit erlebt.

"Als ich vorhin auf dem Weg zu euch war, habe ich zwei Dienstmädchen mit mehreren Bettlaken getroffen. Als ich sie fragte, wo sie damit hin wollten, meinten sie, zu Prinzessin Lenore. Angeblich wäre ihr kalt und ihr Bett wäre zu hart", erzählte Maya mit einem Schmunzeln. Ich ließ mich auf mein weiches Bett fallen und fragte mich, wie verwöhnt diese Prinzessin wohl sein musste.


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Wortanzahl:
Kapitel: 1282 Wörter
Insgesamt: 9373 Wörter

Die Spannung steigt (hoffentlich), der "Höhepunkt" der Geschichte steht kurz bevor! ;D

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