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"Nicht alle auf einmal, es ist genug für alle da."

Umzingelt von einigen Kindern in zerlumpten Kleidern, die mir das Brot förmlich aus den Händen rissen, erfüllte mich ein warmes Gefühl. Hier tat ich etwas Gutes.

Der Junge vom letzten Mal war auch dabei und strahlte mich förmlich an, heller als die Sonne. Er hatte auch die anderen Kinder herbeigerufen, als er mich erkannt hatte. "Da ist die, die mir die Äpfel geschenkt hat, kommt her!", hatte er über die Schulter gerufen und sogleich waren Dutzende Kinder hinter der nächsten Ecke aufgetaucht.

Als immer mehr Kinder auftauchten, musste ich meine Aussage überdenken. Es war nicht genug für alle. Ich hatte ja schließlich nicht so viel einpacken können, das wäre aufgefallen und ich hatte auch nicht mit so einem Ansturm gerechnet. Lebten die Kinder hier in der Nähe?

Da ich Vi bisher nicht gesehen hatte, bekamen die Kinder auch seine Portion. Weißbrot, Bratkartoffeln, Kekse vom Nachtisch, alles, was ich heimlich in eine Serviette einwickeln, in die Taschen meines Kleides gesteckt und heimlich in meinem Zimmer versteckt hatte, teilte ich nun aus und doch würde es nicht alle satt machen. Viel zu schnell war der Beutel, in dem ich das Essen aus dem Schloss transportiert hatte, leer.

Selbst für diese "Kleinigkeiten" waren sie unendlich dankbar, das konnte ich ihren glänzenden Augen ansehen. Es tat mir im Herzen weh, als ich ihnen meine leeren Hände zeigen musste. Doch als einige mir ein "Danke" zuriefen, mich ein paar umarmten und dabei ihre kleinen Hände an meiner Hose abwischten, wurde mir abermals ganz warm ums Herz.

Kurz darauf war ich wieder allein, die dunkle Gasse verlassen und nur das immer leiser werdende Kinderlachen zeugte noch von meiner Gesellschaft.

Die Wolken zogen vorrüber und machten Platz für die warme Sonne, als ich wieder den Marktplatz betrat. Ziellos schlenderte ich herum, bis ich bei einem Stand, der augenscheinlich allen möglichen Krimskrams anbot, stehen blieb. Von kunstvoll verzierten Gläsern, zu Taschenuhren, Handspiegeln, Kopftüchern und kleinen Figuren aus Metall schien es alles zu geben.

"Suchst du etwas?", kam es von neben mir. Erschrocken hob ich den Kopf. Eine ältere Frau mit Kopftuch sah mich fragend an. Ihr musste dieser Stand gehören. Ich war so damit beschäftigt gewesen, die Gegenstände zu begutachten, dass ich sie gar nicht bemerkt hatte.

"Nichts bestimmtes. Ich suche nur nach einem Geschenk für einen Freund", gab ich zu. Würde Vi etwas hiervon gefallen? Vielleicht konnte sie mir ja weiterhelfen.

Nachdenkliche Fältchen erschienen auf ihrer Stirn. "Für einen Freund, also. Weißt du denn, worüber er sich freuen würde?" Genau das war ja das Problem, ich wusste es nicht. Vielleicht sollte ich ihm doch einfach etwas für seine Schnitzarbeit oder einen Alltagsgegenstand kaufen. Würde er sich denn überhaupt über ein Schmuckstück freuen?

"Wie wäre es denn mit etwas, das eure Freundschaft symbolisiert? Wie etwas, das nur gemeinsam ein Ganzes ergibt. Oder etwas, das man ohne den anderen nicht öffnen kann?"

Die Worte der alten Frau hallten auch noch viel später in meinem Kopf nach. Letztendlich hatte ich nichts passendes auf ihrem Stand entdeckt, nur ihren Rat hatte ich mitgenommen. 

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"Suchen Sie etwas Bestimmtes, my Lady?" Ich hatte gar nicht bemerkt, wie meine Zofe Maya mein Zimmer betreten hatte. Nun stand sie direkt hinter mir. Schnell stand ich auf und versuchte mit den Händen mein Kleid zu glätten.

Ich hatte die Schubladen in meinem Zimmer durchstöbert, um irgendetwas für Vi zu finden, jedoch nur Schmuck gefunden von dem ich nicht einmal mehr wusste, dass ich ihn besaß.

"Nein, also doch, aber ich hab es schon gefunden", beeilte ich mich zu sagen und schnappte mir eine verzierte Haarspange.

Maya schien davon nicht ganz überzeugt zu sein. "Ich möchte eine neue Frisur ausprobieren, für die Hochzeit." Sogleich waren wir in einem Gespräch über Hochsteckfrisuren versunken und ich hoffte, dass ich sie damit von der Tatsache ablenkte, dass sie mich unprinzessinnenhaft am Boden kniend vorgefunden hatte.

Nach einer Weile verkündete ich, dass ich mich in die Bibliothek zurückziehen wollte, um zu lernen. In Wahrheit wollte ich dort nach einem Geschenk suchen. Nein, ich wollte Vi kein Buch schenken, ich wusste gar nicht, ob er überhaupt lesen konnte.

Im hinteren Teil der Bibliothek befanden sich nicht nur die ältesten Bücher, sondern auch andere Kostbarkeiten. Niemand würde davon etwas vermissen, denn es kam so gut wie nie jemand hierher und die die wirklich wertvollen Gegenstände befanden sich in der Schatzkammer.

Uralte verstaubte Porträts schmückten die hinterste Wand. Ein Name kam mir sogar bekannt vor, König Alaric, er war mein Urgroßvater gewesen, wenn ich mich richtig erinnerte.

Neben den Porträts war ein Regal mit alten Schriftrollen, zusammengebundenen Briefen, kunstvoll verzierten Brieföffnern, leere Tintenfässchen, Schreibfedern aus Fasanenfedern und andere Schreibmateralien die wohl den vorherigen Königen gehört hatten.

Ein unscheinbares nur an den Rändern mit Gold verziertes Briefkästchen erregte meine Aufmerksamkeit. Es schien mich geradezu anzuziehen, vielleicht war es magisch oder es verbarg sich etwas Magisches darin. Natürlich glaubte ich nicht wirklich an Magie, aber man konnte ja hoffen.

Auch wenn ich die Hoffnung auf etwas Außergewöhnliches so klein wie möglich hielt, war ich doch ein wenig enttäuscht, als ich es öffnete. Nur ein einfacher Schlüssel lag darin, sonst nichts. Zumindest war er vergoldet und sah ganz hübsch aus.

Die erste Enttäuschung wurde jedoch sogleich von einer hellen Freude vertrieben, denn die Worte der alten Frau formten sich zu einer Idee. Etwas, das man ohne den anderen nicht öffnen oder schließen kann. Ich würde Vi den Schlüssel schenken!

Es würde mehr ein symbolisches als praktisches Geschenk sein und ich würde das Briefkästchen behalten, aber ich hoffte, dass er sich darüber freuen würde. Doch zuvor brauchte ich eine Erlaubnis, schließlich gehörte es nicht mir. Ich hatte ja schon gelernt, dass ich mir nicht alles nehmen durfte ohne zu fragen.

Also nahm ich das Kästchen an mich und eilte aus der Bibliothek zum Arbeitszimmer meines Vaters. König Arwan war immer schwer beschäftigt, aber ich klopfte trotzdem bei ihm an, denn für seine Kinder nahm er sich immer Zeit.

Sein Berater öffnete die Tür und da er mich nicht gleich wegschickte, trat ich ein. Als Kind war ich öfter hier gewesen und hatte auf dem großen roten Sofa gespielt, während mein Vater Papierkram erledigte.

"Vater, was hat es mit diesem Kästchen auf sich?", fragte ich ihn ohne Umschweife, als er von seinen Dokumenten aufschaute und mich begrüßte.

"Ach, wo hast du denn dieses alte Ding gefunden? Das habe ich damals deiner Mutter geschenkt, als wir noch jung waren. Du kannst es haben, wenn du möchtest, es wird ja sonst sowieso nicht mehr verwendet."

"Danke!" Ich verabschiedete mich von ihm mit einem Kuss auf die Wange und eilte wieder zurück in mein Zimmer. Morgen würde ich Vi besuchen und ihm den Schlüssel übergeben.

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Wortanzahl:
Kapitel: 1112 Wörter
Insgesamt: 4372 Wörter

Hälfte vom 2. Meilenstein. Wenn ich die 8.000 Wörter noch rechtzeitig schaffen will, muss ich Gas geben. ^^"

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