• Kapitel 6 •

Der dunkle Boden, die dunklen Wände, die dunkle Decke, die rot gepolsterten Stühle; ich bin genau da wo ich hingehöre.

„Ich nehme an ihr habt euch alle ausgiebig vorbereitet und kennt daher das Schauspiel zu dem Song Totale Finsternis", beginnt Ralf zu erzählen. „Bevor es aber ans Eingemachte geht ..." Er macht eine Pause und tritt näher an uns heran. „Unsere Erstbesetzung für den Grafen ist Mark Seibert."

Mir bleibt nichts anderes übrig als diese bittere Pille zu schlucken. Entgegen meiner Hoffnung scheinen sie sich schon entschieden zu haben. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, obwohl ich gerade ein Dutzend verschiedener Gefühle in mir habe.

„Das ist die Jury, die gleich über Sarah entscheiden wird." Er deutet auf die Leute, die es sich auf den roten Sesseln schon bequem gemacht haben. Einige der Gesichter erkenne ich aus der vorherigen Audition wieder. Im Gegensatz zu vorhin, entscheiden nun mindestens fünfzehn Leute über meine Zukunft. „Meinen Kollegen fiel es vorhin schwer eine eindeutige Entscheidung zu treffen, weshalb wir uns nun noch einmal den direkt Vergleich im Zusammenspiel mit Mark anschauen wollen. Hier haben wir einmal Anna Iwanov und Mia Ellen." Der Casting Director legt seine Hand auf Annas Schulter und bittet sie anzufangen. Ich wünsche ihr viel Glück, mache auf der Bühne Platz für Anna und Mark und setzte mich mit einem Abstand zur Jury auf einen der gepolsterten Stühle. Ich möchte auf keinen Fall mitbekommen, was sie sich während der Performance notieren oder zueinander sagen, das würde nur meinen eigenen Auftritt beeinflussen.

Anna bekommt von Ralf die berühmte rote Stola über die Schultern gelegt, was das Ganze um einiges leichter machen sollte. Auch, dass sie die Melodie abspielen sollte alles erleichtern, Anna darf jetzt nur ihren Einsatz nicht verpassen. Obwohl ich diese Rolle unbedingt haben möchte, hoffe ich, dass sie es gut machen wird. Ich würde es ihr auf jeden Fall gönnen.

Meine Augen wandern wie von selbst zu Mark. Ich hasse ihn dafür, dass er diese verdammt einnehmende Präsenz hat. Er ist ein solch guter Schauspieler, dass es mir sogar im wahren Leben manchmal schwergefallen ist den Ausdruck in seinem Gesicht richtig zu deuten. Ganz langsam tritt er aus dem Hintergrund und geht anmutig auf Anna zu, die mittlerweile schon fast beim Refrain angekommen ist. Doch so sehr ich mich auch auf sie konzentrieren möchte, zieht mich Mark in seinen Bann.

Wie um alles in der Welt, soll ich gleich eine gute Show abliefern, wenn ich mit diesem Mann auf der Bühne stehen muss? Und wie soll das erst werden, falls ich die Rolle bekomme?

Kurz vor dem Ende, beginnen die Jurymitglieder zu flüstern. Scheinbar haben sie sich ihre Meinung schon gebildet. Als die Musik verklingt beginne ich zu klatschen, was mir einen belustigten Blick von Mark einbringt und ein paar erschrockene Gesichter der Jury, die nicht mitgekommen hat, dass ich mich ein paar Reihen hinter sie gesetzt habe.

Bum. Bum. Jeden meiner Herzschläge nehme ich deutlich wahr, während ich die wenigen Stufen nach oben zur Bühne nehme.

„Du klatscht für deine Konkurrentin? Man könnte meinen, dass du diese Rolle gar nicht willst", sagt Mark so leise, dass nur ich es hören kann. Sein rechter Mundwinkel zuckt nach oben und ich bekomme so langsam das Gefühl, dass er diese Situation genießt.

„Halt einfach deine Klappe und versau mir das hier nicht", fahre ich ihn an. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so eine Wut für jemanden empfunden habe. Doch was ich weiß ist, dass es beim letzten Mal auch er war, der mich so wütend gemacht hat. Normalerweise gehöre ich zu den Menschen, die an Karma glauben. In diesem Moment frage ich mich allerdings, ob das nicht auch eines dieser Märchen ist. Mir fällt nämlich nichts ein, was ich getan haben könnte, um dies hier zu verdienen.

Die Musik beginnt und wie auch schon bei der Audition blende ich mit einem Mal alles aus. Die Lichter, die Jury, Anna, selbst Mark. Ich singe meine Zeilen mit all dem Schmerz, den ich jemals empfunden habe, dabei hülle ich mich schützend in den roten Umhang ein. Im Gegensatz zu Anna nutze ich die komplette Bühne aus. Etwas, dass ich seit meiner Ausbildung immer beachte. „Nutze den Raum, der dir gegeben wird", hat mein damaliger Dozent immer wieder gesagt. So lange, bis es sich so tief in mein Gehirn gebrannt hat, dass ich seine Worte wohl nie wieder vergessen werde.

Ich wechsle die Seite, so als würde Sarah spazieren gehen und spiele gleichzeitig mit dem roten Stoff um meinen Schultern. „Sei bereit." Marks Stimme ertönt und bildet das perfekte Pendant zu meiner. Während ich gerade eben seine Präsenz beobachten durfte, spüre ich sie nun deutlich auf meiner Haut. Auf jedem Zentimeter. Und das, obwohl er noch nicht einmal direkt hinter mir steht. Uns trennen noch gute zwei Meter, als wir den Refrain erreichen und er die ersten Zeilen alleine singt.

Wie für die Szene typisch tue ich so, als würde ich mich erschrecken und drehe mich zu ihm um. Marks Gesichtsausdruck ist hart und weich zugleich - er spielt diese Rolle leider wirklich perfekt.

Du bist das Wunder, das mit der Wirklichkeit versöhnt", singt er und ich mache einen Schritt auf ihn zu, um die Distanz zwischen uns zu verringern.

Mein Herz ist Dynamit, das einen Funken ersehnt", singe ich, als würde ich jedes einzelne Wort so fühlen. Als unsere Stimmen unmittelbar aufeinander treffen und miteinander verschmelzen hebt Mark seine Hand und hält sie an mein Gesicht, ohne mich dabei zu berühren. „Ich bin zum Leben erwacht. Die Ewigkeit beginnt heut Nacht, die Ewigkeit beginnt heut Nacht", singen wir im Einklang.

Nur wenige Sekunden später drehe ich mich von ihm weg und starre in die Ferne. „Ich hab mich gesehnt danach mein Herz zu verlier'n. Jetzt verlier ich fast den Verstand. Totale Finsternis. Ein Meer von Gefühl und kein Land."

Die nächsten zwei Minuten ziehen nur so an mir vorbei. Ich fühle. Ich leide. Ich lebe. Auch wenn ich gerade mehr als nur eine Emotion in mir habe, dominiert Freude jedoch ganz klar, als die Musik verstummt und dieses Mal nicht nur Anna, sondern auch ein paar Leute aus der Jury klatschen. Das ist es was ich bin. Durch und durch. Und wenn ich für diese Rolle an Marks Seite spielen muss, dann werde ich mein Bestes geben, um ihm hinter der Bühne aus dem Weg zu gehen. Denn das Letzte, was ich gebrauchen kann ist ein Herz, das zum zweiten Mal vom selben Mann gebrochen wird.

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Ich habe euch oben mal das Lied verlinkt, damit ihr es euch anhören könnt, falls ihr es noch nicht kennt. Wobei ich dort die Sarah nicht so gerne mag. Aber Mark dafür umso mehr. 🙈

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