• Kapitel 1 •

„Laura, verdammt. Wo hast du meine Autoschlüssel hingelegt? Ich muss los", rufe ich aus dem Flur in unser offenes Wohnzimmer. Seit einem halben Jahr nun lebt meine beste Freundin schon bei mir. Ein halbes Jahr, das eigentlich nur ein Monat dauern sollte. Laura wollte nur zum Übergang bei mir wohnen, bis sie ihre eigene Wohnung in Hamburg gefunden hat.

Ein Grummeln ertönt aus Richtung des Sofas. „Woher soll ich das denn wissen?" Mit weit ausgestreckten Gliedmaßen liegt sie auf dem grauen Sofa, das schon einmal bessere Tage gesehen hat. Die Mieten in Hamburg sind teuer, besonders wenn man wie ich, unbedingt eine Wohnung direkt an der Elbe haben möchte. Da bleibt kein Geld für eine noble Einrichtung, nicht als Künstlerin. Als ich damals meine Ausbildung am Wiener Konservatorium begonnen habe, war mir sofort bewusst, dass ich als Musicaldarstellerin nicht reich werden würde.

„Süße, ich weiß, dir dröhnt der Kopf. Aber du hast mein Auto zuletzt benutzt und die Schlüssel sind nicht an ihrem üblichen Platz. Die Auditions in Oberhausen gehen bald los und wenn ich mich nicht sofort auf den Weg mache, werde ich viel zu spät kommen. Wenn ich dank dir nicht einmal die Chance habe, die Rolle zu bekommen, setze ich dich vor die Tür", drohe ich meiner besten Freundin, auch wenn wir beide ganz genau wissen, dass ich sie niemals einfach so rausschmeißen würde.

Träge erhebt sich Laura. Ihr dunkelblondes Haar gleicht einem Vogelnest, so wirr hängen die Strähnen von ihrer Schulter und verheddern sich ineinander. „Hier." Mit einem Griff in ihre Tasche wirft sie mir meine Schlüssel zu. Ihr Lächeln lässt mich in dem Glauben, dass es ihr vielleicht doch nicht so schlecht geht. „Alle meine Daumen sind für dich gedrückt, Mia. Selbst die Zehdaumen", versichert sie mir lachend und schließt mich in eine enge Umarmung. „Du hast die Rolle schon einmal bekommen, da wird es für dich ein Leichtes sein, sie auch ein zweites Mal zu kriegen."

Ich hoffe wirklich sehr, dass sie mit ihren Worten Recht behält. Mit Sicherheit ist es ein Vorteil, dass ich ein Jahr lang die Rolle der Sarah im Musical Tanz der Vampire gespielt habe. Doch seit meinem Unfall stand ich nicht mehr auf der Bühne. Seit fast einem Jahr bin ich ohne Job und halte mich mit meinen Reserven und Auftritten in Bars und auf Veranstaltungen über Wasser. Mein Bein hat es mir nicht gestattet für eine lange Zeit zu stehen, weshalb ich beim besten Willen nicht spielen konnte. Aber jetzt bin ich wieder fit und überglücklich, dass ich meiner größten Leidenschaft wieder nachkommen kann. Tanz der Vampire ist meine erste Wahl und wird es wahrscheinlich auch immer bleiben. Ich liebe die Lieder, das Bühnenbild, die Kostüme, einfach alles an diesem Stück.

Ich streiche mir das weiße Kleid glatt, das bis kurz über den Knien reicht und schaue ein letztes Mal in den Spiegel, bevor ich losfahre. Meine langen braunen Haare habe ich zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, meine Füße stecken in weißen Chucks. Ich gehe ein Stück näher. Große grüne Augen starren mich durch den Spiegel hindurch an. Wie immer trage ich nur Wimperntusche und einen Hauch von Bronzer, um meinem mit Sommersprossen überfüllten Gesicht ein wenig mehr Farbe zu geben.

Während ich zu der lauten Musik in meinem Auto singe, merke ich, dass ein beißendes Gefühl in mir aufsteigt; Zweifel. Er nagt an mir und zieht mich in die Tiefe, nimmt mir meinen Mut und gibt der Angst in mir ihren Raum. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Auch wenn ich jeden Tag gesungen habe, ist es doch etwas anderes dieses zu tun, während man eine Rolle spielt. Vielleicht habe ich es verlernt, mein Talent verloren, vielleicht werde ich so nervös sein, dass ich die Texte vergesse, die ich eigentlich selbst im Schlaf auswendig sagen kann. Es gibt nichts, das ich mehr möchte, als erneut die Rolle der Sarah zu spielen. Trotzdem habe ich mir natürlich auch einen Plan B offen gehalten. Ich könnte noch zu der bevorstehenden Audition in Wien, dort werden noch Rollen für Cats und auch in Hamburg suchen sie noch für Hamilton, was definitiv meine zweite Wahl wäre. Doch nichts will ich so sehr wie in Oberhausen erneut für Tanz der Vampire auf der Bühne zu stehen.

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Ich hoffe wirklich sehr, dass euch das erste Kapitel gefällt und neugierig auf Mias Geschichte gemacht hat. Über Feedback in Form von Sternchen und Kommentaren würde ich mich sehr freuen. ♥️
Das oben auf dem Bild soll übrigens Mia darstellen. Genau so, stelle ich sie mir vor.

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