Part 3 // Kapitel 62 - Loud Minorities

Part 3 „The Fight of Angels and Demons"

Kapitel 62 – Loud Minorities

Jace und ich zuckten zusammen und unsere Stirnen knallten gegeneinander. Innerhalb von einer Sekunde hatte Jace seine rechte Hand nach dem Elbenstein ausgestreckt. Die Zelle erstrahlte im weißlichen Schein des Lichts und ließ uns beide in Reaktion blinzeln.

Das Kreischen war verstummt, aber die Anspannung verließ unsere Muskeln nicht. Fast gleichzeitig beugten wir uns in Richtung Fenster und anhand von Jace' zusammengekniffenen Brauen konnte ich erkennen, dass er etwas hörte.

„Was ist da los? Was hörst du?", flüsterte ich so leise wie möglich. Jetzt, wo ich ihn endlich sehen konnte, fiel mir als erstes sein zerzaustes Haar auf. Dann huschten seine Pupillen vom Fenster zu mir und ich war mir nicht sicher, ob sie wegen des Schrecks oder der Leidenschaft geweitet waren.

Einen kurzen Moment musterten wir uns, anscheinend realisierend, was gerade zwischen uns passiert war. Doch Jace sah nicht wütend oder abgeneigt aus. Seine ernsten Züge wurden weicher und er fischte seine Stele vom Boden. Ich hielt ihn nicht zurück, als er meine Jacke zurückzog, um meinen Unterarm freizulegen.

„Hörbarkeitsrune", erklärte er in einem kaum hörbaren Murmeln. Er vollendete sie, lehnte sich zurück und verschob seine Aufmerksamkeit wieder auf das Fenster.

Die Stimmen, die mir eben noch verborgen geblieben waren, hoben sich nun deutlich von der Stille ab. Immer noch leise wie ein fernes Wispern, aber dennoch verständlich, wenn man sich anstrengte. Sie mussten einige Zellen entfernt von uns sein. Wer auch immer sie waren.

„Nein, ihr verdammten Vollidioten!", zischte jemand erschöpft, erschrocken und erzürnt zugleich. „Sehe ich für euch etwa aus wie ein Mädchen?!"

„Ist ja nicht so, als könnten wir nah genug an die Gitterstäbe ran, um sicherzugehen", antwortete jemand distanziert und genervt. Eine dunkle, grobe Stimme. „Die sind auch von außen gesichert. Vergiss es."

Stille folgte. Und Schritte, die durchs Gras stapften. Der folgende Ruf schien näher zu sein. Als wäre die Person, die sprach, zum nächsten Zellenfenster gestapft. „Hey du, aufwachen!", rief dieselbe Stimme, wie vorhin, unfreundlicher als gerade noch. Ein Mann, vermutlich im mittleren Alter.

Jace und ich hielten den Atem an, als wir auf die Antwort warteten. Doch es gab keine. Wer auch immer in der Zelle lag, schlief wahrscheinlich zu fest, oder hatte einfach kein Interesse zu reagieren. Ein Poltern drang durch die Nacht und dann ein weiterer Schrei.

„Was zur Hölle?" Ein Junge. Vielleicht nicht einmal volljährig. Ich vermutete, dass es sich um einen von Blakes Freunden handelte. Hier in der Dunkelheit, abseits seiner stärkenden Gruppe, klang er verängstigt. Und verschlafen.

„Du bist wohl auch kein Mädchen", war alles, was der Mann entgegnete und ging weiter, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Zwei Zellen und viele erschreckte Rufe später, knirschte schließlich der Kies in der Nähe unseres Fensters. Jace und ich wechselten einen Blick. Einen Moment später hatte er mich von seinem Schoß befördert. Er drehte sich auf die Seite, mich mit ihm. Meinen Rücken an die kalte Wand gepresst, riss er die Decke hoch und warf sie über meinen Kopf. Das Elbenlicht erlosch und seine Arme schlossen sich um meinen Körper; schützend und kalkulierend.

Selbst unter der Decke konnte ich hören, wie die Füße des Mannes zum Stehen kamen, konnte seinen schweren Atem vernehmen, als er sich auf Höhe der Gitterstäbe beugte. Jace reagierte noch ehe er seinen Stein in die Zelle werfen konnte.

„Ich bin wach", stellte er mit gespielter Empörung fest. „Mach dir also nicht die Mühe. Bei deiner Lautstärke würde es mich nicht wundern, wenn bereits die halbe Garnison Wind von dir bekommen hat." Jace konnte das gut: Diese perfekte Mischung aus Arroganz, Sarkasmus und Überheblichkeit, die einen mit jedem weiteren Satz der Belehrungen in den Wahnsinn trieb.

„Du musst es ja wissen", brummte der Mann zurück. Ich erwartete, dass er weitergehen würde, so wie bei den anderen Zellen auch. Er entschied sich, zu bleiben. „Gehörst du auch zu Ashdowns Leuten?"

„Ashdown?" Jace lachte amüsiert, ließ den Mann zappeln, anstatt ihm zu geben, was er wollte. „Der Junge, der gestern von Clarissa Morgenstern im Zweikampf geschlagen wurde?"

„Du kennst sie?", fragte der Mann nun interessiert.

Jeder kennt sie, Dummkopf." Jace gähnte gelangweilt. „Ist sie das Mädchen, das du suchst?"

„Woher–"

„Bist du überhaupt ein Nephilim? Deine Inkompetenz, dich geräuschlos fortzubewegen, lässt mich daran zweifeln. Man erzählt sich, dass der Posten des Konsuls gerade freigeworden ist. Wäre ich Konsul, würde ich Nichtskönner wie dich sofort aus dem Rat schmeißen." Jace lachte wieder.

„Pass auf was du sagst, Junge", knurrte der Mann, jetzt näher an den Gitterstäben wie zuvor.

„Sonst was? Kommst du rein? Das würde ich gerne sehen", entgegnete Jace ironisch und man konnte das Grinsen auf seinem Gesicht förmlich hören.

Der Mann seufzte frustriert. „Das Morgensternmädchen ist hier, in diesem Gefängnis. Weißt du wo?"

„Bin ich nun also ein Hellseher? Kann ich durch Wände sehen? Verdammt, woher soll ich denn wissen, in welcher Zelle sie ist? All meine Informationen nehme ich von den Wärtern, wenn sie vor meiner Tür quatschen. Und das tun sie in den letzten Tagen ziemlich oft. Muss wohl viel passieren unten in Alicante. Lust, mir davon zu erzählen?"

„Nutzlos", murmelte der Mann unter einem Atemzug, bevor er die Stimme hob. „Selbst wenn ich Zeit hätte, bei allem was ich weiß, könntest du ein dreckiger Unterweltler sein. Ich hab wichtigeres zu tun."

„Du störst meinen Schlaf, beleidigst mich, da darf ich ja wohl wenigstens den Grund für all den Trubel erfahren", säuselte Jace mit dramatischem Unterton; genug Entrüstung darin, um Erregung anzudeuten. Und wer wollte denn schon den Zorn eines potenziellen Schattenwesens auf sich ziehen? „Wirst du ab jetzt jede Nacht meine Ruhe stören, um dieses Mädchen mit deiner Anwesenheit zu belästigen?"

„Keine Sorge", antwortete der Mann und hörte sich zum ersten Mal selbst amüsiert an. „Eine Nacht meiner Anwesenheit wird reichen, um euch von ihrer Anwesenheit zu befreien."

oOo

Der Mann, wer auch immer er war, behielt unrecht. Als der Morgen endlich anbrach lebte ich noch. Zwar nicht wirklich überraschend, aber ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wozu Blake und seine Freunde imstande waren, wenn sie sich ein Ziel gesetzt hatten. Ich würde nie wieder den Fehler machen, einen von ihnen zu unterschätzen.

Jace hatte den Rest der Nacht kein Auge mehr zugemacht. Wahrscheinlich war ihm die ganze Sache rund um die Ashdowns auch nicht mehr geheuer. Doch ich war zu müde gewesen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Eine halbe Nacht des Schlafs reichte nicht, um mich vom vergangenen Tag zu erholen, weshalb wieder ich eingeschlafen war, kurz nachdem der Mann gegangen war. Mit seinen starken Armen um meinen Körper war mir das überraschend leichtgefallen.

Nun, wo die Morgensonne durch unser Fenster hereinstrahlte und die Temperaturen endlich wieder gestiegen waren, hockte ich im Schneidersitz auf dem Bett und schaute Jace dabei zu, wie er im Raum auf und ab ging. Besser als seine Trainingsroutine, die er davor durchgegangen war, bis ihm der Schweiß über die Stirn gerannt war. Er konnte nicht stillsitzen, konnte nicht warten, wollte seiner Großmutter unbedingt von der nächtlichen Begegnung mit diesem Mann erzählen. Er stresste sich völlig umsonst, denn es gab immer noch keine Antwort von den Wachen auf der anderen Seite der Tür. Als hätten sie meine Existenz völlig vergessen. Und Jace' gleich mit.

Dem Lichtverlauf zu urteilen war es fast schon Mittag, als Jace' hämmernde Klopfversuche gegen die eiserne Tür endlich Reaktion zeigten. Seine Knöchel hatten bereits eine rötliche Farbe angenommen, als von der anderen Seite ein tiefes Raunen zu uns durchdrang. Jace machte einen fast taumelnden Schritt zurück. Die Überraschung auf seinem Gesicht verwandelte sich in Ärger als er mir einen Seitenblick zuwarf.

„Wenn die kein Frühstück dabeihaben, drehe ich durch", murmelte er und meine Lippen zuckten.

Die Tür schwang nach innen auf und unsere Augen wurden groß als wir uns einer ganzen Eskorte aus Schattenjägern gegenübersahen. Die persönliche Garde der Inquisitorin inklusive weitere Mitglieder, unter ihnen auch Malik, der unter Maryses Kommando stand. Jeder von ihnen trug eine gepanzerte Kampfmontur und war bis auf die Zähne bewaffnet.

„Kein Frühstück", stellte Jace resigniert fest.

Die ernsten Gesichter der Nephilim wandelten sich zu verblüfften Masken, als sie sich nicht nur mit mir, sondern auch mit Jace konfrontiert sahen. Die ganze Szene, die Art wie Jace die Garde seiner Großmutter anstarrte und wie sie zurückstarrten, war so deplatziert, dass es schon wieder komisch war. Ich kam langsam auf die Beine, schritt zu Jace herüber und presste meinen Mund zusammen, um beim Anblick ihrer Gesichter nicht zu lachen.

„Jace Herondale", stellte die Anführerin der Garde fest und musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Was machen Sie hier?"

„Das sollten Sie lieber mal Ihre Wachen fragen, die mich gestern Abend hier drin vergessen haben", entgegnete Jace und zuckte lächelnd die Achseln. „Ganz schön kalt hier drin", fügte er dann hinzu. „Und ist das so üblich, dass es keine geregelten Mahlzeiten für die Gefangenen gibt? Wirklich sehr interessant, wie man dieses Gefängnis führt."

Die Augen der Frau verdunkelten sich, ihre Züge wieder besser unter Kontrolle. Bei der Kälte in ihren Augen war es kein Wunder, dass sie im Dienst der Inquisitorin stand; sie kamen sicher wunderbar zurecht. „Wir haben den Auftrag erhalten, Clarissa Morgenstern zur Ratsversammlung zu begleiten, die in Kürze ansteht", erwiderte sie stattdessen, ohne auf Jace einzugehen. Um genau zu sein, beachtete sie ihn nicht einmal mehr, sondern schaute direkt zu mir. „Man ist zu einer Entscheidung gekommen."

Ich nickte automatisch und trat vor. „Dann möchte ich sie nicht warten lassen."

Der Gang war voller Schattenjäger. Anscheinend wurde nicht nur ich von der Inquisitorin vorgeladen, sondern auch Blakes Anhänger. Einer nach dem anderen wurden sie aus ihren Zellen geholt und reihten sich auf der gegenüberliegenden Wand hintereinander ein. Für einen Moment begegneten sich unsere Blicke über den Gang hinweg. Ihr lodernder Zorn traf auf meine Gleichgültigkeit. Sechs zu eins. Ich fürchtete mich nicht vor ihnen. Blake war der, der mich zum Zweifeln gebracht hatte. Aber sie ... sie waren nichts weiter als Handlanger. Ich wollte auch sie leiden sehen, aber das war auf meiner Prioritätenliste nicht so weit oben wie andere Dinge.

Hinter mir spürte ich, wie Jace aus der Zelle trat; sein Körper plötzlich von der angespannten Stimmung aufgeladen wie eine Wolke kurz vor einem Unwetter. Er blieb auf meiner Höhe stehen und ein Seitenblick in seine Richtung offenbarte, dass er – anders als ich – seinen Zorn keineswegs im Griff hatte; dass meine Geschichte von letzter Nacht ihm noch deutlich im Kopf schwebte.

Trotz allem zuckte ich vor Überraschung, als Jace sich einen Wimpernschlag später nach vorn stürzte und dem erstbesten der Jungen mit geballter Faust ins Gesicht schlug. So heftig, dass dessen Kopf gegen die steinerne Wand prallte und er taumelnd zu Boden ging.

Die Garde raste nach vorn im gleichen Moment wie die übrigen von Blakes Trupp zum Leben erwachten. Ein Schmunzeln hob meine Mundwinkel, weil keiner von ihnen auch nur im Entferntesten an Jace herankam. Er hatte bereits den zweiten zu Boden geschlagen, als zwei der Wachen ihn an den Schultern packten und nur mit Mühe zurückzerren konnten.

Jace wurde gewaltsam zu mir umgedreht und unsere Augen trafen sich über den Flur hinweg. Die Rage in seinen milderte sich als er die Belustigung auf meinen Zügen erkannte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und neigte leicht den Kopf. „Ich frage mich, was Imogen dazu zu sagen hätte."

„Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, wäre sie wahrscheinlich ziemlich angepisst", erwiderte er halb grinsend und riss sich von den Wachen los. Abgelenkt drehte er den Kopf herum, um die Jungs zu mustern, welche nun in seinem Rücken lagen.

Die nun aufgeheizte Atmosphäre brodelte gefährlich. Den Wachen schien klar zu sein, dass sie uns schnellstens hier rausschaffen sollten, um ein zweites Handgemenge zu vermeiden. Sie stellten sich zwischen unsere Gruppen, definierten die Fronten und bedeuteten mir und Jace mit einem Nicken, uns in Bewegung zu setzen. Blakes Freunden den Rücken zuzukehren, ohne Waffe wohlgemerkt, ging gegen jeden meiner Instinkte. Ich spürte, wie meine Nackenhaare sich gespannt aufrichteten. In Erwartung von etwas. Doch zu viele Nephilim trennten sie von uns. Die Inquisitorin hatte vorausgedacht, wie es schien.

Die mordlustigen Blicke, welche uns Messer in den Rücken starrten, verdunkelte Jace' Gesicht in einer neuen Welle der aufkeimenden Aggression. Sein Arm streifte gegen meine Schulter, während wir die Treppen hinaufstiegen, hinaus ins Freie. „Ich will sie alle in Fetzen reißen", presste er bebend hervor, Groll omnipräsent.

Meine Finger fanden seine und schlangen sich fest um ihn. Jace erwiderte den Händedruck mit solcher Intensität, dass er mir das Blut aus der Hand abschnürte. Ich wies ihn nicht darauf hin. „Sie werden bekommen, was sie verdienen."

„Nein, das werden sie nicht. Sie verdienen den Tod. Jeder einzelne von ihnen." Wieder wandte er sich nach hinten und spähte an den Wachen vorbei. Seine Lippen verzogen sich zu einer verächtlichen Maske, als würde er jeden Moment anfangen zu brüllen. „Jedes Mal, wenn ich sie ansehe, habe ich dein Bild vor Augen und ich will sie alle umbringen. Du hast dich nicht gesehen, Clary. Du hättest dich gestern sehen müssen. Selbst ohne das ganze Blut–" Er stockte und stolperte beinahe als seine Stimme zu schwanken begann. „Dieser Ausdruck auf deinem Gesicht ... Er war genug."

Meine Hand zuckte in seiner und Jace, der meine Aversion gegenüber Schwäche zur genüge kannte, ließ nicht zu, dass ich mich von ihm löste. „Danke für die Erinnerung", murmelte ich düster.

„Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst. Das hast du gestern ebenfalls bewiesen. Aber das heißt nicht, dass ich stumm zuschaue, während man dir wehtut. Ich werde dich immer verteidigen. Gerade weil du dich meistens mehr zurückhälst als du solltest."

Diese Aussage entlockte mir ein Schnauben. „Ich habe mich so gut unter Kontrolle, dass es meistens nur einen provokanten Satz braucht, um mich in Rage zu versetzen."

„Dein Geduldsfaden hätte schon viel früher enden können", war alles, was Jace erwiderte.

Der Weg zum Tor der Garnison war nicht weit. Es war immerhin dasselbe Gebäude, nur dass das Gefängnis nicht direkt mit dem Rest verbunden war. Und doch kamen wir kaum vorwärts. Denn man erwartete mich bereits.

Die Mienen meiner Eskorte verhärteten sich als wir uns den Menschen näherten, die sich uns in den Weg gestellt hatten. Zwanzig, vielleicht dreißig Nephilim, alle in weiß gekleidet. Ihre Gesichter waren in Stein gemeißelt, eine Maske der Wut und ihre Rufe laut, scharf und fordernd. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, wem ihre Trauer galt. Zuerst verstand ich gar nicht, dass ihr Zorn mir galt, dass sie mich eine Mörderin nannten, dass sie Blakes Namen riefen und die seiner sieben gefallenen Freunde. Diese Schattenjäger waren hier, weil ich ihre Kinder, Freunde und Familienmitglieder getötet hatte. Und sie hassten mich alle mit tiefster Inbrunst.

„Das sind Anhänger der Kohorte", erklärte Jace an meiner Seite. „Sie sind eine politische Gruppe im Rat, die die Rechte der Schattenweltler einschränken will." Er klang grimmig und erwiderte die Blicke, die ihm durch seine Stellung neben mir begegneten, mit düsterer Herausforderung. Als wartete er nur darauf, dass einer von ihnen genug davon bekam, nur zu brüllen.

„War ja klar, dass Blake zu denen gehörte. Sie hassen Schattenwesen, mich anscheinend auch, arbeiten aber doch mit meinem Vater zusammen. Macht das alles in ihren eigenen Augen eigentlich Sinn?"

Jace bekam nicht die Gelegenheit mir zu antworten, da sich der Tumult plötzlich zu entzweien schien. Die Wachen vor uns schoben sich weiter durch die Menge, die uns nun von allen Seiten umgab, kämpfte sich fast schon einen Weg frei, um uns an ihnen vorbei zu den Toren der Garnison zu eskortieren. Es war nicht mehr weit. Einige Dutzend Meter vielleicht.

Plötzlich begann die Luft auf meiner rechten Seite zu zischen. Jace und ich wirbelten beinahe gleichzeitig in die Richtung des Geräuschs und duckten uns gerade noch rechtzeitig, um einem Dolch auszuweichen, der direkt auf unsere Köpfe zugeflogen kam. Jemand hinter uns schrie. Dann brach Chaos aus.

Die Kohorte, die gerade noch protestiert hatten, war nun zum Leben erwacht und hechteten auf die Eskorte aus Wachen zu. Von allen Seiten drängten sich Nephilim an uns heran, versuchten mich und Jace zu erreichen. Gefletschte Zähne, flammende Augen, silberne Waffen. Das Einzige, was sie von uns trennte, waren die Mitglieder der Garde. Im Gang des Gefängnisses hatten sie noch weit in der Überzahl gewirkt, aber hier draußen wendete sich das Blatt.

Wir waren eingekesselt. Jace griff nach meinem Arm und drückte mir eine seiner Klingen in die Hände, bevor er sich hektisch um die eigene Achse drehte, als würde er einen Ausweg suchen. Es gab keinen. Meine Augen waren auf den Eingang der Garnison geheftet, aus dem nun immer mehr Schattenjäger gestürmt kamen. Hoffentlich, um uns zu helfen.

Einen Wimpernschlag später hatten die Mitglieder der Kohorte die Mauer aus Wachen auf unserer Linken durchbrochen. Mir blieb gerade noch genug Zeit, um Jace' Schwert zu heben, als uns zwei von ihnen auch schon erreicht hatten. Sie waren überall. Zu viele, als dass wir und lange gegen sie zur Wehr setzen könnten.

Jace wirbelte herum, um meine Rückseite zu sichern. Er presste seinen Rücken gegen meinen und auf einmal verschmolzen wir zu einer Person. Als teilten wir uns einen Verstand, passten sich unsere Bewegungen an die des anderen an, verteidigten wir die blinde Seite des anderen, hielten wir die Gegner so weit auf Abstand, dass sie keine Chance hatten, einen von uns zu treffen. Als hätten wir diese Situation schon hunderte Male geübt.

Der Moment explodierte in einem Feuer aus blauen Funken und die Menge aus Kohortenmitgliedern wich zurück, musste nun plötzlich ihre eigenen Flanken sichern, als eine Gruppe aus Schattenwesen sich in das Kampfgetümmel einmischte. Ich spähte in Richtung der Garnison und entdeckte Magnus, der nur wenige Meter von uns entfernt stand und zwei Nephilim mit nichts als einem gelangweilten Fingerschnipsen in die Luft katapultierte. Luke rannte an ihm vorbei, direkt auf mich zu. Werwölfe und Vampire hatten sich ihnen angeschlossen, um uns den Durchgang bis zu den Türen zu ermöglichen. Sie würden es nicht wagen, drinnen weiterzukämpfen. Zumindest hoffte ich das.

Auch ohne seine Werwolf-Form besaß Luke genug rohe Kraft, um die Nephilim, die sich ihm in den Weg stellten, einfach umzustoßen. Seinen fließenden Bewegungen war anzusehen, dass er einst einer von uns gewesen war. Nur das Training eines Schattenjägers machte einen so geschmeidig. Vor allem bei seiner Größe. Wenige Augenblicke später hatte Luke sich zu Jace und mir durchgeboxt.

Die Kohorte war nicht länger in der Überzahl. Die Tatsache, dass dies Schattenwesen zu verdanken war, die nach ihnen gar nicht in Alicante sein dürften, machte sie rasend. Bisher schien der Konflikt ziemlich blutsfrei abgelaufen zu sein, wie ich mit einem schnellen Scan der Leute bemerkte. Wenn Nephilim auf Nephilim traf glich es eher einem Ringen um die Überhand; außer sie standen mir gegenüber. Mir wollten sie wehtun.

„Ihr müsst hier weg", sagte Luke mit tiefer Stimme. Er griff nach meinem Handgelenk und mit einem knappen Blick über meine Schulter zu Jace ließ ich mich von ihm zu den Toren der Garnison führen. Immer mehr Schattenjäger griffen in die Auseinandersetzung mit ein, als klar wurde, dass die Kohorte drauf und dran war, die Schattenwesen zu massakrieren, wenn niemand dazwischen ging. Irgendwo aus der Ferne hörte ich Alecs Stimme durch das Getümmel donnern, aber meine Augen fanden ihn nicht.

„Wie kann es sein, dass die Kohorte so viel Macht im Rat hat, wenn sie so wenige Leute haben?", fragte ich Luke, nachdem die Aufmerksamkeit der Menschen sich endgültig von mir auf die Schattenwesen verlagert hatte. Keuchend kamen wir vor den Toren zum Stehen und betrachteten das Chaos aus der Ferne, welches sich langsam aufzulösen schien.

„Sie sind viel mehr", antwortete Luke knapp. Er massierte sich seine Nackenmuskeln, während er auf die Nephilim blickte, die Werwölfen und Vampiren ins Gesicht schrien, sie beleidigten, ihnen drohten. „Das hier sind nur die, die am helllichten Tag gewaltbereit genug sind, um eine Eskorte der Inquisitorin anzugreifen." Was ein außerordentlicher Akt war, wenn ich es nun so betrachtete. Wie sehr verabscheuten sie mich, um so etwas zu tun?

„Danke, dass ihr uns da rausgeholt habt." Jace' Finger streiften meine als er mir das Schwert aus den Händen nahm und es zurück an seinen Gürtel steckte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ein erschöpftes Seufzen kam aus seiner Kehle. „Was ist nur in diese Leute gefahren?"

Lukes Augen wanderten zwischen Jace und mir hin und her. Musternd. Seine Muskeln entspannten sich ein wenig und ein halbes Lächeln drängte sich auf sein Gesicht. „Dasselbe was schon immer in sie gefahren ist. Aber glücklicherweise sind sie im Rat weit von einer Mehrheit entfernt, besonders seitdem euch klargeworden ist, dass ihr den Krieg gegen Valentin ohne uns nicht überleben werdet."

„Hm", brummte Jace verstimmt und strich sich einige goldene Haarsträhnen von der Stirn. „Den Krieg habe ich ja schon wieder ganz vergessen."

„Bei dem, was euch drinnen erwartet, ist das heute wahrscheinlich besser so. Ihr solltet reingehen. Die Ratsversammlung geht jeden Augenblick los." Luke klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und ich rang mir ein Lächeln ab.

Ich mochte Luke. Seine Aura strahlte immerzu eine Ruhe aus, eine Stabilität, die mir in meinem eigenen Leben schon vor viel zu langer Zeit abhandengekommen war. Und gleichzeitig erinnerte mich jeder Blick in sein Gesicht an meine Mutter. Manchmal fühlte es sich an, als wartete mein Unterbewusstsein darauf, dass ein Teil von ihr aus ihm herausspringen würde. Dass wenn ich nur lange genug darauf wartete, der Geist von ihr durch ihn zu mir zurückkehren würde. Doch die Frau, die er gekannt hatte, war eine andere als die, die meine Mutter gewesen war. Seine Jocelyn kam aus einer anderen Zeit, war eine andere Version von meiner Jocelyn. Eine jüngere, frühere Version.

„Danke", kam es mir über die Lippen, meine Gedanken halb in einer anderen Version dieser Welt. Eine Welt, in der meine Mutter noch lebte, durch diese Straßen lief, dieses Gebäude betrat, noch Teil dieser Gesellschaft war. Das war seine Jocelyn.

Dann drehte ich mich zu Jace, der einen Blick mit Luke wechselte. Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas entging. Bis seine goldenen Augen meine trafen und ich ihm ansehen konnte, dass der Ausdruck auf meinem Gesicht ihnen wohl nicht verborgen geblieben war. Als ich mich in Bewegung setzte folgte er mir, ohne zu zögern; ohne mich darauf anzusprechen. Mir schwirrte so viel durch den Kopf, dass ich noch kaum Zeit gehabt hatte, den Kuss von letzter Nacht zu realisieren. Es fühlte sich halb wie ein Traum an. Zwischen uns hatte sich nichts verändert. Alles schien wie immer. Was auch immer das denn war.

Seite an Seite schritten Jace und ich durch das Foyer der Garnison. Köpfe drehten sich in unsere Richtung, Blicke trafen und folgten uns, während wir an Gruppen aus Nephilim vorübergingen. Die Emotionen auf ihren Gesichtern hatte sich verändert. Die Abneigung war zwar nicht vollständig verschwunden, hatte jedoch deutlich nachgelassen. Was stärker durchschwang war eine gewollte Distanz, als wüsste niemand so recht etwas mit mir anzufangen. Als wüsste nun, wo ich in vielen Augen nicht mehr die mörderische Waffe meines Vaters war, niemand so recht, wer ich denn überhaupt war.

Wir erreichten den Vorraum des Ratssaals, dessen hölzerne Flügeltüren weit geöffnet waren. Das letzte Mal als ich hier gewesen war, hatten Adam und ich im Schatten einer der Säulen gestanden, bevor Blake sich zu uns gesellt und er und ich den ganzen folgenden Konflikt entfacht hatten. Es hatte hier begonnen. Womöglich endete es heute hier.

Blake war tot, er konnte also nicht mehr gewinnen. Ich konnte aber immer noch verlieren.

Und wie wenn das Schicksal selbst nicht anders konnte, als mich in diesem Raum mit Ashdowns zu konfrontieren, tauchte in diesem Moment – wie aus dem Nichts – Cynthia Ashdown vor uns auf. Im Raum tummelten sich noch genügend Leute, um einen weiteren Streit sofort zu unterbinden. Doch das würde nicht nötig sein. Sie war allein. Wo auch immer ihre Kohortenfreunde waren, oder ihr Ehemann – keiner von ihnen war bei ihr.

Blakes Mutter sah schlechter aus als gestern. Dunkle Ringe umrahmten ihre hellblauen Augen. Kaum merkliche, weiße Narben zierten ihren rundlichen Kiefer, die mir gestern entgangen waren. Jetzt erinnerte ich mich aber wieder daran, wie ich sie bei der Flucht aus ihrem Landhaus gegen einen Spiegel geschubst hatte. Trotz der offensichtlichen Erschöpfung, die mir einen Stich versetzte, fixierte sie mich mit einem hasserfüllten Blick. Sie sah Blake so ähnlich, dass es mir die Sprache raubte.

„Dass sie dich frei herumlaufen lassen ist ein Beweis für unsere laschen Gesetze", zischte Cynthia Ashdown im giftigen Ton. „Genauso lasch, wie deine Strafe im Prozess vor dem Rat ausfallen wird."

Ihre Worte waren kaum zu mir durchgesickert als sie plötzlich ihren rechten Arm hob, der bisher unter ihrem Mantel versteckt gewesen war. In einer ruckartigen Bewegung überbrückte Cynthia den Abstand zu mir und etwas Silbernes blitzte in der Luft zwischen uns.

Meine eingetrichterten Reflexe reagierten schneller als mein Gehirn. Die Worte, die ihr über die Lippen gegangen waren, ließen Adrenalin durch meine Adern pumpen. Unter mir setzten sich meine Beine in Bewegung und ehe ich mich versah, wich mein Körper zur Seite aus. Der Dolch zischte zwischen Jace und mir, glitt durch die Luft, wo ich gerade noch gestanden hatte. Aus dem Augenwinkel konnte ich Jace' Hände hervorschnellen sehen. Doch ich war schneller. Das war nicht mein Bewusstsein, welches da handelte. Es war ein Urinstinkt, für den ich mich bei meinem Vater bedanken durfte.

Meine Augen blinzelten, während mein Stiefel in Cynthias Richtung schoss und sie den Boden unter den Füßen verlor. Sie war noch nicht zu Ende gefallen als meine linke Hand sich um ihr Handgelenk schloss, mit dem sie den Dolch umklammert hielt. Ich drückte, bis sie ihn losließ und schubste sie dann von mir. Sie landete auf dem polierten Marmorboden und Jace schnappte sich den Dolch, bevor sie etwas noch Waghalsigeres probieren konnte. Er war gerade dabei auf sie zuzugehen, in einen weiteren Wutausfall auszubrechen, als ich meine Stimme wiederfand.

„Prozess?" Mein Ton ließ Jace herumwirbeln, Blakes Mutter auf dem Boden vergessen. Ich klang nicht so als hätte ich gerade jemanden entwaffnet, der versucht hatte, mich inmitten anderer Nephilim umzubringen. Von weit her nahm ich wahr, dass sich uns einige Figuren näherten, aber das Adrenalin pumpte weiter durch meine Adern. Stärker, als meine geweiteten Augen Cynthias begegneten.

„Sie werden dich und die anderen Angeklagten vor dem Rat befragen", spuckte sie mir entgegen und rappelte sich schließlich auf. Ihr strenger Zopf schwang bei ihrer impulsiven Gestik wie wild vor und zurück. „Sie vertrauen dir nicht einmal genug, dich davon in Kenntnis zu setzen, erwarten aber, dass wir über deine Verbrechen hinwegsehen. Diese Doppelmoral." Dann machte sie abrupt auf dem Absatz kehrt und drängte sich in den Ratssaal.

Mein Herz begann schneller zu schlagen. Schneller war noch eine Untertreibung. Es begann zu rasen, als würde es auf und davonlaufen wollen. Ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten. Ich spürte die rasiermesserscharfe Panik, die durch meine Glieder jagte, meine Lippen zum Beben brachte, mir den Atem raubte, meine Sicht vernebelte.

Ganz am Rande nahm ich Jace' besorgtes Gesicht wahr, welches sich direkt vor mich schob und den Rest der Welt ausblendete. Ich konnte nicht atmen. Erinnerungen an meinen letzten Prozess flackerten an meinem inneren Auge vorbei und auf einmal stolperte ich rückwärts, fort von den Flügeltüren, in die Schatten der Säulen, als würden diese mich beschützen können.

„Ich kann das nicht", brachte ich hervor und ballte die Hände zu Fäusten. Allein der Gedanke, wieder diese Wahrheitsrune aufgetragen zu bekommen, ließ mich erschaudern. Dieser erste Prozess vor dem Rat war eine einzige, schmerzhafte Demütigung gewesen. Ich konnte das nicht nochmal durchmachen.

„Was kannst du nicht?" Jace' Hände umfassten meine Schultern und er drängte mich tiefer in die Schatten. Bis eine breite Säule den Großteil des Vorraums verschwinden ließ. Ich konnte die Wand in meinem Rücken spüren. „Rede mit mir, Clary."

„Ich kann das nicht nochmal", wiederholte ich und drückte die Lider zusammen, um mich auf meinen Atem zu konzentrieren, um meine rasenden Gedanken einzufangen. „Diese Rune ... dieser Zauber von letztem Mal. Diese Demütigung, dieser gebündelte Hass, dieser Schmerz. Wenn etwas so schlimm ist wie das was Blake im Landhaus mit mir gemacht hat, kommt diese Rune da sehr nah heran."

„Schau mich an", forderte Jace und ich hob den Kopf, im Versuch mich zusammenzuhalten.

Du bist schwach, hörte ich meinen Vater tadeln. Du bist eine Morgenstern. Du hast vor nichts Angst. Geh da raus, mit erhobenem Haupt und lass es über dich ergehen. Du machst dich mit dieser Show aus Gefühlen nur lächerlich. Ein Krieger zeigt seine Emotionen nicht und kann sie unter Kontrolle halten.

„Ich weiß, dass du Angst hast", sagte Jace und ließ die Blase platzen, in die ich abgedriftet war. Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich die verschiedenen Facetten des Goldtons in seiner Iris sehen konnte. „Ich verspreche dir, dass es nicht so schlimm wird wie beim letzten Mal. Ich werde nicht zulassen, dass es so endet wie letztes Mal."

„Wie willst du das anstellen?", fragte ich, die Silben in meinem Satz seltsam aneinandergereiht.

Jace' Arme schlossen sich um meine Taille und er lehnte sich zu mir herab. Seine Wange streifte meine und auf einmal war da ein anderer Grund, weshalb mir der Atem in der Kehle stockte. Sein Mund kitzelte an meinem Ohr. „Ich bin einfallsreich. Außerdem habe ich einen gewissen Einfluss auf meine Großmutter."

Mein Kopf lehnte sich wie von selbst in seine Richtung. Ich drückte meine Stirn gegen seine Brust und gab mir einige Minuten, um mich zu beruhigen. „Du musst da rein", fügte Jace schließlich hinzu, aber nicht in dem Ton, den mein Vater nutzen würde. „Du musst sie zur Rechenschaft ziehen. Du hast die Macht dazu. Blakes Freunde sind die Zukunft der Kohorte. Dieser Aufstand muss im Keim erstickt werden, bevor er ausartet. Du kannst die sein, die das Feuer erlischt."

„Du hast recht." Ich drückte meine Hände gegen Jace' Körper und stellte mich aufrechter hin. Er hatte recht. Ich hatte Blake nicht umsonst getötet. Ich hatte dieses ganze Theater nicht umsonst mitgemacht. Ich hatte nicht umsonst gelitten. Das hier musste einen guten Ausgang haben.

Blake war tot, er konnte nicht mehr gewinnen. Ich aber hatte noch die Chance zu gewinnen.

„Lass uns diese Leute fertigmachen." 


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Ein Kapitel voller Action, mit ein bisschen Clace. Wie euch das Kapitel gefallen? :) Lasst es mich in den Kommentaren wissen und gebt mir ein Like für das Kapitel! :)

Wenn ihr wissen wollt, wie ich mir die Charaktere dieser Fanfiktion vorstelle, schaut auch gern mal bei meinem Pinterest vorbei. dort heiße ich ccskyllen und ich habe TROTM einen ganzen Ordner gewidmet. 

Bis in zwei Wochen

Skyllen :)

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