Part 2 // Kapitel 32.1. - Truth And Pain
Part 2 „The Angels Rise"
Kapitel 32 – Truth and Pain
Der Heiler war nur Minuten nachdem Isabelle mein Zimmer verlassen hatte, gekommen. Er musste bereits da gewesen und nur auf Isabelles Rückzug gewartet haben. Zu meiner Überraschung hatte es sich bei ihm nicht um einen Stillen Bruder gehandelt, sondern um einen gewöhnlichen Schattenjäger, der eine Ausbildung zum Heiler in den Basilias gemacht hatte. Er hatte die Schwellung an meinem Hals behandelt und mir versichert, dass sie bald zurückgehen würde. Bevor er wieder aufgebrochen war, hatte er mir noch eine Iratze aufgetragen. Sie hatte den größten Beitrag zu meiner Genesung geleistet.
Einige Stunden waren mittlerweile vergangen und die Schwellung war beinahe vollständig verschwunden. Der Tag neigte sich dem Ende zu, ich saß am Frisiertisch und bürstete durch mein nasses Haar. Nachdem der Heiler sich auf den Weg gemacht hatte, hatte ich mich für eine kurze Zeit hingelegt, um zu schlafen. Meine Augenlider hatten vor Erschöpfung geflattert und ich war in der Sekunde in einen tiefen Schlaf abgedriftet, in der mein Kopf das weiche Daunenkissen meines Bettes berührt hatte.
Nach meinem Aufwachen war die Müdigkeit zwar verflogen gewesen, aber das Unbehagen in meiner Brust schien stärker als zuvor. Wirre Gedanken über meine Unfähigkeit mich gegen Jace zu verteidigen, Kadirs Unehrenhaftigkeit und die Schande, mit der ich meine Familie in Alicante repräsentierte, hatten mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen. Ich hatte geduscht, um den getrockneten Schweiß und die negativen Gefühle von meinem Körper zu waschen.
Mittlerweile ging es mir etwas besser. Die sanfte Bewegung der Bürste in meinem roten Haar beruhigte mich. Mit abwesendem Blick beobachtete ich mich im Spiegel des Frisiertisches, während die Bürste hoch- und wieder herunterfuhr. Mein Hals sah aus wie immer. Die wenigen Runen, die meinen Körper zierten, schienen von innen heraus zu strahlen und ich spürte, wie ihre Energie durch meine Adern pulsierte. Sie waren das, was mich zu einer Schattenjägerin machte.
Ich hatte mir eine warme graue Jogginghose und ein passendes Trägertop aus dem Kleiderschrank gefischt. Es musste sich um alte Sachen von Isabelle handeln, die ihr mit den Jahren zu klein geworden waren. Da ich das Fenster zum Durchlüften geöffnet hatte, bevor ich duschen gegangen war, hing eine Decke aus weichem Schafsfell um meine Schultern, die den Großteil meines Körpers im Spiegel verdeckte. Allein mein Kopf, mein genesener Hals und ein Teil meines Dekolletees waren im schwachen Licht zu erkennen.
Das Klopfen an der Tür ließ mich zusammenfahren. Mein Herz machte einen so gewaltigen Satz, dass ich eine Sekunde brauchte, um mich zu erholen. Die Bürste, die gerade noch mit einer sanften Bewegung über mein Haar gestrichen war, hielt abrupt inne. Ich war so in meine Trance vertieft gewesen, dass ich die Welt um mich herum völlig ausgeblendet hatte. Stutzig drehte ich mich zur Tür. Ich erwartete niemanden mehr um diese Uhrzeit. Außerdem klopfte es eigentlich nie an meinem Zimmer. Die Lightwoods mieden mich, soweit sie konnten.
„Herein", sagte ich etwas verdutzt und ging ich im Kopf alle möglichen Personen durch, die mir jetzt noch einen Besuch abstatten würden. Adam? Er war sicherlich schon zuhause bei seiner Familie. Für ihn gab es kaum einen Grund hier zu sein. Außer er wollte unseren Streit beiseitelegen. Doch er musste wissen, dass das hier kein guter Zeitpunkt dafür war. Isabelle? Unser Versöhnungsaussprache war zwar gut verlaufen, aber mir fiel kein Anlass ein, weshalb sie nun nochmal ein Gespräch suchen sollte.
Mehrere Sekunden verstrichen. Dann wurde die Tür langsam geöffnet und im dunklen Flur kamen blonde Haare zum Vorschein. Mein Körper versteifte sich, als eine Stimme in meinem Kopf Jonathan schrie. Aber wieso sollte Jonathan an meiner Tür klopfen, bevor er plante mich zu ermorden? Ich hatte keine Zeit, die Frage zu beantworten, als Jace in den Türrahmen trat. Der angespannte Ausdruck in seinen Augen erinnerte mich plötzlich stark an Isabelles von vorhin. „Kann ich reinkommen?", fragte er leise, als hätte er meine Antwort eben gar nicht mitbekommen.
Sprachlos nickte ich. Jace trat in mein Zimmer und drückte die Tür mit einem Knarren ins Schloss. Ich wagte es nicht, vom Frisiertisch aufzustehen. Ein Nebel legte sich um mein Gehirn und ich war unfähig, klar zu denken. Allein das Klopfen meines Herzens sagte mir, dass das hier tatsächlich real war. War es nicht seltsam, dass ich eher mit einem Besuch von Jonathan rechnete als von Jace? Während Jace sich zu mir umdrehte und mit zögernden, bedachten Schritten auf mich zukam, wurde mir klar, dass das hier eine Sensation sein musste. Das letzte Mal als er freiwillig mein Zimmer betreten hatte, hatte er versucht, mich aus Ithuriels Vision zu wecken.
Jace ging an mir vorbei zum offenen Fenster neben dem Tisch, setzte sich auf die Fensterbank und drehte sich dann wieder mir zu. Er wich meinem Blick aus, das bemerkte ich sofort. Wie im Trainingsraum hatte er Schwierigkeiten, seine emotionslose Maske aufrecht zu erhalten und ich fragte mich weshalb. So langsam wie möglich ließ ich die Bürste in meiner Hand sinken. Ich fürchtete, dass jedes auch noch so kleine Geräusch ihn in Aufruhr versetzen würde.
Mehrere Minuten lang sagte keiner von uns etwas. Ich starrte auf die gefalteten Hände in meinem Schoss und wartete darauf, dass Jace zu sprechen begann. Was sollte ich sonst tun? Ich kannte nicht einmal den Grund für sein Kommen. Dass er sich ohne ein weiteres Wort auf meine Fensterbank gesetzt hatte anstatt einfach im Raum stehen zu bleiben, wie jeder normale, höfliche Mensch es tun würde, war seltsam. War etwas passiert? Wollte er mich über etwas in Kenntnis setzen, dass sich seit meiner Flucht aus der Halle ereignet hatte? Aber für eine Weile starrte Jace einfach aus dem Fenster, hinunter auf die verschneite Straße. Der Wind war eiskalt, aber das schien ihn nicht zu kümmern.
Ich fürchtete bereits, dass er nie zu Sprechen beginnen würde, als er sich schließlich räusperte. „Ich habe mit meiner Großmutter– der Inquisitorin gesprochen", begann er so leise, dass ich mich vorbeugen musste, um die Worte zu verstehen. Ich hob den Kopf, um ihn anzuschauen, aber seine Augen fixierten weiterhin demonstrativ die Straße. Das weiße Strahlen der Elbenlichter spiegelte sich in seiner goldenen Iris. „Sie war fuchsteufelswild, als ich ihr von den Dingen erzählte, die Kadir über unsere Familie gesagt hat."
Ich schwieg, unwissend, was ich darauf hätte erwidern sollen. Natürlich war die Inquisitorin außer sich, dass ein Schattenjäger wie Kadir, der aus einer unbedeutenden Familie stammte, ihren Namen in den Schmutz zu ziehen versuchte. Die Mächtigen einer Gesellschaft würden alles tun, damit das Bild ihrer selbst stets im besten aller Lichter präsentiert wurde. Imogen Herondale war da sicher keine Ausnahme.
Ich wusste nicht, wie ich mit Jace umgehen sollte. Bisher hatte er sich mir gegenüber stets feindselig oder ignorant verhalten. Die Momente, in denen er seine kalte Maske vor mir fallengelassen hatte, konnte ich an einer Hand abzählen. Den Jace, der gerade vor mir stand und in ruhigem Ton mit mir sprach, kannte ich nicht. Ich wusste nicht, was plötzlich in ihn gefahren war. Eigentlich wartete ich nur darauf, dass er explodieren und mir eine weitere seiner kryptischen Anschuldigungen an den Kopf werfen würde.
„Die Inquisitorin toleriert ein solch respektloses Verhalten nicht. Sie wird Kadir durch einen anderen Trainer ersetzen lassen", fuhr Jace fort, während er die Schneeflocken beobachtete, die in leichten, wirbelnden Bewegungen gen Boden flogen. Ich konnte seine Tonlage nicht einordnen. Er klang nicht wütend oder aufgebracht. Eher resigniert und erschöpft. Als hätte er einen langen und äußerst anstrengenden Tag hinter sich.
„Natürlich tut sie das nicht", gab ich sarkastisch zurück, was Jace aufschauen ließ. Er musste den argwöhnischen Ausdruck in meinen Augen gesehen haben, denn er seufzte. „Ob sie sich für die Angelegenheit wohl genauso interessiert hätte, wenn nur ich dabei zu Schaden gekommen wäre?" Aber der Ruf der Herondales geht natürlich vor ...
„Sie meint es nicht so", erwiderte Jace mit erklärender Stimme, was ihm einen ungläubigen Blick meinerseits einfuhr. Meine Augenbrauen schossen fragend in die Höhe. Nicht weil mich die Inquisitorin in irgendeiner Form interessierte, sondern vielmehr, weil ich sein Verhalten zu durchschauen versuchte. Seit wann interessierte es Jace Herondale, was ich über ihn oder seine Großmutter dachte? „Sie ist eine sture Frau ... Wenn es um Valentin geht, sind Wut und Rachegelüste die einzigen Emotionen, die sie empfinden kann."
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor." Ich gab mir keine Mühe, den Frust in meiner Stimme zu unterdrücken. Was auch immer ihn gerade dazu brachte, diese Form von Unterredung mit mir zu führen, machte mich unbehaglich. Die Motive des alten Jace' konnte ich nachvollziehen, Zorn hatte meistens einen tiefliegenden Grund, der Sinn ergab. Aber dieser Jace hier ... Es fühlte sich an, als würde ich ohne einen Elbenstein durch eine stockfinstere Höhle tappen, im Versuch den Weg hinauszufinden.
Bei meinen Worten spannte sich Jace' Kiefer merklich an und er drehte den Kopf wieder von mir fort, das gefrorene Gold seiner Augen auf einen fernen Punkt der Straße geheftet. Er hasste mich so sehr, dass er es nicht einmal ertrug, mich anzuschauen. Zu meiner eigenen Überraschung musste ich lachen. Es war ein verächtliches, vielleicht auch trauriges Lachen. „Natürlich kann sie nur Wut und Rache mir gegenüber empfinden, ich bin schließlich Valentins Tochter und für all das Übel in der Welt verantwortlich."
Jace schwieg erneut und ballte die Hände, die unbrauchbar an seinem Körper herabhingen, zu Fäusten. Der Wind, der durch das Fenster in mein Zimmer blies, wurde immer kälter und ich zog mir die weiche Decke enger um die Schultern, um das Frösteln zu verhindern. Während ich das tat, wanderten meine Gedanken zurück zu der Beerdigung meiner Mutter. Wie ich dort draußen im arktischen Schnee gehockt und auf den Tod gewartet hatte, bis Jace mich von ihrem Grabstein weggezerrt hatte. Ein Schauer lief durch meine Beine. Ich spürte die schonungslose Taubheit meiner Muskeln, wie wenn ich immer noch dort draußen hocken würde. Wenn Jace mir nicht gefolgt wäre, dann wäre ich jetzt vermutlich tot.
„Mein Verhalten dir gegenüber ist unfair, das weiß ich", gab Jace in ernster Stimme zu und holte mich zurück in die Realität. Seine Worte ließen mich unwillkürlich zusammenzucken. „Aber freundlich zu dir zu sein erscheint mir oft wie eine unlösbare Aufgabe. Jedes Mal, wenn ich dich anschaue, muss ich mich zwingen, nicht an deinen Vater zu denken. Weißt du wie schwer das ist?"
Seine Worte fühlten sich an wie ein Schlag in den Magen. Mir blieb die Luft weg und ich spürte die Tränen, die sich anzubahnen drohten. Unter keinen Umständen durften jetzt Tränen fließen. Ich blinzelte mehrmals, drehte aber den Kopf zu Seite, um meine Augen vor Jace zu verbergen. „Ich verstehe das", sagte ich, ohne wirklich darüber nachzudenken. Irgendwie tat ich es ja auch, aber was war er für ein Mensch, wenn er beim Anblick von mir nur Valentin vor Augen hatte? Meine optische Ähnlichkeit zu ihm hielt sich stark in Grenzen. Wenn die Nephilim mich auf der Straße sahen, erkannten sie Jocelyn in mir, nicht meinen Vater.
Jace nannte es eine unlösbare Aufgabe. Wog der Name Morgenstern tatsächlich so schwer, dass mir selbst Freundlichkeit oder gar Fairness verwehrt bleiben sollte? Lag ich mit meinen Erwartungen einfach komplett daneben oder war es doch Jace, der hier den Denkfehler hatte? Denkfehler hin oder her, wenn sein Kopf nur deinen Vater in dir sieht, dann kann er das nicht einfach abstellen, versuchte eine sachliche Stimme in meinem Kopf für Jace zu argumentieren.
„Trotzdem möchte ich gerne für wenigstens einen Moment so behandelt werden, als wäre mein Vater nicht der schlimmste Gesetzesbrecher in der gesamten Schattenwelt." Es fiel mir schwer, meine Gedanken in die richtigen Worte zu fassen. Ein Teil von mir wollte Jace unbedingt meine Perspektive erklären. Ein Teil von mir wollte, dass er verstand. „Ich möchte ein Niemand sein. Wenigstens für einen Tag nicht von allen Seiten angegafft und angegriffen werden. Denn ich weiß genau, dass ich nichts davon verdient habe."
Jace' Lippen formten sich zu einem bedrückten, beinahe schuldbewussten Lächeln. „Das glaube ich gerne, aber du bist nun mal wer du bist." Ich sah ihm an, dass er nicht recht wusste, was er darauf erwidern sollte. „Dir bleibt wohl nichts anderes übrig, als die beste Version deiner selbst zu sein."
Ein ungläubiges Schnauben entfuhr meiner Kehle. Natürlich war es falsch, ihn nun an den Pranger zu stellen, für Antworten, die ich selbst nicht hatte. „Und wer genau wäre das? Mein Leben ist eine einzige Lüge. Ich weiß nicht wer ich bin oder wozu ich in der Lage bin. Und wenn es nach dem Rat geht, wäre es besser, wenn ich es gar nicht erst herausfinde."
„Vergiss den Rat. Du bist eine der besten Schattenjäger, denen ich begegnet bin. Du bist mutig und unerschrocken. Nur die wenigsten hätten sich so mit Kadir angelegt, wie du es heute Mittag gemacht hast." Jace warf mir einen kurzen Seitenblick zu, den ich nicht einordnen konnte. Es schien fast so, als würde er sich schämen, etwas Positives über mich gesagt zu haben. Dann fuhr sein Blick wieder zum Fenster hinaus. Dieses Gespräch war auf so vielen Ebenen seltsam.
Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen schoss. Jace auf so eine Weise von mir reden zu hören ließ meine Haare vor Unbehagen sträuben. Er hatte offen zugegeben, dass ich eine der besten Schattenjäger war, die er kannte. Damit hätte ich in tausend Jahren nicht aus seinem Mund gerechnet. War dieser Jace wirklich real oder war träumte ich? „Soll ich mich dafür jetzt bedanken", war alles, was ich hervorbrachte.
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Willkommen zu Part 2 dieser Fanfiction! Wie ihr in diesem Kapitel vielleicht schon ein wenig merkt, werden sich die Dinge nun schneller entwickeln. Die erste Phase ist endlich abgeschlossen! Ich musste das Kapitel in zwei teilen, weil es sonst zu lang gewesen wäre. Nächste Woche könnt ihr dann lesen, was beim Gespräch von Clary und Jace rauskommt.
Liebe Grüße
Skyllen :)
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