Part 1 // Kapitel 1 - Die Erde wird sich weiterdrehen
Teil 1: Der mutierte Dämon
Kapitel 1 – Die Erde wird sich weiterdrehen
Ich war noch nie durch ein Portal gegangen. Ich wusste, wie sie aussahen, aber Valentin hatte immer gesagt, es sei zu gefährlich ein Portal zu benutzen, weil der Rat die Portalaktivität in Idris überwachte. Sie würden Schattenjäger schicken, die die Lage überprüften. Als ich durch das Portal schritt, das Magnus Bane für uns geschaffen hatte, war ich ein wenig nervös. Ich traute keiner fremden Magie. Aber wir hatten keine andere Wahl, Magnus Bane war unsere einzige Chance, Idris und Europa hinter uns zu lassen.
Meine Füße landeten hart auf einem hölzernen Boden und es war schwerer als ich erwartet hatte, mich auf den Beinen zu halten. Mit einem leisen Seufzen drehte ich meinen Kopf und sah, wie sich das Portal bereits wieder in Luft auflöste. Meine Mutter stand neben mir, sie lächelte als sie meinen Blick bemerkte. Schnell überprüfte ich, ob mein Rucksack noch an seinem Platz war. Er war immer noch auf meinen Schultern. Langsam entspannte ich mich ein wenig.
„Jocelyn Morgenstern", hörte ich eine unbekannte Stimme sagen und verkrampfte. „Oder sollte ich dich nun lieber Jocelyn Fairchild nennen?" Ich drehte den Kopf durch den Raum, ein weites Wohnzimmer in dem ein überdimensional großes lila Sofa stand und ein altmodischer Kronleuchter, der mit Diamanten bestückt war, von der Decke hing. An den Wänden hingen schöne Gemälde von Landschaften, die ich nie zuvor gesehen hatte. Der Raum grenzte an eine gläserne Fassade mit einem Balkon aus Ziegelstein dahinter. Die gläserne Fassade offenbarte den Ausblick auf die Skyline einer Stadt voller Wolkenkratzer und Neonleuchten. New York.
„Ich sehe mich selbst als eine Fairchild", sagte Jocelyn und lächelte traurig. „Guten Abend, Magnus, ich bin froh dich zu sehen."
Magnus Bane war ein mittelgroßer Mann mit stilvollem schwarzen Haar und gold-grünen Katzenaugen. Er trug einen dunkelroten Anzug mit goldenen Manschettenknöpfen und hatte ein Glas mit blauer Flüssigkeit in der Hand. Ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Du hast dich gar nicht verändert", fuhr er fort und seine Augen blieben an mir hängen. „Sehr interessant, Clarissa Morgenstern, Tochter von Valentin Morgenstern. Du siehst genauso aus wie deine Mutter."
Ich starrte ihn bloß an, ohne zu antworten. Ich hatte noch nie zuvor einen Schattenweltler gesehen und mein Vater hatte uns schreckliche Geschichten über sie erzählt. Er hatte gesagt, sie wären Mörder, Monster, kontrolliert von ihrem Dämonenblut. Überaus gefährlich. Magnus Bane hingegen schien überhaupt nicht gefährlich, er sah eher wie ein verrückter Zauberer mit einem sehr speziellen Geschmack aus.
Der Hexenmeister bemerkte mein neugieriges Starren. „Ich verwette meine Schuhe darauf, dass ich der erste Hexenmeister bin, den du je zu Gesicht bekommen hast", sagte er und zwinkerte mir zu. „Mach dir keine Sorgen, Clarissa, ich beiße nicht, das machen nur Vampire."
Falls das ein Witz sein sollte, verstand ich ihn nicht. Es würde mich einige Zeit kosten, um mich an diese Welt und das Verhalten ihrer Bewohner zu gewöhnen. Im selben Raum zu sein wie er, einem Unterweltler, ließ meine Nackenhaare auffahren und es kostete mich einiges an Kraft, meine Finger dort verharren zu lassen, wo sie waren und sie nicht zu meinem Waffengurt zu bewegen. Ich gab ihm ein schwaches Lächeln und tat so, als hätte ich es lustig gefunden. „Bitte nenn mich Clary", sagte ich stattdessen. „Nur mein Vater nennt mich Clarissa."
Magnus nickte und wandte sich wieder meiner Mutter zu. Während sie leise über etwas sprachen, schaute ich mich in seinem Apartment um. Das Mobiliar bestand aus individuellen Stücken, die sich so sehr voneinander unterschieden, dass es so wirkte als hätte Magnus sie zufällig zusammengewürfelt. „Ich dachte immer ein oberster Hexenmeister würde genug verdienen, um sich Möbel aus Ersthand leisten zu können. Deine Inneneinrichtung sieht aus, als hättest du sie auf dem Flohmarkt gekauft."
Mit einem beleidigten Ausdruck musterte Magnus mich von oben bis unten. Ein unangenehmer Schauer rannte durch meine Knochen. Ich hatte ihn mit meinen Worten nicht provozieren, sondern nur seine Reaktion sehen wollen. Er war schließlich der erste Schattenweltler, dem ich bisher begegnet war. Ich hielt sie für komplett andere Lebewesen mit anderem Verhalten und anderen Idealen. Bereit für einen Kampf erwartete ich, dass Magnus auf mich losgehen würde, doch stattdessen wirkte dieser bestenfalls beleidigt. „Natürlich verdiene ich genug, kleines Mädchen, aber ich mag diese Einrichtung", bemerkte er getroffen. „Außerdem ist jedes dieser Stücke in meinem Apartment ein Unikat und sehr teuer. Störe andere Menschen nicht, nur weil du keinen Geschmack hast, kleine Nephilim." Nicht die Reaktion, die ich von einer tödlichen Kreatur ohne Selbstkontrolle erwartet hatte.
Anscheinend brachten die Lehren meines Vaters mich hier nicht weiter. Ich wusste nicht, wie ich mich Magnus gegenüber sonst verhalten sollte. Die Furcht ihm gegenüber war weiterhin omnipräsent. Meine Mutter schien kein Problem damit zu haben, direkt neben ihm zu stehen. „Entschuldige ihr Verhalten, Magnus", murmelte sie mit belegter Stimme und warf mir über ihre Schulter einen warnenden Blick zu. „Clary ist unter dem Weltbild ihres Vaters großgeworden. Es wird dauern, bis sie versteht, dass nicht alles davon der Wahrheit entspricht."
„Ich verstehe." Magnus' katzenartige Augen fixierten mich, anders als zuvor. Neugierig und interessiert, als wäre ich ein Experiment, das es zu untersuchen galt.
Mit einem nervösen Schulterzucken verließ das Wohnzimmer und trat hinaus auf den Balkon, um endlich einen genaueren Blick auf New York zu werfen. Mein Vater hatte stets darauf bestanden, dass wir in Idris blieben. Er hatte gesagt, dass es zu gefährlich für die Morgenstern Kinder außerhalb unseres Schutzwalls sein würde, weil der Rat an seinen und Jocelyns Tod glauben müsse. Im Exil lernten wir alles über die Welt außerhalb unserer magischen Schutzmauern. Wir genossen die beste Ausbildung, überwacht von unserem Vater. Jonathan und ich waren unbesiegbar, das hatte er uns immer gesagt, seine Stimme voller Stolz. Nun waren sie beide fort. Jonathan und Valentin. Diese Feststellung schmerzte mehr als alles andere.
Schweigend starrte ich in die Ferne und wunderte mich über die Sonnenstrahlen, die sich in den Fenstern der Wolkenkratzer spiegelten. Ich wunderte mich über die großen Werbereklamen, Straßenlaternen und die Masse an Autos, die auf den Straßen fuhren. Irgendwie erinnerten mich die Wolkenkratzer an die Dämonentürme in Alicante. Ich war nie persönlich dort gewesen, aber manchmal hatten Jonathan und ich sie uns aus der Ferne anschauen dürfen.
Die Straße war voller Menschen. Ich hatte noch nie zuvor mehr als vier Menschen an einem Ort gesehen aber hier ... Ich konnte nicht sagen, wie viele von ihnen über die Gehwege spazierten. Es waren zu viele zu zählen. Keiner von ihnen schien ängstlich oder eingeschüchtert. Wenn Valentins Plan Realität werden würde, würden sich viele Dinge verändern, auch in der Welt der Mundies. Aber die Welt würde sich trotzdem weiterdrehen, die Zeit würde vergehen.
Die Sonne stieg weiter. Nichts und niemand konnte sie jemals aufhalten. Niemand würde es wagen, sich ihr in den Weg zu stellen. Die Sonne war übermächtig. Aber auch die Sonne musste irgendwann untergehen und dann würde Nacht hereinbrechen. Beinahe automatisch musste ich an Jonathan denken.
Er war stets ein sehr freundlicher, rücksichtsvoller und kluger junger Mann gewesen. Hass und Wut gehörten nicht zu seiner Natur. Jonathan hatte es vorgezogen, Konflikte in einer ruhigen und friedvollen Art und Weise zu lösen, anders als ich. Es machte seine Verhaltensänderung umso bizarrer. Ich hatte sein Gesicht nie so hasserfüllt gesehen, wie gestern im Wald. Er konnte mich oder Jocelyn nicht hassen. Er liebte uns. Aber irgendwie hatte er vergessen, dass er uns liebte. Valentin schien der Einzige zu sein, der in der Lage war, ihn zu kontrollieren. Dämonen waren nicht fähig Emotionen wie Liebe, Freude oder Zuneigung zu verspüren. Sie fühlten nur Hass und Begierde und befriedigten ihre Gelüste durch Emotionen von Menschen. Mein Vater hatte es uns immer so erklärt. Also konnte Jonathan uns nicht mehr lieben, er fühlte wahrscheinlich gar nichts mehr außer dem temperaturlosen Feuer in seiner Brust. Jonathan dachte wahrscheinlich, dass er immer noch in der Lage war, menschliche Gefühle zu haben, weil er einst ein Mensch gewesen war. Er hielt sich immer noch für einen Menschen. Oder war er noch ein Mensch? Vielleicht hatte meine Mutter etwas falsch verstanden und Jonathan ging es gut. Vielleicht würde es reichen, mit ihm zu reden, damit er sich erklären konnte. Aber was würde sich dadurch ändern? Wir konnten nicht zurückkehren, egal was geschah. Es änderte nichts an der Tatsache, dass mein Vater über die Welt und seine Handlungen gelogen hatte, dass er über alles gelogen hatte.
Wenn Valentin nicht existiert hätte, dann wäre nichts von alledem passiert. Aber dann würden wir beide auch nicht existieren. Es war hart zu glauben, dass mein Vater für all diese Sachen verantwortlich war: Das Töten seines eigenen Sohnes und die Zerstörung seiner Familie für eine Vision, für eine Art persönliche Rache gegen Dämonen. Wie paradox, dachte ich, er hasst Dämonen aber um sein Ziel zu erreichen, verwandelt er seinen Sohn in einen.
Der nächste Schritt unserer Flucht war mir immer noch ungewiss. Was würden mir machen? Wir konnten nicht für immer bei Magnus leben. Vielleicht für einige Tage, aber irgendwann mussten wir vorwärts gehen. Der beste Ort sich zu verstecken war die Menschenwelt. Es gab so viele von ihnen, ich wusste nicht wie Valentin und Jonathan uns dort je finden sollten. Ein Leben im Schatten, ein gewöhnliches Leben zwischen Menschen, die unfähig waren, die ganze Welt zu sehen. Ohne Waffen, Runen und mein Training. Ich war nicht sicher, ob ich fähig war, alles hinter mir zu lassen. Ein Versteckspiel würde uns nicht ewig vor den Plänen meines Vaters schützen.
„Clary", sagte eine sanfte Stimme hinter mir und ich drehte mich langsam herum, wandte mich von den Lichtern der Stadt ab. Jocelyn stand im Türrahmen zum Balkon und musterte mich. „Wir werden diese Nacht in Magnus' Gästezimmern übernachten. Zu unserer eigenen Sicherheit dürfen wir das Apartment nicht verlassen." Ich nickte abwesend. „Magnus wird in der Schattenwelt herumfragen, nach Informationen die deinen Vater und Jonathan betreffen, falls sie bereits damit begonnen haben, uns zu jagen" Der Moment indem sie mit der Jagd beginnen würden, war der Moment in dem sie ihre wahre Existenz der Welt und dem Rat offenbaren würden.
Obwohl die Sonne noch am Himmel war, zog ich mich in eines der Gästezimmer zurück. Ich war die ganze Nacht wach gewesen und ich wollte mich für einige Stunden ausruhen, bevor Magnus mit wichtigen Informationen zurückkehren würde.
oOo
"Clary." Diese Stimme.
Langsam öffnete ich meine Augen und zuckte vor Schreck zurück, als ich mein Zimmer in Idris erkannte. Ich konnte mein Gesicht im Spiegel sehen, der auf der gegenüber liegenden Seite des Bettes hing. Das rote Haar verwuschelt vom Schlaf, leuchtende grüne Augen und ein blasser Teint. Und vor mir am Rande des Bettes saß Jonathan.
Überrascht rang ich nach Luft und krabbelte zurück, bis mein Rücken die hölzerne Wand hinter mir berührte. „Jonathan", flüsterte ich angespannt und beobachtete ihn mit einem trüben Ausdruck.
Jonathan war vollkommen ruhig, viel ruhiger als ich es erwartete hätte. Beinahe so steif wie eine Statue saß er auf dem Bett und seine Hände waren in seinem Schoß gefaltet. Er musterte mich mit seinen dunklen Augen. „Hab keine Angst", wisperte er mit einer ruhigen Stimme. „Alles ist nun vorüber. Alles wird ab jetzt wieder gut werden."
„Wo bin ich? Wo ist Mom?" Mit pochendem Herzen versuchte ich ihn zu durchschauen. Meine Stimme klang unsicher und ich bemerkte, dass ich angefangen hatte zu weinen.
Jonathan lächelte – auf die Art wie er früher gelächelt hatte, als wir noch ein Team gewesen waren – und streckte die Hand nach meiner Wange aus. In einer sanften Bewegung strich er die Tränen weg. „Du solltest nicht weinen. Es gehört sich für Valentins Tochter nicht, zu weinen. Du solltest glücklich sein, dass Vater und ich euch beide retten konnten, bevor der Rat euch gefunden hat."
Verwirrt starrte ich meinen Bruder an. „Was meinst du? Woher wusstet ihr überhaupt, wo wir waren? Was ist passiert?" Die Fragen strömten aus meinem Mund, aber ich war nicht bereit, die Antworten zu hören. Sie würden mir nur Schmerz bereiten, so wie alle Dinge in letzter Zeit.
Jonathan strich mir durchs Haar. „Alles ist gut."
„Verdammt, Jonathan, was ist los?! Sag mir endlich die Wahrheit!" Ich wollte mich von ihm lösen, aber Jonathan zog mich an meinen Haaren näher an ihn heran.
„Du solltest dich schämen, du beschämst die Ehre unserer Familie!" Er schrie mich an und nun sah er wieder wie der Jonathan aus, den ich in Idris zurückgelassen hatte. Seine schwarzen Augen blitzten vor Wut und er fletschte die Zähne wie ein Tier.
„Lass mich los!" Ich schrie aus voller Lunge und mit meiner freien Hand schlug ich ihm, so fest ich konnte, in den Magen. Jonathan stöhnte auf und ließ mich los. Keine Sekunde später rollte ich zur Seite und sprang im Pyjama aus dem Bett.
„Clary." Plötzlich stand Jonathan vor mir und er schien sich wieder ein bisschen beruhigt zu haben. Wie hatte er sich so schnell bewegen können? Seine Stimme war volle Mitgefühl. Dämonen sind nicht in der Lage, Emotionen zu verspüren, aber sie sind sehr gut darin so zu tun, als ob, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.
„Jonathan was ist los mit-", begann ich, aber er unterbrach mich harsch.
„Nenn mich nicht so", zischte er wie eine Schlange. Ich blickte ihn verwirrt an. „Du hast nicht das Recht mich bei meinem Namen zu nennen", sagte er ruhig und setzte ein heimtückisches Grinsen auf.
„Du bist verrückt", gab ich zurück und faltete meine Hände vor meiner Brust. „Jonathan ... Wenn es noch einen kleinen Funken Menschlichkeit in dir gibt, kämpfe gegen Lilith an. Das bist du nicht du."
Jonathan lachte ein selbstgefälliges Lachen und griff nach meinem Arm. „Hör dir mal zu, rede nicht über Dinge, von denen du keine Ahnung hast."
„Ich weiß, wer du bist", schrie ich und wich ihm aus. „Ich weiß, wer du bist! Das bist nicht du! Das hier ist ein Monster!"
„Clary." Seine Stimme war gefährlich leise und er senkte den Blick.
Mein Atem beschleunigte sich, es gab keine Luft mehr zu atmen. „Ich meine es so, du bist ein Monster. Du bist nicht mehr mein Bruder!"
„Clary." Dieses Mal war es nicht Jonathan, der zu mir sprach, sondern Jocelyn. Dann wachte ich auf.
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Hallo ihr Lieben!
Über Rückmeldungen zum Kapitel würde ich mich sehr freuen!
Liebe Grüße :)
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