Kapitel 99 - Reincarnation

Song Inspiration: Dress – Taylor Swift, Guilty as Sin? – Taylor Swift

-


Kapitel 99 – Reincarnation

--- 7,5 Stunden vor Sonnenuntergang. ---

Flackerndes Kerzenlicht hüllte die Abkommenshalle in einen Schein voll Geheimniskrämerei und Erwartung – erhitzte den hohen Raum, als wären die Feierlichkeiten schon seit Tagen im Gange. Ich erinnerte mich nicht an den Grund für ihr Stattfinden – weshalb wir so kurz vor dem Krieg hier zusammenkamen. Es kam mir zu düster vor, als dass es sich um eine offizielle Staatsangelegenheit der Nephilim handeln konnte. Und doch stand ich in der Mitte einer Menschentraube, die ausschließlich aus Schattenjägern bestand. Gewandet in feinste Abendkleidung gaben nur ihre freigelegten Runen den Hinweis auf ihre Herkunft – dass sie dem Kriegsvolk zugehörig und nur zur Hälfte menschlich waren.

Die warme Luft war geladen vor heißer Anspannung. Die hohen Decken lauschten den durcheinanderredenden Menschen und warfen ihre Worte in einem wirren Geflüster zurück. Jeder in meinem direkten Umfeld erschien mir fremd. Die Gestalten, die sich mir zuwandten, musterten mich distanziert – ihre Gesichter ohne Tiefe, sodass ich mir keines von ihnen merken konnte. Sie rückten in den Hintergrund, verschwanden aus meinem Gedächtnis, sobald ich mich an ihnen vorbeigedrängt hatte. Ich bewegte mich vorwärts, das war alles, was ich wusste. Vorwärts, der Musik entgegen – eine Musik so gegensätzlich von der Feindseligkeit, welche die Atmosphäre um mich umgab wie aufsteigender Dunst einer heißen Wasserquelle. Diese Musik fühlte sich an wie ein Draht zwischen meinen Fingern – vertraut aus kindheitstagen, als würde sie mich davor bewahren, dass die Menge mich zerfleischte wie ein Rudel Wölfe ihre Beute.

Während ich mich von dieser Melodie treiben ließ, erkannte ich, dass ich mein Leben jederzeit für sie den Wölfen zum Fraß vorwerfen würde.

Erst als ich mich durch die letzte Reihe der aufkochenden Menge hindurchgekämpft hatte und das antike, schwarz-polierte Klavier in Sicht kam, begriff ich weshalb. Mein Fokus glitt sofort zu dem jungen, blonden Mann dahinter. Jace, dessen Finger sanft und nachdenklich über die Tasten fuhren, als würde er die Musik liebkosen wollen, ehe sie die Zuhörer erreichte. Als würde jeder Ton ein Buchstabe einer größeren Nachricht sein – wie ein Liebesbrief, der eingehend studiert und entschlüsselt werden musste.

Es war, als würde ich auf eine Theaterbühne hochblicken. In den Kegel eines Scheinwerfers gehüllt, der den Rest des Theatersaals in einem tiefschwarzen Nichts zurückließ, gab es nur Jace und Jace allein. Der Rest der Abkommenshalle hörte auf zu existieren, wenn er spielte. Ein Lied, welches meine Mutter mir als Kind vorgesungen hatte. Ein Lied so alt wie die Feenwesen selbst und in der Kultur der Nephilim volkstümlich, dass es von den Engeln selbst überliefert sein könnte. Ein Lied, welches meinen Erinnerungen für Jahre entfallen war, nur um jetzt wie aus dem Nichts aufzutauchen, als wäre es nie auch nur mehr als einen Gedanken entfernt gewesen. Aus seinen Fingern klang es wie Nostalgie, Heimat und Liebe gleichermaßen. Konnte es möglich sein, dass er ihre Stimme mit jedem Tastendrücken ein wenig realer werden ließ? Dass ich sie auf einmal hören konnte, als stünde sie direkt vor mir?

Als ich jemanden zu meiner Rechten hervortreten spürte, stockte mir für einen Moment der Atem, weil ich erwartete, dass sie es sein würde – dass es Jace auf wundersame Weise gelungen war, ihr tatsächlich wieder Leben einzuhauchen.

Mit ihm rechnete ich jedoch nicht. Mein Körper wollte vor Schreck zurückspringen, aber hier gab es keine Waffe, nach der ich hätte greifen können. Meine Füße wollten sich ohnehin nicht bewegen, als hätte der glatte Marmor sie verschluckt. Mein Kopf begann zu rattern – war da nicht etwas gewesen? Etwas lag hinter dem Horizont meiner Erinnerung; etwas das mit ihm zu tun hatte. Je mehr ich mich anstrengte, desto schneller entglitt mir der Erinnerungsfaden – verglühte in dem Feuer seiner Augen zu Asche.

Ich wusste sofort, weshalb er hier war. Der Dämon fühlte sich von dieser Melodie ebenso angezogen wie ich. Weil Jonathans Gedanken mit seiner Verwandlung nicht einfach verschwunden waren – weil sie noch in diesem fremden Kopf schwirrten.

Sobald er an meine Seite kam, wusste ich, dass das hier ein Traum war. Ich hatte Monate damit verbracht, die Tatsache abzuschütteln, dass mein Bruder tot war – dass nichts als ein Dämon seinen Körper beherbergte. Von diesem Dämon fehlte nun jede Spur. Neben mir stand Jonathan. Sein schiefes Lächeln trug eine Sehnsucht, die mir physischen Schmerz bereitete. Unsere Augen trafen sich – grün auf grün – und er seufzte in sich hinein. „Mit fünf hatte ich diese Phase, in der ich Nacht um Nacht von Albträumen heimgesucht wurde. Nachdem Vater angefangen hat, mich in Dämonenmythologie zu unterrichten", flüsterte er mir zu. „Mutter hat mir das Lied jedes Mal zum Einschlafen vorgesungen. Nacht um Nacht. Nichts anderes hat geholfen."

Seine Worte prallten an mir ab, weil sie nicht real waren. Weil er nicht real war. Einer dieser Träume, der einem einredete, dass die Welt in Ordnung war – doch man war bei genug Bewusstsein, um die Wahrheit zu kennen.

Meine Augen fuhren von Jonathan zu Jace, der immer noch spielte. Versunken in den auswendiggelernten Noten. Mit halb-geschlossenen Augen, als könnte er das Lied selbst im Schlaf. Die weiche Kurve seiner Lippen bestätigte mir, dass er es konnte. Nur vom Zusehen machte mein Herz einen Satz. Ihn in diesem schwarzen Anzug zu sehen, herausgeputzt und gutaussehend und entspannt, löste etwas in meiner Brust – brachte die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Schwärmen.

„Geh zu ihm", sagte Jonathan und verschmolz bereits wieder mit der Finsternis seines Dämons. Auf einmal klang seine Stimme höhnisch. „Du solltest dich verabschieden."

Mein Herz machte einen beinahe erleichterten Satz, sobald ich den Dämon vernahm. Ihn kannte ich. Mit ihm konnte ich umgehen. Also nickte ich zustimmend und schenkte ihm keinerlei Beachtung, als dieser sich neben mir in Luft auflöste. Jeder Funken meiner Aufmerksamkeit glühte auf Jace. Wie wenn er spürte, dass meine Aufmerksamkeit auf ihm lag, hob er den Kopf. Unsere Augen begegneten sich über den Raum hinweg. Ein Raum voller fremder, feindlich-gesinnter Menschen, der uns trennte. Die Intensität der Töne verlangsamte sich, als würde auf einmal alles auf Zeitlupe herunterfahren.

Ich spürte die Blicke der hunderten Augenpaare wie ein Feuer auf meinem Gesicht. Sie wussten, wer ich war, kannten meinen Namen – aber mehr auch nicht. Sie hatten keinerlei Ahnung, wer ich seiner Meinung nach war. Sie hatten keinen Schimmer, wer er für mich war; welchen Wert er in meinem Herzen trug.

Jace' Vorstellung endete unmittelbar. Der donnernde Applaus, der folgte, erreichte meine Ohren nicht. Ich war gefangen in einer Blase der Stille, die Geduld meiner Knochen bebend vor Erwartung, weil ich nicht wusste, wie lange ich seinem Blick standhalten konnte, ohne in tausend Teile zu zersplittern. Denn seine Augen ruhten weiter nur auf mir. Aufsaugend, als würde er sich jeden Zentimeter meines Körpers einprägen, um ihn niemals zu vergessen.

Der Ausdruck seiner Pupillen, als er mein Kleid in Augenschein nahm, ließ meine Hände erzittern. Wenn er mich auf diese Weise ansah, spürte ich die Hitze in mir aufsteigen wie eine verzweifelte Flamme, die nicht wusste, wie lange ich noch warten konnte – wie lange ich mich noch zurückhalten konnte. Ich wollte ertrinken in seinen Blicken, wollte mich ihm um den Hals werfen, wollte seine Finger um meine Taille spüren.

Jace schien es nicht weniger zu wollen als ich. Auf einmal stand er vor mir. Jede Erinnerung an die letzten Sekunden ausgelöscht wie ein wasserdurchlässiges Sieb. War er wirklich hier? Bildete ich mir das etwa nur ein?

„Clary."

Sobald er meinen Namen sagte, hörte der Rest der Welt auf, zu existieren. Von jetzt auf gleich war der Rest der Menge verschwunden. Auf einmal gab es nur noch uns beide – Jace und mich. Die Erde hörte auf, sich zu drehen. Die Zeit hielt an. Die Uhren hörten auf, zu ticken. Die Sekunden kamen zum Erliegen. Und alles nur wegen seiner Stimme, wegen seiner goldenen Augen auf meinem Körper, wegen seiner Hände, die endlich dort waren, wo sie hingehörten.

„Dieses Kleid", Jace stockte der Atem und ich lehnte mich fort von ihm, ohne mich von ihm zu lösen. Ich wollte, dass er es bestaunte – dass er mich darin bestaunte; in jedem Winkel der ihm beliebte. Er sollte die weichen Fasern unter seinen Fingerkuppen spüren, während er sie meine Hüften heruntergleiten ließ – herunter bis zu meinen Oberschenkeln und noch weiter. Er sollte erst aufhören, wenn das Feuer in meiner Mitte sich legte, wenn ich aufhörte zu brennen, wenn ich genug von ihm hatte – was niemals passieren würde.

„Ich habe es nur für dich angezogen", wisperte ich, sodass Jace sich zu mir herabbeugen musste, um meine Worte zu verstehen.

„Ich liebe alles daran", erwiderte er. Seine Finger in meine Taille gegraben beugte er sich weiter, weiter, weiter zu mir herunter, bis sein Mund meine Wange streifte. Doch Jace machte keinen Halt. Stumm drehte ich den Kopf zur Seite, um ihm Zugang zu meinem Hals zu gewähren. Seine Zähne verharrten über meiner Pulsader und ein Seufzen entkam meiner Kehle. „Dich liebe ich jedoch mehr."

Das Ratschen in meinem Rücken war die einzige Warnung, welche ich bekam, ehe Jace den Stoff in Stücke riss. Überrascht wollte ich nach Luft schnappen, aber er hatte seine Lippen bereits auf meine gelegt. Es reichet nicht, um mein Feuer zu ersticken. Ich schloss meine Lider und alles um mich herum verschwand in einem Strudel aus Wärme, Farben und Sinneseindrücken. Jace' Finger, die plötzlich über meine nackte Haut fuhren. Mein Rücken, der plötzlich auf einer weichen Oberfläche lag. Jace, der sich über mich beugte und aus unergründlichen, berauschenden Augen auf mich herabblickte.

„Ich liebe dich so so so viel mehr, Clary Morgenstern."

„Beweis es mir", flüsterte ich heiser und wagemutig, meine Arme in seinen Nacken gelegt. Wusste er, dass ich nur darauf gehofft hatte, dass er sich meinem Kleid entledigen würde, genau wie er es getan hatte? Wusste er, dass alles hier genau so lief, wie ich es mir ausgemalt hatte?

Seine Augen verdunkelten, als er mir die Überreste des Kleides auszog. Ich hörte, wie er die Luft einsaugte, denn ohne den dünnen Stoff war nichts mehr da, was irgendetwas von mir vor ihm verbarg. Nun waren es seine Hände, die vor Erwartung bebten.

Jace' kühle Finger strichen mir die vor Schweiß verklebten Haare von den Schlüsselbeinen. Seine wachsamen, geweiteten Pupillen nahmen jeden Zentimeter von mir in Augenschein. Mit der Rückseite seiner Finger streichelte er meine Brustseite, wanderte über meine Flanke herunter zu meinem Hüftknochen. Jede Scheu war wie ausgelöscht, während sich seine Finger tiefer und tiefer bewegten.

Dort wo er mich berührte, begann meine bereits entzündete Haut zu brennen. Einkerbungen, die seine Finger auf meinem Körper hinterließen, um mich als Sein zu markieren. Wie eine Rune, die seinen Namen trug – die nur mir aufgetragen werden konnte.

Der plötzliche Drang in meinen Händen, ihn als Mein zu markieren, war unaufhaltsam. Ein Wimpernschlag und ich schälte ihn aus seinem Hemd. Jace' Muskeln fühlten sich hart unter meinen Nägeln an, als ich ihn fast gewaltsam zu mir herunterzog und uns umdrehte. Er stöhnte in meinen Mund, stöhnte meinen Namen, aber ich bekam es kaum mit. Benebelt von dem Rausch seiner Rune auf mir, presste ich meine Finger auf seine Brust.

Goldene Tinte floss aus meinen Fingern und formte sich zu seiner ganz persönlichen Rune. Eine Rune, für die keine Stele nötig war. Sie schrie nach Kraft und Himmel und Leidenschaft. Doch da war mehr – etwas Fremdes, dem ich zwar einen Namen zuordnen konnte, was jedoch keinen Sinn ergab. Mein gesamter Körper bebte vor Anstrengung, die es erforderte, der Rune nicht selbst zum Opfer zu fallen. Denn Liebe war ein Rausch, dem es standzuhalten galt – sich ihr hinzugeben war wundervoller als der himmlische Gesang es jemals sein könnte. Jedoch erforderte sie ein Durchhalten so kräftezehrend und sirenenhaft, dass meine goldene Liebe mich unwiderruflich entflammen würde, wenn ich glaubte, den Halt zu dieser Welt gänzlich verlieren zu können. Hingabe schloss Standhaltung nicht aus, es war die größte aller Herausforderungen.

Jace war da, um mich festzuhalten. Dort wo sein Körper in meinen überging, brodelte mein Blut wie ein lebendiges Feuer. Solange er mich hielt, kümmerte es mich nicht. Seine Lippen liebkosten meine Haut; er schien die Hitze selbst nicht zu bemerken. Dabei musste sie von ihm ausgehen, von seiner Engelskraft. Seine goldenen Locken, alles was ich sah, während ich darum kämpfte, im Hier und Jetzt zu bleiben. Ich konzentrierte mich auf seinen Kopf, der immer tiefer an meinem Körper entlangwanderte. Jeder Kuss, jedes Streifen seiner Zähne, jedes Spiel seiner Zunge verbrannte mich von innen heraus, verhinderte aber gleichzeitig, dass ich mich in den lodernden Flammen verlor.

Ich wusste, dass er mein Tod sein würde. Es konnte mir nicht erlaubt sein, eine solche Liebe behalten zu dürfen. Wie ein anmutiger Schmetterling, der mit seinen zarten Flügeln umherflatterte – unnahbar und zu schön, um ihn länger als einen Moment auf der Hand halten zu können, ehe er davonflog, um sich vor der zerstörerischen Kraft des Menschen in Sicherheit zu bringen.

War es das? War es mein Schicksal als Morgenstern, zu zerstören, was ich liebte? Ich wollte Jace alles und mehr geben, hatte im Kopf bereits hunderte Szenarien durchgespielt – ohne dass eines von ihnen meine Gedanken jemals verlassen würde. War ich wahnsinnig oder schlau, diese Sehnsüchte verschlossen zu halten? Mit jedem Wort aus Jace' Mund schien mein Geist sich weiter für ihn zu öffnen. Als würde er nur darauf warten, dass ich meine letzten Unsicherheiten über Bord warf. Aber würde ich als Morgenstern jemals dazu in der Lage sein?

Mein Name ging ihm ehrfürchtig wie ein Gebet über die Zunge. Die Innenseiten seiner Hände glitten über meine Oberschenkel, hielten mich in Position, während Jace ein Teil von mir wurde; sein Atem ein Keuchen an meinem Ohr. Als schließlich der Punkt kam, an dem die Spannung in meinem Bauch überzuquellen drohte, warf ich jede Sicherheitsmaßnahme über Bord. Ich ließ mich in die Zweisamkeit fallen, wusste, dass Jace mich auffangen und festhalten würde.

Die Welt um uns explodierte in einem Schwall aus orange-roten Farbtönen. Kräftig wie der Kern einer Flamme, grell wie die Sonne selbst. Die Hitze brach aus mir heraus wie die plötzliche Entladung eines Blitzes inmitten eines Sommersturmes.

Wenn Jace' Liebe sich so anfühlte, würde ich jedes Hindernis in Kauf nehmen. Jede Ächtung, jedes Opfer, jeden Mord. In diesem Moment, fallend in eine auseinanderbrechende Tiefe, würde ich auch mein eigenes Leben geben.

Du bist die einzige Schwäche, welche ich mir gestatte, flüsterte eine fremde Stimme aus weiter Ferne. Ich erinnerte mich nicht an die Worte, wusste jedoch in meinem tiefsten Herzen, dass sie der Wahrheit entsprachen.

Ich fiel immer noch. Es war, als würde ich in den Erdkern selbst fallen. Ein endloser Tunnel aus emporschießenden Flammen, die über meine Haut leckten und sich um meine kleiderlosen Glieder schmiegten. Es mussten Jahre vergangen sein, bis mir in einem herzaussetzenden Moment plötzlich auffiel, dass Jace verschwunden war. Seine Berührungen wie ein Echo auf meinem Körper, dabei konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wie lange er bereits fort war.

Je heller das Feuer brannte, welches aus mir herauszubrechen schien, desto mehr verdunkelte sich mein Geist. Die Gedanken und Erinnerungen verflüchtigten sich wie Wasser durch ein Sieb, nahmen Reißaus. Ich konnte nur dabei zusehen, wie sie von dem Feuer verbrannt wurden, konnte nicht einmal die Hand ausstrecken. Denn da war nichts, was nach irgendetwas hätte greifen können. Da war nichts als Licht. Rot, orange, gelb. Ich war nichts als ein Schillern aus Farben – meine Existenz reduziert auf durchscheinende Atome.

Das hier war kein Traum. Es brauchte weitere Jahre, um zu dieser Realisation zu gelangen. Doch ich fiel immer noch. Kein Traum. Realität aber auch nicht. Zumindest nicht für lange.

Dämonen. Engel. Götter. Jeder war machtlos Auge in Auge mit der Zeit. Und so fand die Realität auch in dieser Dimension einen Weg, um meinem Kreislauf des Feuers ein Ende zu setzen. Unaufhaltsam wie Wasser schlüpfte sie durch die kleinste Pore. Kapillarartig, weil die Hitze auf ihrem Höhepunkt alles verdampfte, was sich durch die Flammen zu kämpfen versuchte. Das Feuer wie eine Wand aus Beton hielt zuerst auch dem Wasser der Realität stand. Schleichend, weil die Hitze allmählich nachließ und nicht schlagartig. Durchdringend, sobald von der Hitze nicht mehr als eine warme Resonanz zurückblieb.

Dann, reingewaschen im Himmlischen Feuer, ertrank ich an der Asche meiner eigenen Existenz.

oOo

Da war ein finaler Moment der Klarheit. Kurz wie ein Blitz am Horizont, ehe die Dunkelheit eintrat. In diesem Moment wusste ich, was mit mir geschehen war; was ich geopfert hatte. Ich wusste, dass ich nicht sterben durfte.

Weit entfernt, in der Tiefe des beinahe schwarzen Horizonts schwebte ein fast verblasstes Versprechen. Doch der Erzengel würde sich an dieses Versprechen erinnern; würde mich daran binden – so wie es sein sollte.

Der Erzengel persönlich möge mein Zeuge sein, wenn ich schwöre, dass ich mich für niemanden außer dich in diesem Krieg opfern werde, denn ich habe bereits genügend Opfer gebracht.

Für Jace. Weil er mehr verdiente als das hier.

oOo

Ich fühlte mich, als würde ich durch Zeit und Raum schweben. Ohne Verbindung zu meinen Sinnen, ohne Verbindung zu irgendetwas.

Ich. Ich? Ich. Wer war dieses ich?

Wer bist du? Wo bist du? Wieso ist diese Welt so ... dunkel?

oOo

Feuer. Es war der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, als es meinem Bewusstsein gelang, an die Oberfläche zu schwimmen.

Es hatte ein Feuer gegeben. Ich ... Ich war dort gewesen. Eine Wand aus undurchdringlichen, orange-roten Flammen. Ich war dort gewesen. Direkt in seinem Kern. Aber ... wo war dort überhaupt?

Und wer war ich? Wieso ... wieso konnte ich mich nicht daran erinnern? Wieso war ich gefangen in einer Kammer der Finsternis, als würde in dieser Dimension nichts existieren als Dunkelheit. Es war so schwarz, dass ich nicht einmal wusste, ob ich die Augen offen oder geschlossen hatte.

Ich spürte meinen Körper nicht. Ich hätte genauso gut ein Geist sein können. Ich hätte genauso gut tot sein können.

Etwas zerrte an mir. Ob nun an Körper oder Seele – etwas zerrte an mir, als würde es mich tief, tief, tief nach unten reißen wollen. Etwas wie eine Schwerkraft schien – hier, zwischen den Welten – noch zu existieren, denn ich spürte nur, wie sich meine Form den Krallen beugte und ich in ein widerstandsloses, schwarzes Nichts hinabfiel.

oOo

Erinnerungen sickerten in mein Gehirn wie Wasser durch Schichten aus feuchtem Sand. Ich konnte mich erinnern. Nicht an viel. Nicht an Details. Doch nun war ich überzeugt, dass es nur mehr Zeit brauchen würde.

Mein Name ist Clarissa Adele Morgenstern. Ich bin achtzehn Jahre alt. Ich bin die beste Schattenjägerin meiner Generation.

Ich konnte immer noch nicht sagen, ob ich lebte oder tot war. Dort wo mein Körper sein sollte, existierte nichts. Oder ich spürte ihn nicht. Keine innere Körperwahrnehmung, kein Körpergefühl durch eine Berührung, keine Körperempfindungen durch Nerven oder gar Atmen. Das Gefühl hätte mir Angst einjagen sollen, oder nicht?

Mein Name ist Clarissa Adele Morgenstern. Ich bin achtzehn Jahre alt. Ich lebe im Randgebiet von Idris. Meine Eltern sind Jocelyn und Valentin Morgenstern. Ich habe einen älteren Bruder. Sein Name ist Jonathan.

Dieser letzte Gedanke brachte mich ins Stocken. Oder hätte, wenn meine Existenz an Sauerstoff gekoppelt gewesen wäre.

Jonathan.

Der plötzliche Schwall an Emotionen, der mich zu überfluten drohte, kam unerwartet. Ich spürte sie, tief in ... dieser Schale meines einstigen Ichs. Wie ... wie ein Topf, der kurz davor war überzukochen, doch jemand hielt den Deckel so fest, dass der ganze Druck im Topf blieb; für den Moment.

Was war da los? Wieso ... wieso konnte ich nicht auf diese Emotionen zugreifen?

Niemals hätte ich geahnt, dass mich Denken allein einmal so erschöpfen würde. Wie durch die Hände gleitender Sand, den man wieder und wieder festzuhalten versuchte. Was auch immer mir widerfahren war, es musste mich an den Rand meiner Lebensenergie getrieben haben – falls ich überhaupt noch lebte.

Während das Gesicht von Jonathan vor meinem inneren Auge verblasste wie eine lang zurückliegende Erinnerung, stachen nur seine grünen Augen hervor. Sie waren alles, woran ich festhalten konnte, bevor die Erschöpfung mich übermannte.

oOo

Da klaffte ein Loch in meiner Brust. Ich konnte die Lider nicht aufschlagen, um es zu überprüfen, aber ich wusste dennoch, dass es da war. Es brannte, als hätte man mir einen Eimer Säure übergekippt.

Feuer nahm mein Sichtfeld ein, breitete sich vor und hinter meinen Augenlidern aus, als befände ich mich im Mittelpunkt der Sonne selbst.

Das Loch in meiner Mitte brannte nicht wie Feuer. Die Hitze blieb aus. Ein überwältigendes Kribbeln in meinen tauben Nerven. Ächzender, bohrender Schmerz, der mir durch Mark und Bein fuhr, als wären von mir nichts übrig als Fetzen.

Schmerz. So viel Schmerz. So tiefer Schmerz.

Mein Kiefer riss auseinander. Ein Brüllen bildete sich auf meinen verkohlten Stimmbändern.

Dem Körper, in dem ich steckte, fehlte jede Kraft. Als hätte ein verdammter Blutsauger ihn bis auf den letzten Tropfen Blut leergesaugt.

Dem Schrei fehlte Stärke und Durchschlagkraft. Würde mich so denn überhaupt jemand hören? Ich brauchte Hilfe. Wo war meine Familie? Sie würden mich nicht so vor mich hinrotten lassen, wenn sie nicht selbst ...

Mein Herz machte einen plötzlichen Satz, ließ meinen Puls panisch in die Höhe schnellen, als mein Hirn automatisch die alternativen Szenarien kalkulierte.

Du musst dich beruhigen, Clarissa Morgenstern, sprach da eine Stimme in meinem Kopf.

Unter mir versteinerte mein Körper.

Stiller Bruder.

Von diesem Moment an, nahm die Panik richtig an Fahrt auf.

Stiller Bruder konnte nur eines bedeuten: Ich war weitab von meiner Familie. Entweder in der Stillen Stadt oder Alicante. In Feindeshand.

Du musst deinen Herzschlag unter Kontrolle bekommen, sagte diese Stimme, die wie ein Schaben von Metall auf Metall klang. Lenke deine Gedanken gezielt.

Und wie ich meine Gedanken lenken würde. Darauf, den Körper zu dieser Stimme zu verstümmeln, sobald ich genug Kräfte gesammelt hatte, um die Augen zu öffnen. Sobald ich selbst aus mehr als Fetzen bestand.

Ich gebe dir etwas gegen den Schmerz. Du verhinderst den Heilungsprozess.

Nein, nein, nein!, wollte ich dieser Stimme entgegenschreien. Ich wollte um mich schlagen, wollte kämpfen. Aber die Verbindung zu meinem Kopf war bereits gekappt worden.

Die folgende Stille kam mir auf eine unangenehme Weise vertraut vor. Ermüdend und einlullend und ...

oOo

--- 4 Stunden vor Sonnenuntergang. ---

Jemand beobachtete mich. Vater hatte uns darin geschult, die Präsenz anderer auszumachen, wenn wir nicht in der Lage waren, unsere Tarnung auffliegen zu lassen. Nichts anderes als das tat ich gerade. Ich war bereits vor knapp zehn Minuten zu Bewusstsein gekommen, hielt meinen Atem jedoch absichtlich flach und ebenmäßig. Wer auch immer über mich wachte, sollte mich schlafend glauben.

Mein vernebeltes Gehirn brauchte einige Minuten, um mich auf den neusten Stand zu bringen. Irgendetwas stimmte nicht. Es war als würde mein inneres Auge auf eine Wand aus Milchglas starren, an der es nicht vorbei konnte. Etwas lag dahinter, befand sich jedoch außerhalb meiner Reichweite.

Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war das Feuer. Hochlodernd und heiß hatte es mich verschlungen. Die Gründe, weshalb ich in seinem Kern gestanden hatte, befanden sich hinter dieser Wand. So wie alles andere, was davor geschehen war. Ich wusste, dass dieses Feuer der Schlüssel war, um dieses Glas zu durchbrechen, aber mein Körper war ein Wrack. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich gerade aufrichten würde können. Das Loch in meiner Brust war immer noch präsent, wenn auch weniger intensiv aus zuvor. Als würden sich die Ränder langsam aber sicher den Iratzen beugen, die mir jemand aufgetragen hatte.

Jemand hatte mich geheilt. Andernfalls wäre ich tot, das wusste ich. Die Stillen Brüder? Weshalb sollten sie so etwas tun? Vater musste noch dort draußen sein. Ihn konnten sie nicht erwischt haben, wenn sie es für notwendig hielten, mich am Leben zu erhalten. Sobald sie merkten, dass ich ihnen kein Sterbenswörtchen verraten würde, würde sich der Rat mir ohnehin entledigen. Oder sie waren so töricht zu glauben, dass sie mich als Druckmittel würden verwenden können. Es war irrelevant, da ich mich ohnehin an nichts erinnern konnte. Vielleicht war dies mehr Segen als Fluch – vielleicht war das hier Absicht; Vaters Werk.

Holzdielen knarrten als jemand zu meiner rechten das Gewicht verlagerte. Schritte tönten an mein Ohr. Jemand entfernte sich von mir. Eine Tür wurde geöffnet und Sekunden später unter metallischem Krächzen geschlossen.

Innerlich zählte ich bis dreißig, ehe ich meine Lider auseinanderzwang.

Ich befand mich in einem weiten Raum mit hohen Decken und mit Ebenholz verkleideten Wänden. Eine Fensterfront im Rücken meines schlichtbezogenen Bettes ließ Mittagslicht herein. Meine Augen verzogen sich wie von selbst zu Schlitzen. Für einen Wintertag schien das Licht ... zu kräftig zu strahlen. Nicht wie im Sommer, jedoch fühlte es sich ... wärmer in meinem Nacken an. Seltsam. Wahrscheinlich die Rückstände des Feuers, welche mir einen Streich spielten.

Eine identische Kopie von vier weiteren Betten reihten sich auf beiden Seiten von mir auf. Auf dem unscheinbaren, weißen Nachttisch zu meiner linken stand ein unangetastetes Glas Wasser und ... Mein Atem begann zu stocken. Ich musste die Augen weiten, um sicherzugehen, dass mir mein Verstand keinen Streich spielte. Die kunstvoll geschmiedete Stele meiner Mutter ruhte auf einem bordeauxroten Samtkissen und daneben, in seiner mit Sternen bestickten Scheide, Eosphoros. Der Griff aus Gold und Obsidian schaute daraus hervor, rief förmlich nach mir. Wie der Gesang einer Sirene war es fast unmöglich, nicht sofort die Hand danach auszustrecken.

Stattdessen klammerte ich mich an die Stele. War das hier nur ein großes Missverständnis und würden Vater und Mutter mich erwarten, wenn ich aus der Tür hinaustrat? Würde Jonathan mich in die Arme schließen und über meine Paranoia lachen?

Es musste ein Trick sein. Ich war mir sicher, mir die Stimme des Stillen Bruders eingebildet zu haben.

Während ich darüber nachgrübelte, senkte sich mein Blick auf meinen Bauch. Neben meinem Bett lag ein Haufen blutiger Montur – falls das meine war, wie hatte sie das Feuer überstanden? Wie hatte ich das Feuer überstanden? Eingekleidet in eine lose, aschgraue Tunika war es ein Leichtes, den Stoff hochzuschieben und die Verletzung in Augenschein zu nehmen, die mich lähmte.

Ein dicker Verband wand sich mehrmals um meinen Oberkörper. Mehrere Iratzen waren um die Stelle aufgetragen, präzise und mit großer Sorgfalt. Mit der Stele gegen meine Haut fühlte sich die Wunde nur noch wie ein entferntes Pochen an. Jede Bewegung würde wehtun, würde sich wahrscheinlich wie eine Stichwunde anfühlten – aber das war aushaltbar. Musste es sein. Wer auch immer mich verarztet hatte, solange es nicht meine Familie war, ich würde dieser Person kein Vertrauen entgegenbringen.

Bevor ich meine Füße über den Rand des Bettes schwang, versah ich mich mit einer eigenen Iratze. Ich spürte bereits, wie sie das juckende Brennen betäubte, welches zwischen meinen Rippen schlummerte. Jemand hatte mich mit einem Schwert erstochen, so viel war sofort ersichtlich. Obwohl meine Lunge vom Winkel her nicht betroffen gewesen war, hätte die Verletzung tödlich sein müssen. Ich konnte die verheilten Rippen spüren, die nun von innen gegen meine Haut drückten, als würden sie noch nicht völlig ihren ursprünglichen Platz wiedergefunden haben.

Ich müsste tot sein, war es jedoch nicht. Wieso?

Neben dem Bett stand ein Paar meiner feinen Kampfstiefel. Als meine Füße hineinglitten, bemerkte ich einen dünnen, dunklen Belag, der auf dem Leder haftete. Meine Fingerkuppe färbte sich schwarz als ich sie darüber gleiten ließ. Ruß, wie nach einem Brand.

Was war geschehen? Wieso konnte ich dieses Milchglas nicht einschlagen, welches mich mein Hirn beschränkte?

Sobald ich mit Eosphoros und der Stele bewaffnet war, erlaubte ich mir einen Blick aus dem Fenster. Ich befand mich tatsächlich in Alicante. Es mussten die Basilias sein, denn ich hatte einen freien Blick auf die Garnison auf der Anhöhe und den Platz der Engel, dem diese Seite des Gebäudes direkt zugewandt war.

Das Brennen verwandelte sich in ein persistentes Kratzen, wurde schlimmer als mein Gemütszustand sich verschlechterte. Als würden die Nähte der Wunde sich öffnen. Doch Blut bliebt aus, wie eine kurze Kontrolle bestätigte. Es war mein Körper, der mir einen Streich spielte. Weil er widerspiegelte, was meine Emotionen zu verkörpern versuchten: In der heiligen Hauptstadt der Nephilim wimmelte es von Unterweltlern.

Unmöglich. Wie hatte der nichtsnutzige Rat so etwas erlauben lassen können? Was war geschehen?!

Meine Lage war gerade noch viel schlimmer geworden – meine Chancen deutlich geringer. Ich musste verschwinden. Sofort.

Zuerst zog ich das Fenster in Betracht. Mit dem Platz der Engel konfrontiert fehlte allerdings ein Dach, auf welches ich mich herabhangeln hätte können. Das Erdgeschoss lag zu weit unter mir. Ich konnte nicht riskieren, dort gesehen zu werden und dann in Eile den Abstand zum Boden überwinden zu müssen.

Die Tür war meine einzige Option. Mit Eosphoros in der dominanten Hand drehte ich den Türknauf, welcher die Tür ohne Umschweife nach innen öffnete. Hinter meinem Krankenzimmer lag ein weiterer Raum mit den gleichen hohen Decken und ähnlicher Inneneinrichtung, nur war dieser deutlich kleiner. Ein einziges Fenster, davor ein einziges Bett. Darin lag Jonathan.

Ein Keuchen entkam meinen Lippen und ich rauschte an seine Seite. Der Stille Bruder, der sich gerade über ihn gebeugt hatte, riss ruckartig den unter einer tiefen Kapuze versteckten Kopf hoch.

„Weg von ihm!", fauchte ich und hielt ihm Eosphoros' Klinge unmittelbar an die Halsschlagader. Seine weite Robe würde mich nicht davon abhalten, sie beim ersten Versuch zu treffen.

Clarissa, senke das Schwert, hörte ich die gleiche, schmirgelige Stimme wie vorhin in meinem Kopf sprechen. Ruhig wie ein unberührtes Gewässer, freundlich als würden wir uns kennen. Ich wechsele lediglich Jonathans Verband.

Das Schwert bebte in meiner Hand, aus Anstrengung und weil die leblose Gestalt des Bruders mir eine Heidenangst einjagte. „Ich falle sicher nicht auf die Tricks der Bruderschaft herein", war alles, was ich erwiderte. „Fort von ihm, sofort!"

Zu meiner Überraschung gehorchte der Stille Bruder. Geschmeidig wie ein Tänzer schritt er vom Bett zurück – die Bewegung löste etwas in meinem Gedächtnis, hinterließ Einkerbungen im Milchglas. Eine verwirrend lindernde Emotion, die ich nicht einordnen konnte. Vater dementierte zwar immer die Gerüchte, dass die Brüder Gedanken lesen konnten, aber vielleicht ... Konnten sie etwa Gefühle manipulieren?

Kopfschüttelnd zwang ich meine Aufmerksamkeit auf den Stillen Bruder, der seine vollständige Aufmerksamkeit auf mich richtete. Seine fahle Haut war unter den Schatten seiner Kapuze nicht zu erkennen. Die Haare in meinem Nacken richteten sich von selbst auf, ließen meinen Arm kaum merklich erbeben. Der Bruder sah es trotzdem.

Ich spüre, dass etwas mit dir nicht stimmt, Clarissa. Du solltest mittlerweile wissen, dass wir Jonathan keinen Schaden zufügen würden. Die Bruderschaft sorgt sich um sein Wohlergehen, genauso wie um deines.

Ich gestattete mir einen Seitenblick auf Jonathan. Sein weißblondes Haar fiel kraftlos über seine Stirn. Die Augenlider flatterten unaufhörlich, als würde er Qualen leiden. Allerdings waren es seine hervorstechenden Wangenknochen, seine kantigen Gesichtszüge, die dem Raum jeglichen Sauerstoff entzogen.

Verzweifelt kramte ich nach der letzten Erinnerung an meinen Bruder. Das letzte Bild, welches ich von seinem Gesicht heraufbeschwören konnte. Es wirkte seltsam verzerrt; verschwommen, als läge es Monate zurück. Diese Version Jonathans, die da vor mir lag, wirkte um Jahre gealtert – von jeder Kraft verlassen, die sonst an jeder Faser seines Körpers abzulesen war.

„Beim ...", brachte ich stockend hervor. Der Zorn in meinem Herzen erreichte den Höhepunkt und brach in einem Schrei aus mir heraus. „Was habt ihr mit ihm gemacht?!"

Wovon sprichst du da, Clarissa? Die Verwirrung des Bruders klang überdeutlich aus seiner Frage hervor. Als wäre ich diejenige, die hier keinen Sinn ergab. Ich glaubte zu sehen, dass er kaum merklich den Kopf in einer Frage neigte. Sein nächster Satz trug eine Nuance der Vorsicht, während ich seine nicht vorhandenen Augen forschend auf mir spürte. Wir haben ihm das Leben gerettet, so wie wir deines gerettet haben.

Die Verzweiflung drohte die Zutat in der Suppe meiner Emotionen zu werden, die mich übermannen würde. Meine Erschöpfung rüttelte an dem Gerüst meiner emotionalen Stabilität, allerdings würde ich Jonathan in seinem jetzigen Zustand nicht von hier fortschaffen können. Aber zurücklassen konnte ich ihn auch nicht ...

„Wo sind meine Eltern?", verlangte ich zu wissen und versuchte, gelassen zu klingen. Ich wusste nichts über meine derzeitige Situation; wusste nicht, wie ich hier gelandet war. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Es war mehr als offensichtlich, dass ich dem Bruder nicht entkommen würde. Er war bei makelloser Gesundheit und würde mich übermannt haben, ehe ich es zur nächsten Tür geschafft hatte. Mir blieb nichts als Zeit zu schinden, falls Vater unterwegs war, um uns zu retten. Eine kaum merkliche Stimme in meinem Kopf flüsterte, dass diese Hoffnung vergebens sein würde. Niemals würde er planlos hereinplatzen, wenn die Stadt voller Unterweltler war. Und die Stadt war definitiv nicht unter seiner Kontrolle.

Valentin befindet sich unseren Informationen zur Folge weiter im Brocelind-Wald. Du solltest dich setzen, Clarissa. Ich weiß, dass du kämpfen willst. Wenn deine Genesung schnell genug voranschreitet, wirst du die Gelegenheit dazu bekommen.

Beim Erzengel, wovon sprach er da? Dass Vater noch am Leben war, ließ Erleichterung durch meine Venen fließen. Ich machte keinerlei Anstalten, mich auf den einsamen Stuhl zu setzen, den der Bruder mir angeboten hatte, als wären wir alte Bekannte. Er musste mich für töricht halten, wenn er glaubte, mich so leicht von meinen Absichten abbringen zu können.

Gerade als ich ihm genau das sagen wollte, wirbelte ein anderer Gedanke in mir auf. Brocelind-Wald? War Vater etwa dabei Raziel heraufzubeschwören? Befanden wir uns inmitten seiner fein ausgearbeiteten Pläne? Waren Jonathan und ich deshalb hier gelandet? Hatte es einen Kampf gegen die Nephilim gegeben? Liefen deshalb draußen Unterweltler herum – weil sie sich gegen uns verbündet hatten?

„Und meine Mutter?", harkte ich fordernd nach. Lass sie nicht deine Schwächen sehen. Wie wenn ich einen Schlag abwehren würde, verlagerte ich die Position von Eosphoros vor meiner Brust. Mein Knie drückte gegen das Bettgestell, ich war Jonathan so nah wie es unter den Umständen möglich war.

Der Stille Bruder beantwortete meine Frage nicht. Vielleicht weil er durch meine Strategie der Zeitschindung hindurchgesehen hatte. Vielleicht weil er keine Ahnung hatte. Die Temperatur des Zimmers schien um mehrere Grad zu fallen – eine frostige Kälte, die von dem Bruder ausging, breitete sich zwischen uns aus. Es fühlte sich an wie eine grausige Vorahnung, die sich gegen die Innenseiten meiner Schläfen presste.

Plötzlich bekam ich das atemlose Gefühl, dass sein Schweigen persönlich zu nehmen war. Ein Gefühl meines Unterbewusstseins – als würde es über Wissen verfügen, welches mir verwehrt war – als könnte es durch das Milchglas sehen.

Meine Stimme zitterte, als ich die Frage umformulierte. „Jocelyn Morgenstern. Wo ist sie?"

Diesmal war das Zögern des Stillen Bruders unübersehbar. Obwohl sich optisch nichts verändert hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass die Gestalt vor mir aufgehört hatte, zu atmen. Eine der vielen Statuen in der Stillen Stadt, die den Brüdern nachempfunden waren.

Sein Schweigen zog sich ins Unendliche. Ich orientierte mich am kaum merklichen Heben und Senken von Jonathans Brust und geriet durch meine eigene Inaktivität ins Schwitzen. Ich wusste, dass ich den Bruder angreifen sollte – den Inbegriff des Nephilimtums – konnte mich jedoch nicht aus meiner eigenen Starre lösen. Meine Muskeln verweigerten mir den Dienst – verhinderten ein noch größeres Destaster.

Was ist das Letzte woran du dich erinnerst, Clarissa?

Eine simple Frage, die mich förmlich aus dieser Dimension wegsprengte. „Wie bitte?" Flüstern, Wispern, Hauchen. Nichts davon traf zu – alles davon traf zu.

Ich kann aus der Ferne keine eindeutige Diagnose stellen, deinem verfremdeten Verhalten nach zu urteilen, scheinst du nicht du selbst zu sein. Es könnte mit einem Gedächtnisschwund zusammenhängen. Wenn du mich deinen Kopf überprüfen lassen würdest, könnte ich–

„Auf keinen Fall!" Nun richtete ich dem Bruder die Spitze des Schwerts nun doch direkt entgegen. Ein Akt der Verzweiflung, Mimik und Stimme von mir unterstrichen dies. Ich wollte nicht, dass es der Wahrheit entsprach. Es fachte den Trotz, meiner Familie keine Schande zu machen, nur stärker an. Emotionen die neue Emotionen entfachten – wie Öl ins Feuer zu gießen. „Einen Schritt in meine Richtung und ich schlitze Euch auf wie einen Fisch!"

Insgeheim krabbelte eine unangenehme Angst meine Eingeweide herauf. Etwas mit meinem Kopf stimmte nicht; das Milchglas war der Beweis dafür. Da waren Erinnerungen, auf die ich nicht zugreifen konnte. Das Feuer war schuld. Das Feuer blockierte mich. Wieso immer Feuer? Er hatte recht, dass mir Erinnerungen fehlten.

Ich war mir sicher, dass der Bruder zu einer Antwort ansetzen wollte. Selbst mit einer Klinge an der Kehle war er die Ruhe selbst. Wahrscheinlich weil in meinem Zustand eine lächerliche Gefahr von mir ausging.

Oder weil er dich kennt, murmelte eine Stimme von der anderen Seite des Milchglases. So leise wie das Surren des Windes und doch sprang mein Körper in die Luft, als hätte jemand die Worte direkt in meinen Nacken geatmet.

In diesem Moment öffnete sich die zweite Tür des Raumes mit einem Poltern. Eine Frau in ihren Sechzigern stürmte in das Krankenzimmer, ihre zeremoniellen Roben wehten hinter ihren Schritten; ließen sie breiter und majestätischer wirken als sie tatsächlich war, sobald man genauer hinsah. Die straff zurückgesteckten Haare verliehen ihr eine emotionslose Härte und der strenge Ausdruck wirkte so festgefahren, als wäre er fest in ihrem Gesicht verankert. Allein die Abwesenheit in ihren eisblauen Augen enthüllte, dass auch sie fühlte. Diese Mimik erinnerte mich fast an Vater. Diese Augen jedoch ... erinnerten mich an jemand völlig anderes. Wie ein Schmetterling, den man einzufangen versuchte, einem jedoch wieder und wieder entkam.

Wie von selbst legte ich den Kopf schief. Auf einmal schoss eine Ladung puren Adrenalins durch meine geschwächten Adern. Meine Sinne fuhren hoch, analysierten jeden Zentimeter ihrer Gestalt und jeden Winkel dahinter, wo die offene Tür in einen Flur zu münden schien.

Als die Augen der Schattenjägerin – denn mit dieser Härte konnte sie nur eine Schattenjägerin sein – auf mich fielen, weiteten diese sich in einem Ausdruck puren Entsetzens. Das Grinsen schlich sich wie von selbst auf meine Lippen. Endlich jemand, der meine Präsenz angemessen zu würdigen wusste. Ihre Schritte stoppten im Türrahmen, beinahe stolperte sie. Ihre Pupillen nahmen meine Gestalt in Augenschein und bohrten sich in purem Schock in mich hinein.

„Clarissa", flüsterte die alte Frau, deren Augen so vertraut wirkten wie eine warme Berührung eines Sommerwindes auf der Haut. Ihre Stimme jedoch war frei von jeglicher Zuneigung.

„Überrascht, dass ich bereits auf den Beinen bin?" Das Schwert verließ die Kehle des Stillen Bruders nicht. Das Adrenalin ließ mich den Griff halten, ohne zu zimpern. „Lasst mich raten, der Rat hat Euch geschickt, um mich zu befragen. Was, beschäftigt mein Vater die Nephilim etwa so gut, dass der Rat niemand anders für meine Folter übrighat als eine alte, gebrechliche Frau?"

Einen Augenblick lang verwandelte sich der Schock auf ihrem Gesicht in ein Gaffen. Ein Funke der Empörung verdrängte die ferne Melancholie aus ihren Iriden – wem auch immer sie gegolten hatte, für mich hatte sie nichts derart übrig; alles andere wäre ohnehin eine Überraschung gewesen. Anstelle einer Antwort drehte sie den Kopf kaum merklich zu dem Stillen Bruder. Die fordernde Autorität, die sich sofort in ihren Blick schlich wie eine angreifende Viper, ließ mich innehalten. Es war unübersehbar, dass der Bruder ihr etwas mitteilte.

„Ihr seid die Inquisitorin", stellte ich fest. Das Lachen, welches folgte, halb amüsiert und halb unbehaglich, ließ eine Kante unbekannter Verrücktheit durchscheinen. Dieser Körper, der nicht tat, was ich wollte und sich irgendwie anders anfühlte, bereitete mir zunehmend Sorgen. Ich versuchte die Fassade zu wahren, warf ihr das schmierigste und abgehobenste Schmunzeln zu, welches ich zustande brachte. „Mein Vater hat mir so viel von Euch erzählt. Natürlich, ich hätte den Zusammenhang sofort feststellen müssen. Wer sonst würde mich foltern, als Imogen Herondale persönlich? Macht Euch nicht die Mühe, er hat uns gelehrt, jedem Schmerz standzuhalten."

Eine Mauer der Indifferenz legte sich über die Wangenmuskeln der Inquisitorin. Sie hob die Augenbrauen, gespielt konzentriert auf meine Worte, aber etwas schwamm an den Rändern ihrer falschen Fassade. Wieso war sie so überrascht, mich zu sehen? „Dem bin ich mir sehr wohl bewusst, Clary", sagte sie und ihre Stimme klang auffallend ... weich. Es war der Gebrauch meines Namens, der mich zurückzucken ließ. Clary. Woher kannte sie diesen Spitznamen? Er ging ihr so ungewohnt über die Zunge, als wäre es ihr unangenehm, ihn zu verwenden. Nichts an der Gefühlsweite dieser Frau ergab irgendeinen Sinn. „Wir haben keine Zeit für umfassende Erklärungen, also mache ich es kurz und schmerzlos. Bruder Zachariah wird sich darum kümmern, dass du deine Erinnerungen zurückbekommst, die du offensichtlich verloren hast." Ihre Augen flogen zu dem Stillen Bruder. Ein knappes Nicken später trottete er um das Bett herum, geradewegs auf mich zu.

Eosophoros schwebte nun nichtsnutzig in der Luft herum, dort wo eben noch seine Kehle gewesen war. Nur einen Wimpernschlag lang. Ich wirbelte herum, stand weiter seitlich zu Jonathans Bett – mit dem Rücken zu Wand und Fenster. „Bleibt dort stehen", knurrte ich und glitt in Verteidigungsposition, ehe er einen weiteren Schritt machen konnte. Das fast schwarze Adamant meiner Klinge schimmerte wie eine silberne Barriere zwischen Bruder Zachariah und mir.

Zachariah war schnell wie die Elemente selbst. Vielleicht schneller. Ich blinzelte nicht und bekam dennoch nur in einem Wisch aus Silber und Schwarz mit, wie er ein Adamantschwert zückte. Keinen Atemzug später kollidierte es mit meinem eigenen.

Ich möchte dir nicht wehtun, Clarissa, hörte ich Zachariah beruhigend in meinem Kopf flüstern, während sein Schwert auf mich niederprasselte wie ein Hagelregen.

Ein wütender Schrei platzte aus meiner Kehle hervor und ich trat nach seinem Knie, um ihn zu Boden zu bringen. Doch der Bruder war zu schnell für meine geschwächten Instinkte. „Dieses verdammte Feuer", zischte ich und als selbst meine Stimme knisterte, wie eine emporschießende Flamme, schlug ich fast schon blind nach Zachariah. Als dieser nur auswich und keinerlei Anstalten machte, meine löchrige Aufstellung zu seinem Vorteil zu nutzen, verließ ein hysterisches Brüllen meine Stimmbänder. Dieses Samaritergetue, als würde er mir nur helfen wollen, als würde er mir einen Gefallen tun, brachte mein Blut zum Brodeln.

Innerhalb eines Blinzelns tauchte Imogen Herondale auf der linken Seite des Stillen Bruders auf, ihre Augen wieder in einer lächerlichen Maskerade der Verblüffung geweitet. „Du erinnerst dich an das Feuer."

Meine Augen hefteten sich wie von selbst auf sie. „Das Feuer." Eosphoros zischte im Gleichtakt mit mir, als ich es horizontal auf Zachariah zusausen ließ. Etwas Berechnendes, Rachsüchtiges hatte sich in meinen Ton geschlichen. „Habt Ihr mir das angetan?"

Du warst das", erwiderte die Inquisitorin, ohne zu zögern und ohne auszuweichen, als Eosphoros' Klinge Zentimeter vor ihrer Nase vorbeiflog – während selbst Zachariah in Deckung ging. „Du ganz allein. Und jetzt hör auf mit diesem Unsinn und lass uns dir helfen."

„Wer mir mit einer Waffe begegnet, hat sicher nicht das Beste für mich im Sinn."

„Nun gut, ich mache dir ein Angebot", begann die Inquisitorin und bedeutete dem Stillen Bruder mit einer Handbewegung, zurückzutreten. „Lass uns deine Erinnerungen wiederherstellen und falls du weiterhin der Meinung bist, an Valentins Seite kämpfen zu wollen, werde ich dich und deinen Bruder ohne Protest gehen lassen."

„Ein Trick", antwortete ich kopfschüttelnd und wollte gerade fortfahren, Imogen Herondale ihr Angebot um den Kopf zu schmettern, als ihre Pupillen plötzlich von mir forthuschten. Zu meiner Rechten – zu Jonathan. „Was–"

Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Mein Blick senkte sich zu meinem Bruder, seine smaragdgrünen Augen – das Abbild meiner eigenen – ruhten bereits auf mir. Erfahren und ernst und erschöpft – als wären diese Augen Zeugen von tausend Jahren Schicksal, anstatt nur ihres eigenen, für die Ewigkeit unbedeutenden Schicksals. Der Schwermut in den seinen war wie ein gutgeworfener Dolch, der direkt auf mein Herz zielte. Ich wollte zurückweichen, aber Jonathan streckte bereits die Hand aus und griff nach meinem Handgelenk.

In dem Zwischenraum unserer Haut keimte ein Knistern auf. Zuerst nicht mehr als ein Funke, der von seinen Fingern auf meinen Arm übersprang. Aber sobald sich seine Finger in meine Haut gruben, sich dort festfuhren wie unbewegliche Metallfesseln, spürte ich die Hitze. Direkt aus meinen Albträumen entspringend, stieg sie aus Jonathans Innerem auf und sprang durch die Berührung auf mich über wie ein sich ausbreitendes Feuer, das nach Sauerstoff gierte.

Der gurgelnde Schrei, der mir entkam, zwang mich in die Knie. Ich wollte mich fortreißen, dem Feuer ein für alle Mal entfliehen, aber Jonathans Griff war unumstößlich wie Blei. Mit weitaufgerissenen Augen betrachtete ich ihn – meinen Bruder – wie er zuließ, dass dieses Feuer tief in mein Blut drang und alles auf seinem Weg zu Asche verbrannte. In einem Schmerzensruf warf ich den Kopf zurück, aber meine Stimmbänder brannten; kein Laut entkam ihnen. Auf einmal schmeckte ich Rauch in meinem Rachen.

Mein Kopf stand in Flammen. Mein Körper verbrannte, schmolz zu einem Klumpen aus fremden Empfindungen. Und das Milchglas in meinem Gehirn schmolz gleich mit.


-

Dieses Kapitel ist Elaine gewidmet, einer englischen Leserin auf fanfiction.net, die ein großer Taylor Swift Fan ist (so wie ich) und sich einen Moment gewünscht hat, der auf einigen Taylor Songs wie z.B. Dress beruht. Da ich zu dem Zeitpunkt gerade bei diesem Kapitel gesteckt habe und ich nicht wusste, wie ich die Kurve vom Feuer zurück in die Realität kriegen soll, kam mir diese Inspo wirklich gerade recht!

Es ist wirklich viel passiert und das Kapitel ist mit 19 Word-Seiten schon ziemlich lang. Aber ich wollte einfach alles in ein Kapitel packen, weil wir diese Geschichte ja auch irgendwann beenden wollen! Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, sie bis Ende letzten Jahres abzuschließen (also nur vom Schreiben, nicht vom Hochladen), aber das hat natürlich nicht funktioniert. Hänge gerade an Kapitel 108 ...

Biiiitte sagt mir, wie es euch gefallen hat!

Skyllen

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top