Kapitel 9.1. - Mellartach
Kapitel 9 - Mellartach
Die gerade eingekommene Stille wurde durch das berstende Donnern förmlich zerrissen. Es hallte von den Wänden wider und verbreitet sich wie ein Echo, nur lauter und bebend. Man hätte es mit einer Explosion oder einer Kollision von Metall vergleichen können, doch so genau konnte ich nicht bestimmen, um was es sich handelte. Wir schreckten auf, beinahe gleichzeitig, hoben wir unsere Bögen. Als wir bemerkten, dass die Gefahr sich nicht innerhalb der Halle befand, warfen wir sie zur Seite und bedienten uns an unseren Seraphklingen. Jace reagierte am schnellsten, Isabelle und Alec folgten ihm. Adam und ich warfen uns einen besorgten Blick zu.
Für mich verlief der Moment wie in Zeitlupe. Plötzlich fiel mir auf, dass ich bisher nie einem tatsächlichen Kampf beigewohnt hatte. All die Trainingsstunden, doch wahrhaftig erprobt war ich nicht. Ich wusste, dass es heute zu einem Kampf kommen würde. Es war, als könnte ich es in meinen Knochen spüren. Der Boden bebte und schien zu schwanken. Ein Feuer loderte in mir auf.
Adams Stimme brachte mich in die Gegenwart zurück. „Clary." Er beobachtete mich aus grünen Augen und fuhr sich durch die Haare. Irgendetwas sagte mir, dass seine Frisur nicht lange halten würde.
Blitzschnell sprang ich auf und packte Adam am Handgelenk. Dann rannte ich los, an Jace und den anderen vorbei zum Ausgang der Halle. „Wir müssen uns sofort bewaffnen!" Adam hatte sich von mir losgerissen und lief hinter mir her. Seine Haltung verriet, wie angespannt er war.
„Ich kann es spüren", keuchte ich und lief den Gang entlang. Adam navigierte mich mit Ausrufen durch die Flure. Als wir vor der Waffenkammer zum Stehen kamen, warf ich mich mit voller Wucht gegen die Tür. Sie war offen und gab sofort meinem Gewicht nach. In letzter Sekunde konnte ich mein Gleichgewicht wiederfinden und landete auf den Fußballen. Die Tür knallte gegen die Wand und ließ den Putz in Staub zu Boden fallen. Adam packte sich den erstbesten Stuhl, den er kriegen konnte und verankerte die Tür in ihrer jetzigen Position. Hinter ihm stürmten bereits Isabelle und Alec in den kleinen Raum.
Ich griff nach zwei Seraphklingen, die sich einzeln aber auch zusammen führen ließen und steckte sie in eine Schwertscheide, die ich mir um die Hüfte schnürte. Aus dem Augenwinkel sah ich Alec, der sich an einem Bogen bediente. Ein viel besserer Bogen, als wir beim Trainieren verwendet hatten. Anders als ihr Bruder, trug Isabelle ihre Waffe bereits um den Arm. Die Peitsche glänzte silbern und formte am Griff einen Schlangenkopf. Die anderen bewaffneten sich mit mehr als einer Waffe und es schien, als würden sie mit mehreren lieber auf Nummer sicher gehen wollen. Wahrscheinlich für den Notfall.
Im Gegensatz zu ihnen, beließ ich es bei meinen beiden Schwertern und ging zurück zur Tür, um den anderen im Falle eines Angriffes den Rücken freizuhalten. Jace stand mitten im Gang und balancierte seine Klinge auf der Handfläche. Anstatt in Deckung zu gehen, wo er von Weitem nicht direkt gesehen werden konnte, präsentierte er sich wie auf dem Silbertablett. Aber gerade jetzt wollte ich mich nicht von ihm ablenken lassen.
„Wo ist Hodge?", fragte ich verwundert und schaute mich nach dem Tutor um. Er war nirgendwo zu sehen. Eben war er noch mit uns in der Halle gewesen, doch ich war so schnell herausgerannt, dass ich nicht auf ihn geachtet hatte.
Jace zuckte die Schultern. „Er sagte, dass wir vorgehen sollen. Er wollte sich auf die Suche nach Maryse machen." Auch wenn er mir eine Antwort gab, schaute er mich dabei nicht an. Es war unsere erste normale Konversation, seitdem ich mich am ersten Tag mit meinem Namen vorgestellt hatte.
Ich nickte langsam und wandte mich dann wieder zu den anderen um, die sich immer noch in der Waffenkammer befanden. „Beeilt euch", zischte ich durch die Tür.
Temperamentvoll wie Isabelle war, knurrte sie mir durch geschlossene Zähne etwas entgegen, wobei es sich sicher um eine Beleidigung handelte. Allerdings beließ sie es dabei und kam voll ausgerüstet zu uns vor die Tür. Der Gang war leer und eine unheimliche Stille erfüllte die Luft. Das Dröhnen hatte während unserem Weg hierher wieder aufgehört.
Isabelle strich sich ihre Montur zurecht und befestigte dann einen Dolch am Gürtel, an dem bereits zwei Seraphklingen hingen. Alec hatte seine Stele gezückt und versah sie auf dem Oberarm mit einer Rune. Es war wohl eine gute Idee, die eigenen Runen zu erneuern. Ich musste an meine eigenen Worte denken, als Adam mich eben abgeholt hatte. Ich würde nicht sagen, dass ich fit genug für einen Kampf bin, aber für heute wird es reichen. Ich war noch nicht erholt genug. Ich spürte die Schwäche in meinen Adern, die Müdigkeit. Meine Leistungsfähigkeit würde mit mehr Schlaf zunehmen. Meine Augen suchten Adam, während ich meine Stele vom Gürtel nahm. In dem Moment, in dem sie meine Haut berührte, begann das Beben erneut.
Es erschütterte den Boden und erstreckte sich über die Flure. Sogar die Wände begannen zu beben. Anders als vorhin, wurde das Beben nun immer stärker und die ersten Gemälde fielen mit einem dumpfen Knall von den Wänden herunter.
Ich schaute zu Jace und versuchte unseren Konflikt für einen Augenblick zu vergessen. Er hatte seinen Kopf in den Raum gesteckt und brüllte etwas. Ich nutzte die Zeit, hockte ich mich auf den Flur und berührte mit meinen Handflächen den kalten Boden. Er bebte zweifellos. Angestrengt versuchte ich, mich darauf zu konzentrieren und schloss die Augen. Es wurde tatsächlich immer stärker und zwar schnell. Wie eine riesige Welle, die auf uns zubrauste. Eine Welle.
Wie vom Blitz getroffen sprang ich auf und wäre beinahe rücklings wieder auf den Boden gefallen. „Irgendetwas kommt", rief ich ihnen zu. Es war bereits so laut geworden, dass ich kaum noch mein eigenes Wort verstehen konnte. Jace starrte mich an, seine Gesichtszüge schienen verärgert. Doch dann wich seine Wut plötzlich völliger Ausdruckslosigkeit. Was hatte er denn? Endlich hatte Adam seine Waffen zusammen und trat nach draußen in den Gang.
Im nächsten Augenblick packte Jace mich am Arm und zog mich mit voller Wucht zurück. Ich wollte ihm ausweichen und zum Gegenschlag antreten, doch ich lag bereits in Adams Armen. Sie fingen mich auf, wie ein Netz und federten mich zurück auf meine Beine. Wütend drehte ich mich um, gerade im Anschlag, Jace zurückzuziehen und ihn niederzustrecken, als ich sie sah. Sie, die in Scharren auf uns zuliefen. Groß und klein, dick und dünn, verzerrte Gestalten. Dämonen. Ich hatte sie schon oft genug gesehen und wusste genauestens, wie sie aussahen. Wir hatten ganze Bücher zu den verschiedenen Dämonenarten studiert. Mein Vater hatte hohen Wert darauf gelegt, dass wir sie alle kannten. Ich konnte sie sogar in Gruppen einteilen und sagen, welche die Gefährlichsten und welche die Schwächsten waren.
Doch in dieser Sekunde war mir das vollkommen egal. Mir dämmerte, was Jace gerade getan hatte. Keine Ahnung wieso, aber er hatte mir vielleicht das Leben gerettet. Denn ich hatte sie nicht kommen sehen. Und es war zu laut gewesen, um sie tatsächlich kommen zu hören.
Jace hatte sich bereits in die Schlacht gestürzt. Und falls er sterben sollte, so würde ich ihm auf ewig etwas schuldig sein. Doch sobald er den ersten Schlag ausgeführt hatte und der erste Dämon zu Boden ging, war ich mir sicher, dass er überleben würde. Sein Körper bewegte sich schneller, als ich es für normale Schattenjäger für möglich gehalten hätte. Er ist auch kein normaler Schattenjäger, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Alles an ihm erinnerte mich an einen Tänzer. Im Rhythmus zu einer stummen Melodie schienen seine Füße hin und her zu tänzeln, ohne Patzer und mit einer Anmut, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Und obwohl Jace sichtlich angespannt war, flogen seine Arme mit einer präzisen Eleganz. Ein ehrgeiziger Ausdruck huschte über sein Gesicht und seine Hände klammerten sich völlig ruhig um die Seraphklinge.
Aus dem Augenwinkel sah ich einen Pfeil auf einen Dämon zufliegen. Keinen Augenblick später hatten sich die anderen in die Schlacht gestürzt. Atemlos folgte ich ihnen. Mit einer schnellen Bewegung landete meine Hand am Griff der Klinge. In einer geschmeidigen Umdrehung riss ich beide Schwerter in die Höhe. Ich zog sie aus der Scheide und teilte den ersten Ravener in zwei Hälften. Ich spürte Adam an meiner Seite und sah, wie wir beinahe parallel Dämon um Dämon zurück in ihre Dimension schickten. Es war so irrsinnig komisch, dass ich plötzlich anfing, zu lachen.
Etwas verwundert blitzen seine grünen Augen auf, bevor er sich wieder der schwarzen Zunge des Raveners widmete und sie mit einem federleichten Hieb von seinem Körper trennte. „Was ist denn so lustig?", fragte er über seine Schulter hinweg, als er sich zu einem Drevek umdrehte.
Womöglich würde er mich jetzt für verrückt halten, aber ich erinnerte mich an einen Gedanken von vorhin. „Ich wusste, dass deine Frisur nicht lange halten wird", rief ich zu ihm herüber und fand mich einem wirklich ekelerregenden Dämon gegenüber. Sein Kopf war zu vergleichen mit dem einer Schlange, doch der Rest seines Körpers war eine einzige klebrige braune Masse, die Schleim auf dem Boden hinterließ. An beiden Seiten hatte es Beine, die jedoch nicht mehr waren als kleine Stummel.
Mit einem Schrei stürmte ich auf ihn zu und rammte ihm mein Schwert vollständig in den labbrigen Körper. Wütend zuckte der Dämon zurück und riss mir damit die Klinge aus den Händen, die immer noch in seinem Körper steckte. Überrascht machte ich einen Satz auf ihn zu und wich gleichzeitig seinen messerscharfen und giftigen Zähnen aus, um an meine Klingen zu kommen. Als er meine neue Position lokalisiert hatte, stürmte sein Kopf bereits auf mich herab, doch im selben Augenblick bewerkstelligte ich es, meine Schwerter aus seinem Körper zu ziehen und durchtrennte daraufhin seinen Hals.
Insgesamt hatten wir es mit einer Gruppe von ungefähr zwanzig Dämonen zu tun gehabt. Es hatte keine zehn Minuten gedauert, um sie alle niederzustrecken. Mindestens fünf von ihnen hatte ich im Alleingang erledigt. Bei zweien hatte Adam mir geholfen. Allerdings waren sie nicht besonders stark gewesen, weshalb es auch keine große Schwierigkeit gewesen war.
Zu keiner Zeit hatte jemand von uns in Lebensgefahr geschwebt. Niemand von uns sah wirklich erschöpft aus. Wenn, dann nur überrascht. Während Alec seine Pfeile vom Boden aufhob, ging ich zu Jace herüber, der seine Seraphklinge mit einem Tuch vom Dämonenblut reinigte. Ich musste mich bei ihm bedanken. Plötzlich war mir etwas mulmig zu Mute.
„Hey", ich trat auf ihn zu, blieb jedoch zwei Meter vor ihm stehen. Jace schaute auf, direkt in meine Augen. Das Gold in seinen wirkte hart wie Stein. „Ich wollte mich nur bei dir bedanken, wegen vorhin", sagte ich ruhig. Er schaute mich an, als wüsste er nicht, wovon ich sprach. „Du hast mich von der Herde weggezogen. Ich hab sie nicht kommen hören und ich glaube nicht, dass ich-"
„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich das für dich getan habe." Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Du hast mir die Sicht versperrt, deswegen hab ich dich aus dem Weg geräumt", sagte er „Ich hätte dich genauso gut mit meinem Schwert beseitigen können." Er spuckte mir die Worte förmlich ins Gesicht. Seine Augen fixierten mich ein letztes Mal kalt, dann ging er an mir vorbei zu den anderen.
Ich wusste nicht wieso, doch seine Worte schmerzten mehr, als ich es erwartet hätte. Für einen Augenblick fühlte ich mich einfach nur unendlich traurig. Wieso konnte er nicht verstehen, dass ich nicht wie mein Vater war? Ich beurteilte ihn doch auch nicht wegen seines Vaters, der ebenfalls dem Kreis angehört hatte. Wahrscheinlich fand er sogar Gefallen daran, mich so verletzt zu sehen. Also machte ich eine gute Miene zum bösen Spiel. Ich hob meinen Kopf und ging an ihnen vorbei zu Adam, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Doch bevor ich Adam erreichen konnte, packte mich jemand an der Schulter. Jemand riss mich herum und dann stand ich Alec gegenüber, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. „Ich weiß nicht, was du vorhast, aber halte dich von Jace fern", flüsterte er gefährlich leise. Seine blauen Augen stachen mir entgegen wie kaltes Eis.
„Wovon sprichst du?", zischte ich wütend zurück. „Du siehst doch selbst, dass er mich am liebsten eigenhändig töten würde." Ich riss mich von ihm los und machte einen Schritt zurück. Mein Rücken prallte gegen die Wand und erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir uns gar nicht mehr mitten im Gang befanden.
„Das alles hier ist deine Schuld. Alles, was heute passieren wird, wird deine schuld sein. Du zerstörst sein Leben." Alec drehte seinen Kopf zur Seite und suchte mit den Augen den Gang nach den anderen ab. Sie waren bereits um die Ecke gebogen und nicht mehr in Sicht. Zwiespalt spiegelte sich in seinem Gesicht wider und er atmete schnell ein. „Vielleicht wäre es für alle besser, wen er dich einfach töten würde, dann hätten wir diese Probleme überhaupt nicht", sagte er schließlich gefühllos, drehte sich um und folgte dann dem Rest.
Für einen Moment stand ich wie versteinert da und lehnte mich dann gegen die Wand. Ich schaute auf den Boden vor mir und merkte, wie mir der Mund offen stehenblieb. War dies gerade tatsächlich Alec gewesen? Wenn man sich seine Schwester anschaute, hätte man eigentlich ahnen müssen, dass auch er eine ruchlose Art besaß. Alec wollte Jace schützen, er war sein Parabatai. War er denn genauso unterbelichtet wie Jace, oder waren die Schattenjäger etwa alle so voreingenommen und misstrauisch?
Langsam folgte ich den anderen. Adam wartete hinter der Ecke auf mich. „Alles klar?", fragte er. Er fragte sich sicherlich was erst Jace und dann Alec mir zu sagen hatten. Doch ich hatte keine Lust, ihm zu antworten. Ich nickte stumm und ging neben ihm her.
„Was glaubst du, wo der Rest ist? Meine Mutter, Maryse, Hodge?" Mein Kopf schmerzte. Vorsichtig drückte ich meine Finger an die Schläfe. Aus dem Augenwinkel konnte ich sein Schulterzucken erkennen.
„Möglich, dass sie zusammen in der Bibliothek waren. Maryse war vielleicht in ihrem Büro. Oder sie waren auf ihren Zimmern. Sie könnten überall gewesen sein", sagte er abwesend. Er hatte seine Seraphklinge in die Scheide zurückgeschoben und starrte den Gang entlang.
„Vielleicht sollten wir einfach ins Foyer gehen", schlug ich vor, so laut, dass auch die anderen mich mühelos hören konnten. „Wenn die Dämonen durch das Tor gekommen sind, dann werden die anderen sicher schon auf dem Weg dorthin sein." Ich zweifelte an meinen eigenen Worten, doch Adam schien überzeugt. Also tat ich so, als wäre ich es auch.
„Das ist wohl eine der wenigen Alternativen, die wir haben", gab Alec zu bedenken und meine Augen schossen in seine Richtung. Er schien seelenruhig und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Gesicht strahlte keine Emotionen aus und es schien so, als wäre eben überhaupt nichts passiert.
Die anderen schlichen in Richtung Aufzug und ich folgte ihnen widerwillig. Am liebsten hätte ich mir Adam geschnappt und wäre mit ihm einen anderen Weg gegangen. Aber das konnte ich ihnen natürlich nicht ins Gesicht sagen. Sie würden mich nur noch mehr hassen. Schattenjäger blieben zusammen und teilten sich nicht auf. Niemals. Und das war der Fehler, den mein Vater damals gemacht hatte. Ich würde ihn nicht wiederholen.
Nachdem wir die Dämonen besiegt hatten, war wieder Stille in die Flure des Instituts eingekehrt. Kaum etwas erinnerte an die Scharren und das Beben, nur einige Gemälde, die auf dem Boden lagen, oder Trophäen, die von Marmorsäulen gefallen waren. Es dauerte nicht lange, bis wir vor dem goldschimmernden Aufzug standen.
Alec blieb unentschlossen stehen. „Es wäre vielleicht besser, wenn wir die Treppe nehmen würden", bemerkte er leise und drehte sich zu uns um. „Wir wissen nicht, was uns unten erwartet und sie könnten vor den Aufzügen lauern und uns sofort angreifen." Wir hatten nichts dagegen einzuwenden, schließlich hatte er recht. Wir wussten nicht, mit wem wir es zu tun hatten und was uns dort unten erwarten würde. Dabei wusste ich tief in meinem Herzen ganz genau, wer mich erwarten würde. Bedrückt senkte ich den Kopf.
Jace zuckte die Achseln. „Wir wissen nicht einmal, ob der Aufzug überhaupt funktioniert." Er lehnte sich gegen die Wand und fuhr mit seinem Daumen über die Klinge seines Dolches.
„Dann los", forderte Isabelle und setzte sich in Bewegung. Ihre schwarzen Lackstiefel tönten durch den Gang. „Ab zu den Treppen!" Jace stieß sich von der Wand ab und folgte ihr mit gespannten Schritten, Alec direkt hinter ihm.
Die Treppen befanden sich einen kurzen Gang weiter östlich, groß und glorreich dekoriert. Engel aus Marmor und herrische Löwen zierten die Geländer. In einer quadratischen Biegung verlief die Treppe in das untere Stockwerk.
Isabelle war als erste an der Treppe, späte vorsichtshalber über das Geländer und winkte uns dann herüber. So leise wie möglich bewegten wir uns die Treppe hinunter. Halb gehend, halb auf den Knien, sodass uns das Geländer Schutz bot. Als wir unten ankamen, waren wir plötzlich in einer völlig anderen Welt.
Das Institut beherbergte nicht viele Schattenjäger, höchstens ein Dutzend. Schockiert starrten wir auf die Toten. Sie lagen überall. Nur die schwarzen Kampfausrüstungen verrieten, dass es Schattenjäger waren.
Ein Krächzen verließ meine Kehle. Ich war losgestürmt, noch bevor Adam mich am Arm packen und zurückhalten konnte. Zitternd fiel ich neben dem ersten leblosen Körper auf den Boden und drehte ihn auf den Rücken. Ein Seufzen entglitt mir, als ich sie nicht als meine Mutter identifizierte. Kaum eine Sekunde später war Adam an meiner Seite und half mir, die anderen zu überprüfen. Sogar Isabelle half uns. Schließlich hätte jede von ihnen Maryse sein können. Manche hatten ihre Augen aufgerissen, als hätten sie auf etwas Furchtbares geblickt, bevor sie starben. Ihnen schloss ich sanft die Augen. Bei keinem der elf Schattenjäger, die in diesem Korridor gestorben waren, handelte es sich um Jocelyn, Maryse oder Hodge.
Hinter mir hörte ich Isabelle aufatmen, nachdem ich den letzten Körper umgedreht hatte. Auch ich war unendlich erleichtert. Trotzdem hinterließ der Anblick all dieser Menschen, die heute ihr Leben verloren hatten, ein dumpfes Gefühl der Furcht in meiner Brust.
Schweren Herzen, stand ich auf. Jace und Alec hatten Wache gestanden und wollten nun weitergehen. Wir mussten noch eine weitere Etage nach unten. Mein Magen zog sich augenblicklich zusammen. Wenn wir hier bereits Tote gefunden hatten, was würden wir noch vorfinden? Ich streckte den Rücken durch und atmete tief ein. Ich durfte nicht die Fassung verlieren, ich musste stark bleiben. Hastig liefen wir zur Treppe zurück. Wir hatten schon genug Zeit verloren.
Den ersten sah ich, nachdem ich beinahe in Isabelle reingerannt wäre. Sie war urplötzlich vor mir stehen geblieben. Wie ein Tier, das für einen Augenblick innehielt, bevor es vor dem Jäger flüchtete. Zu unserem Glück brauchten die Forsaken ebenfalls einen Augenblick, bis sie uns an der Spitze der Treppe entdeckt hatten. Dann stürmten sie los.
Ich hatte noch nie einen Forsaken gesehen. Mein Vater hatte mir manchmal von ihnen erzählt. Als Menschen geboren, wurden sie durch das Auftragen einer Rune in einen Forsaken verwandelt. Sie aßen und tranken nichts und starben irgendwann von selbst. Trotzdem waren sie stärker als manch ein Dämon, meistens etwas größer und viel kräftiger als Erwachsene. Sie sahen aus wie aufgequillte Menschen, bei denen jedes Körperteil zu monströs wirkte.
Adam hievte sich auf das glatt polierte Marmorgeländer und rutschte den Forsaken mit ausgestreckter Seraphklinge entgegen. Ich rannte an Isabelle vorbei und sprang am Treppensatz in die Höhe. Für einen Augenblick schwebte ich in der Luft. Ich sah die Forsaken, doch sie sahen mich nicht kommen, da sie auf die anderen fokussiert waren, die auf der Treppe standen. In meinen Händen erstrahlten die Doppelklingen. Diesmal würde ich mit beiden kämpfen. Noch bevor meine Füße den Boden berührten, hatte ich den ersten Forsaken enthauptet. Ich spürte den kurzen Triumph, bevor ich den Kopf hob und erkannte, wie viele es eigentlich waren. Zu viele, um mich jetzt schon in Sicherheit zu wägen.
Von hinten kamen Isabelle und Jace die Treppen hinunter und kämpften sich ihren Weg durch die Kreaturen. Alec stand immer noch auf der obersten Stufe und beschoss die Forsaken mit Pfeilen. Allerdings kümmerten die Pfeile sie kein bisschen. Sie blieben einfach in ihrer Haut stecken, während sie die Treppe hinauf marschierten, uns entgegen. Mit einem wütenden Knurren stand mir der nächste gegenüber. Noch bevor ich auf ihn losgehen konnte, erstach Adam ihn von hinten. Aber anders als in Adams Vorstellung, starb er nicht an der Verletzung. Stattdessen drehte er sich mit einem Grölen um und versuchte, mit seiner gigantischen Hand auf Adam einzudreschen. Ich nutzte die Gelegenheit der Ablenkung und enthauptete ihn in einer zügigen Bewegung. Meine Klinge zischte in der Luft und der Forsaken zuckte kurz, bevor er endgültig starb. Angewidert drehte ich mich zur Seite.
„Nun stiehlst du mir schon meine Spielzeuge", gab Adam außer Atem zum Besten. „Such dir doch dein Eigenes." Er gab sich Mühe, nicht zu grinsen und doch konnte ich die Belustigung in seinen Augen erkennen. Ich grinste und drehte mich zur Treppe.
Es dauerte nicht lange, bis ich den nächsten Forsaken im Visier hatte. Doch es zeigte sich schon bald, dass nicht alle so einfach zu besiegen waren, wie ich dachte. Ich brauchte viel Kraft, um mein Schwert nach einem Hieb aus den Körpern herauszuziehen und nicht immer waren sie tot. Es bedarf an Schnelligkeit und Präzision, um nicht nach jedem Tod weiter zu ermüden. Und ich war sowieso nicht in Bestform. Langsam machte sich die Erschöpfung wieder bemerkbar. Dabei hatte ich die Vorahnung, dass es sich hierbei nur um das einfache Vorspiel handeln würde. Doch ich zwang mich, nicht weiter darüber nachzudenken, was mich möglicherweise im Erdgeschoss erwarten würde. Oder wer.
Isabelle, die mit ihrer Peitsche kämpfte, schien überfordert zu sein. Natürlich würde sie sich dies niemals selbst eingestehen. Als sie merkte, dass ihre Peitsche ausgedient hatte, zog sie in Windeseile ihren Kindjal vom Gürtel und rammte ihn dem attackierenden Forsaken in die Brust. Jace bewegte sich so schnell, dass ich gar nicht sagen konnte, wie viele Forsaken er bisher bereits erledigt hatte. Im trüben Licht sah man kaum mehr als seinen Schatten. Nur sein blondes Haar glänzte. Und nach einer Weile hatte auch Alec den Dreh raus. Seine präzisen Pfeile bohrten sich in die Köpfe der Forsaken. Zielgenau immer durchs Gehirn. Er war gut darin.
Bald schon zählte ich die Körper nicht mehr, die leblos vor mir zu Boden sanken. Ausholen, umdrehen, zuschlagen. Zwischendurch atmen. Hier und da musste ich mich ducken, um einem riesigen Arm auszuweichen, der auf mich hinabsauste. Die Welt um mich herum schien in verzerrte Farben zu verblassen, wie in Trance bewegte sich mein Körper. Erst, als kein Forsaken mehr da war, den ich hätte erledigen können, erwachte ich.
Verwundert drehte ich mich um. Jace und Isabelle hatten sich die letzten beiden vorgenommen und Adam sprang die Treppen hoch. Zuerst versperrte mir seine Statur das Blickfeld, doch dann sah ich sie. Adam hatte nur noch Zeit, seine Seraphklinge in den Körper des einen zu bohren, als Alec von einem Schlag getroffen wurde.
So schnell ich konnte, stürmte ich mit erhobenen Armen nach oben. Trotzdem wusste ich, dass ich nicht mehr rechtzeitig ankommen würde. Die Forsaken mussten ihn überrascht haben, denn Alec hatte gerade noch Zeit seinen Bogen hochzureißen. Dann packte ihn ein Forsaken an der Kehle und hob ihn mühelos vom Boden hoch.
Wir stürzten uns auf die drei Forsaken, die uns irgendwie entwischt sein mussten. Hinter meinem Rücken hörte ich das bedrohliche Zischen von Isabelles Peitsche in der Luft, als sie diese nach dem Forsaken schlug, der ihren Bruder zu erwürgen drohte. Das silberne Metall brannte sich in seinen Unterarm und riss die Haut an der Stelle auf. Der Kreatur entfuhr ein tiefes Knurren und dann schleuderte sie Alec mit voller Kraft über das Geländer der Treppe. Isabelle kreischte.
Eine Sekunde später hatte Jace den Forsaken enthauptet. Ich drehte mich um und sah, wie Isabelle panisch die Treppen hinunterstürzte. Sie hockte sich neben Alec und fuhr ihm mit bebender Hand über die Stirn. Ihr standen Tränen in den Augen. Sein Oberkörper blutete. Bevor er auf dem Boden aufgeschlagen war, war seine Brust gegen das steinharte Geländer geprallt. Die Wucht musste seine Rippen völlig unvorbereitet getroffen haben, denn sein Atmen war ein energisches und hechelndes Ächzen. Er hatte die Augen geschlossen, war aber nicht bewusstlos. Mit eiligen Schritten gingen wir die Treppe herunter.
Jace sprang in einer anmutigen Bewegung über das Geländer und landete direkt neben Alec. „Kann er aufstehen?", fragte Adam vorsichtig. Er stand hinter Alecs Kopf, kniete sich jedoch nicht nieder, und betrachtete ihn beunruhigt. Die Frage, die auch mir auf der Zunge lag. Wir mussten weiter. Wir wussten nicht, was hier passierte. Die nächste Welle konnte sofort folgen.
Isabelle prüfte seinen Puls und schüttelte unsicher den Kopf. „Ich weiß nicht, ich bin mir nicht sicher", murmelte sie verzweifelt. Ich hatte sie bisher noch nie so aufgelöst erlebt und aus irgendeinem Grund überraschte es mich, dass sie überhaupt eine solche Seite besaß. Ich wusste, dass der Gedanke ungerecht von mir war, natürlich war sie verzweifelt, schließlich handelte es sich um ihren Bruder.
Jace kniete sich neben Isabelle und versah Alecs Arme mit Iratzen. Er wusste nicht, ob es überhaupt etwas bringen würde. Iratzen halfen bei zu schlimmen Verletzungen nicht. Die Wirkung der Rune entfaltete sich, doch nichts passierte. Die Kopfwunde hörte zwar auf zu bluten, schloss sich jedoch nicht. Alecs Augen flatterten und dann wurde er ohnmächtig. Den heftigen Auf- und Abbewegungen seines Brustkorbs nach zu urteilen, hatte er Probleme, zu atmen. Isabelle presste sich eine Hand vor den Mund und senkte den Kopf.
„Wir tragen ihn", beschloss Adam kurzerhand und gab Jace ein Zeichen. Er nickte und zusammen hievten sie den bewusstlosen Alec auf ihre Schultern. Sie sahen etwas unbeholfen aus. Auch wenn meine Abneigung gegenüber Alec in der letzten Stunde um einiges stärker geworden war, wollte ich etwas tun, um ihm zu helfen. Egal was er getan und gesagt hatte, soetwas hatte er nicht verdient. Allerdings war mein Wunsch zu helfen ziemlich egal. Sie würden mich sowieso nicht lassen, schließlich war ich die Valentinstochter.
Also übernahm ich die Führung, während Isabelle uns den Rücken freihielt. Wir kamen nur sehr holprig und langsam voran. Das Erdgeschoss sah noch schlimmer aus, was ich erst gar nicht für möglich gehalten hatte. Keine Leichen. Doch überall klebte Blut. An den Wänden, auf dem Boden, es tropfte sogar von der Decke.
„Was ist hier passiert?", murmelte ich atemlos, versuchte meine Stimme jedoch so neutral wie möglich klingen zu lassen. Bluttropfen liefen mir über die Stirn, sie tropften von der Decke auf uns herab. Nach weniger als hundert Metern hörte ich ein keuchendes Stöhnen hinter mir und drehte mich um.
Alec, der zwischen Jace und Adam hing, wirkte leichenblass. „Er kann nicht mehr", sagte Isabelle leise. Jace und Adam knieten sich hin, um Alec auf den Boden zu legen. Ihm entfuhr ein schmerzvoller Laut und seine Augen schlugen auf. Seine Pupillen waren größer als sonst, doch kein Licht reflektierte in ihnen.
Ich fühlte mich, als würde man mir die letzte Luft aus meiner Lunge pressen. Es ging ihm nicht gut. Auf keinen Fall. Keine Ahnung, wie schwer seine Verletzungen waren, aber ich hatte das komische Gefühl, dass wir ihm schnell Hilfe holen mussten. Eigentlich hätte er mich kein bisschen interessieren sollen und doch wollte ich nicht, dass er starb.
„Wir müssen ihm Hilfe holen", sagte ich und trat einen Schritt auf sie zu. „Er wird die Nacht in diesem Zustand nicht überleben."
Das Missfallen der anderen traf mich wie ein Schlag. Isabelle hatte die Augen zusammengekniffen und betrachtete mich warnend. Als würde ich selbst Hand anlegen wollen. Jace blitzte mich an. „Und dann was? Du würdest doch sowieso nicht wiederkommen, sondern nur deine eigene Haut retten."
Ich zuckte zurück, als hätte er mich geohrfeigt. Auf den kurzen Schmerz folgte lodernde Wut. „Halt die Klappe, Jace", fuhr ich ihn aufgebracht an. „Aber spiel dein feindseliges Spiel ruhig weiter, wenn du willst, dass dein Parabatai stirbt. Würde ich einen von euch umbringen wollen, dann wäre ich nicht so ehrenlos es zu tun, wenn ihr bereits halbtot und wehrlos vor mir krepiert."
Jace starrte mich sprachlos an. Er hockte immer noch neben Alec, seine Finger ruhten auf der Iratze, die er ihm vorhin aufgetragen hatte. Wut spiegelte sich für einen Moment in seinen Augen. Dann nickte er plötzlich. „Gut, dann geh und suche jemanden. Wir bleiben hier und halten Wache. Aber beeil dich." Dann drehte er den Kopf zu Alec. Isabelle und Adam waren zu beschäftigt, Alecs Wunden so gut wie möglich zu behandeln und antworteten nicht.
Jace' Worte hatten mich überrumpelt. Ich hattenicht erwartet, dass er einfach so nachgeben würde. Blitzschnell drehte ichmich um und rannte davon, zumindest hatte ich das vor. Denn nach nur zwanzigMetern blieb ich stehen, wie vom Schlag getroffen. Mein Blick traf seinen. DerAugenblick schien wie in Zeitlupe zu vergehen. Wie von der Tarantel gestochen,machte ich einen Satz nach hinten.
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Und wer steht da im Gang? Das erfahrt ihr im nächsten Kapitel. Bis dahin könnt ihr ja raten ;)
Wenn ihr Lust habt, mal zu sehen wie ich mir die Charaktere von dieser FF vorstelle (ihr Leben, ihre Kleidung, Gefühle etc.) dann klickt mal auf den Link und schaut bei meinem Pinterest vorbei. Dort habe ich für diese FF eine Collage erstellt! Ansonsten findet ihr den Link auch in meinem Profil.
https://www.pinterest.de/ccskyllen/the-rise-of-the-morningstar-fanfiction/
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