Kapitel 89 - Fate Always Catches Up With You

Song Inspiration: I'm Odd (Instrumental) – Mac lethal, Goth (Sped Up + Reverb) – Sidewalks and Skeletons

-


Kapitel 89 – Fate Always Catches Up With You

--- 16 Stunden vor Sonnenuntergang. ---

„Auch wenn ich glaube, dass du ein Genie bist, musst du das ja von irgendwem haben", bemerkte Jace, als wir Seite an Seite zum Fest zurückkehrten. Langsam aber sicher fielen mir die Lider zu, aber ich war an seine Brust gelehnt, sein Arm um meine Taille, während wir uns unseren Freunden näherten.

„Valentin ist das wahre Superhirn." Der Garten hatte sich deutlich geleert. Einige wenige Gestalten standen ist kleinen Grüppchen zusammen, doch die Lautsprecher waren verstummt. Alec, Isabelle und Adam liefen herum und entsorgten Flaschen, Gläser und Essensreste, während Magnus die letzten Verbliebenen mit seinen Unterhaltungskünsten unterhielt. Sie bei diesen Tätigkeiten zu beobachten, zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Das hier könnte unser Alltag sein, unsere Zukunft. „Er dachte immer schon drei Schritte voraus. Ich habe mir lediglich das bisschen Strategie abgeschaut, was er mit uns geteilt hat."

„Wie soll dein Plan funktionieren, wenn du selbst nicht an ihn glaubst?" Jace war am Übergang von Kiesweg zu Rasen stehengeblieben; außer Hörweite der anderen. Er lehnte seine Wange an meinen Haaransatz und ein atemraubendes Kribbeln fuhr meinen Nacken herunter. Das hier könnte meine Zukunft sein.

„Ich glaube, dass es darauf ankommt, wer der bessere Stratege ist. Es ist wie Schach. Du kannst vermuten, welche Figur dein Gegenüber wie verschieben wird. Aber wenn die Zeit zählt, gewinnt der, der alle möglichen Züge des anderen vorhersagen und kontern kann, ehe die Figuren überhaupt das Spielbrett zu wandern beginnen."

„Ich sehe das etwas anders." Jace' Worte waren vor Unbehagen getränkt. „Es gewinnt der, der sich am schnellsten anpassen kann, da gebe ich dir recht. Aber was, wenn ich kein Schach spielen will? Was, wenn ich die Regeln einfach ändere?"

„Also etwas tun, was mein Vater nicht voraussieht?" Zweifelnd hob ich eine Braue. „Er durchschaut die klügsten Ablenkungen und besten Lügen. Nichts überrascht  ihn, weil er sich nicht verkalkuliert. Er überschätzt weder sich noch sein Gefolge, dafür ist er zu beharrlich, wenn es um die Details geht. Seine Pläne sind wie Choreografien: Von Anfang bis Ende durchgetaktet. Kein Platz für Überraschungen. Wenn seine Defensive zu schwach ist, will er uns durchlassen. Wenn seine Krieger den Rückzug antreten, will er, dass wir ihnen folgen. Wenn das Schwert zum Greifen nah ist, will er, dass wir in die Falle tappen."

„Wieso dann überhaupt der Versuch, Mellartach zurückzuholen, wenn wir ohnehin nicht gewinnen können?"

„Weil jeder Fehler macht", flüsterte ich in die Frische der Nacht. Einen Wimpernschlag später verloren die Lichterketten ihre Leuchtkraft und wir wurden in Finsternis gehüllt. „Weil kein Spiel perfekt ist. Wir gehen auf diese Mission, weil wir den Fehler in seinem Plan finden müssen. Er wird nicht offensichtlich sein, aber er wird da sein. Denn niemand ist unfehlbar, egal wie vorausschauend und kalkulierend. Wir müssen eine Regel ändern, von der er nicht einmal gewusst hat, dass sie existiert."

„Ihr müsst endlich anfangen, uns beim Aufräumen zu helfen!", rief Isabelle in diesem Moment von der Terrasse und kommandierte uns mit einem Wink ihres Fingers heran.

Die Ordnung im Garten wieder herzustellen, ging dank Magnus' Magie schnell. Wenig später stand der Abfall ordentlich in einer Ecke, während der Rest der Fläche makellos sauber war. Bis auf die defekte Regenrinne, welche Magnus absichtlich nicht heilgezaubert hatte, sah der gesamte Garten aus wie vor der Feier.

„Magnus Bane, Retter meines Schlafes", trällerte Isabelle und schenkte dem Hexenmeister eine herzliche Umarmung.

Magnus tätschelte Isabelle hilflos den Kopf und seine Augen fuhren suchend zu Alec, als könnte der ihm aus dieser Lage befreien. „Wohl eher Retter des Tages", erwiderte er und presste den Mund überfordert zu einem Strich. „Ich kuschele ja gern mit meinen Katzen, aber mit Nephilim? Ich weiß nicht, ob das meiner Reputation so guttun würde."

„Halt die Klappe", schoss Isabelle gebieterisch zurück. Ohne ihn loszulassen, drehte sie den Kopf und bedeutete uns, näherzukommen. „Wir könnten alle eine letzte Umarmung gebrauchen, bevor wir morgen die Welt retten."

Alec verdrehte die Augen, zögerte jedoch nicht, als er seine starken Arme um Isabelle und Magnus legte und sich an sie schmiegte. Jace weitete die Augen ein Stück – wahrscheinlich, weil er diese Offenheit von seinem Parabatai nicht gewohnt war. Wer war das schon? Isabelle und ich wechselten einen wissenden Blick. Mit einem leichten Lächeln ahmte ich Alec nach und legte meine Arme um die drei.

„Ich habe ganz vergessen, was für ungewöhnliche Nephilim ihr seid", sagte Magnus, nachdem auch Jace unseren Beispielen gefolgt war. Er klang nicht länger überwältigt, sondern fast schon ausgelassen, als würde er uns ein Kompliment bereiten.

„Alkoholisierte Nephilim", flüsterte Isabelle mir ins Ohr und wir kicherten.

„Komm schon, Adam", sagte Jace hinter mir.

Adam zögerte. Ich erspähte sein Gesicht unter Jace' Arm hindurch und lächelte auf eine Weise, von der ich hoffte, dass sie ermutigend war. Adams Augen glänzten, als er sich schließlich in abgehackten Bewegungen zu uns gesellte und uns seine Arme erst zurückhaltend und dann fest um die Schultern legte.

Für eine Weile einfach wir nur da, umarmten einander, lauschten unseren ausgeglichenen Atemzügen und konzentrierten unsere Gedanken auf das, was in wenigen Stunden kommen würde. Damit, dass das hier meine letzten schönen Momente sein könnten, hatte ich mich bereits abgefunden. Doch wie würde ich später darüber denken? Würde ich im Anbetracht der ewigen Qual, welche Jonathan mir im Falle seines Sieges versprochen hatte, immer noch solche Ruhe bewahren?

Ich kniff die Lider fest zusammen und beschwor das Bild meiner Mutter vor meinem Geiste herauf. Wie sie ausgesehen hatte, als wir vor mehr als zwei Monaten über die verschneiten Felder von Alicante geritten waren. Es kam mir vor, als wären diese Bilder in einem anderen Leben gewesen; als lägen sie schon Jahre zurück.

Ich war nicht mehr dieselbe Person, die damals an Jocelyns Seite geflohen war. Sie hatte mir die Augen geöffnet, war jedoch gestorben, ehe sie mitansehen konnte, was diese Wahrheit aus mir gemacht hatte – welchen Menschen sie geschliffen hatte. Ein Pfad im spärlichen Licht – ein Waldweg, dessen Bäume Licht hindurchließen aber Schatten schufen.

Zum ersten Mal seit einer langen Zeit hatte ich das Gefühl, dass meine Mutter stolz auf mich gewesen wäre; dass ich zu dem Menschen geworden war, den sie damals schon in mir gesehen hatte – den ich so lange selbst nicht gesehen hatte. Würde sie nun hier stehen, würde sie wahrscheinlich lächeln. Nicht angesichts der kommenden Prüfung, die uns bevorstand. Sondern angesichts der Tatsache, dass – egal was passieren würde – ich wissen würde, was es bedeutete, wirklich gelebt zu haben. Geliebt zu haben.

Ich liebte all diese Menschen und würde morgen entweder die Dynastie meiner Familie zunichtemachen oder bei dem Versuch sterben.

oOo

--- 12 Stunden vor Sonnenuntergang. ---

Die Müdigkeit zerrte mit solch einer Macht an meinen Gliedern, dass ich meine Lider nicht gehoben bekam. Ich wusste jedoch, dass die Sonne im Inbegriff war, hinter den Bergen aufzugehen, weil ich die Vorhänge vor dem Schlafengehen mit Absicht nicht vor die Fenster geschoben hatte. Um mir das Aufstehen zu erleichtern. Es würde sich trotz allem als eine der schwersten Herausforderungen herausstellen, welche ich heute zu bewältigen hatte. Zumindest fühlte es sich gerade so an.

Maryse' Weckruf durchdrang das Haus ein zweites Mal und Jace hinter mir stöhnte vor Verzweiflung. Er wollte sich von der Fensterseite fortdrehen – ich spürte, wie seine Muskeln sich in Bewegung setzten – doch sein Arm wurde von meinem Körper daran gehindert.

„Ich verfluche Isabelle bis an den Rest meiner Lebtage", knurrte er und wollte wohl frustriert klingen. Der Schlaf hatte ihn so fest im Griff, dass ich die Worte jedoch kaum verstand. Vielleicht ließ mein Hören mich aber auch einfach im Stich, schließlich hatte ich meinen Kopf schon ab der Dämmerung unter meinem Kissen vergraben.

Ich antwortete Jace erst gar nicht und wartete einfach darauf, dass mich die nächste Welle der Erschöpfung einfach zurück in die Finsternis spülte. Ich war mir sicher, dass die Welt eine Stunde länger ohne mich auskommen würde. Was wollten sie denn ohnehin von mir? Unsere Mission begann nicht vor spätem Mittag und bis dahin stand nichts auf meinem–

Isabelle, Clary!" Mein Körper zuckte unter der bizarren Lautstärke von Maryse' Stimme zusammen. Jace in meinem Rücken sprang vor Schreck in die Höhe, was mir einen weiteren Schock einjagte. Maryse hatte ihre Stimme sicher mit einer Rune verstärkt. Konnte sie nicht einfach wie eine normale Person an unsere Türen klopfen? „Imogen Herondale bestellt euch in einer Stunde für die Parabatai-Zeremonie ein. Wenn ihr nicht pünktlich erscheint, wird es keine Zeremonie geben!"

„Oh, wie sehr ich deine Großmutter hasse", brachte ich schlaftrunken hervor und drehte mich zu Jace, ohne die Augen zu öffnen. Gottseidank sprach nur der Schlaf aus dem fehlenden Rhythmus meiner Worte, denn eine Iratze vor dem Schlafengehen hatte mir jede Art von Kater erspart. „Ich werde sie umbringen, sobald ich sie zu Gesicht kriege. Ich werde–" Ein Poltern an unserer Tür entlockte mir einen gedämpften Ausruf. „Beim Erzengel, was ist denn heute Morgen hier los?!"

Jemand trat die Tür auf und riss sie dabei beinahe aus den Angeln. Jace ließ eine Welle an Flüchen los, die mir unter gewöhnlichen Umständen jede Farbe aus den Wangen geraubt hätte. Ich bewegte mich nicht. Falls man gekommen war, um mich zu töten, würde ich definitiv keinen Widerstand leisten und gerade kümmerte mich das herzlich wenig.

„Ich hoffe, ihr habt da drunter was an", hörte ich eine schlechtgelaunte Isabelle in einem Ton murmeln, der deutlich machte, dass wir ihretwegen auch splitterfasernackt hätten sein könnten, ohne dass es sie einen Funken interessiert hätte. Sie entriss uns die Daunendecke so gewaltvoll, dass Jace einen weiteren Satz machte, um ihr zu folgen und mich dabei beinahe zerquetschte.

„Du kannst froh sein, dass ich so müde bin, nervige Schwester. Andernfalls würdest du heute als erstes sterben."

„Halt die Klappe", war alles, was diese erwiderte. „Mach sofort die Augen auf, Clary!"

„Was willst du?" Da ich Isabelle gut genug kannte, um zu wissen, dass sie nicht einfach verschwinden würde, kämpfte ich gegen die Gewichte meiner Augenlider an. Als sich diese einen Spaltbreit öffneten, prustete ich los, weil ich mich einer wahren Vogelscheuche gegenübersah.

„Das geschieht dir recht", bemerkte Jace schadenfroh hinter mir.

Isabelles Haare standen zu Bergen, waren verknotet wie ein Vogelnest. Ihre Wangen vom Schlaf gerötet und mit geschwollenen Augen stand sie am Rande meines Bettes und zerrte an meinem Arm. So wie sie aussah, musste Maryse sie persönlich geweckt haben. Auf einmal war ich doch dankbar, dass ihre Mutter uns keinen Besuch abgestattet hatte, wenn Isabelle jetzt so aussah.

Ungeduldig drückte sie mir eine Stele zwischen die Finger. „Du musst dir eine Rune ausdenken, die mich aufweckt", forderte sie ohne Umschweife und mit solcher Ernsthaftigkeit, dass ich lachen musste.

„Das letzte Mal, als ich mir eine Rune ausdenken sollte, wären wir beinahe gestorben", grummelte ich und wollte die Stele bereits wieder loslassen. Schließlich besann ich mich eines Besseren. Ich würde diese Rune selbst brauchen, um den heutigen Tag mit voller Kraft bestreiten zu können. „Na gut, aber lass mich erst aufstehen."

„Das ist nicht euer Ernst." Jace kniff die Augen auseinander, um uns vorwurfsvoll zu mustern. Er sah genauso verschlafen aus wie wir uns wahrscheinlich fühlten.

„Das ist mein voller ernst, Bruder", giftete Isabelle, zog mir das Kissen unter dem Kopf weg und warf es ihm ins Gesicht. „Es war mir noch nie ernster."

Ich achtete nicht weiter auf sie, sondern richtete mich in eine Sitzposition auf und versuchte durch die schwammige Suppe meines Verstandes hindurchzusehen; eine Unze Konzentration aufzugreifen und festzuhalten. Ohne dabei vom Schwindel gepackt wieder umzukippen. Nach der Rune, welche uns ein Tor in den Himmel geöffnet hatte und die nahezu meine gesamte Kraft verschlungen hatte, kam mir das hier nun wie ein Klacks vor.

Es erfüllte mich mit unerwartetem Stolz, als ich mir eine knappe Minute später die Rune auf die Innenseite meines Unterarms auftrug, welche ich mühelos im Geiste heraufbeschworen hatte. Wie ein See im Antlitz des Mondes glühte sie eine Sekunde lang im schönsten Silber, bevor sie in meine Haut fuhr und sich zum dunkelsten aller Schwarztöne manifestierte. Ihre Wirkung setzte sofort ein, durchfuhr mich wie eine Supernova, belebte jeden letzten Zentimeter meiner Zellen, verflüchtigte den Nebel um meinen Kopf.

Nachdem ich Isabelle die Rune zeigte, damit sie diese nachzeichnen konnte, lehnte ich mich über einen schlummernden Jace und versah ihn mit der Rune. Seine Wimpern flatterten, als die Kraft ihn durchfuhr und ich spürte, wie ein kleines Stück meiner eigenen Energie an ihn verloren ging. Unsere Augen trafen sich über seine Schulter hinweg und Jace' Finger glitten in meine Halsbeuge, ehe er mich zu sich hinunterzog.

Ich bekam nicht mit, wie Isabelle das Zimmer verließ – nicht mal wie sie die Tür zumachte. Die Hitze von Jace' Körper ließ mich Feuer fangen und plötzlich lag ich auf ihm, meine Arme über seinen Schultern ruhend. Der Kuss drang bis in den innersten Teil meiner Seele vor, schien mich von dieser Welt abzukoppeln.

Unsere Münder glitten übereinander und versuchten das Gesicht des anderen mit jeder Berührung einzufangen zu wollen, obwohl niemand von uns dieser Begierde hätte widerstehen können. Verzweifelt wie Verdurstende im Mittelpunkt einer endlosen Wüste hielten wir einander fest. Gierig wie Verzweifelte, die einen dürftigen Ausblick auf das bekommen hatten, was sein könnte, stahlen wir uns einen weiteren, womöglich letzten Moment. In der Hoffnung auf mehr. In der Hoffnung, dass uns mehr als nur ein Ausblick bleiben würde.

Jace küsste meine Wangen, ließ seine Zunge liebkosend über meine Lippen fahren und forderte schließlich Einlass. Unsere Zungen berührten sich in einer federleichten Umarmung und ein Schauder raste wie ein Blitzschlag durch meine Knochen. Wenn er seine Finger nicht so fest in das spärliche Shirt gekrallt hätte, hätte ich geglaubt, vor seinen Augen zu zerschmelzen.

„Clary." Es war ein heiserer Laut tief aus Jace' Kehle. Voller unausgesprochener Worte und ungesagten Bedürfnissen. Mit einer Leidenschaft, die Gräben hätte graben und Berge hätte spalten können. „Ich liebe dich."

Dieses Mal zuckte ich nicht vor diesen Worten zurück. Dieses Mal scheute ich mich nicht vor ihrer Bedeutung. Dieses Mal fürchtete ich nicht, dass mich diese Liebe zerstören würde. Meine Stimme zitterte nicht, als ich antwortete: „Ich werde dich immer lieben. Bis zu meinem letzten Atemzug und selbst im Leben, welches nach diesem kommt, werde ich dich finden und lieben." Trotz der Intensität meiner Emotionen, die mich zu verglühen schien, hielt ich meine Stimmbänder entschlossen und eindringlich. Ich würde mich nie wieder vor diesem Gefühl fürchten; würde niemals wieder diese Hand ablehnen, wenn ich sie stattdessen ergreifen und auf ewig festhalten konnte, um in ihrer Güte aufzugehen. Als könnte ich den Krieg im Alleingang gewinnen. Als könnte ich die Welt vor allem Übel bewahren. Als könnte ich den Göttern persönlich trotzen.

„Ich bin in freudiger Erwartung dieser Ewigkeit", murmelte Jace, während sein Mund über meine Pulsader glitt und sie mit Küssen bedeckte. „Auch wenn es ein Genuss sein wird, dieses Leben mit dir zu leben. Und wenn wir alt und grau sind, werden wir zurückblicken und über diesen Krieg lachen, für was ein Idiot dein Vater war, als er glaubte, sich uns beiden in den Weg stellen zu können." Er lehnte sich in die Kissen zurück. Unsere Blicke verhakten sich ineinander – es fühlte sich an, als würde ich stolpern und in seine Seele hineinfallen. Der einzige Abgrund, welchem ich mich freiwillig entgegenlehnte. „Denn gemeinsam sind wir unschlagbar, du und ich. Und wenn Valentin das erkennt, wird es für ihn bereits zu spät sein."

Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen vollkommenen Lippen ab und ich beugte mich zu ihm herab, um es fortzuküssen. Jace' Finger glitten unter mein Shirt und entfachten meine Haut wie ein glühender Schürhaken. Die Qual blieb aus. Allein ein Gefühl von völliger Unantastbarkeit raste durch meine Adern, öffnete meine Zellen für mehr dieser süchtig machenden Lust, welche seine Berührungen in mir auslösten.

Liebe bedeutete zerstören, und geliebt zu werden bedeutete, derjenige zu sein, der zerstört wurde.

Das Einzige, was mich noch zerstören konnte, war das Überbleibsel an Liebe, welches ich für meine Familie empfand. Keine andere Liebe – weder die für Jace oder die für meine Freunde – würde mich jemals auf so grausame Weise zerschmettern. Nein, sie würden mich niemals so hintergehen.

Denn wahre Liebe hinterging und schmerzte nicht. Selbst die Liebe für Jonathan, wie verbunden wir auch einst gewesen waren, war in Wahrheit nichts als eine Illusion meiner naiven Hoffnung. Sie könnte mich zerstören, falls ich es zuließ. Falls ich nicht bereit war, diesen letzten verrotteten Draht meiner Vergangenheit zu zerschneiden, ehe er meine Zukunft vergiftete.

„Der Schmerz wird es wert sein", flüsterte ich an seinem Mund, ohne das Bedürfnis, auch nur einen Herzschlag lang in einer Welt zu leben, in der seiner nicht mehr existierte. „Denn das Blut derer die zusammenhalten wird den Boden nähren und eine Welt nach ihren Wünschen zeugen."

oOo

--- 11 Stunden vor Sonnenuntergang. ---

Trotz des erstaunlich starken Sonnenlichts zu Beginn dieses schicksalverändernden Tages war das Büro der Inquisitorin in Dunkelheit gehüllt. Fingerdünne, lange Kerzen flackerten auf den Möbeln aus Ebenholz und hauchten dem Raum eine mysteriöse, nervenaufreibende Vorfreude ein – erinnerten mich daran, welche allumfassende Bedeutung diese Zeremonie für mich und für die Nephilim-Gemeinschaft als Ganze besaß.

Die Fenster waren fest verschlossen und die Sicht auf die ockerfarbenen Dächer von Alicante durch schwere, kiefergrüne Vorhänge versperrt, an deren Enden sich silberne Runenmale entlanghangelten. Der einsame Stille Bruder am hinteren Ende des Zimmers schien mit der Wand hinter sich zu verschmelzen, als wäre er nichts als eine imposant detailreich gehauene Skulptur – er verdeckte den weiten, sorgfältig ausgearbeiteten Wandteppich, der Alicante und die vier Dämonentürme zeigte. Eine makellose Nacht, wie man sie so nur selten erlebte: Mit dem Vollmond am Himmel, deren Gunst klar der Stadt zu seinen Füßen galt und unter den wachsamen Augen der tausenden Sterne.

Jedoch war das Erste, was ich registrierte, sobald ich mit leichtfüßigen Schritten über die Türschwelle trat nichts von alldem. Es war der fein abgewogene Duft von Weihrauch – perfekt abgestimmt. Weder zu stark, als dass er einem Kopfschmerzen bereitete. Noch zu wenig, um überhaupt nicht wahrgenommen zu werden.

Die Lightwoods hatten sich bereits im Büro versammelt. Robert mit einem stolzen Ausdruck in den topasbraunen Augen. Maryse zu seiner Rechten hatte würdevoll die Schultern zurückgezogen und trug ein feierliches Lächeln – in diesem Moment erinnerte sie mich mehr denn je an Isabelle. Der kleine Max wippte zwischen Alec und Jace von einem Fuß auf den anderen und machte große Augen, als die Inquisitorin in ihren festlichen Gewändern vor uns den Raum betrat.

Isabelle und ich schritten Seite an Seite voran, im Gleichschritt, ohne tatsächlich darauf zu achten. Als Imogen ihren Platz erreichte, drehte sie sich zu uns herum, ihre zeremonielle Robe aus dunklen Schwarz- und Grüntönen flatternd um ihre Kampfstiefel. Dass sie sich die Mühe gemacht hatte, sich hierfür umzuziehen, überraschte mich. Ihre eisblauen Iriden schweiften über unsere Gesichter, ehe sie uns bedeutete, unsere Plätze in dem vorbereiteten Kreis in der Mitte des Raumes einzunehmen. Nur dass ihre Augen nicht länger die Eiseskälte ausstrahlten, mit denen ich sie viel zu lange verbunden hatte. Obwohl keine Wärme den Frost vertrieben hatte, wäre es eine Lüge, zu behaupten, dass in ihrem Ausdruck nicht etwas zu schmelzen begonnen hatte. Wem auch immer diese Regung nun galt.

Auch wenn ich nicht darum herumkam, die Blicke all der Erwachsenen zu bemerken, die seit meinem Erscheinen auf mir ruhten. Anders als sonst – ohne die Nachdenklichkeit oder das Misstrauen oder die Distanz. Etwas anderes lang in Roberts, Maryse' und Imogens Zügen, sobald ihre Blicke auf mich fielen. Zuerst hielt ich es für Schwermut, aber es ergab keinen Sinn. Zumindest hoffte ich, dass Isabelles Entscheidung, mich zum Parabatai zu nehmen, sie nicht abstieß. Auch wenn Isabelle mir mehrfach deutlich gemacht hatte, dass die Meinung des Rests der Welt ihr gestohlen bleiben konnte, wollte ich sie nicht zum Schicksal der ewigen Urteilsbildung verdammen.

Ich drehte den Kopf zu Isabelle und deutete mit dem Kinn auf die Seite mit ihrer Familie. Es war Brauch, dass sich die Familien der sich vereinenden Krieger hintern ihnen aufstellten, um der Zeremonie beizuwohnen. Und während ich mich in meinen Halbkreis stellte, der von mitternachtsschwarzen Runen gekennzeichnet wurde, starrte ich nicht nur in Isabelles Gesicht, sondern auch in die ihrer Familie. Während Isabelle den wunderbaren Blick auf das Nichts hinter meiner Gestalt hatte.

Der Gedanke hätte mich traurig stimmen sollen. Stattdessen wuchs mein Lächeln als Isabelle ihren Platz mir gegenüber einnahm und sich mir zuwandte. Niemand aus meiner Familie, der heute hier hätte sein sollen, lebte noch. Also trug ich sie in meinem Herzen und in meinen Gedanken wusste ich, dass sie sich in diesem Moment mit mir gefreut hätten.

Eine seltsame Entspannung lag über meinen Gesichtsmuskeln. Als würde nichts von dem, was in den nächsten Stunden passieren würde, irgendeinen Einfluss auf das Hier und Jetzt haben. Als wäre ich frei von all den Fesseln, an die ich mich für gewöhnlich gekettet fühlte. Ich stand aufrechter, gelassener und konnte die Freude spüren, welche durch mein Blut pulsierte wie eine Woge des Adrenalins. Ich fühlte mich so wenig wie die alte Clarissa Morgenstern wie noch nie und zum ersten Mal spürte ich Erleichterung darüber. Weil es bedeutete, dass meine Zukunft möglicherweise nicht von Schuldgefühlen erdrückt werden würde, wie ich es für so lange gefürchtet hatte.

Isabelle zwinkerte mir zu, als sie mein Lächeln sah. Wir hatten uns beide für die Zeremonie herausgeputzt. Unsere schwarzen Kampfmonturen saßen wie angegossen, die Stiefel poliert und die Haare in identischen Zöpfen geflochten. Als ich mich zuhause im Spiegel betrachtet hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, meiner Mutter ins Gesicht zu blicken anstatt mir selbst. Die Tatsache, dass ich ihr Vermächtnis weiterführen konnte, anstelle das meines Vaters, hatte mich mit einem Anflug von Stolz erfüllt.

Das einzige Vermächtnis meines Vaters, welches ich jemals akzeptieren würde, war in diesem Moment auf meinen Rücken geschnallt. Eosphoros ruhte in der schwarzen, mit silbernen Sternen bestickten Scheide und nur sein Kreuzgriff aus Gold und Obsidian war hinter meinem Kopf sichtbar. Es war mehr mein Schwert, als dass es jemals Valentins gewesen war. Ich würde es in diese letzte Schlacht führen, um den Frieden, den die Morgensterns gestört hatten, wiederherzustellen. Die Rune des Himmlischen Feuers, mit der ich das Heft nach dem Aufstehen versehen hatte, strahlte eine Wärme in meinen Rücken. Die Rune des Himmlischen Feuers, mit der ich den Dämon aufhalten und meinem Bruder seine wohlverdiente letzte Ruhe gewähren würde. Sie würde das Gleichgewicht wiederherstellen, welches Valentin dieser Familie fahrlässigerweise genommen hatte.

Imogen trat an die Seite des Zirkels in dem Isabelle und ich uns befanden und sobald sie leise Worte zu murmeln begann, stieß die Stichflamme eines anderen Feuers um uns herum empor. Der Runenzirkel hatte zu brennen begonnen; dunkelrote, leckende Flammen züngelten hitzelos in die Höhe und schirmten uns vom Rest des Raumes ab.

Isabelle grinste und griff nach meiner Hand, ehe die Inquisitorin uns dazu auffordern konnte. Das rote Flammenmeer wurde vom Glanz ihrer samtschwarzen Haare zurückgeworfen, während meine ihr Glühen verschluckten.

„Isabelle Sophia Lightwood und Clarissa Adele Morgenstern", dröhnte die Stimme der Inquisitorin zu uns hindurch. „Wie Jonathan und David und viele weitere Nephilim-Paare nach ihnen wollt auch ihr heute den Parabatai-Bund eingehen. Ein Band enger als jedes Blut und jede Liebe, stärker als jedes Vertrauen gewöhnlicher Krieger und nur durch den Tod separierbar. Ein Versprechen einander bis an das Ende der Welt zu folgen, gegen den letzten unbezwingbaren Dämon zu verteidigen und in unnachgiebiger Loyalität beizustehen. Um dieses Vertrauen auf die Probe zu stellen habt ihr Seite an Seite die höchste aller Herausforderungen gemeistert, gemeinsam im Auge des Todes gestanden und euch dabei als Schwestern im Geiste bewiesen."

Ich war mir sicher, dass mein Gesicht nie in meinem Leben von einem kräftigeren Strahlen belegt worden war als in diesem Moment. Isabelles Augen funkelten vor Stolz und Freude gleichermaßen und meine standen ihren in nichts nach. Das hier, so bestätigte die Euphorie welche durch meinen Körper schoss, musste der schönste Tag meines Lebens sein. Es war das erste Mal, dass Imogen Herondales Worte ein solch unaufhaltsames Glücksgefühl in mir hervorriefen. Dass nur der Tod den Parabatai-Bund trennte, war zwar faktisch falsch, aber ich verstand, warum bei Zeremonien nur dieses ehrbare Ende erwähnt wurde. Und anders als sonst kümmerte es mich nicht, wie die Inquisitorin die Dinge verbog. Alles, was zählte waren Isabelle und ich und meine Finger juckten bereits in dem Verlangen, meine Stele in die Hand zu nehmen.

„Sprecht euren Schwur und tragt euch die Parabatai-Runen auf", forderte Imogen mit leiser Stimme.

Synchron wie Sonnenblumen, die sich dem strahlenden Licht zuwandten, setzten Isabelle und ich uns in Bewegung: Ihre Finger hakten sich am Kragen ihrer Montur ein und schoben ihn herunter, sodass ich freies Sichtfeld auf die Haut über ihrem Herzen hatte; meine Finger klammerten sich um meine Stele. Ein elektrisches Schaudern fuhr bei der Berührung des Adamants durch meinen Körper. Der Griff unserer ineinander verschränkten Hände festigte sich. Wir blickten weder auf unsere Hände, noch auf einen Punkt hinter dem Feuer – der Fokus unserer Pupillen ruhte einzig allein auf denen der anderen. Hier existierten nur sie und ich.

Und als das Pulsieren meines Herzens so laut wurde, dass es im Gleichklang mit dem Feuer tanzte, teilten sich unsere Lippen ebenso einheitlich, um den Schwur abzulegen:

„Dringe nicht in mich, dass ich dich verlassen

und umkehren und dir nicht folgen soll!

Denn wo du hingehst, da gehe ich hin,

und wo du bleibst, da bleibe ich."

Als es schließlich an der Zeit war, meine Rune anzubringen, konnte ich nur wie verhext auf meine vollendete Rune starren, die nun unter dem Kragen ihrer Montur verschwand. Sekunden später glitt die Spitze ihrer Stele über meine Haut, sanft wie die Liebkosung einer Feder, und hinterließ eine Reihung silberleuchtender Linien, deren Schwünge und Kanten meinen Atem zum Stocken brachten.

„Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott;

wo du stirbst, sterbe ich und da will ich begraben sein:

Der Erzengel tue mir an, was er will –

Nur der Tod soll dich und mich scheiden!"

Die roten Flammen schossen ein letztes Mal der Decke entgegen sobald Isabelle die Rune beendet hatte. Dann manifestierte sie sich, wurde zu einem Bestandteil meiner selbst. Es fühlte sich an, wie wenn jemand eine Hand durch meine Brust hindurch schob und nach meinem Herzen griff – nicht um es herauszureißen, sondern um es fest zu drücken; als würde es ihm Versicherung und Sicherheit zuflüstern. Der Druck verschwand so schnell wie er gekommen war und ein überwältigtes Keuchen entkam meiner Kehle, als ich das Band spürte, welches zwischen Isabelle und mir in Erscheinung trat. Ein dünner Faden, der jedoch aus Adamant bestehen könnte, so stabil wie er sich anfühlte. Unsichtbar und doch nicht weniger greifbar als ihre Hand zwischen meinen Fingern. Die Wärme, die von dem Band ausging, war überwältigend. Familiär wie eine Umarmung, innig wie eine Freundschaft.

Das Feuer um uns herum hatte sich bereits verflüchtigt, aber weder sie noch ich konnten uns rühren. Ich sah den Sturm an Emotionen in Isabelles Augen, wo sich nun auch ein Teil meiner eigenen Emotionen spiegelte – so wie sie ein Fragment ihrer selbst in mir wiedererkennen musste. Wie aus weiter Ferne nahm ich das Klatschen ihrer Familie wahr.

„Ich hoffe du bereust es nicht", sagte ich über das Gedröhne hinweg.

Isabelle zeigte mir die Zähne und schüttelte vehement mit dem Kopf. „Keine Sekunde, Morgenstern."

Das Band war kein Lügendetektor. Es übertrag weder ihre Gedanken noch das volle Ausmaß ihre Gefühle in Echtzeit. Es schien mehr wie eine Verstärkung zu funktionieren, sodass ich eine Ahnung hatte, in welchem Zustand sie sich befand. Wie eine leise Vorahnung, wie sie sich verhalten würde, als wäre sie Teil meines eigenen Bewusstseins. Eine Erweiterung meiner Selbst.

Mehr Zeit blieb uns jedoch nicht, diese neue Verbindung zu erfassen, als sich auch schon Jace und Alec auf uns stürzten. Es war unverkennbarer Jubel, in den wir schon bald mit einstimmten. Ein Augenblick, den ich anhalten wollte, um für immer in ihm leben zu können. Jubel, den ich in meine Lungen aufsaugte wie Sauerstoff, weil ich den heutigen Tag mit eben diesem beenden wollte.

oOo

--- 10,5 Stunden vor Sonnenuntergang. ---

Strahlend wie zwei Honigkuchenpferde standen Isabelle und ich kurz nach dem Ende unserer Parabatai-Zeremonie in Imogens Büro. Das dunkle Ambiente des Raumes durch den hellen, kühlen Morgen ersetzt, blickten wir nun wieder auf den Tisch in Form von Idris herab. Umringt von hochrangigen Nephilim und Schattenwesen gingen Inquisitorin und Konsulin ein letztes Mal die Pläne und Aufgaben des heutigen Tages durch. Es war noch Morgen, aber bis zur nächsten Dämmerung musste noch einiges erledigt werden.

Das Einzige, was für mich vor dem Beginn unserer Mission auf dem Plan stand, war, nicht von Imogens stechenden Blicken erdolcht zu werden, welche sie unserer kleinen Truppe hin und wieder entgegenschleuderte wie zielsichere Messer. Nicht, dass ich es ihr verübelte, wo doch ihr Enkel uneingeladen im Raum geblieben war, als wäre die stattfindende Sitzung nicht vor 99% der Bevölkerung geheim gehalten worden – ihm eingeschlossen.

Oh ja, Imogen Herondale war außer sich vor Zorn und falls wir heute nicht starben, würde sie uns diesen Zorn morgen noch deutlich spüren lassen. Isabelle und ich hatten Jace von der geheimen Mission zum Stützpunkt meines Vaters erzählt und da Adam, Alec und Magnus noch währenddessen zu uns gestoßen waren, konnten auch sie sich nicht rausreden.

Jace zuckte bei den Blicken seiner Großmutter nicht einmal mit der Wimper. Seine Entscheidung, bei der Mission dabei zu sein, war längst gefallen – unabhängig davon, wie sie final entschieden hätte. Er würde uns in Valentins Lager begleiten und sie würde nichts dagegen unternehmen können. Und falls er sterben sollte, würden wir alle sowas von am Arsch sein. Falls wir dann nicht auch tot waren.

Die Versammlung dauerte nicht lange. Jeder kannte seinen Beitrag für die große Schlacht. Die Strategie war bereits mehrfach durchgekaut worden. Einzig vom Inhalt unseres Auftrages – dass es diesen Auftrag überhaupt gab – wussten die wenigsten. Und so mussten wir wie gestern bis zum Ende der Sitzung verharren – lauschen wie sie über einen Kampf sprachen, an dem nicht wir, sondern nur unsere Familien und Freunde, teilnehmen würden – bis Imogen sich endlich uns widmete.

Nachdem die meisten Mitglieder des Kriegsrats entlassen wurden und nur noch unsere Einheit übrigblieb, spielte die Inquisitorin uns ihre Emotionslosigkeit nicht länger vor. Die Tür war kaum ins Schloss gefallen, als sie uns anfiel wie ein hungriges Raubtier, welches nur darauf gewartete hatte, seine Beute im richtigen Moment zu zerfleischen. Es war die Rede von Befehlsverweigerung, von potenziellem Kriegsverbrechen, von fehlender Loyalität, bis Jace ihr schließlich kochend vor Wut das Wort abschnitt und seine eigene Tirade losließ, welche ihrer in nichts nachstand. Dass sie verwandt waren, war unübersehbar.

Als Jace seiner Großmutter klargemacht hatte, dass sie ihn nur durch seinen Tod davon abhalten könnte, sich unserer Mission anzuschließen, gab Imogen letztendlich auf. Was nicht bedeutete, dass sie dem Rest von uns nicht weiterhin für Jace' möglichen Tod verantwortlich machte – so viel stand fest. So wie sie ihn und danach uns ansah, war eindeutig, dass Jace die Garnison in Brand stecken könnte und sie trotzdem jemand anderem die Schuld in die Schuhe schieben würde.

Kurz darauf befand ich mich im Zentrum der Aufmerksamkeit des Büros, die Augen aller Anwesenden auf mich und den Tisch vor uns gerichtet, während ich ihnen meinen Plan erläuterte – so wie vergangene Nacht Jace. Ich war froh, dass Aaron Wrayburn, der die Diskussion zwischen den Herondales nur schweigend und mit vor der Brust verschränkten Armen verfolgt hatte, sich nun fleißig Notizen machte. Er war der Anführer der Einheit – er musste den Plan besser verstehen als alle anderen, vielleicht sogar besser als ich. Doch ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Mir wurde ziemlich schnell klar, weshalb Imogen und Jia ihn für die Führung ausgewählt hatten. Die Art seiner Fragen und seines Tons, als hätte er jedes Detail meiner Worte bereits vor Augen, erinnerte mich an die Denkweise meines Vaters.

Auch die anderen waren mit vollem Fokus dabei. Bis auf Jace und die Führung des Rats hatte niemand den vollen Umfang des Plans gekannt. Und wenn wir ihn meistern und dabei überleben wollten, musste ihn jeder so gut kennen, als hätten sie ihn selbst entworfen.

Ich vergaß die Zeit um mich herum; ging auf in dem Verschieben der Figuren über dem Gebiet des Brocelind-Waldes, während ich Phase um Phase des Plans offenbarte und erklärte. Vor ihren Augen und im Hinblick ihrer Fragen analysierte ich die aufeinander aufbauenden Schritte, versuchte deutlichzumachen, wie verschiedene Etappen zusammenflossen und erinnerte sie alle an ihre Stärken und Schwächen. Denn das hier war meine Stärke: Die Fähigkeiten anderer einzuschätzen und sie dementsprechend einer Aufgabe abzukommandieren. Keine Angeberei meinerseits, sondern schlichte Tatsache.

Als mein Wortstrom schließlich zum Erliegen kam, hob ich den Kopf und musterte neugierig die Runde. Meine Augen glitten kurz zur Uhr und zurück zu ihren Gesichtern. Abgesehen von ihren Fragen war es in der letzten Dreiviertelstunde totenstill gewesen. Selbst jetzt wich die konzentrierte Ruhe nicht aus dem Raum. Den angestrengten Mienen meiner Freunde und Verbündeten konnte ich entnehmen, dass sie in Gedanken noch immer auf dem Schlachtfeld waren. Wie sie zu den Chancen standen, welche ich ihnen wiederholt unter die Nase gerieben hatte, blieb fraglich.

„Also wenn wir damit nicht gewinnen, haben wir es wirklich verdient, zu sterben", sagte Adam. Die Inquisitorin schürzte in Reaktion die Lippen, als müsste sie sich zurückhalten, um nicht etwas zu erwidern.

Aaron Wrayburn schaute nickend von seinen Notizen auf. Er und ich hatten im Verlaufe meines Vortrages am meisten Worte miteinander gewechselt und seiner halbwegs zuversichtlichen Miene nach zu urteilen, schien er mit unserem Ergebnis zufrieden zu sein. „Es wird kein leichtes Unterfangen, aber wenn wir uns an den Plan halten und zusammenarbeiten, kann es uns gelingen, Mellartach nachhause zu bringen."

Nachhause. Meine Wangenmuskeln zuckten, aber ich zwang meine Mundwinkel, sich höflich nach oben zu beugen.

Jace, der mir am nächsten war, strich einen meiner Zöpfe von meiner Schulter. Sehnsucht nahm seine Augen in Beschlag, als sie über mein Gesicht fuhren. „Kannst du den Plan anpassen, falls wir auf Überraschungen treffen?"

Das Nicken meines Kinns hatte sich in der vergangenen Stunde verselbstständigt. Ich gab mir Mühe, die Optimistische zu spielen. Nicht, um meine Bedenken zu verstecken. Eine durch Hoffnung geeinte Gruppe würde ihr volles Potenzial ausschöpfen. „Es gibt auf jeden Schlag einen Gegenschlag, aber jede Änderung bedarf einer Dominoanalyse. Sobald Valentin unsere Schritte vorhersehen kann, sind wir verloren."

„Wir müssen in der Lage sein, uns in Valentin hineinzuversetzen. Wir müssen uns für seine Ziele den bestmöglichen Plan überlegen und diesen dann mit einem Besseren von uns schlagen", merkte Magnus an und erhob zum ersten Mal die Stimme. Seine nachdenklichen Augen ruhten auf der Figur des Engels in der Mitte des Lake Lyns. „Jeder von uns muss dazu in der Lage sein. Es ist zwar Clarys Plan, aber wir dürfen uns nicht auf sie verlassen."

Die Bedeutung seiner Worte sickerte langsam in die Köpfe der anderen hinein und zu meiner Überraschung konnte ich auf allen ihren Gesichtern, mit Ausnahme von Aaron, Unbehagen erkennen. Jace zu meiner Linken krümmte sich kaum merklich nach vorn, als hätte Magnus ihm einen Schlag verpasst.

„Magnus hat recht", holte ich nach, ehe ich die anderen verlor. Sobald sie anfingen, über den Tod zu fantasieren, würde die Konzentration dahin sein. „Ich habe euch gesagt, wie die Chancen stehen, dass jeder von uns überlebt. Für den Fall, dass ich es nicht bis zum Ende schaffe, müsst ihr in der Lage sein, den Plan ohne mich zu Ende zu führen. Das gilt für jeden hier."

„Unser Glück, dass du die stärkste von uns bist", scherzte Isabelle, aber niemand verzog die Miene. „Falls sie dich kriegen, ist der Rest von uns sowieso schon tot."

„So dürft ihr nicht denken", schaltete sich Imogen ein. Ihr kühler Ausdruck glitt über jeden von uns hinweg. „Ich habe schon die stärksten Kämpfer als erstes fallen sehen. Es geht nichts über Strategie, aber letztendlich ist der Ausgang einer Schlacht nichts als eine Mischung aus Zufällen, Glück und Überraschungsmomenten. Ein Plan hilft ungemein, dieses Lot zu seinen Gunsten zu verschieben, ist aber keine Garantie."

„Wichtig ist es, stets wachsam und fähig zu sein, seinen Plan innerhalb von Sekunden anzupassen", bestätigte Aaron ernst. „Jeder in dieser Einheit wurde wegen seiner Stärken ausgesucht. Jemand von uns wird als erstes sein Leben verlieren. Wichtig im Hinterkopf zu behalten ist, dass keine Anzahl an Stärken die Schwächen ausgleichen kann, welche mit ihnen kommen. Wir verlassen uns auf die Einheit als Ganzes, auf Clary und Magnus und alle anderen. Das Versagen des Einzelnen ist das Versagen aller und wiegt stets gleich schwer. Denn jeder hat seine ganz spezielle Aufgabe zu erfüllen."

„Welch motivierenden Worte", flüsterte Jace an meinem Ohr. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht als ich zu ihm aufschaute. Ich hatte keine Ahnung, wen er damit überzeugen wollte, mich jedoch sicherlich nicht. Ich schleuderte ihm einen vernichtenden Blick zu. Im Gegenzug fuhr seine Hand meinen Rücken hinauf, als würde er mich unter allen Umständen festhalten wollen.

Da der Plan feststand und bis zu unserer offiziellen Abreise noch Zeit blieb, wurden auch wir entlassen. Die Inquisitorin würde uns persönlich zum Portal in der Garnison geleiten, welches uns an unserem Ausgangspunkt nahe dem Brocelind-Wald absetzen würde. Aaron verabschiedete sich als Erster und hastete eilig davon, ebenso wie Magnus und Alec, die beide in Angelegenheiten des Gremiums verstrickt waren.

Isabelle hatte sich freiwillig einem Trupp angeschlossen, der die Abkommenshalle für die Minderjährigen herrichtete. Sie winkte uns grinsend zu, bevor sie über den Platz des Engels davonschlenderte; ihre langen, schwarzen Zöpfe von einer morgendlichen Brise aufgewirbelt.

„Denkst du, wir können uns vor unserem Einsatz aus der Stadt zum Friedhof der Schande schleichen?", fragte ich Jace, als nur noch wir beide übrig waren. Auch wir hatten Aufgaben, die vorher noch erledigt werden mussten, aber dieses Gespräch würde uns nichts kosten.

Aus dem Augenwinkel spürte ich Jace' goldenen Blick auf meinen Wangen. Die recht kräftige Sonne hatte ihnen einen leicht rosigen Ton verliehen. „Natürlich."

Ich griff nach seinen Fingern und verschränkte sie mit meinen. Er erwiderte den Druck sofort und als mein Körper sich mir zuwandte, hatte er sich bereits zu mir heruntergebeugt, um unsere Lippen in einem flüchtigen Kuss zu verbinden. Mein folgendes Keuchen klang so unerwartet wie ich mich fühlte. Ich spürte, wie meine Pupillen sich weiteten, als sich eine Wärme in meinen Adern ausbreitete, für die hier und jetzt kein Platz war.

Jace' engelsgleiches Gesicht verdunkelte die Farbe in meinen Wangen, was im Zuge dessen ein fast aufgeblasenes Schmunzeln seinerseits zu Tage brachte. „Ich bin der glücklichste Mann auf diesem Planeten", platzte es aus ihm heraus und seine Finger vergruben sich in meiner Halsgrube, als er in meinen Privatbereich eintrat. „Du könntest mich alles fragen und ich würde bejahen."

Ich vergaß die Menschen um uns herum, sobald unsere Blicke sich ein zweites Mal trafen. Die Finger meiner freien Hand glitten hoch zu seiner Brust, verharrten über seinem Herzen. Eine Weile genoss ich nur das Pulsieren seines Herzschlages; sog die frische Frühlingsluft tief in meine Lungen und redete mir ein, dass wir es schaffen könnten. Dass wir unsere Mission erfolgreich abschließen und ein sorgloses, gemeinsames Leben führen könnten. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als das.

„Ich möchte dich meiner Mutter vorstellen", flüsterte ich, sodass die Worte nicht weiter als an seine Ohren getragen wurden. „Ich möchte, dass sie weiß, dass es mir gut in dieser Welt geht. Dass ich glücklich bin. Sie soll wissen, dass ihre Träume in Erfüllung gegangen sind. Dass sie recht hatte."

„Dann werden wir ihr genau das sagen", erwiderte Jace und seine Züge waren weich wie Butter. Wenn er mich so anschaute wie jetzt wollte ich nichts lieber, als mich seinen starken Armen hinzugeben und mich in seiner Wärme zu verlieren. Ich wollte, dass er seine Hände um meine Taille schloss, mich zu sich heranzog und nie wieder losließ.

„Der Aufbau der Barrikaden, bei denen ich helfe, sollte nicht länger als zwei Stunden in Anspruch nehmen", fügte er nach einer Weile hinzu.

„Dann treffen wir uns in zwei Stunden wieder hier", schlug ich vor und Jace nickte.

Ich drückte ein letztes Mal seine Hand, ehe ich mich schweren Herzens von ihm löste. Doch mein Strahlen war echt und aufgeregt. Kein Gedanke an den kommenden Krieg und unsere Mission konnte meine Vorfreude auf meine Mutter, auch wenn es nur ihr Grab war, mindern. Ihr Geist würde dort sein und mich willkommen heißen.


-

Langsam wird es ernst. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, die letzten Dinge abgeschlossen. Clary und Isabelle sind endlich Parabatai! Wie hat euch die Zeremonie gefallen? Ich weiß ja aus einigen Reviews, dass ihr sehr gespannt darauf wart! Hoffentlich bin ich euren Erwartungen gerecht geworden.

Skyllen

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top